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Das mit uns
Sebastian traf ich das erste Mal an der Kasse im Supermarkt. Er stand vor mir und ich stieß ihn mit meinem Einkaufswagen versehentlich an. Beim Auflegen der Lebensmittel aufs Band rollte der Wagen erneut gegen ihn und er drehte sich zu mir um.
"Machen Sie das unabsichtlich oder ist das der dringende Wunsch nach Kontaktaufnahme?"
"Im Herbst versuche ich es bei jedem, selbst bei Ihnen", gab ich zurück.
Er reagierte nicht genervt, das Gesicht mit dem gestutzten Bart und der runden Brille sah amüsiert aus. Sein Blick huschte über meinen Einkauf, bei dem auch zwei Flaschen waren.
"Der Weinkonsum ist rückläufig in Deutschland, wussten Sie das? Ich bin froh, dass Sie etwas dagegen unternehmen."
Mir war der Typ auf Anhieb sympathisch. Vor der Tür empfahl er eine Vinothek in der Nähe.
"Nur damit kein falscher Eindruck entsteht: Wenn ich mal nicht trinke, spielt Sport eine wichtige Rolle in meinem Leben", sagte ich.
"Das sieht man Ihnen an. Ich meine nicht das Trinken, sondern den Sport. Täte mir vermutlich auch gut", antwortete er.
Ich gab ihm eine Karte meines Fitness-Studios. Eine Woche später schickte er eine Einladung.
"Ich habe zu viel Wein in der Wohnung und zu viel November vor der Tür."
Ich ging hin. Und blieb die Nacht.
Den ersten gemeinsamen Urlaub verbrachten wir in Norwegen in einer Hütte. Das raue Wetter hielt Sebastian nicht davon ab, morgens mit seiner Angel und der Kühlbox loszuziehen. Wenn er vom Fjord zurückkam, nahm er die Fische aus und warf die Innereien in einen Eimer.
"Die Gallenblase darf nicht verletzt werden", sagte er, während er mit dem Messer hantierte. Die ganze Hütte stank nach Fisch. Nachmittags arbeitete er an Vorträgen und Seminaren. Ich ging spazieren und las. Die Landschaft mit den bewaldeten Schluchten, felsigen Bergrücken und dem Meer war beeindruckend, aber jeden Tag gleich. Die drei Bücher, die ich mitgenommen hatte, waren bald durchgelesen. Abends kochten wir zusammen.
"Ich kann Fisch nicht mehr sehen", sagte ich.
"Lass uns essen gehen!", schlug er vor.
Als wir in dem zwölf Kilometer entfernten Restaurant ankamen, war es dunkel. Außer uns gab es keine Gäste, die Speisekarte bestand aus einem Blatt. Abgesehen von mehreren Fischgerichten wurde Eintopf mit Hammelfleisch angeboten. Ich legte die Karte beiseite.
"Warst du mal in Italien?", fragte ich.
Im Fitnessstudio waren einige Trainer ausgefallen, ich übernahm gern deren Kurse. Bauch, Beine, Po. Sebastian lachte immer darüber, die Bezeichnung fand er erheiternd. Mit Yoga konnte er ebenso wenig anfangen. Das Interesse an Sport, von dem er bei unserem ersten Treffen sprach, gab es nicht. Für mich war es willkommene Ablenkung. Meine Wohnung war gekündigt worden, die Suche nach einer neuen gestaltete sich schwierig. Die geforderten Mietpreise in den Inseraten waren frustrierend. Wenigstens der Job machte mir Spaß. Bei einer Wohnungsbesichtigung standen die Bewerber Schlange, der Makler verteilte Bögen zum Ausfüllen. Bei der Frage nach dem Beruf schrieb ich Bauch, Beine, Po. Dann zerknüllte ich das Papier und ging. Im Studio fing mein Yin-Yoga-Kurs an.
"Wir werden loslassen und uns nur auf unser Innerstes konzentrieren", sagte ich den Teilnehmerinnen. Die Frauen hörten mir zu.
Der füllige Mann hinter dem Schalter trug ein blaues Hemd unter dem Jackett, vor den Augen thronte eine eine große Brille, durch die er auf meine Brüste starrte.
"Meine Karten sind gesperrt", sagte ich.
"So, so", antwortete er und starrte weiter. Ich zog den Reißverschluss der Trainingsjacke hoch und gab ihm meine EC-Karte. Sein Blick schwenkte auf den Monitor, er tippte auf der Tastatur vor ihm.
"Ihr Dispositionskredit ist überzogen", sagte er.
"Können Sie den erhöhen?", fragte ich.
Er nestelte an der voluminösen Brille herum und setzte eine bedauerliche Miene auf.
"Sie müssen einen Antrag stellen, der kann online auf unserer Seite heruntergeladen werden."
Ich steckte die EC-Karte wieder ein.
"Sie sind ein Frühabspritzer, oder?"
"Wie bitte?"
"Beim Sex. Sie wissen schon, was ich meine. Sie glotzen den Frauen auf die Titten und dann ist es schon vorbei. Ich wette, in Ihrer Pause holen Sie sich auf der Toilette einen runter."
"Also bitte!", kam es von ihm.
"Bitte was? Noch einen Blick? Kannst du vergessen, Wixer!"
Ich machte kehrt und trat den Heimweg an. Sebastian um Geld anzubetteln, kam nicht in Frage. Ich rief meine Freundin an. Lena beruhigte mich.
"Ich leih`dir was, kein Problem! Und du weißt, dass meine Wohnung groß genug ist. Wie läuft es mit deinem Freund?"
