Das mach ich mit links
Am Ende des Tages, wenn die Nacht beginnt, wache ich auf in meinem Traum und fange an, vor mir selbst davon zu laufen. Ich wache auf in dem Traum, der da Leben heißt, um zu leben. Zu leben, zu laufen, nicht stehen zu bleiben, nicht zu vergehen.
Ich schlafe nicht, ich wache nicht. Ich lebe nicht, ich bin nicht tot. Ich schwebe in diesem Dämmerzustand, lasse mich gehen, lasse mich treiben. Ich laufe an Bildern vorbei; Töne und Gerüche stellen sich mir in den Weg. Bilder, die ich manchmal erkenne, die Tage, Wochen oder sogar Monate oder Jahre zurückliegen. Meine Haut fühlt Berührungen, Echos nur, und leitet diese Imaginationen weiter, als wären sie real.
Wieder ein Bild:
Hatte ich jemals einen schöneren Abend verbracht als mit ihm? Vielleicht, doch sie verblassen in Erinnerung an diesen ersten Abend mit ihm.
Empfindungswellen überströmen meinen Körper, schlagen über mir zusammen, durchströmen auf ihrem Rückweg mein Fleisch, kumulieren in meinem Bauch und meiner Seele und bescheren mir den Orgasmus, den ich damals nicht hatte. Wir waren damals zu aufgeregt und zu verwirrt. Wir waren zu verliebt, um nur Sex zu haben und konzentrierten uns zu sehr auf den Sex, um ihn zu genießen. Unsere erste Nacht, damals. Lange her und doch nicht lange genug, um nicht doch noch positive Empfindungen für ihn übrig zu haben.
Natürlich habe ich ihn später dazu gebracht, geführt, angeleitet mir einen Orgasmus zu bereiten. Gott, klingt das Sex-besessen. Bin ich wirklich so? Jeder Mensch hat Bedürfnisse, und die wollen befriedigt werden. Your brain can fool your body. Yeah, that’s true. It makes you feel pain even when you’re not ill. And it can make you feel pleasure as well.
Ich streichle mich am ganzen Körper, bis auf diese eine Stelle in meinem Schoß, den Sitz der Seele, wie ich sie nenne. Primäres Geschlechtsorgan. Ich habe ihr mal den Namen Amanda gegeben, aber diesen Namen habe ich schon lange nicht mehr benutzt. Ich streichle mich mit meiner rechten Hand, wie das wohl jeder Rechtshänder macht; wie man als Rechtshänder wohl alles mit der rechten Hand macht. Nicht alles, beim Reinigen des linken Nasenlochs oder des linken Gehörganges benutze ich die linke Hand.
Ich befeuchte meine Finger nicht, wenn ich meine Brüste liebkose, den Vorhof umrunde. Ein Klischee der Männer. Sie denken alle Frauen wollen eine besabberte Brust. Das Gefühl des Babys an der Mutterbrust. Männer sind Babys, sie werden nie erwachsen. Auf eine vollgesabberte Brust kann ich liebend gern verzichten. Was hat Sex schon mit dem Stillen eines Babys zu tun? Nur mit dem Stillen eines Verlangens, mit Befriedigung. Obwohl ich es schön finde, mir meine vom Baden nasse Brust mit dem Haartrockner zu fönen. Die Wärme, das verschwindende Wasser, der Trocknungsprozeß erzeugt eine Spannung auf der Haut, die ich liebe. Ich liebe es auch, mir über die feinen Härchen um meinen Bauchnabel zu fahren. Im Rhythmus wohliger Schauer stellen sich dann alle Haare des Körper auf. Er hat mir immer über diese Stelle gepustet, wie ein warmer leichter Sommerwind, der vom Meer kommt. Auch er ist in der Bildergalerie vertreten, Bilder von Männern, die ich mir mit geschlossenen Augen vorstelle. Schöne Männer, interessante Männer, Männer, die ich persönlich und solche, die ich nur aus Film, Fernsehen und Presse kenne. Bin ich nymphoman, daß ich mir dabei immer so viele Männer vorstelle? Der erste tiefergehende Gefühlsschauer erfaßt mich. Die Vorahnung auf etwas noch tiefergehendes, gewaltigeres. Ich fahre mit der rechten Hand weiter nach unten, Richtung Seele. Ich spreize mit Zeige- und Ringfinger die Lippen und berühre sie, die mich groß und stark empfängt. Ein erstes Vorbeben durchschüttelt mich; ich kralle mich mit der linken Hand ins Bettlaken. Feucht und heiß ist das Haus von Amanda. Wieder ein Beben, immer noch ein kleines. Ich ziehe die Muskeln des Bauches, ja die Muskeln des ganzen Körpers immer mehr zusammen, und endlich ...
