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Der Titel des Textes ist "Das Lied einer Asexuellen". Dahinter verbirgt sich ein Werk über das Seelenleiden einer namenlosen Person und ein kraftvoller Einblick in den emotionalen Kampf einer Person ohne sexuelles Verlangen.
Das Lied einer Asexuellen.
Strophe 1
Alles laugt aus.
Aufstehen, aufrecht bleiben, schlafen gehen, mit der Einladung zur Hochzeit meiner großen Liebe zu leben und pünktlich zu eben dieser zu erscheinen. Ein tiefer Atemzug gibt meinem Brustkorb kurzzeitig das blödsinnige Gefühl, nicht weiter in sich zusammenfallen zu müssen.
Mein Herz zieht und bebt, drückt und zerbricht nur nicht, weil ich zu viel zu tun habe, um mich selbst zu bemitleiden. Perverse Vorfreude lässt mich noch halbwegs leichtfüßig durch meine Wohnung schleichen. In Gedanken male ich mir aus, in welchen Zimmern meiner Wohnung ich noch heute Nacht gegen die Wand schlagen, schreien, brechen, weinen, toben werde; in welcher gemütlichen Ecke ich an meinem Leiden ersticken wollen würde.
Er würde phantastisch aussehen, seine zukünftige Frau überragend elegant und glücklich wie niemand sonst im Umkreis von tausend und einem Kilometer. Sie würde in seine stolz leuchtenden Augen schauen, ihn berührt anlächeln, sobald sie die rein glänzenden Tränen in seinen Augenwinkeln erblickt. Ich werde mir nicht vorstellen, wie er mich früher angesehen hat, wie ich ihn zum Lachen brachte; er sagte, wie niemand in seinem Leben es je gekonnt hat. Wenn er sich sanft über sie beugt und ihr „Ich liebe dich.“ ins Ohr raunt, sobald er denkt, keiner sonst bekäme es mit, werde ich nicht an diesem schwer-kantigen Felsen in meiner Kehle ersticken, der sich quälend langsam meine Luftröhre entlangschneidet. Ich werde mich schlichtweg weigern, diesen massiven Brocken als essentiell anzuerkennen.
Schon vor einigen Jahren musste ich ihn verlieren. Wenn Zeit alle Wunden heilt, Herrgott, dann lass meine Zeit schnell kommen.
Bitte, ich flehe gen Schicksal, denn es frisst mich auf und verschmäht den besten Teil von mir.
*
Strophe 2
Wir liegen auf einem Steg am See. Es ist eiskalt, unsere Körper ruhen sicher und weich aneinandergeschmiegt nebeneinander. Wenn ich zu ihm herüberblinzele, dann sehe ich dieses wohlige Lächeln auf seinen Lippen, das er in meiner Gegenwart wie Hosen zu tragen pflegte. Ich kuschele mich noch etwas näher an ihn heran, er küsst meinen Kopf und legt seine Arme fest um mich.
*
Refrain
Ich liebe ihn. Wieso klappt es nicht!? Was fühlt er da, und ist es ein Fluch oder der größte Segen, dass es innerhalb von maximal fünf Minuten schon vorbei sein darf? Was bitte, finden die Leute an Sex?! Zieh dich nicht an, ich bin mir sicher, ich kann es besser!
*
Strophe 3
Selbst die Nacht lässt mich eiskalt im Stich. Die Luft ist verbraucht, bedrückend warm und schwer. Tiefliegende Wolken pressen mir mein Seelenleiden gewaltsam in den Schädel. Die Autobahn ist so gut wie leer. Ich drossele das Tempo meines rostigen PKWs auf mickrige 50 km/h, lasse alle Fenster herunter und schrei mir unter Einsatz meines Lebens, zum dritten Male an diesem Tag, die wunde Kehle aus dem Leib.
*
Strafe 4
Ich wollte nicht blöd sein. Nicht so, wie alle anderen Frauen. Ich hielt zu meinen Prinzipien, eine Sache, auf die ich sehr stolz sein durfte, doch zahlte ich den bitteren Preis, nicht wissen zu können, ob ich mich damals richtig entschieden hatte.
Sie sei dir schon lang vertraut gewesen, so gestandst du mir. Du brachst mit mir in Tränen aus. Ich wusste, dass es an der Zeit war, Abschied von dir zu nehmen. Du machtest es mir so unendlich schwer. Du, und dein wunderschönes, schmerzlich vertrautes Gesicht. Noch nie zuvor wollte ich sterben, doch das Ende unserer allerletzten Umarmung zog mir die Kraft zum Atmen aus meinem Körper. Was mich rettete war, dass ich über Wochen hinweg rein gar nichts mehr fühlen durfte - die großzügige Gnade der Hölle. Zum ersten Mal in meinem Leben wurde mir Angst fremd, Hunger kein Antrieb und ein Sturz im Treppenhaus kein Grund mehr aufzustehen.
Du wimmertest, dass sich an deiner Liebe zu mir rein gar nichts verändert habe. Du hast es mir gestanden, gleich, nachdem es geschehen war. Ihr Geruch klebte noch in deinem Haar; ich fand, es roch phantastisch.
