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Das Licht in meiner ewigen Dunkelheit
Stille. Ich öffne meine Augen. Nichts. Nur Dunkelheit. Ich schließe und öffne sie wieder. Immer noch schwarze Leere vor mir. Ich hebe meine Hand und reibe meine Augen, doch es bringt nichts. Die Dunkelheit will einfach nicht verschwinden. „Mama?“, flüstere ich leise und bin erleichtert als ich meine eigene Stimme höre. „Mama?“, sage ich diesmal lauter. „Alina. Ich bin hier Schatz,“ erklingt die Stimme meiner Mutter und ein Schluchzen folgt. Ich spür wie mir eine Träne die Wange runter rollt. „Was ist los Mama? Warum sehe ich nichts?“ „Ach Schatz.“ Als ich die Hand meiner Mutter auf meinem Gesicht spüre zucke ich kurz zurück, lasse die Berührung dann jedoch zu. Nochmals hebe ich meine Augenlieder, allerdings treffe ich wieder nur auf diese schwarze Mauer vor mir. Schnell schließe ich sie wieder und weitere Tränen fließen mein Gesicht runter. Wie gelähmt höre ich zu, wie meine Mutter mir erzählt, dass es einen Unfall gab. Es wird nicht wieder weg gehen. Ich werde nie wieder irgendwas sehen. Nicht den Himmel. Keine Blumen. Der Blick auf einen anderen Menschen wird mir für immer verwehrt bleiben. Und für immer ist eine sehr lange Zeit.
Nach einer Woche darf ich das Krankenhaus verlassen. Die Zeit dort habe ich damit verbracht mir Bilder ein zu prägen an die ich mich erinnern kann. Es sind die einzigen Bilder, die mir von der Welt bleiben, die will ich nicht auch noch verlieren. Ich habe oft Besuch von meinen Freunden bekommen, doch es war anders als sonst. In ihren Stimmen war ständig Mitleid zu hören und das hielt ich nicht aus. Von meinem Arzt wurden mir Stunden beim Psychiater verdonnert. Meine erste Sitzung soll übermorgen sein. Ich setze mich nach draussen und lausche. Mir fallen Geräusche auf, die ich sonst nie bemerkt habe. Mein Gehör wird zu meinen wichtigsten Begleiter.
Ich warte im Wartezimmer darauf, dass ich aufgerufen werde um mich dann auf ein Sofa zu setzen und einer fremden Person meine Probleme zu erzählen. Wenn ich so darüber nach denke hört sich das schon alles irgendwie absurd an. „Na? Warum bist du hier?“, ertönt eine Frauenstimme. Sie hat einen schönen Klang. Ein wenig rau und neugierig. „Ich?“, frage ich überrascht. „Siehst du hier noch jemanden?“ Es liegt ein Schmunzeln in ihrer Stimme. Ich bleibe Still. „Oh. Ok, dass war wohl nicht der beste Spruch um das Eis zu brechen.“ Immer noch sage ich nichts. „Mein Name ist Alexandra, aber Alex reicht.“ Diesmal war die Stimme näher. Sie war genau neben mir. So nah, dass ich schon fast ihren Atem auf meiner Wange spüren konnte. Ich drehe mich in ihre Richtung und halte meine Hand in die Luft. „Alina.“ Sie nimmt meine Hand und drückt sie. „Schön dich kennen zu lernen. Alina.“ Es hörte sich schön an wie sie meinen Namen aussprach. Irgendwie auf eine Art und Weise beruhigend. Ich war ein wenig enttäuscht, als sie meine Hand wieder los ließ. „Was machst du hier beim Psychiater?“, frage ich Alex neugierig. „Alina? Du bist jetzt dran,“ ertönt eine andere Frauenstimme. Sie ist eher zart und ich glaube wieder Mitleid in der Stimme zu hören. was bei Alex kein bisschen der Fall war. Ich wende mich also an meine neue Bekannte. „Wie wärs wenn du mir deine Geschichte ein anderes Mal erzählst?“ Ich lächle. „Klar doch. Bist du nächste Woche wieder hier?“ Ich nicke. „Ok, dann bis nächste Woche.“ „Tschau,“ sage ich noch und lasse mich dann von der Helferin ins Sprechzimmer führen.
