Was ist neu

Das Mädchen und die Nacht

Mitglied
Beitritt
11.02.2011
Beiträge
3
Zuletzt bearbeitet:

Das Mädchen und die Nacht

Durchbrochen wird die Stille in den Gassen von den Flügeltüren, die aufgerissen werden. Sofort strömen Menschen heraus, schon wieder vergessend, was der Priester ihnen versuchte, mit auf den Weg zu geben. Einige haben bereits ihre Handys gezückt, widmen sich ihren Geschäften oder schmieden Pläne für den Abend. Mitten unter ihnen ist Tamilia. Sie ist noch bei den Worten des Geistlichen. Das Böse sei wie ein Dornenstrauch und der gute Mensch sei wenigstens dazu angehalten, ihn zurückzuschneiden. „Wem Böses widerfährt, der wird Böses denken. Und ist der böse, der nicht weiß, dass er es ist?“, fragt sie sich, als sie von einem groß gewachsenen Herrn mit dunklen Haaren zur Seite gedrängt wird. Sie ist umringt von Menschen, die keine Zeit haben.

Ihre Mutter soll sie gleich abholen. Ehe sich Tamilia versieht, ist die Menge verschwunden und sie sitzt allein auf einer hellen, steinernen Bank auf dem kleinen Platz vor der Kirche, der sich scheinbar in die engen Gassen der Stadt gezwängt hat, Gassen, die mit runden, glatten Steinen gepflastert sind und die noch enger zu werden scheinen, wenn man an den Fassaden nach oben blickt. Der Platz liegt mitten in diesem Labyrinth und dennoch kann man mit Glück, wie heute, das Rauschen des Meeres hören. Die Kirche selbst ist klein, einfach und schnörkellos, aus weißen Steinen gemauert und besitzt keinen Turm, die Glocke ist in einem Raum unter dem flach anlaufenden Dach untergebracht, durch das runde Fenster über der Tür kann man sie sehen. Gerade reflektiert Staub in der Luft den azurblauen Himmel. Die Kirche glitzert nur einen Moment in grün, rot und blau.

Ein warmes Lächeln huscht über Tamilias zartes Gesicht. Dieser Ort ist für sie ein Fleck, um Frieden zu finden. Den Alltagslärm von Mensch und Maschinen hinter sich zu lassen. Links und rechts auf dem in der Abenddämmerung leuchtenden Platz stehen zwei alte, schmale Bäume. Ihre langen, hohen Äste berühren die Häuser in ihrer Nähe. Ein Vogel kommt über die Dächer herangeflogen und versucht auf einem der oberen Zweige zu landen, vorsichtig setzt er sich ab. Der Ast hält dem Gewicht nicht stand und biegt sich weit dem Boden entgegen, der Vogel balanciert und schafft es, sich zu halten.

Während der Zweig schwingt, sieht Tamilia zu dem Tier und dieses erwidert den Blick. Neugierig neigt er den Kopf zur Seite. Im nächsten Augenblick verlässt das Tier die Ruhe und verschwindet in der mittlerweile eingekehrten Dunkelheit. Der Kirchplatz liegt in einem ungewöhnlich hellen, diffusen Licht, dennoch lässt der Abend keine Blicke in die Ferne zu. Das Mädchen schließt die Augen, horcht in den endenden Tag hinein. Ein Windstoß durchbricht die lautlose Leere und bringt die Blätter zum Rascheln. Der Baum beschließt, wieder ein paar Blätter abzuwerfen, die goldgelb, rostbraun und orange durch die Luft wirbeln und schließlich auf dem weißen Pflaster bunte Flecken hinterlassen.

Einige von ihnen sind dem mächtigen Engel in die ausgebreiteten Flügel gefallen. Seine überlebensgroße Statur steht in der Mitte des Platzes, seine starken Schwingen hat er schützend über die Stadt ausgebreitet. Er hat eine sanfte Miene, als könne er in jedem Menschen stets das Gute sehen.

