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Das Märchen vom Fliegenpilz

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21.04.2021
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Das Märchen vom Fliegenpilz

Es war einmal ein Prinz, der war sehr stolz und hochmütig. Er war stolz, daß er ein Prinz war, er war stolz auf seinen Reichtum, und ganz besonders stolz war er auf sein gutes Aussehen. Und weil er so stolz und hochmütig war, achtete er gar nicht auf seine Mitmenschen. Er wußte nicht, ob sie glücklich oder unglücklich waren, ob sie satt zu essen hatten oder hungerten, ja, er wußte kaum, wie sein eigener Kammerdiener aussah, weil er immer über ihn hinweg blickte.

Als er sein zwanzigstes Jahr erreicht hatte, sprach der König, sein Vater: „Du bist nun alt genug, um zu heiraten. Du sollst dir unter den Töchtern der Könige der Nachbarländer eine aussuchen, und wenn ich einmal sterbe, wirst du Söhne haben und das Reich beherrschen.“ Der Prinz antwortete: „Das will ich gerne tun. Nur, die Prinzessin, die ich zur Gemahlin wähle, muß genauso schön sein wie ich. Sonst werde ich ihren Anblick nicht ertragen.“

Man brachte ihm nun Bilder aller Prinzessinnen im heiratsfähigen Alter. Er schaute sie an, und alle warf er verächtlich beiseite, keine schien ihm schön genug. So verging ein ganzes Jahr, und er hatte immer noch keine Frau. Da wurde der alte König schließlich ungeduldig. Er schaute sich die Bilder der Prinzessinnen an, und da war eine, die wohl nicht besonders schön war, aber, wie er fand, einen besonderen Liebreiz ausstrahlte. Ohne etwas zu seinem Sohn zu sagen, lud er diese Prinzessin ein, zu Besuch zu kommen. Als sie nun eintraf, war sie noch reizender als auf dem Bild, und so, freundlich und sittsam, daß der König mit seinem Sohn unter vier Augen sprach. „Nimm diese Prinzessin zur Frau, eine bessere kannst du nicht bekommen. Sieh wie hübsch und freundlich sie ist. Ist das nicht wichtiger als Schönheit?“ - „Nichts ist mir wichtiger als Schönheit bei meiner Frau!“ antwortete der Prinz. „Nein, ich werde sie nicht heiraten.“

Da wurde er alte König zornig. „Wenn du dieses wunderbare Mädchen nicht innerhalb einer Woche gefragt hast, ob sie dich zum Manne nehmen will, werde ich dich enterben und mein Königreich dem Sohn meines Bruder vermachen. Überleg es dir gut!“

Der Prinz war aufs höchste gekränkt. Ihm eine Frau zuzumuten, die nicht ebenso schön war wie er selber! Er warf sich auf sein Pferd und ritt in wildem Galopp aus dem Schloßhof. Er achtete gar nicht darauf, welchen Weg er nahm, und so kam er nach ein paar Stunden in einen dichten Wald. Noch immer war er blind vor Wut, und so zügelte er sein Roß auch nicht, als plötzlich eine alte Frau auf dem Weg daherkam. Er gab sich kaum Mühe, ihr auszuweichen, und im Vorbeireiten stieß er sie um, so daß sie nun hilflos am Wegesrand lag. „Wehe dir!“ rief sie dem Prinzen nach. „Dein Hochmut wird dir noch vergehen! Ich werde dich in etwas ganz Kleines verwandeln, so daß zur Abwechslung eimal die Menschen dich übersehen!“

Der Prinz erschrak. Er erinnerte sich nun, daß er gehört hatte, daß in seinem Reich eine mächtige Fee – oder eine Hexe? - wohnte, die Menschen verzaubern konnte. Er wendete sein Pferd und ritt zurück. Die Hexe – oder Fee? - hatte sich mühsam aufgerappelt und blickte den Prinzen böse an. „Ach bitte, liebe Fee, tu das nicht! Ich bin reich und kann dir Perlen und Edelsteine geben soviele du willst.“ - „Perlen und Edelsteine brauche ich nicht,“ erwiderte sie. „Aber du brauchst deine Strafe, deshalb werde ich dich jetzt in einen Pilz verwandeln.“ Alles Flehen half dem Prinzen nicht, die Fee ließ sich nicht erweichen. Schließlich bat der Prinz: „ Dann laß mich wenigstens ein schöner Pilz sein! Ich könnte es nicht ertragen, häßlich und unbeachtet zu bleiben.“ Da lachte die Hexe ein giftiges Lachen. „Na gut, so soll es sein. Aber denk daran, daß du es so gewollt hast, wenn du mit deinem Los nicht zufrieden bist.“ Und schon fühlte der Prinz, wie er kleiner und dicker wurde, sein Hut verwuchs mit seinem Kopf und wurde breiter, und da stand er dann im Wald – ein Fliegenpilz.