Die ganze Woche war ich auf Alex´s Geschichte gespannt. Irgendwas hatte sie, dass ich immer wieder an sie denken musste. „Da bist du ja!“, begrüßt mich ihre Stimme, als die Helferin mich ins Wartezimmer geleitet. „Hattest du etwa Sorgen ich gebe dir einen Korb?“, frage ich neckend, als ich auf meinen Platz ankomme. „Nein natürlich nicht,“ sagt sie hastig. Ich lache kurz. „Ich mag dein Lachen.“ Ihre Worte fallen wie ein Lichtstrahl in meine Dunkelheit. Ich hauche ein verlegenes Dankeschön über meine Lippen und spüre wie meine Wangen ganz heiß werden. „Schuldest du mir nicht eine Geschichte?“ Ich versuche vom Thema abzulenken. Diesmal lacht sie kurz und eine Gänsehaut macht sich auf meinen Armen breit. Ich hoffe sie sieht es nicht. „Vor ein paar Jahren ist meine Mutter gestorben und es hat mich ziemlich runter gezogen. Ich wollt nichts mehr essen. Hab mich die ganze Zeit mit Sport abgelenkt und bin immer dünner geworden, bis ich dann im Krankenhaus gelandet bin. Danach war ich das erste Mal hier. Die offizielle Bezeichnung war dann Magersucht. Mir gehts zwar schon viel besser, aber es tut gut mit jemanden zu reden, weshalb ich immer noch hier hingehe.“ Ich wusste nicht was ich darauf antworten soll. „Hey, Mund zu sonst fliegen noch die Fliegen rein“, scherzt sie. Wieder werden meine Wangen ganz heiß. „Sorry ich…“ Mir fehlten immer noch die Worte. „Schon gut du musst nichts sagen.“ Ich lächle erleichtert in ihre Richtung. Dann muss ich ins Sprechzimmer. „Nächstes mal kriege ich dann aber deine Story erzählt!,“ ruft sie noch hinter her. Ich schmunzele. „Aber klar doch.“
Diesmal bin ich vor ihr da. Ich habe meine Mutter darum gebeten mir meine Lieblingsklamotten raus zu suchen und mich extra früh zur Praxis zu fahren. „Na du?“ Ich spüre wie Alex mir eine kurze Umarmung gibt und ich zucke zusammen. „Sorry.“ „Ist schon okay. ich hab das nur nicht erwartet,“ beschwichtige ich sie. Ich höre schon ihre Schritte wie sie sich neben mich setzen will. „Warte, so eine Umarmung wär jetzt doch ganz schön.“ Ich lächle. Dann spüre ich wie sich ihr Arme um mich legen. „Es ist schön dich zu sehen,“ flüstert sie mir ins Ohr und die kleinen Härchen an meinem Arm stellen sich hoch. Der Moment ist viel zu schnell vorbei. Sie setzt sich neben mich. „Also erzähl.“ „Was?“, sage ich verwirrt, weil ich vorher noch ganz in Gedanken war. „Deine Story natürlich,“ lacht sie. Ich werde ganz rot. Natürlich wollte sie meine Story hören, schließlich hat sie mich letzte Woche noch danach gefragt. Ich erzähl ihr also von den Unfall und von der genialen Idee meines Arzt mich zum Psychiater zu schicken. „So schlimm ist es hier nun nicht. Aber ich habe einen guten Witz. Willst du ihn hören?“, fragt sie mich. „Aber klar doch!“ „Ok. Treffen sich zwei Psychiater. Sagt der eine: "Dir gehts gut, und wie gehts mir?““ Sie fängt an zu lachen. Ich würde sie jetzt so gerne sehen. Sehen wie sie ihren Kopf vor Lachen in den Nacken legt, sie vielleicht kleine Grüppchen bekommt und ihre Lippen sich zu einen großen Lächeln bilden. Vor allem ihre Lippen. „Du lachst gar nicht. Fandest du ihn nicht gut?“ „Doch, doch. Der ist echt super, aber ich war grad nur mit meinen Gedanken woanders.
