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Das Mysterium der Stille
Dunkelheit herrscht zwischen den Sternen. Ewige Nacht, durchbrochen nur vom Licht winziger Sonnen. Stecknadelkopfgroße Funken, gigantische Feuerbälle, unvorstellbar weit entfernt.
Lautlosigkeit herrscht zwischen den Sternen. Wo ein Träger für Schallwellen jeglicher Art fehlt, kann einzig die Stille regieren. Sonnen werden geboren, brennen eine Zeit lang und vergehen wieder, vom Universum bedacht nur mit der Gleichgültigkeit eiskalten Schweigens. Planeten erblühen mit der Frucht des Lebens und bringen intelligentes Leben hervor, das seinen kulturellen und technologischen Höhepunkt erreicht, überschreitet und schließlich wieder der Vernichtung anheim fällt, bis dort, wo einst Licht, Leben und Bewegung war, nur noch Dunkelheit und Stille existiert, so wie es am Anfang war und wie es am Ende auch wieder sein wird.
Seltsame Wesenheiten mögen in dieser Stille existieren. Wo Lautlosigkeit und Finsternis im alchemistischen Schmelztiegel des Vakuums miteinander verschmelzen, können Kreaturen geboren werden, deren Andersartigkeit und Fremdartigkeit dem menschlichen Verstand auf immerdar ein Rätsel bleiben müssen. Unmöglich zu sagen, welche Geschöpfe auf der anderen Seite der Dunkelheit auf der Lauer liegen. Unmöglich zu begreifen, welche Rätsel hinter der unsichtbaren Grenze des Schweigens verborgen sind.
Aber manchmal dringt etwas hervor aus der Tiefe der Nacht, kommt, geht und hinterlässt seine Spuren...
Das Schiff gleitet durch die Leere. Seine Form ist die einer gigantischen Pyramide von der Farbe hellen Gesteins. Seltsame Hieroglyphen sind in seine Außenseite eingraviert, deren Transkription die Fähigkeiten jedes menschlichen Verstandes bei weitem übersteigen würde. Weder ein Antrieb, Fenster oder irgendwelche Lichter sind zu erkennen, nichts was auf Leben oder Bewegung hindeuten würde. Völlig geräuschlos, leblos gleitet es dahin, auf einer vollkommen geraden Linie, während es sich langsam um seine vertikale Achse dreht.
Vielleicht ist es das Fortbewegungsmittel einer hochentwickelten Rasse, die unterwegs ist um fremde Zivilisationen und weit entfernte Galaxien zu erforschen. Vielleicht ist es ein Pionierschiff, angefüllt mit Kolonisten, die voller Enthusiasmus darauf warten, fern der Heimat eine neue Gesellschaft zu gründen. Oder vielleicht hat es auch gar kein Ziel und keinen Ursprung, keinen Anfang und kein Ende. Vielleicht ist es ein unlösbares Mysterium, ein Rätsel, hervorgebracht vom Universum selbst, dessen einziger Sinnzweck darin besteht, vom Anfang bis zum Ende der Zeit durch die Leere zu gleiten, auf einem Kurs, dessen Verlauf einzig vom Zufall bestimmt wird.
Und vielleicht ist es genau dieser Zufall, der es in ein Sonnensystem eintreten lässt. Seinem geradlinigen Kurs folgend passiert es die äußeren Planeten, dringt tiefer in das System vor und hält direkt auf den dritten Planeten zu.
Dort angekommen schwenkt es in eine weite Umlaufbahn ein und wartet.
Seine Anwesenheit bleibt nicht unbemerkt, denn der Planet ist von intelligenten Wesen bewohnt, deren technologische Entwicklung an der Grenze zur interstellaren Raumfahrt steht. Autos, Busse und Bahnen bleiben aus unerfindlichen Gründen stehen. Radios, Funkgeräte und Fernseher spielen verrückt. Kühe, Pferde und andere domestizierte Tiere verfallen dem Wahnsinn, brüllen sich die Seele aus dem Leib.
Radarstationen zeigen ungewöhnliche Signale. Teleskope werden ausgerichtet und bestätigen das Unmögliche. Und schließlich treten politische Führer vor die Weltöffentlichkeit, um dem Volk die unglaubliche Nachricht zu verkünden.
