Das Päckchen
Die Gedanken verfolgten ihn wieder einmal mehr. Als wäre alles erst gestern gewesen, doch es war zum Glück schon lange vorbei. Er verdrängte es, aber vergessen würde er nie, woher er kam. Er stand auf und ging, als ob er dachte, dass er fliehen könnte. Er ging durch den herbstlichen Park, dessen Bäume in den letzten abendlichen Sonnenstrahlen seltsame Schatten auf ihn warfen. Er hatte immer wieder Angst, dass sie ihn einholt, die Vergangenheit. Seine Vergangenheit, von der hier niemand etwas wusste und was auch so bleiben sollte. Sein Beruf, seine Familie, alles würde er damit zerstören. Er wünschte er sässe jetzt zu Hause und würde ein ganz normales Leben führen.
Es war inzwischen schon ganz dunkel geworden und er setzte sich auf eine Bank, als er plötzlich etwas hinter sich hörte. Er erschrak und starrte in die Finsternis hinter sich. Es war ein Mann. Der Mann lief an ihm vorbei, doch er rief ihm nach: ’’Roberto!’’ Der Mann blieb stehen, drehte sich um und fragte: ’’Was wollen sie von mir?’’ Der Mann, der auf der Bank sass war mittlerweile aufgestanden und stand dem Anderen gegenüber. Er sagte: ’’Roberto, ich bin’s Michael’’. ’’Michael? Du in Anzug und Krawatte? Das kann doch nicht sein!’’, sagte Roberto. Doch, ich bin’s. Ich geschafft, was ich schon immer wollte. Und du, du bist immer noch der Gleiche wie damals’’. ’’Was ist mit dir geschehen? Ich dachte schon du seist tot als ich dich nie wieder gesehen habe’’, sagte Roberto. ’’Wie du siehst, lebe ich und es geht mir gut, so gut, wie es dir auch gehen könnte. Ich bin jetzt keiner mehr von euch, ich habe etwas aus meinem Leben gemacht, habe jetzt einen Job und eine Familie. Ich rate dir nur, dein Leben zu ändern, solange du noch kannst!’’, erwiderte Michael und ging mit schnellen Schritten davon. Er wollte nicht mehr länger mit seinem alten Freund reden, er wollte nichts mehr mit seiner dunklen Vergangenheit zu tun haben, die noch bis heute ihre Schatten auf ihn wirft.
Als er am nächsten Tag die Zeitung las, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken und er wollte nicht glauben was er las. ’’Drogensüchtiger tot im Park aufgefunden’’ Schon bevor er den Artikel zu Ende gelesen hatte, wusste er, dass es Roberto war. Als er wieder einen klaren Gedanken fassen konnte, erinnerte er sich, dass sein Freund ihm vor langer Zeit einen Schlüssel zu einem Schliessfach gegeben hatte und sagte, er sollte ihn aufbewahren und das Schliessfach nur dann öffnen, wenn ihm etwas zustossen würde. Michael suchte den Schlüssel und machte sich auf den Weg zum Bahnhof, wo sich das Schliessfach befand. Den ganzen Weg lang war er nervös und fragte sich, wieso ihm das nur passieren musste.
Da war es, das kleine Schliessfach. Michael stand davor und wollte es nicht aufmachen, denn er wollte damit nichts zu tun haben. Aber das Versprechen, das er damals seinem Freund gegeben hatte zwang ihn dazu, es zu öffnen. Langsam drehte er den Schlüssel im Schloss um und sah in das Schliessfach. Er sah nichts, jedenfalls auf den ersten Blick, doch ganz hinten in einer dunklen Ecke lag etwas. Er nahm es hervor. Es fühlte sich kalt an. Es war ein kleines, schwarzes Päckchen. Das Herz schlug ihm jetzt schon bis zum Hals und er wollte gar nicht wissen, was in dem Päckchen war. Er schloss das Schliessfach wieder ab und machte sich mit dem Päckchen auf den Weg nach Hause. Obwohl es draussen kalt war wollte er nicht auf direktem Weg nach Hause gehen, da er dort das Päckchen öffnen müsste. Er spazierte durch die Stadt, am Fluss entlang und wollte nicht mehr an seinen Freund und an das Päckchen denken. Er nahm es aus der Tasche, sah es lange an, schaute dann auf den Fluss und fragte sich, ob er es hineinwerfen sollte.