"Ich mache Bauch, Beine, Po und er ist ein Intellektueller, der an der Uni lehrt", antwortete ich.
"Das sind die schlimmsten", sagte sie.
"Nein, alles läuft gut mit ihm!"
"Finanziell scheint er nicht auf deiner Seite zu stehen. Du hättest dein Studium abschließen sollen!"
Ich legte auf.
Ein Personal-Trainer aus dem Studio hatte mich zum Essen eingeladen. Ich erzählte es Sebastian. Ihm gefiel das nicht.
"Ich habe den gegoogelt", sagte er. "Der Schönling stemmt nicht nur Gewichte, in seiner Freizeit macht so eine Art Betroffenheitspop, daran lässt er die Gesellschaft auf seiner Website bedauerlicherweise teilhaben."
"Du bist jetzt aber nicht eifersüchtig, oder?", fragte ich.
"Nein, ich mache mir nur Gedanken über deinen Geschmack", antwortete er.
"Ich bin mit dir zusammen, da kann der doch nicht so schlecht sein", entgegnete ich.
Der Abend mit Roberto begann amüsant, die neuen Trainerkollegen im Sortstudio boten jede Menge Gesprächsstoff rund um das Sportstudio. Er hatte ein kurzärmeliges Hemd an, dass die definierten Oberarme mit den Maori Tattoos zur Geltung brachte. Eine Silberkette baumelte um seinen Hals.
"Der Lachs klingt gut", sagte er mit Blick auf die Tagesgerichte.
"Kommt nicht auf meinen Teller!", sagte ich.
"Hat dein Professor Tattoos?", fragte Roberto.
"Wie kommst du auf Professor?"
"Gerüchteküche", sagte er.
"Machst du noch deinen Betroffenheitspop neben dem Sport?"
"Wer nennt das so, bitte schön?"
"Der Professor", sagte ich.
Dem Ende des Abends sahen wir beide mit Ungeduld entgegen. Immerhin blieb Roberto bei seiner Einladung und zahlte die Rechnung.
Ich trennte mich von Sebastian in Florenz. Mitten auf der Ponte Vecchio gegen Abend. Der Arno floss unter uns, Lichtreflexionen tanzten auf den Wellen.
„Was siehst du?“, fragte ich ihn.
„Eine amorphe Masse von Touristen, die sich über die Brücke wälzt“, antwortete er. Ich hatte diese Reise ausgesucht, dieses eine Mal.
„Tu wenigstens so, als wärst du gern hier!“, sagte ich. „Mir zuliebe!“
„Ich mache die ganze Zeit nichts anderes“, gab er zurück.
In meiner Vorstellung war Florenz, ähnlich wie Venedig oder Rom mit Romantik verbunden. Ihm ging es nicht so.
„Florenz sehe ich eher in der Renaissance verhaftet, also deutlich vor der Romantik“, erklärte er mir.
„Gab es Züge in der Renaissance-Epoche?“, fragte ich.
Er schüttelte den Kopf.
„Heute gibt es welche und ich nehme den nächsten.“
Er machte sich nicht die Mühe, mich aufzuhalten.
Lena wartete am Bahnhof, ich hatte sie aus dem Zug angerufen. Sie nahm mich in den Arm und strich mir über den Kopf wie bei einem Kind. Dann fuhren wir zu ihr und tranken Wein. Zwei Flaschen Grauburgunder. Ich redete und weinte. Sie hörte zu und nickte.
„Woran lag es wirklich?", fragte Lena.
„Ich kann nur Kurzstrecke", sagte ich. "Für Langlauf fehlt mir der Atem."
„Ist es der Langlauf, oder ist es die Nähe?"
Lena konnte anstrengend sein. Am nächsten Morgen ging es mir schlecht, aber ich hatte mich beruhigt. Sebastian hatte mehrere Nachrichten geschickt, ich öffnete sie nicht.
„Er wird dich wiederhaben wollen", sagte meine Freundin.
Sebastian hatte ein Restaurant in Kreuzberg vorgeschlagen. Bitte, sag ja, stand in seiner Nachricht. Ich machte mir Gedanken über die Garderobe. Nicht zu sexy. Attraktiv, aber dezent und seriös. Der enge Pulli mit Rollkragen in beige sah im Spiegel gut aus. Eine lange Kette darüber. Keine, die ich von ihm geschenkt bekommen hatte, eine von früher. Dazu die neuen Stiefel. Der Mantel farblich passend. Ein letzter prüfender Blick. So ging es.
Das Restaurant machte einen gehobenen Eindruck, weiße Tischdecken, gedämpftes Licht. Die Kellner bedienten die Gäste in schwarzen Hemden und Krawatten. Er war schon da. Ich konnte ihn von draußen an einem der Tische am Fenster sehen. Er trug ein Jackett über dem weißen T-Shirt, die Beine lässig übereinanderschlagen. Ein Kellner kam zu ihm, er schickte ihn mit einer Handbewegung weg. Sein Blick wanderte ungeduldig von der Armbanduhr zur Eingangstür. Er griff nach dem Handy und tippte darauf herum. Bei mir summte es.
„Wo bleibst du?", las ich. Meine Erstarrung löste sich. Abends kühlte es ab, Mitte Oktober und es fing zu nieseln an. Ich knöpfte den Mantel zu und machte kehrt. In der U-Bahn schickte ich ihm eine Entschuldigung. Eine Antwort kam nicht. Die Stationen flogen vorbei, im Fenster spiegelte sich mein Gesicht. Ich sah es an.