Vor mehreren hundert Jahren, so erzählt man sich, sei ein reicher Händler mit seinem Schiff in der Stadt angekommen. Er galt als gierig und unbarmherzig und unglücklicherweise war er nach mehreren Missernten der Einzige, der eine Versorgung der Menschen versichern konnte. Aber alles Flehen erweichte sein Herz nicht, denn die Menschen waren arm und konnten seine Waren nicht bezahlen. Nach wenigen Tagen kam er an der Kirche vorbei und beobachtete dort einen Raben, der etwas vom Boden aufpickte und er setzte sich auf eine der Bänke. Es wird gesagt, dass er sich in diesem Augenblick in die Kirche verliebt habe, andere meinen, dass der Raben zu sprechen begann und ihn für sein menschenunwürdiges Verhalten ermahnte. Der Händler sei panisch geworden und habe nach dem Tier geschlagen, der habe ihm die Augen ausgepickt und sei davongeflogen. Am nächsten Morgen war der Mann verschwunden und alle seine Lebensmittel waren zurückgeblieben. Bald darauf begann ein geachteter Bildhauer der Region mit den Arbeiten an der Engelsstatue. Der Auftragsgeber sei jener Händler, der damals so plötzlich verschwand.

Güte erfährt man wohl immer dann, wenn man sie nicht erwartet, denkt das Mädchen. Jetzt ist es vollständig dunkel geworden. Und still. Eben hatte man in der Ferne noch einen Lieferwagen hören können, jetzt scheint die die Welt wirklich stillzustehen. Der Platz liegt noch immer im selben Licht wie vorher. „Oder haben sich meine Augen bloß an die Dunkelheit gewöhnt?“, schießt es ihr durch den Kopf. Irgendwo knackt ein Ast. Der Laut verursacht einen langen Hall, man kann nicht sagen, woher er kommt. Dann ist das aufgeregte Schlagen von Flügeln zu hören. Direkt vor ihren Augen. Aber es ist nichts zu sehen. Es regt sich etwas. Das Mädchen schaut auf. Links vom Kirchengebäude blitzt etwas Helles auf. Etwas Langes, Glänzendes taucht aus der Dunkelheit auf. Zurrest erkennt sie es nicht. Dann erstarrt sie.

Ein Messer. Während es sich aus dem Schatten schiebt, wird es immer länger, schärfer. Ihre Augen bewegen sich sprungartig wie kleine, schwarze Punkte hin und her. Ihre Finger versuchen sich in die Bank zu bohren. Unfähig sich zu bewegen, beobachtet sie die Hand, die das Messer hält und jetzt sichtbar wird. Ihr Blick wandert den auftauchenden Arm herauf, einen Moment später ist der ganze Körper sichtbar. Das Mädchen glaubt, einen Mann zu erkennen. Er ist in eine schwarze Kutte gehüllt, sein Gesicht ist von einer weiten Kapuze verdeckt. Leicht gebückt kommt er mit quälend langsamen Schritten auf sie zu. Hinter ihr scheint eine Mauer zu sein, sie fühlt nur Kälte im Rücken. Sie will es nicht wagen, nach hinten zu sehen, denn eines weiß sie genau: „Er kommt auf mich zu.“

Die Entfernung über den Platz scheint immer kleiner zu werden. Das Mädchen fühlt den starren Blick der Gestalt. Plötzlich fällt ihr auf, dass sie laut Luft holt, sodass es über den ganzen Platz zu hören ist. „Ich muss hier weg!“, ist ihr einziger Gedanke. Ohne den Kopf zu bewegen, sieht sie sich um und erblickt den Engel, einen mächtigen Beschützer. Der Mann kommt näher. Tamilia glaubt sogar ein höhnisches Grinsen aufblitzen zu sehen, er braucht sich nicht zu beeilen, wird bekommen, was er will.

Sie schleicht nun so leise, wie es geht, zur Engelsstatue herüber. Der Mann bemerkt es, ist unbeeindruckt. Dort angekommen, steigt sie auf den Sockel und presst sich mit dem Rücken an den steinernen Körper. Ein ohrenbetäubendes Geräusch durchfährt die Szene. Es ist so intensiv, dass es von den Häuserwänden reflektiert, noch lauter wird und die Bäume erzittern lässt. Es ist ein tiefes Knarzen, wie als wenn man schwere Metallteile verbiegt. Das Mädchen zuckt zusammen und hält sich vor Schreck die Ohren zu, sich von diesem Ort wegwünschend. Und sie kann sich nicht mehr bewegen. Die Statur hat ihre Flügel um sie geschlossen, sie eingesperrt! Und sie drückt zu, fester und fester. Die steinernen Flügel pressen sich an ihren Körper. Bis er dem Druck nicht mehr stand halten kann. Die Haut beginnt aufzuplatzen, Rinnsale fließen an den Flügeln herunter und bilden eine rote Pfütze auf dem Sockel. Ein markerschütterndes Knacken erfüllt die Umgebung, gefolgt von einem krächzenden Todesschrei.