So geht es Wochen lang weiter. Wir lernen uns kennen und bald kommt es mir so vor als würde ich sie besser kennen als mich selbst. Ich weiß, dass ihr Lieblingseis Schokolade ist, sie zuerst die blauen M & M `s isst, dass sie bevor sie einschläft immer dieses eine bestimmte Lied hört und dass sie ein Bild ihrer Mutter unter ihrem Kopfkissen aufbewahrt. „Lass uns treffen,“ sagt sie plötzlich. „Treffen?“ „Ja. Am Wochenende. Nur du und ich. Wie wärs mit einem Picknick?“, erzählt sie hastig. „Ok.“ „Ok?“, fragt sie ungläubig. „Ja!“, bestätige ich meine Antwort.
Ich höre wie es klingelt und mache mich auf den Weg zur Tür, als ich schon Alex Stimme höre. „Hallo, ich bin Alex. Ich wollte Alina abholen.“ Meine Mutter hatte also schon die Tür geöffnet. „Ja klar sie hat mir alles von dir erzählt. Komm doch rein. Alina, Alex ist da!“, ruft sie dann durchs Haus. „Ich bin doch schon auf dem Weg!“, rufe ich zurück. „Hi.“ Alex´s Duft umgibt mich, als sie mich in eine Umarmung zieht. „Hey“, sage ich zurück. Ich versuche mir ihren Geruch in Erinnerung zu behalten, bevor wir uns wieder trennen. „Wollen wir jetzt gleich los? Ich habe eine Decke mit und ein paar Sandwiches und so.“ „Ok. Ähm… ich brauch nur noch meinen Blindenstock.“ Es war mir unangenehm. Vor Alex brauchte ich bis jetzt noch kein, weil meine Mutter mich immer zur Praxis gefahren hat und die Helferin mich dann ins Wartezimmer geführt hat. „Ach was, denn brauchst du nicht. nahm einfach meine Hand. Du kannst mir vertrauen.“ Ich lächle. Dann spüre ich ihre Hand, die meine nimmt.
Wir legen uns im Park auf eine etwas abgelegenere Wiese ins Gras. Ich höre einen Fluss rauschen und die Blätter der Bäume rascheln. Alex und ich liegen neben einander, wobei sich unsere Fingerspitzen leicht berühren. So liegen wir erstmal eine Weile da, bis ich die Stille unterbreche. „Alex?“ „Ja?“, fragt sie wieder mit dieser Neugierde in der Stimme, die mir schon ganz am Anfang aufgefallen ist. „Wie siehst du aus?“ Ich hatte mich bis jetzt noch nicht getraut diese Frage zu stellen. Ich höre wie es raschelt, anscheinend hat sie ihre Position geändert. „Bei weitem nicht so schön wie du.“ „Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Ich spüre wie sie mir eine Strähne aus dem Gesicht streicht und lächle. Ich drehe mich nach links auf die Seite zu Alex und spüre plötzlich ihren Atem ganz nah auf meinem Gesicht. Wieder bekomme ich Gänsehaut, wie jedes mal wenn ich ihr nah bin. ich hebe meine Hand nach oben und führe sie in die Richtung wo ich ihr Gesicht vermute. Ihr Hand umschließt meine und legt sie auf ihre Wange. Ich erforsche mit meinen Fingern vorsichtig ihr Gesicht. „Ich glaub der Unfall ist das Beste was mir je passiert ist,“ entkommt es mir plötzlich. „Warum denkst du das?“ „Ich habe dich kennen gelernt.“ „Erschreck dich jetzt nicht“, flüstert sie noch, bevor sie ganz vorsichtig und sanft ihr Lippen auf meine legt und es kommt mir vor als würde ich wieder Licht sehen.