Ich verstand, du wolltest dich anders begehrt fühlen. Du wolltest die Unsicherheit, die du mir gegenüber empfandst, nur einmal von dir weisen dürfen. Es waren nie großartig mehr als fünf Minuten, innerhalb derer du es dann immer wahninnig eilig hattest. Ein enges Zeitfenster, in dem ich nie so recht wusste, was ich tat.
Vielleicht reagierte sie von Natur aus nicht gnadenlos überrumpelt, gehetzt sich eben selbst in Stimmung zu schwindeln, sondern ist auch sofort bereit gewesen. Bereit und voller Lust, spürte das, was auch du spüren durftest und fragte sich danach nicht, ob ihr das Herz nicht so schwer würde, hätte sie lieber nein gesagt.
Dass ich nicht so fühlte, wie fast alle anderen Menschen dieser Welt, lag auch bleischwer auf meinen Schultern, mein Liebster. Gott, was habe ich dich geliebt. Jeden Tag bin ich dankbar für die Stärke, die mich aufrechthält, das Verständnis, das ich sowohl dir, als auch mir entgegenbringen kann und die kalte Freude daran, dass ich mich, trotz meiner tiefen Liebe zu dir, nicht selbst vergessen habe.
Und dabei habe ich mir dich so gewünscht.
*
Bridge
„Du bist der wichtigste Mensch in meinem Leben, bitte, verlass mich nicht! Ich kann, will und werde alles wieder gut machen, das verspreche ich, so wahr ich hier stehe! Komme, was da wolle, ich stehe zu dir! Bitte, bitte lass mich weiterhin ein Teil deines Lebens sein!“
Während du sprachst, rannen tausende Tränen meine Wangen entlang. Meine unfaire Verzweiflung flößte dem strahlenden Sonnenuntergang um uns herum ein schlechtes Gewissen ein. Eine Blöße, die ich mir gern erspart hätte. Ich begann mich vor Schmerzen zu krümmen und bemerkte meine unwürdige Haltung erst, als ich dem Boden näher war, als deinen dreisten Augen. Nichts als Scham erfüllte mich. Ich fühlte mich unrein, benutzt, ausgewrungen und vergessen. Du kanntest mich sehr, sehr gut. Besser, als jeder andere Mensch auf dieser lieben Welt. Ich sollte immer ehrlich zu dir sein. Wir könnten ja über alles offen reden. Der Mensch, der mich jetzt um Verzeihung bat, versicherte mir Treue, Aufrichtigkeit und Beistand, als er sich bereits auf ein weiteres Treffen mit ihr freute. Auf das wachsende Vertrauen und die Ungewissheit zwischen ihnen. So, wie du dich einst auf mich gefreut hast. Ein großer Schatz versank in meinem Meer aus Hilflosigkeit.
Ich schrieb eine Karte. Dem Brautpaar wünschte ich ewig währendes Vertrauen, Aufrichtigkeit, Beistand und nur das Beste für ihre gemeinsame, noch ungewisse Zukunft.
*
Strophe 5
Das es nie ganz vorüber sein wird, hast auch du gespürt. Bisher ist kein Tag, keine Nacht vergangen, in der ich nicht an dich denken musste. Sobald ich wieder freier atmen konnte, stürzte ich mich in Arbeit. Die Wohnung wurde renoviert und würde nach meinem Auszug bald unter Wert vermietet werden. Trotz größtmöglichem Lernaufwand blieben meine Leistungen in der Universität mittelmäßig, was mir genügend zusätzlichen Frust schaffte, um meine beiden Nebenjobs zu meistern.
Ich war sehr zufrieden mit mir, als ich dich vor meiner Wohnungstür erblickte. Mit meinem weißen Sommerkleid und dem roten Lippenstift fühlte ich mich schön und selbstbewusst und hoffe gleiches ausgestrahlt zu haben. Überraschenderweise fühlte ich nichts, als ich dich wiedersah. Du hast es dir nicht nehmen lassen, mich immer wieder aufzusuchen. Trotzdem du dir reichlich Mühe gegeben hast, habe ich dich immer erkannt. Eine Freundin hat es mir gesagt, bevor es mir selbst klar wurde: „Deine Augen suchen die Straßen nach ihm ab. Das muss aufhören; das ist ungesund.“ So gut es eben ging, ließ ich den Rest meiner kräftezehrenden Melancholie sterben und ging diesem Trieb so gut wie möglich aus dem Weg. Ein Vorbote des Bösen war der Hauch deines Geruchs im Treppenhaus, doch als ich dich erblickte, kochen all meine unterdrückten Bedürfnisse und Emotionen wieder aus ihren Gräbern und humpelten genau so weit hervor, dass ich sie zwar riechen konnte, ihnen aber noch nicht gegenübertreten musste.
Ich habe dich komplett aus meinem Leben geschaltet, dankbar dafür, mir trotz der langen Zeit zu zweit selbst nicht fremd geworden zu sein. Nicht etwa aus Rache, sondern aus Selbstschutz gab ich dich damals wieder frei; um mich herum wurde es plötzlich finster. Ich weiß, dass ich dir das Geschehene übelnehmen darf, aber ich kann nicht.