Das Opfer
Ein leichtes Plopp durchdrang die Stille im Raum als er mit den sterilen Gummi-Handschuhen auf seinen Händen kurz schnalzte – sie sassen perfekt; gerade richtig für sein Vorhaben. Er griff nach dem skalpellförmigen Messer und setzte sich auf seinem Stuhl zurecht.
Da lag sie vor ihm auf dem blanken Kacheltisch: gereinigt, nackt und regungslos. Im matten Dämmerlicht der untergehenden Sonne konnte er gerade noch ein paar Wassertropfen vom vorherigen Waschprozess auf der Haut erkennen. Den Raum selbst hatte er dunkel gehalten – nur eine Kerze auf dem Tisch verbreitete zusätzliches Licht; eine romantische Stimmung für sein abendliches Zeremoniell.
Er betrachtete sie liebevoll, so wie sie dalag, berührte mit den Fingern die Haut mit den feinen Härchen und streichelte die vollen Rundungen. Noch strahlte sie Leben, Unversehrtheit und Reinheit aus und kein Makel verunstaltete ihr perfektes Äusseres.
Dann hob er das Messer; mit einem gezielten Griff setzte er an so wie er es schon so oft praktiziert hatte: mit der linken Hand sie unterstützen und festhalten, damit sie ihm nicht entwischen konnte und mit der rechten die Spitze auf der zarten Haut aufsetzen.
Die Vorfreude ließ ihm den Speichel im Mund zusammenlaufen und ein leichter Faden tropfte von seinen Lippen. Die Augen leuchteten, als er die Haut aufschnitt – in einem Zug von oben bis unten ohne innezuhalten. Es wurde nass und glitschig und seine Handschuhe färbten sich, als er die Haut mit geübtem Griff zurückzog.
Das rohe Fleisch lag nun vor ihm und lachte ihm geradezu entgegen, wartend auf den nächsten Schnitt. “Schneide mich”, schien sie zu förmlich schreien und er setzte wieder an. Mit einem kräftigen Druck seiner Hand teilte er das weiche zarte Fleisch bis er auf Wiederstand stieß – etwas Hartes, Knöchernes, Steiniges, verbarg sich vor seinen Augen.
Er hatte damit gerechnet, griff mit seinen behandschuhten Händen tief ins zarte Fleisch und nahm sie aus. Leider war das immer die eklige, schwierige Prozedur, aber es musste sein.
Der nächste Schritt war sein ganz persönlicher Hochgenuß dieses Tages: ein weiterer Schnitt ins glänzende Fleisch und ein Stück abgetrennt. Er hielt es einige Sekunden prüfend vor seinem Gesicht, bevor er die Augen schloss und es genüßlich in den Mund schob. Mhmm, er könnte sterben für diesen Augenblick.
“Oskar, wo bist Du denn schon wieder?”, hörte er plötzlich die Stimme hinter sich an der Küchentüre. “Und was ist das schon wieder für eine Sauerei? Kannst Du nicht einmal im Leben eine Apfelsine essen wie jeder normale Mensch auch, sondern mußt immer gleich eine Zeremonie draus machen?”
Oskar sank innerlich in sich zusammen – der Genuss verflüchtigte sich und er schluckte schnell seinen Bissen hinunter bevor er sich zu seiner Frau umdrehte und die Illusion endgültig zerstob.