Daraufhin versucht man Kontakt aufzunehmen. Gezielte Funkimpulse werden ins All geschossen, aber eine Antwort bleibt aus.
Mit Scheinwerfern werden Morsezeichen gegeben. Eine bemannte Raumkapsel startet von der Oberfläche und nähert sich dem Schiff, um einen Eingang ins Innere zu finden, um einen Kontakt herzustellen:
Sinnlos.
Immer verzweifelter werden die Kommunikationsversuche, bis man sogar versucht, mittels gigantischer Laserprojektoren Bilder und Schriftzeichen an den Himmel zu malen.
Aber die Reaktion ist immer die gleiche:
Schweigen...
Vielleicht sind die Fremden so Andersartig, dass sie die Kommunikationsversuche nicht verstehen können. Vielleicht sind sie so hochentwickelt, dass sie – nicht in der Lage, die Planetenbewohner als intelligent zu erkennen – sie für ein natürliches Phänomen halten. Oder vielleicht wollen sie auch einfach nicht antworten, haben einfach kein Interesse am Kontakt zu einer Rasse, die aus ihrer Perspektive minderwertig und primitiv erscheinen muss.
Was auch immer der Grund sein mag: Tatsache ist, dass die Planetenbewohner alles in ihrer Macht Stehende tun um einen Kontakt herzustellen, und die Fremden nicht reagieren.
Und als politische und militärische Führer sich dessen gewahr werden, keimt der Zorn in ihnen. Die Angst vor dem Unbekannten, die sich bisher hinter einem freundlichen Willkommenslächeln verbarg, die Wut darüber, so unbedeutend zu sein, dass die Fremden sie nicht einmal einer Antwort würdigen, findet Ausdruck in mehreren kleinen Objekten, die sich von einem den Planeten umkreisenden Satelliten lösen und auf das fremde Schiff zusteuern.
Blitze gleißen grell in der Stille des Alls! Eine nukleare Feuerwand breitet sich aus, rast auf das Schiff zu und passiert es vollkommen wirkungslos, verpufft in der Weite des Alls.
Und als wäre dies endlich eine Sprache, die auch von den Fremden verstanden wird, löst sich ein Blitz vom Schiff, tritt ein in die Atmosphäre der unter ihm liegenden Welt und verschwindet hinter den Wolken.
Sekunden vergehen ereignislos...
Dann blüht ein Licht auf, tief unten auf der Tagseite des Planeten.
Roter Feuerschein breitet sich aus, in scheinbarer Zeitlupe, wie die sich entfaltenden Blätter einer phantastischen Blüte. Eine gigantische Ruß- und Aschewolke wird aufgewirbelt, unter dessen pechschwarzer Oberfläche ein rotorangenes Flimmern von unvorstellbarer Zerstörungskraft kündet.
Immer weiter frisst sich das Feuer über die Welt, lässt Flüsse, Seen und Meere verdampfen, verbrennt ganze Landstriche, dann Kontinente zu brodelnder Schlacke.
Kontinentalplatten heben sich um Kilometer und werden in Stücke gerissen. Die Erdachse springt aus ihrer magnetischen Fassung, der Planet beginnt zu trudeln und fliegt aus seiner Umlaufbahn.
Schließlich wird es zu viel. Die Erdkruste bricht auf und der Planet zerplatzt in einem Orgasmus aus flüssigem Magma und weißglühenden Gesteinsbrocken in die Stille des Vakuums hinein, wo sie schnell erkalten.
In alle Richtungen werden die Gesteinsbrocken gewirbelt. Manche stürzen auf das Zentralgestirn des Planetensystems zu, wo sie Jahre und Jahrzehnte später kurz aufblitzen und zu weniger als Asche verbrennen.
Andere Gesteinsbrocken fliegen in die andere Richtung, hinaus aus dem System, treten eine lange Reise an durch die Kälte der ewigen Nacht.
Und schließlich ist dort, wo einst Licht, Leben und Bewegung war, wieder einmal nur noch Dunkelheit und Stille, so wie es am Anfang war, und wie es am Ende auch wieder sein wird.
Das fremde Schiff indessen ist längst weitergezogen. In sein lautloses Mysterium gehüllt passiert es die Sonne in nahem Abstand, verlässt das Planetensystem auf der anderen Seite, blitzt ein letztes Mal kurz auf und verschwindet schließlich in der Dunkelheit.