Der Fliegenpilz – verzeihung, der Prinz – hätte gern über sein trauriges Schicksal geweint, wenn


Fliegenpilze Tränen hätten. Nach ein paar Tagen kam ein Mann mit seinen vier Kindern in den Wald, um Pilze zu suchen. „Jetzt,“ dachte der Prinz, „werden mich diese Leute sehen und mit nach Hause nehmen, und mir sicher einen Ehrenplatz zuweisen, wo sie mich immer betrachten können. Sie werden doch merken, daß ich kein gewöhnlicher Pilz bin, sondern ein ganz besonderer, ein Prinz unter den Pilzen.“ Als die Kinder den Pilz mit seinem roten, weißgetüpfelten Hut sahen, brachen sie in Freudenrufe aus. „Sieh nur, Vater, welch ein schöner Pilz, den wollen wir mit nach Hause nehmen!“ - „Nein, nein,“ rief der Vater, „rührt ihn nicht an! Er ist giftig. Den wollen wir nicht in unserem Korb haben!“ Und sie gingen weiter, um gute Pilze zu finden.

Tags darauf kam eine arme Frau, die sich eine Schwammerlsuppe kochen wollte. Sie legte Steinpilze, Pfifferlinge, Egerlinge, Morcheln, Röhrlinge, und Butterpilze in ihren Korb, aber als sie zum Fliegenpilz kam, rümpfte sie die Nase, murmelte „...giftig!“ und ließ ihn stehen. Und so ging es den ganzen Sommer. Alle schauten zwar den Fliegenpilz an, manche Leute sagten: „Der sieht ja hübsch aus, aber er ist giftig,“ und kehrten sich von ihm weg. Sie freuten sich nur, wenn sie die anderen Pilze fanden. Da merkte der Prinz, daß Schönheit nicht alles ist.

In der Zwischenzeit war man im königlichen Schloß in großer Sorge, nachdem des Prinzen Pferd ohne Reiter zurückgekommen war. Der König sandte Leute aus, die seinen Sohn suchen sollten, aber sie fanden ihn nirgends. Da meinte der König, daß sein Sohn tot sein müsse, und wurde ganz schwermütig.

Die Prinzessin, die der Prinz hatte heiraten sollen, war auch traurig. Sie hatte gemerkt, daß der Prinz trotz seines Stolzes auf seinen Stand, seinen Reichtum und seine Schönheit nicht glücklich war. So hatte sie Mitleid mit ihm bekommen, und nach und nach war daraus Liebe geworden – aber der Prinz hatte es nicht bemerkt, weil er selber nicht lieben konnte.

Im Gegensatz zum König glaubte die Prinzessin jedoch nicht, daß der Prinz tot war. Als das Pferd zurückkam, waren seit dem Fortreiten des Prinzen nicht mehr als drei oder vier Stunden vergangen, und die vielen Leute, die der König zur Suche ausgeschickt hatte, hätten, so sagte sich die Prinzessin, doch den Prinzen verletzt, ohnmächtig oder zumindest seinen Leichnam gefunden.


Da war gewiß ein Geheimnis um sein Verschwinden. Und je mehr die Prinzessin darüber nachdachte, um so mehr war sie überzeugt, daß hier Zauberei im Spiel sein müsse.

So zog sie eines Nachts heimlich die schlichtesten Kleider ihrer Kammerfrau an und stahl sich aus dem Schloß. Sie ging in die Richtung, in der man den Prinzen hatte fortreiten sehen. „Auf diesem geraden Weg muß er zu finden sein. Jemand, der im Zorn drauflos reitet, jagt einfach geradeaus, er sucht sich nicht Seitenwege.“

So ging sie die ganze Nacht, und die Sterne wiesen ihr den Weg. Als es tagte, meinte sie, sie sei nun wohl etwa so weit gekommen sein wie der Prinz auf dem Pferd. Sie schritt langsamer und schaute sich suchend um, obwohl sie eigentlich nicht wußte, wonach sie Ausschau halten sollte. Denn wenn Zauberei im Spiel ist, ist alles verwandelt. Aber sie vertraute darauf, daß ihre Liebe ihr helfen würde.

Gegen Mittag wurde sie müde und hungrig. Sie fand ein paar Beeren, und schließlich sah sie eine Menge Pilze wachsen, von denen sie einige aß. Während sie so zu Boden blickte, fiel ihr Auge auf einen Fliegenpilz. Die Prinzessin betrachtete ihn lange. „Er ist zwar giftig, aber so schön! Ich möchte ihn dauernd anschauen, mir ist, als ob ich ihn kenne.“

Je länger sie da saß und den Pilz anschaute, desto vertrauter kam er ihr vor. Eigentlich hätte sie doch nach dem Prinzen suchen sollen, aber sie konnte sich nicht von dem Fliegenpilz trennen. Da kam

gegen Abend ein altes Weiblein herangehumpelt und rief: „Was tust du da, sitzt auf der Erde und glotzt einen Fliegenpilz an!“ Die Prinzessin erschrak, denn sie hatte die Alte nicht gehört. Diese kam näher, und es war der Prinzessin, als werfe sie ihr giftige Blicke zu. „Das ist eine Hexe!“ fuhr es ihr durch den Sinn. „Was will sie von mir?“ - „Das wüßtest du wohl gerne,“ sagte die Hexe, die ihre Gedanken gelesen hatte. „Du hast wohl einen Narren an dem Ding gefressen?“ - „Ach,“ erwiderte die Prinzessin, „mir ist, als müßte ich diesem Pilz etwas Gutes tun, aber ich weiß durchaus nicht, was das sein könnte.“ - „Du kannst ihn nehmen und an deinem Herzen wärmen,“ schlug die Alte vor. „Aber damit nehme ich ihm doch das Leben, wenn ich ihn aus der Erde nehme!“ - „Keine Sorge,“ sagte die Hexe, „er wird nicht sterben. Du mußt ihn aber an deinem Herzen tragen und sieben Tage lang mit ihm auf Wanderschaft gehen, und auch wenn es dir schwer wird, darfst du ihn nicht ablegen. Dann wird er es dir danken. Legst du ihn aber ab, ehe die sieben Tage herum sind, wird er wirklich sterben, und du wirst für dein Leben unglücklich sein.“

Die Prinzessin dachte, das sei doch keine schwere Aufgabe. Sie drehte den Fliegenpilz vorsichtig aus der Erde und barg ihn unter dem Kleid an ihrem Herzen. Als sie sich von der alten Hexe verabschieden wollte, war diese verschwunden.

Nun machte sich die Prinzessin auf den Weg. Zu dem König, wo sie zu Gast gewesen war, wollte sie nicht gehen, so schlug sie den Weg zu ihrem eigenen Vater ein. Die ganze Zeit spürte sie den Pilz an ihrem Busen, und das gab ihr ein tröstliches Gefühl. Es wurde dunkel, und sie legte sich unter einem Baum auf dem weichen Moos schlafen. Am nächsten Morgen fühlte sie, wie der Pilz auf ihr Herz drückte, aber das fand sie angenehm. Sie lief wieder den ganzen Tag, und dabei kam es ihr vor, als werde der Pilz schwerer. „Das kommt mir bloß so vor,“ sagte sie sich, „weil ich es ja nicht gewöhnt bin.“ Am darauf folgenden Tag, war der Pilz aber noch schwerer, und sie mußte ihn schon mit der Hand unterstützen. Jetzt erinnerte sie sich, was die Hexe gesagt hatte. In den nächsten Tagen wurde der Pilz immer schwerer. Bald mußt sie ihn mit einem, dann mit beiden Armen unterstützen, und sie konnte nur noch sehr langsam gehen. Es war ihr, als werde der Pilz größer und größer, dabei steckte er doch immer noch, mit den Augen kaum wahrnehmbar, unter ihrem Kleid.