Im nächsten Moment ist der Engel verschwunden. Auf dem Sockel sitzt stattdessen ein Rabe und steckt seinen Schnabel in die Blutlache, die sich ihren Weg zum Boden sucht. Der Körper des Mädchens ist zusammengesackt und liegt schlaff dahinter. Die weißen Steine des Platzes sind mit roten Spritzern übersät. Neben dem Raben liegen der lange Dolch und die Kutte, aber keine Gestalt. Die Nacht hat nun ihre dunkelste Zeit erreicht. Die kleine Kirche sieht still aus, alles scheint zu sein wie vorher. Durchbrochen wird die Stille der Nacht. Von ihr selbst. Denn sie braucht den Menschen nicht.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi crossing,


Deine Geschichte hat mir vom Plot her ganz gut gefallen. Allerdings mag ich es gar nicht, wenn eine KG komplett im Präsens verfasst wird (bei Romanen ist das auch ein Unding). Ich finde, dadurch wirkt das Ganze mehr wie ein Drehbuch, aber das ist wohl mein persönlicher Geschmack.

Worüber ich ebenfalls gestolpert bin, sind einige Fehlerchen:

Wem böses widerfährt, der wird böses denken. Und ist der böse, der nicht weiß, dass er es ist
Bitte mit einem großen B

Es wird gesagt, dass er sich in diesem Augenblick in die Kirche verliebt hat
verliebt habe würde schöner klingen und wäre außerdem grammatikalisch richtiger (Konjunktiv)

„Güte erfährt man wohl immer dann, wenn man sie nicht erwartet“, denkt das Mädchen.
Gedanken sollten nicht in Anführungszeichen stehen. Das ist irreführend und kann fälschlicherweise für direkte Rede gehalten werden.

die Blutlache, die sich seinen Weg zum Boden sucht
ihren


Davon mal abgesehen, war's eine hübsche kleine Schauermär. Den vorletzten Absatz musste ich zweimal lesen, um zu verstehen, was da nun eigentlich vorging, aber die Idee hat mir gefallen. Die kleinen Fehler ausmerzen, dann ist das Ganze gleich noch eine Ecke runder (geht sowas eigentlich? :D).

Lieben Gruß
Pale Man

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo und Welcome to the Dungeons of kurzgeschichten.de., crossing. Choose your Warrior.

Durchbrochen wird die Stille in den Gassen von den Flügeltüren, die aufgerissen werden.

Passiv meiden, und dann gleich zum Texteinstieg, das kommt nicht gut. Die Flügeltüren durchbrechen die Stille nicht, sondern das Geräusch, das sie beim Öffnen machen. Das Quietschen der rostigen Scharniere durchbricht die Stille, als die Flügeltüren aufschwingen. Ist das eigentlich das richtige Wort, gibt es Flügeltüren nicht nur am Auto?

schon wieder vergessend

Partizip meiden.

Einige haben bereits ihre Handys gezückt, widmen sich ihren Geschäften oder schmieden Pläne für den Abend.

Erster unfallfreier Satz, und ... Er ist aktiv. Jemand tut etwas.

des Geistlichen

Du willst den "Priester" nicht wiederholen, aber das hier ist so eine Zeitungsmarotte (... berichtet der 27-jährige Feuerwehrmann ...). Für einen literarischen Text meist zu hölzern.

Wem böses

Böses

wird böses denken. Und ist der böse, der nicht weiß, dass er es ist?“,

Rede des Priesters und Tamilias Gedanken voneinander trennen.

