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Das Mädchen ohne Namen
Jeder im Dorf kannte sie. Jeder wusste wie sie aussah, doch niemand schenkte ihr Beachtung. Anfangs wusste nicht einmal ich wie sie hieß und ich war ihr beste Freundin.
Jeden Tag streunten wir durch die Gassen von Sorxia. Durch die Schatten der Häuser und das Farbenspiel der bunten Fenster, welches wieder andere Gassen hell erleuchtete. Obwohl wir die Gassen wie unsere Westentasche kannten, war es immer wieder ein neuer atemberaubender Anblick. Viele Personen liefen uns immer wieder über den Weg, doch niemand nahm uns auch nur ansatzweise wahr. Manchmal kam es mir vor als wäre sie ein Geist den nur ich sehen konnte. Doch so war es nicht. Jeder in der Stadt wusste, dass es sie gab und jeder hatte schon ihr Lachen im Wind schweben hören.
Wie oft saßen wir auf der hohen Mauer und blickten über die Stadt. Es war ein lautes Getümmel. Vor allem wenn Markttag war. Genau wie heute. Die Wagen strömten nur so durch die Stadttore. Die Esel und Ochsen ächzten unter dem Gewicht der schwer bepackten karren, die sie hinter sich her zogen. Von den Mauern aus sahen sie wie kleine Ameisen aus die vor unseren Füßen krabbelten. Es war jedes mal schön dort oben zu sitzen und die Beine von der Stadtmauer baumeln zu lassen. Vorsichtig schaute ich zu ihr herüber. Ihr langes silbriges Haar wehte in den leichten Sommerbriesen und ihre Augen funkelten wie Rubine in der aufgehenden Sonne. Mein Name ist übrigens Yirida und das Mädchen hieß Netherale. Es ist ein Elfischer Name. Nethe bedeutet ohne und Rale bedeutet Name. Da uns immer noch eine leichte Sommerbrise durch die Haare wehte, war es noch angenehm warm. Doch am Mittag würde sich das ändern. Da würden die Straßen nur so kochen vor Hitze. Für uns wurde es immer wieder zum Problem mittags etwas zu Essen zu finden. Vor allem weil wir kaum mit nackten Füßen über die gepflasterten Straßen laufen konnten. Ja, wir waren Straßenkinder oder wie man uns hier nannte die Waisen aus der Gosse. Wir hatten beide keine Eltern mehr. Solange wir denken konnten nicht. Aber wir hatten gelernt uns selbst zu versorgen. Auch wenn wir dafür stehlen mussten. In den vielen Jahren sind wir zu einem perfekten Team geworden auch wenn wir öfters mal alleine unser Glück versuchten. Doch wenn eine von uns in Schwierigkeiten geriet, hielten wir immer zusammen.
Wir mussten schon lange auf den Mauern sitzen, denn mittlerweile stand die Sonne hoch am Himmel. Wir waren die schmale Treppe hinunter gerannt und hatten in einer schattigen Gasse Unterschlupf vor der Hitze gefunden. Immer wieder huschte mein Blick zu ihr hinüber. Sie war schlank und obwohl wir den ganzen Tag in der Sonne verbrachten war sie bleich. Beängstigend bleich. Plötzlich hallte ein Knurren von den hohen Hausmauern zurück. Ich schaute mich um und dachte an einen aggressiven Hund, doch das einzige was ich sah war, dass Netherale sich den Bauch hielt. Ich musste lachen.
"Wieso lacht du denn Yirida?"
"Weil ich dachte, dass da ein wütender Hund im Schatten steht. Ich glaube wir sollten uns etwas zu essen besorgen."
Sie nickte. Auf leisen Sohlen schlichen wir aus unserem Versteck. Auf dem Platz wimmelte es von Menschen, Elfen, Magiern und natürlich den Stadtwachen. Bisher hatten sie uns noch nie erwischt. Es hatte uns auch immer recht viel Spaß gemacht sie zu reizen, sie in den Gassen abzuhängen und zu beobachten wie sie verwirrt wieder von dannen zogen. Doch das musste heute erst einmal warten. Wir brauchten etwas zu Essen. Auch ich hatte großen Hunger. Vorsichtig schlichen wir uns vor einen etwas kleineren Stand. Es war ein älterer Herr der an dem Stand arbeitete. Netherale hatte mir ein Zeichen gegeben, dass sie ihr Glück an einem anderen Stand versuchte. Als sich der Alte umdrehte und etwas in seinem Ochsenkarren suchte, tastete ich mit meiner Hand nach etwas Essbarem. So etwas war ziemlich schwer wenn man nicht sehen konnte wonach man griff. Plötzlich ein lauter, verbitterter Schrei. Der Alte hatte meine Hand auf der Ablage entdeckt. Schnell zog ich sie zurück. Ich kroch auf allen vieren unter dem bunten Laken hervor. Und taumelte leicht beim aufrichten. Dann passierte alles so schnell. Netherale hatte bemerkt das ich in Schwierigkeiten war und sprang mich um, einige Messer flogen, Geschrei kam aus allen Richtungen. Auch die Wachen waren angerückt.
Das Mädchen zog mich auf die Beine. Da standen wir also wieder. Rücken an Rücken in einem Kreis aus Soldaten. Doch dieses mal kamen wir nicht einmal dazu weg zu rennen und uns einen Spaß aus den keuchenden Verfolgern zu machen. Ein Junge stellte sich schützend vor uns. Wir kannten ihn nicht, aber er konnte nicht älter sein als wir.
"Aus dem Weg Junge! Das sind Diebe und Dieben wird bei uns die Hand abgeschnitten", dröhnte einer der Soldaten.
Ihre Rüstungen schillerten prunkvoll im gleißenden Sonnenlicht. Im Gegensatz zu der Kleidung des Jungen sahen sie ziemlich gefährlich und unbezwingbar aus. Denn der Junge trug ein bräunliches Gewand, das schon mit einigen Flicken besetzt war.
"Das glaube ich nicht."
"Wer hat dich denn nach deiner Meinung gefragt Bürschchen?!"
Ein angsteinflößendes Funkeln lag in dem Blick das Jungen.
"Bürschchen, ja? Na dann werd ich euch mal zeigen was diese Bürschchen so kann!"
Er hob die Arme und richtete die Handflächen auf die Soldaten. Seine Kutte wehte, seine Haare wurden zerzaust. Anscheinend war er ein Magier. Es war als würde der Wind in seine Handflächen fließen. Er zog mit den Händen einen Halbkreis und die Soldaten flogen nur so durch die Gegend. Sie krachten in Stände, flogen geradewegs gegen eine Wand oder durch ein Fenster. Als er diese Handbewegung gemacht hatte schien der ganze Wind, der sich in seinen Handflächen gesammelt hatte, eine Art Druckwelle ausgelöst zu haben. Alle Leute auf dem Markt wichen einige Schritte zurück.
"Ist noch jemand der Meinung, dass diesen Mädchen die Hände abgeschnitten werden sollen?"
Wie benommen schüttelten alle im Takt den Kopf und machten sich schnell davon. Wir aber standen leicht verwirrt auf dem Platz. Der Junge drehte sich zu uns um. Ein Lächeln hatte sich auf sein Gesicht gezeichnet.
"Mein Name ist Tora. Und wie heiß ihr?"
Es war seltsam. Tora war von einem Moment auf den anderen wie ausgewechselt.
"Ich...Also...Äh...Mein Name ist Yirida."
"Und ich bin Netherale."
"Ist das nicht die Sprache der Elfen? Nethe bedeutet doch ohne und Rale Name oder? "
Netherale und ich schauten uns immer noch verwirrt an. Es war selten das ein Mensch die Sprache der Elfen kannte.
"Ja, aber woher weißt du das? "
"Ich habe einige Zeit bei Elfen gelebt. Da musste ich schließlich etwas verstehen können. Aber dein Name ist schon recht merkwürdig."
"So weit ich wies haben die Leute hier mir diesen Namen gegeben. Wieso wissen wir allerdings auch nicht so genau"
"Ich werde dich einfach Thera nennen, wenn das in Ordnung ist?"
"Ja das Klingt schön."
Wir unterhielten uns noch den ganzen Tag mit Tora. Er war ein wirklich lustiger Junge. Immer wieder brachte er uns mit kleinen Zauberkunststücken zum lachen und staunen. Langsam kühlten die Gassen von Sorxia wieder etwas ab und Thera und mir viel es etwas leichter zu laufen. Wir hatten Tora darum gebeten uns zu folgen. Wir wollten ihm unbedingt unseren Lieblingsplatz zeigen. Unser privates kleines Sonnendeck. Wir führten ihn die schmale Wendeltreppe hinauf, bis wir auf der Stadtmauer angekommen waren. Wir hatten ihn durch etliche Gassen geführt. Durch dunkle und durch bunte. Er war davon faszinier gewesen wie viele Farben die Gläser der Fenster erzeugen konnten selbst ohne Magie.
Darauf hatte Thera gesagt: "Das ist unsere Form von Magie. Ein Farbenspiel mit ganz wenig Aufwand."
Langsam ging die Sonne unter. Genau deswegen hatten wir Tora hier hinauf geführt. Er war schon von so wenigen Farben begeistert gewesen, wenn er die ganze Stadt in einer solchen Pracht schimmern sähe würde er glatt ausflippen. Und ich hatte tatsächlich recht. Er kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Einmal beugte er sich sogar so weit vor, dass er beinahe von der Mauer gefallen wäre hätten wir ihn nicht fest gehalten. Seit diesem Moment an waren wir die besten Freunde. Doch wir ahnten nicht was in ein paar Wochen passieren würde.
Es war wieder ein sehr heißer Tag. Wir hatten in dieser Nacht kaum ein Auge zu getahen. Zumindest Tora und ich nicht. Thera schlief wie ein Stein. Sie sah wie ein Engel aus, wie sie da so auf dem Boden lag und schlief.
"Es fehlen nurnoch die Flügel" hatte Tora gesagt und schwang seine Hand. Plötzlich zog sich der Stau aus dem Raum zusammen und bildete ein schönes paar Engelsflügel an Theras Rücken. Ich musste Lachen. Doch auch wenn im Moment alles in Ordnung schien, sollte das nicht lange währen.
Langsam schlug Thera ihre Augen auf und der Zauber von Tora verflog. Es war zu schade. Mit den Flügeln hatte sie so unschuldig ausgesehen.
"Morgen", stammelte sie schlaftrunken.
Sie konnte nicht einmal richtig wach werden, da flog auch schon die Tür auf und eine Schar Wachen drang in unser kleines Versteck ein. Tora und ich wurden so schnell gefesselt und auf den Boden geworfen, dass wir gar nicht reagieren konnten. Auch Thera konnte sich so schnell nicht bewegen und wurde genau wie wir, wie ein Paket, zusammen geschnürt. Eine der Wachen warf sie sich über die Schulter.
"Was habt ihr mit ihr vor ihr..."
"Halt den Mund! Sonst schneide ich dir die Zunge heraus!"
"Wenn ihr das wagt dann bring ich euch eigenhändig um!"
Wieso sagte er so etwas? Das sah im gar nicht ähnlich. Doch ich hatte keine Zeit darüber nachzudenken. Ehe ich mich versah zog mir einer der Soldaten eine Metallpfanne über den Kopf, die in einer Ecke des Raumes gelegen hatte. Das einzige was ich noch wahrgenommen hatte war Toras Stimme.
"Yirida! Yirida!"
Doch seine Rufe wurden von einem Knall erstickt und auch er sank bewusstlos zu Boden. Als wir wieder zu Bewusstsein kamen waren wir nicht mehr gefesselt und Thera war verschwunden. In Panik rannten wir durch die Gassen. Immer wieder ihren Namen rufend. "Thera! Thera! Netherale!" Doch es brachte uns nichts. Die Soldaten hatten sie mit genommen und wir wussten nicht wohin. Wir mussten zwei Tage bewusstlos gewesen sein, denn es war Markttag. Wir befragten alle Personen die uns über den Weg liefen, ob sie ein Mädchen mit silbrigem Haar und roten Augen gesehen hatten und jeder erzählte uns die gleiche Geschichte. Die Soldaten waren mit ihr auf den Schultern aus der Stadt gegangen und wären innerhalb einer Stunde wieder zurück gewesen. Jedoch ohne das Mädchen.
Doch das schlimmste für mich war, dass ich nicht wusste was mit ihr passiert war. Ich hatte binnen weniger Sekunden meine beste Freundin verloren und hatte nichts dagegen tun können. Mein Leben lang war sie mir eine gute Freundin gewesen und die Gewissheit sie nie wieder zu sehen brachte mich an der Rand der Verzweiflung.
An diesem Abend saß ich alleine mit Tora auf der Stadtmauer und blickte in die Sterne. "Eine Legende der Elfen sagt, dass alle Toten zu den Sternen kommen. Am Anfang habe es keine Sterne gegeben und jedes mal wenn jemand gestorben ist gab es einen weiteren Stern. Im laufe der Jahrhunderte gab es immer mehr. Mittlerweile ist der Himmel überfüllt und es werden nurnoch die Seelen derer aufgenommen die es verdient haben. Und wenn ich recht sehe, leuchtet da neben dem Mond ein großer heller Stern der dort vorher nicht gestanden hat."
Es machte mich glücklich so etwas zu hören. Denn auch wenn ich Thera nicht mehr sehen konnte war sie trotzdem noch bei mir. Sie würde immer in meinem Herzen bleiben egal wie weit weg sie auch sein mochte. Aber auch wenn das was Tora mir gerade erzählt hatte nur eine Legende war, hatte er recht. Der Stern auf den er deutete, war dort vorher nicht gewesen. Außerdem leuchtete er in der gleichen Farbe wie Netherales Haar, wenn es von der Sonne angestrahlt wurde und es kam mir so vor als würden zwei rote Punkte aus dem Licht des Sterne herausfunkeln, genau wie zwei Rubine die von der aufgehenden Sonne angestrahlt werden. Tora legte seine Arm um meine Schulter und ich fühlte mich so geborgen wie schon lange nicht mehr. Zu wissen das es noch jemanden außer Thera gab auf den ich mich verlassen konnte tat gut.
Heute sitze ich hier uns schaue in die Sterne, auf den gleichen Stern auf den ich auch in jener Nacht geschaut hatte und ich habe wieder das Gefühl als würde er mich beobachten, als würde er ins geheim über mich wachen und mich nie aus den Augen lassen. Alle haben vergessen, dass es sie gab. Doch ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder ihr Lachen gehört. Es wehte im Wind, rauschte in den Blättern der Bäume und befand sich im gluckern des Flusswassers. Bis zum heutigen Tag höre ich es und ich werde es auch noch immer hören. So lange ich lebe.