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Das Manuskript
Die Schreibblockade war für Gregor Arthemius in den vergangenen Jahren zu einem vollwertigen, wenn auch unbeliebten Arbeitskollegen geworden. So kam es, dass Sie ihn auch an diesem eiskalten und verschneiten Dezembertag in seiner angenehm warmen Wirkungsstätte besuchte.
Sie schwebte heimlich durch die schwere Holztür hinein, ohne sich die Schuhe abzuklopfen. Sie flog an der Rezeption der alten, staubigen Buchhandlung vorbei, ohne die Klingel auf dem Kirschholztisch zu betätigen, vollführte in der Hinterkammer eine freche Drehung über dem, mit Manuskripten tapezierten Schreibtisch und segelte im Sturzflug durch Arthemius' rauchenden Pfeifenkopf direkt in die Ideenschmiede seines Gehirns.
Er seufzte. Das Geschäft lief schlecht in letzer Zeit. Kaum jemand interessierte sich noch für Papier gewordene Ideen, die man einmal Bücher nannte. Die Menschen gingen Abends hinaus in eine Gaststätte, betranken sich, hörten Musik, sangen, tanzten und vergaßen all die schönen Stunden, die das geschriebene Wort dem geduldigen Geist zu bescheren vermochte und die der Grund für Gregor Arthemius waren, sein Leben diesen Momenten der Stille und der Fantasie bis auf das letzte Körnchen Zeit in seiner Sanduhr zu widmen. „Ach, Du schon wieder“, sagte der alte Mann mit hängenden Schultern und die Worte quetschten sich zusammen mit abgestandenem Pfeifenrauch durch seine bräunlichen Zähne. „Auf mich kannst du dich wenigstens verlassen!“, quiekte die Schreibblockade vergnügt. „Was haben wir denn hier...Oh! Ein Roman über die Liebesleiden eines Schiffskapitäns in der Antarktis! Wenn du mich fragst, würde ich sagen, dass du mit zunehmendem Alter immer einfallsloser wirst.“. „Ich frage dich aber nicht.“, brummte der alte Mann, lächelte und hustete stark, woraufhin sich seine faltigen Mundwinkel direkt wieder herunter zogen.
„Wie wäre es denn, wenn du den Kapitän zum Vampir werden lässt? Vampire sind heutzutage in aller Munde und die Liebesleiden eines Vampirs ziehen das Interesse der jungen Damen und somit ihre Goldstücke förmlich an!“, kicherte die Schreibblockade entzückt. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihm Ratschläge gab, doch sie trafen bei Gregor stets auf taube Ohren. „Vampire, Vampire, Vampire! Ich kann es nicht mehr hören! Jedes zweite Buch, das ich dieses Jahr von den Verlagen bekommen habe, handelt von Vampiren! Man sollte den untoten Parasiten in schmierigen Satinumhängen auch einmal ihre wohlverdiente Ruhe gönnen, Herrgott nochmal!“, brüllte der alte Mann und zog wie ein Besessener an seiner Pfeife, die nun wie eine Dampflokomotive zu qualmen begann.
Der Buchhändler und laienhafte Autor fuhr sich mit zittrigen Händen durch die weißen Haare am Rande seiner Glatze. „Ich weiß, was jetzt kommt! Ich kenne diesen Blick.“, krächzte sein Peiniger. Gregor kniff die Augen zusammen, wodurch seine Brille den Nasenrücken herauf glitt, zerdrückte seine Aufzeichnungen zu einem Ball aus Papier und Tinte und warf ihn in den Kamin. Der stinkende Rauch und mit ihm zahllose, ungelesene Zeilen verließen den schwarzen Schlot und vermischten sich in der bitterkalten Abendluft mit einer schier endlosen Zahl an verlorenem Gedankengut und verschwanden tonlos in der Wüste der Ideenlosigkeit.