Ehe sich Tamilia versieht,

Floskeln meiden.

wenn man den Fassaden nach oben blickt

Fehlt was.

das runder Fenster

runde

Die Kirche glitzert nur einen Moment in grün, rot und blau.

Warum glitzert sie nicht länger und warum glitzert sie überhaupt? Ist sie nass geworden? Besteht sie aus Diamanten?

stehen zwei alte, schmale Bäume. Ihre langen, hohen Äste berühren

Wiederholung im Klang.

Ein Vogel kommt über die Dächer herangeflogen und versucht auf einem der oberen Zweige zu landen, vorsichtig setzt er sich ab.

Ein Vogel kommt über die Dächer herangeflogen und versucht, auf einem der oberen Zweige zu landen. Vorsichtig setzt er sich ab.

Während der Zweig schwingt, sieht Tamilia zu ihm und er erwidert den Blick.

Der Vogel muss wieder erwähnt werden, sonst denkt man, der Zweig hätte Augen.

Vor mehreren hundert Jahren, so erzählt man sich, sei ein reicher Händler mit seinem Schiff in der Stadt

Tamilia ist bis hierhin die Figur, durch deren Augen ich die Geschichte erlebe. Woher genau kommt alles ab "Vor mehreren hundert Jahren"?

Engelsstatur

Statue

„Güte erfährt man wohl immer dann, wenn man sie nicht erwartet“, denkt das Mädchen.

So steif denkt kein Mensch. Das geht eigentlich nur aufgrund des recht märchenhaften Tons der Geschichte klar, der aber dann wieder nicht konsequent durchgezogen wird.

kommt er mit quälend langsamen Schritten

Wen oder was quälen diese Schritte und wie stellen sie das an?

Das Mädchen sitzt in direkter Sichtlinie zu der Gestalt.

Klingt wie aus einem Polizeibericht, saugt Dramatik aus der Szene.

und hält sich Schreck die Ohren zu

vor Schreck

liegt der lange Dolch und die Kutte,

liegen ...


Hm. Spooky. Wie schon erwähnt, hat irgendwie was Märchenhaftes. Der Tod der Protagonistin schockt ein bisschen, allerdings nur, bis man merkt, dass er nicht recht zum Rest der Geschichte passen will. Liest sich wie "Da müssen noch Blut und mindestens eine Leiche mit hinein". Ich hatte eher mit einem moralischen Zeigefinger gerechnet, weil der Anfang einen eben solchen befürchten lässt.


Grüße
JC

 

Hallo und vielen Dank für die hilfreiche Kritik erstmal. Ich habe noch nicht viel Erfahrung mit dem Schreiben und bin froh, wenn ich Tipps bekomme.

@ Proof Du hast Recht, das märchenhafte ist gewollt. Ich war mir auch nicht sicher, in welche Rubrik ich die Geschichte setze, sie ist eigentlich als Schauergeschichte gedacht.

dann ist das Ganze gleich noch eine Ecke runder (geht sowas eigentlich? :D).

Sehr gut, das merke ich mir. :D

Gruß,
crossing

 

Hallo crossing

Betulich las ich deine Geschichte, die Detailliebe zu den Dingen welche sich dem Auge offenbaren, wenngleich die Erzählstimme etwas monoton daherkommt. Die Beschreibungen gaben mir eine Assoziation zu den Büchern von Charlotte Link, obwohl ich mir sicher bin, dass dort nie gleiches zu lesen war. Es war vermutlich die Stimmung, wie du es dem Leser präsentierst, wenngleich der Schreibstil anders ist.

Hinter ihr scheint eine Mauer zu sein, sie fühlt nur Kälte im Rücken. Sie will es nicht wagen, nach hinten zu sehen, denn eines weiß sie genau: „Er kommt auf mich zu.“

Der zweite Satz scheint mir etwas unlogisch. Sie sitzt auf einer anscheinend freistehenden Steinbank. Die Kälte ist ein Gefühl durch die Angst erzeugt. Warum sollte sie nicht nach rückwärts schauen, einen Fluchtweg suchend, da die Gefahr von vorn droht? Es sei denn sie fühle sich von hinten auch bedroht.

Der Ausgang der Geschichte war mir überraschend, damit hatte ich nicht gerechnet.

Gern gelesen. ;)

Gruss

Anakreon

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom