Das Opfer der Vögel
Einst war es, dass ein kleines Mädchen jeden Tag in den Wald hinauslief und mit den Tieren und Pflanzen sprach. Sie ging, bevor die Sonne erschien, und lief zurück als der Mond sein weißes Licht bereits auf die leeren Straßen des Dorfes warf. Sie verweilte in diesem Wald und spürte niemals das verlangen diesen zu verlassen. Und so begab es sich, dass das kleine Mädchen eines Tages nicht mehr heimkehrte. Ihre Eltern, voll von Sorge und Kummer um ihr Mädchen, alarmierten das gesamte Dorf, die Polizei, jeden im Umkreis, um sie wiederzufinden. Doch vergebens. Auch nach 3 Monaten der Suche nicht die geringste Spur außer einer Haarschleife, die man in einer Baumkrone, einer kleinen Tanne, fand. Auch wenn ihre Eltern die Suche niemals aufgaben, schwand die Hoffnung auf eine Rückkehr und somit auch der Wille, sie zu suchen. Wohin das Mädchen ging, was es jeden Tag in diesem Wald tat und wieso es verschwand, all diese Fragen plagten die Eltern von Tag zu Tag, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr.
Niemand sprach mehr über sie. Sie war wie vergessen und kein Mensch verlor auch nur noch ein Wort über das was ihrem Kind passierte. Nur ihren Eltern vergaßen nicht. Diese versanken in Kummer, in Schande, in Vorwürfen und letztendlich im eigenen Mitleid. Tränen flossen bei jedem Gedanken an sie.
So geschah es nun, dass die Eltern, um sie nie zu vergessen und in ihrem Andenken, einen Baum pflanzten. Eine prächtige Eiche sollte es werden, hoch wie 10 Stockwerke und breit, so dass sie dem ganzen Dorf Schatten spenden konnte. Und so passierte es. Die Eiche wuchs, und wuchs, und mit jedem Tag konnte man sehen dass diese Eiche größer wurde und die Eltern waren froh.
Als nun die Eltern kamen zu sterben, saß der Mann am Sterbebett seiner Frau. Von ihrem Zimmer aus hatte man einen herrlichen Blick auf die Eiche und deren Krone und sie schenkte ihr jeden weiteren Tag ein Lächeln auf das Gesicht. Nun kam der Tag, der schon lange vorherbestimmt war und die Frau, neben ihrem Mann liegend, warf einen letzten Blick aus dem Fenster auf die Eiche.
Sie dachte an vergangene Tage, an ihr kleines Mädchen und daran wie schön die Zeit war.
So kamen nun ihre letzten Augenblicke und sie spürte die schwärze in ihrer Brust die nach ihr rief.
Da setzte sich ein kleiner blauer Vogel, mit einer kleinen rote Schleife im Schnabel, direkt vor ihr Fenster und sah ihr in die Augen. Es waren die Augen ihre Tochter, mit einem Blick, der Wärme, Liebe und Hoffnung ausstrahlte. So setzten sich nun noch mehr Vögel neben ihn und begannen zu singen. Es war ein Lied wie es kein weiteres gibt. Eine sanfte Melodie die alle Sinne betäubte und einen in eine fremde Welt führte, doch der Blaue mit der Schleife sah ihr nur in die Augen und die Frau weinte. Sie weinte. Nicht aus Trauer oder Angst, sondern aus Fröhlichkeit.
Und zusammen mit dem Blick des Vogels, der Melodie und ihrem Mann neben ihr schlief sie ein. Und lies los.