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Das Märchen - Märchen
Vor langer, langer Zeit. Also vor sehr langer Zeit. Es ist also wirklich schon eine ganze Weile her, da ergab es sich, dass ein König, der sein Ende nahen sah, einen Nachfolger suchte. Nun muss man wissen, daß die lange Ehe mit der Königin kinderlos geblieben war. Und dies, obwohl sie sich mit dem Hofstab wirklich alle Mühe gab. Immer wieder konnte man nachts die Bemühungen der Königin durch die Gänge schallen hören. Selbst als der König schon längst schlief, wollte und wollte sie nicht aufgeben. Doch alle Qual, der sie durch ihr markerschütterndes Stöhnen immer wieder Ausdruck verlieh, half nicht. So sah sich der König gezwungen, die vermeintlich Besten an seinen Hof zu rufen. Alle die, die sich bereits bewiesen hatten, sollten die Gelegenheit bekommen der neue König vom Märchenland zu werden. Nach Paragraph 12 Absatz 1 des Arbeitsgesetzes galt dieses Angebot übrigens für Damen und Herren gleichermaßen.
So kamen auch bald die ersten Gäste, doch niemand schien würdig zu sein. Frau Holle küßte Pinochios und stach sich an seiner Nase ein Auge aus. Gretel hänselte ständig die Hexe. Was, so dachte er im Stillen bei sich, wenn nun keiner würdig ist? So sorgenvoll und bekümmert schritt er den Innenhof seines Schlosses entlang. “Nun”, fragte er eine Palastwache. “Wo ist denn Ali Baba”? “Sollte er es denn gewagt haben, sich meinem Willen zu widersetzen”? “Herr”, erwiderte dieser, “er kam wohl an, nun steht er aber schon drei Tage vor dem Tore und ruft “Sesam öffne dich””. “Da wir Befehl haben, jedem geladenen Gast auf seiner Bitte hin zu öffnen, blieben für ihn die Tore daher geschlossen.” Der ist ja dumm wie Brot, dachte der König und vernahm noch einen Streit zwischen dem Froschkönig und dem tapferen Schneiderlein. Beide stritten sich darum, wer wohl mehr Fliegen auf einen Streich getötet haben mochte.
Der König begann nun, nach Ende der ersten Tage, Bilanz zu ziehen. Hans im Glück gewinnt im Casino etliche Sterntaler. Der Wolf verkauft sieben Geißlein an einen Fleischer im Dorf. Der gestiefelte Kater verdient sich ein paar Mäuse, indem er Dornröschen auf die Straße schickt. Münchhausen schließlich log der Pechmarie das Blaue vom Himmel herunter und vergnügt sich nun mit ihr im Gästebett. War ich denn blind? Habe ich denn nie gemerkt, was in meinem Königreich vor sich geht?, dachte er. Ich Schattenparker, ich Warmduscher, ich Taschenbilliardspieler. Wie konnte ich nur so dumm sein? Mein Volk in die Hände eines dieser Egozentriker legen? Nein, nein, das konnte und wollte er nicht verantworten. Auf seinem Grabstein sollte nicht stehen: Jetzt schläft er weiter. Nein, er wollte sein Volk in guten Händen wissen. Mit ruhigem Gewissen den Löffel aus der Hand geben. Mit einem Lächeln dem Sensenmann begegnen. Der Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer dachte da an eine Lebensversicherung für den König. Doch dieser wollte mehr als nur das. Fragend wandte er sich an Rumpelstilzchen. “Wenn ich dir deinen Namen sage, habe ich dann einen Wunsch frei”?
“Na hör mal, durchs Internet kennt den Namen doch längst jede Sau. Ich bin schon so berühmt, dass ich Autogrammstunden geben muss. Aber, ich hätte da eine Idee”, meinte dieser. “So hätte nicht nur dein Volk eine Zukunft, nein, auch die Märchenkultur bliebe erhalten. Mehr noch, sie bekäme ganz neue Perspektiven. Bessere Märchen würde es geben. Besser noch als “Die heilige Hure”. Besser noch als die Geschichte vom Schröder, dass er die Steuern senkt wenn er gewählt wird.”
“Ja?, was denn”?, fragte ein nun neugierig gewordener König.
“Führ doch einfach die Demokratie ein. Lass einen Wahlkampf führen, und das Volk selbst soll entscheiden, wer die besten Märchen erzählt.”
Und so ergab es sich nun, dass aus dem Märchenland eine Demokratie wurde. Und wenn sie nicht klüger geworden sind, wählen sie noch heute.