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Das Licht im Wald
Das Licht im Wald
Draußen prasselte der Regen gegen das Fenster und der Wind ließ die Äste der alten Eiche, die einsam auf der großen Weide stand, hin und herschwingen. Hinter der Weide war der dichte, dunkle Wald, durch den sich eine Straße ihren Weg bahnte- es war die einzige Straße, die hier vorbeiführte.
Er saß auf seinem Bett, starrte aus dem Fenster gegenüber. Er hatte sich in eine große, weiche Decke eingehüllt, hielt mit beiden Händen die Tasse mit dem warmen Kakao fest umschlossen. Eine kleine Lampe auf dem Tischchen neben dem Bett tauchte das Zimmer in ein warmes Licht.
Die Dunkelheit draußen wurde jäh von einem Blitz unterbrochen und für zwei Sekunden schien es, als hätte die alte Eiche ihn mit grimmigem Gesicht angesehen- er erschrak. Wütender Donner rollte über das alte Bauernhaus hinweg und er hielt die Tasse noch fester umklammert.
Er trank den letzten Rest Kakao, sah die alte Eiche, sah den dunklen Wald, dachte an seine Eltern. Dann stellte er die Tasse auf das kleine Tischchen neben die Lampe. - Er wäre schon alt genug, mal drei oder vier Stunden allein zu Hause zu bleiben- hatten sie gesagt. Plötzlich fuhr erneut ein Blitz über den Himmel und ein langer Schatten von der Vase auf der Fensterbank zog sich eine Sekunde lang über den Fußboden bis hin zur Tür. Er verkroch sich unter seine Decke und wartete auf den Donner.
Die Tür, die auf den unbeleuchteten Flur führte, zog seine Augen wie magisch an- sie stand einen Spalt offen. Er starrte auf das Schwarz zwischen Tür und Rahmen, wollte nicht hinsehen, konnte seine Augen jedoch nicht abwenden; er hoffte, dass seine Eltern bald zurückkommen würden. Da schlug schon wieder ein Blitz ein, erhellte das nur spärlich von der Tischlampe beleutete Zimmer und warf wieder Schatten in alle Ecken seines Zimmers; es folgte das laute Rumoren des Donners.
Seine ganze Aufmerksamkeit fixierte wieder den düsteren Spalt der Tür. Je länger er hinsah, desto beängstigender wurde es. Jetzt fühlte er, wie Angst in ihm aufstieg- unaufhaltsam. Er versuchte wegzusehen, versuchte an etwas anderes zu denken, doch was würde geschehen, wenn er wegsah? Was würde passieren, wenn er sich einfach unter seiner Decke verstecken würde? Nein, er konnte nicht wegsehen, saß da- unbeweglich, starr vor Angst, seine Augen wurden größer, starrten auf die Tür, er spürte einen leichten Anflug von Panik…
Es schien ihm jetzt, als würde der Regen draußen immer heftiger gegen das Fenster prasseln. Der Wind bog die Zweige der alten Eiche und ließ die wenigen nassen Blätter zittern.
Die Dunkelheit, die vom Flur den Weg in sein Zimmer suchte, war ihm jetzt noch unheimlicher als die Eiche, die sich draußen standhaft gegen den Sturm behauptete. Bilder von unheimlichen Wesen hatten sich in seinen Verstand eingebrannt und je genauer er sich auf den Türspalt konzentrierte, desto wirklicher erschienen sie ihm- ein beängstigendes Gefühl kroch in ihm hoch. Es war ihm, als wäre irgendetwas hinter ihm, doch er traute sich nicht, sich umzudrehen, traute sich nicht, den Blick von der Tür abzuwenden, er konnte es nicht, schaffte es nicht, fürchtete sich zu sehr. Dämonen geisterten in seinen Gedanken herum- dunkle Gestalten. Die Vorstellung, dass eines dieser Wesen hinter der Tür stehen könnte, machte ihm noch mehr Angst und er zog die Decke wie eine Kapuze über den Kopf.
Wieder zuckten Blitze am Himmel. Wieder jagte ein lauter Donnerknall hinterher.
Noch einige Minuten saß er so da, unbeweglich, die Augen auf die Tür gerichtet- dann sah er durch das Fenster; die Regentropfen, die am Fensterglas herunterliefen, ließen die Sicht etwas verschwimmen, aber er konnte es ganz deutlich erkennen: da war ein Licht im Wald. Es bewegte sich, wurde immer wieder unterbrochen und dann wieder klar zu erkennen. Anscheinend war es auf der Straße. Jetzt schien es, den Wald verlassen zu haben, es kam immer näher. Der Wind brauste unterdessen immer heftiger am Fenster vorbei und plötzlich rissen die Fensterläden aus den Sturmhaken heraus und schlugen klappernd gegen das Fenster. Er zuckte jäh zusammen, warf sich auf die Seite und zog die Decke über.
Dunkel. Er sah nichts mehr, traute sich nicht, sich zu bewegen und nachzusehen, was mit dem Licht passierte. Er hörte, wie der Regen auf das Fenster prasselte und wie die Fensterläden gegen die Hauswand schlugen. Lag einfach da, ganz still. Auf einmal- ein Geräusch! Er traute sich kaum, zu atmen. Er spürte, dass er nicht alleine war. Er zählte die Sekunden; sie kamen ihm vor, wie Minuten. Plötzlich vernahm er das Knarren einer Tür, er kannte dieses Geräusch, es war das Knarren seiner Tür! Die Augen weit geöffnet, die Atmung flach, wartete er. Mit leisen Schritten schlich etwas in sein Zimmer- dann packte ihn etwas an der Schulter. Er drehte sich um, zog die Decke ein Stück runter und blinzelte darunter hervor.
"Es ist etwas später geworden." Seine Mutter hatte sich über ihn gebeugt und lächelte ihn an: "Gute Nacht mein Schatz. Schlaf gut." Sie gab ihm einen Kuss auf die Stirn, nahm die Tasse und löschte das Licht.