Ich atme noch tief und schwer, die Augen immer noch geschlossen.
So schön war es schon lange nicht mehr gewesen.
Ist Onanie die höchste Form der Liebe und der Sexualität? Oder nur die höchste Form des Selbstbetruges? Wenn man dann auch noch einen Orgasmus vortäuscht, oh, das ist bitter.
Wie, wenn etwas zur Gewohnheit wird, gewöhnlich wird, zur Routine wird. Wenn der Zauber verblaßt ist. Ich stecke mir eine Zigarette an. Jetzt bin ich wach. Er erregt mich also immer noch, auch wenn der Zauber verblaßt, alles zur Routine geworden ist. Betrüge ich mich selbst, wenn ich mit seinem Bild vor Augen onaniere? Nein, und auch ja. Denn genau das ist der Unterschied. Wenn ich ihn mir vorstelle, dann habe ich ein idealisiertes, ein selbst kreiertes Bild von ihm. Ein Bild mit all den guten und erregenden Eigenschaften von ihm, vielleicht auch überhöht dargestellt. Nein, ganz sicher überhöht, vergrößert dargestellt. Nicht das reale Bild, in dem nur noch die Fehler und Makel überwiegen.
Ich drücke die Zigarette im Aschenbecher aus.
Nie war ich so einsam, wie mit dir zusammen, hätte ich ihm sagen können, sagen sollen. Denn das beschreibt es am besten, was ich fühle, wenn ich jetzt in seiner Nähe bin. Einsam und allein gelassen, auch wenn er neben mir steht und mich in den Arm nimmt. Gefühlskälte.
Wir streiten um Nichtigkeiten genauso verbissen wie um wichtiges.
In einer Partnerschaft liebt einer immer mehr, heißt es. War ich das immer? Nein. Am Anfang war er es. Es hat sich verlagert. Und auch die Liebe versiegte.
Ich will ihn verlassen.
Ich will. Doch mein Wille ist zu schwach, die Lethargie, die Depression zu stark. Und auch die Umwelt, unser ganzes Umfeld, sprich: die Gesellschaft. Genau, wenn du es nicht selbst schaffen kannst, schieb es auf die Gesellschaft.
Ich will ihn verlassen.
Männer tun das doch tagtäglich, und das seit Tausenden von Jahren. Seit der Steinzeit. Mit einem Keulenschlag erobern sie die Frau und mit einem Keulenschlag verlassen sie sie wieder. Seitdem die Männer aufrecht gehen. Seitdem sie ihren Schwanz vorne tragen. Das ist ihre Art mit ihrer Albernheit umzugehen. Al – bern – heit. Männer sind nun mal albern. Und das ist noch milde ausgedrückt.
Ich will ihn verlassen.
Aber werde ich es wirklich tun können?
Werde ich nicht wieder in das Klischee zurückfallen, daß Frauen immer verlassen werden? Schon seit Tausenden von Jahren?
In letzter Zeit schaue ich mich immer öfter in Spiegeln an. In jede reflektierende Fläche muß ich hinein schauen, nur um zu sehen, wer herausschaut. Ich muß wissen, wer ich bin und was ich will.
Ich will ihn verlassen!
Ich will ... so viel. Doch wer ist Schuld an meiner Lethargie? Die Gesellschaft, die Partnerschaft, oder ganz allein ich selbst?
Veränderung.
Was ich brauche ist eine Veränderung. Nur einen neuen Blickwinkel; nur eine kleine Veränderung bloß.
Das Verlangen mich zu berühren ist wieder groß. Doch ich gebe ihm nicht nach. Veränderung. Es wächst, fleht, zerrt an mir. Ich gebe ihm endlich nach, berühre mich mit meiner linken Hand. Veränderung. Betrete Amandas Haus, nein, ihren Tempel mit der linken Hand, der unreinen Hand in den arabischen Ländern. Man sagt, wenn man es noch nie mit der linken Hand gemacht hat, ist es, als würde man von einer Fremden berührt. Das Gehirn ist überfordert, führt Bewegungen anders, spiegelverkehrt aus. Impulse laufen in die Irre. Ich gebe mich dieser Fremden in mir hin, ganz und gar. Lasse sie gewähren. Lasse sie das Tempo abbremsen oder forcieren, bis zur Explosion, gewaltig wie nie.
Ich werde ihn verlassen!
Das mache ich doch mit links.