Am vierten Tag fühlte es sich an, als ob sie ein Kind von sieben oder acht Jahren mit sich schleppte. Das Gehen wurde immer mühsamer. Keinen Augenblick aber dachte sie daran, den lieben Fliegenpilz hervorzuziehen und wegzuwerfen. Dabei wure der Pilz noch schwerer und schien endlich so großzu sein wie ein erwachsener Mensch. Schließlich schleppte sie sich nur noch mit stolpernden Schritten voran. Welcher Tag war es? Der fünfte oder der sechste? Sie wußte es nicht, sie konnte nicht mehr denken oder fühlen, nur noch einen Schritt vor den anderen setzen. Endlich war es ihr unmöglich, noch weiterzugehen. Sie warf sich am Wegrand nieder und fiel in einen tiefen Schlaf.

Als sie erwachte und aufstehen wollte, merkte sie, daß das über ihre Kräfte ging. Sie begann zu weinen. „Ich kann nicht weiterwandern, jetzt habe ich versagt,“ dachte sie. Da stand plötzlich die alte Hexe wieder vor ihr. „Versagt? Nein, nein, die sieben Tage sind um, und du wirst nun die Belohnung für deine Mühe erhalten!“ Und mit diesen Worten verwandelte sich sich in eine schöne Fee. Sie griff unter das Kleid der Prinzessin, holte den Fliegenpilz hervor und stellte ihn vor sich auf die Erde. Da streckte sich dieser, wurde größer, bekam Arme und Beine, Hals, Kopf und Hut, und da stand der Prinz vor ihr, reichte ihr die Hand und half ihr, aufzustehen. Sie war schmutzig, das Haar zerzaust, aber sie kam ihm schöner vor als jedes Mädchen, das er je gesehen hatte. „Du hast mich erlöst. Die Fee hat mich für meinen Hochmut bestraft und in einen giftigen Pilz verwandelt, und nun bin ich, glaube ich, ein wenig bescheidener geworden. Du sollst meine liebe Frau werden, denn nichts ist schöner, als Güte, Mitleid und Hilfsbereitschaft.“

Und so wurden sie vermählt. Der Prinz wurde ein König, der für seine Untertanen sorgte, und er schaute nicht mehr auf den äußeren Schein, sondern in die Herzen der Menschen.

 

Hallo Brigitte Haddy,

was für ein nettes, kleines Märchen, das zudem eine Moral vermittelt. Den Prinzen in einen Fliegenpilz zu verwandeln ist eine gute Wahl. Die sind wirklich schön, passend zum Prinzen.

Mich wundert, wie sich die Prinzessin in den Prinzen verlieben konnte. Es klang, als hätte er sie nur kurz angesehen, bevor er davongeritten ist. Keine Zeit, sich zu verlieben.

Ich sehe nicht, woher die Prinzessin wissen kann, wie weit der Prinz auf seinem Pferd gekommen ist und erst recht nicht, wie sie die Strecke zu Fuß abschätzen will. Außerdem macht sie sich auf eine weitere Wanderung, aber bekommt Hunger, weil sie sich nichts zu Essen mitgenommen hat, finde ich unsinnig. Meine Idee wäre, dass sie stattdessen die Leute fragt, ob sie etwas gesehen haben, denn vielen Leuten ist der schöne Fliegenpilz aufgefallen. Dann brauch sie auch nicht ihren Proviant zu "vergessen", um unter dem Vorwand Pilze zu suchen.

Dann entscheidet die Prinzessin, zu Fuß nach Hause zu gehen, das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Ich stelle mir große Königreiche vor, wo sie wochenlang bis zum nächsten Schloss unterwegs wäre und das Ganze, ohne Proviant. Außerdem muss sich ihre Gastfamilie sorgen machen, was zu einem politischen Desaster führen könnte. Schlechte Idee.

Da, wo der Prinz in einen Fliegenpilz verwandelt wurde, gab es einen Unfall mit den Zeilenumbrüchen. Und wo die Prinzessin den Pilz findet, auch.

Schöne Geschichte. Ich hoffe, meine Anmerkungen helfen dir weiter.

Viele Grüße
Jellyfish

 

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