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Das Licht am Ende
„Frohen Untergang!“ Seine Schwester schenkte ihm ein Energiepacket der Freude, doch die Gezwungenheit und die Angst in dieser Geste waren deutlich zu erkennen.
„Frohen Untergang.“ Mstilav berührte sie mit seiner Lichtgestalt, um ihr etwas Nähe zu schenken.
Hunderte von Leuten hatten sich in der Halle versammelt und bedienten sich gierig am dargebotenen Aperitif. Es war schliesslich ihr letzter.
Mstilav hatte gemischte Gefühle. Vor allem hatte er Angst. Er hatte das Gefühl, sein Leben noch nicht so gelebt zu haben, wie er es wirklich wollte. Es gab noch so viele Dinge, die er gerne getan hätte.
Er war ein Individuum eines Volkes hochentwickelter Lebewesen, geformt durch einen Jahrmillionen lang andauernden Prozess eines gnadenlosen Selektionsvorgangs, der hier auf diesem Planeten stattgefunden hatte. Sie waren das Endprodukt einer universellen Evolution, die letzte noch existierende Art im ganzen Universum.
So hatte man es ihnen beigebracht.
Dass ihnen die Natur nicht auch ein höher entwickeltes Bewusstsein geschenkt hatte, ärgerte sich Mstilav, ein Bewusstsein, welches sie ihren unausweichlichen Tod am Ende des Universums ohne Furcht und mit Sachlichkeit akzeptieren lassen würde.
Man hatte sie schon von klein an auf diesen Tag vorbereitet, doch Mstilavs verneinte innerlich die Wahrheit noch immer. Das Universum starb. Der Wasserstoff war in allen Galaxien völlig aufgebraucht und das hatte nach den Untergängen der darin noch existierenden Sterne nur Kälte und Dunkelheit zurückgelassen. Mstilav hatte nie die genauen Zahlen dazu gesehen, doch alle redeten davon und so wurde es ihm in der Schule beigebracht.
Nur noch hier, in dieser einen Galaxie, in diesem einen Sonnensystem, war noch genügend Wasserstoff vorhanden, um die letzte Sonne anzutreiben. Bis zu diesem Tag. Ihre Sonne war die letzte Quelle des Lichts in den unendlichen Weiten des Universums. Und die letzten Lebewesen in diesem Sonnensystem waren sie, die Warmogs, hochentwickelte Wesen aus organischem Licht.
Ein Mann erhob sich auf die Tribüne und wendete sich an die Anwesenden. Er war einer der vielen, die sich heute an die Masse wenden wollten:
„Meine lieben Freunde. Lasst uns diese letzten Minuten unserer gemeinsamen Existenz geniessen. Wir können stolz auf uns sein! Wir sind die Spitze der Schöpfung und haben die göttliche Ehre, das Ende der Welt zu erleben! Nie mehr, nie mehr danach wird es je eine neue Sonne geben.“
War das die Wahrheit? Würde es nach dieser einen Supernova tatsächlich nie mehr neue Sterne geben? War danach die Restmenge an Wasserstoff so gering, dass keine Fusion mehr stattfinden konnte? Die Wissenschaftler behaupteten das. Mstilav wusste es nicht. Aber was kümmerte es ihn schon, was danach kam und ob es dann wirklich das Ende des Universums wäre? Für ihn würde alles hier, mit dem Untergang seines Sonnensystems enden.
Mstilav wollte nicht das Ende erleben. Er wollte nicht, dass ihre Sonne in einer Supernova explodieren würde und für immererlosch. Aber was konnte er dagegen tun?
Fliehen? Aber wohin? Das letzte Schiff mit Sonnenantrieb war mit Tausenden von Personen in die unbekannten Weiten des Universums aufgebrochen. In wenigen Jahren würde ihnen der Wasserstoffvorrat ausgehen und die Sonnenlichtkollektoren waren völlig nutzlos in einer Welt der totalen Finsternis. Sein Bruder Araz war auf diesem Schiff. Mstilav wunderte sich, wer von ihnen beiden den schöneren Tod finden würde.
„Meine Freunde!“, meldete sich jemand Anderes zu Wort. „Unsere heissgeliebte Sonne ist nun explodiert. Lasst uns feiern!“
Zehn Minuten, dachte Mstilav. Noch zehn Minuten würde es dauern, bis die Explosion sie erreichen würde. Noch sah die Sonnenscheibe auf den Bildschirmen mit Direktübertragung völlig normal aus.
Zehn Minuten.
Er fühlte etwas und sah die Lichttentakel seiner Freundin, Magata. Sie presste sich fest an ihn. Er wusste, sie hatte Angst. Sie hielt ihm ein Energiepaket entgegen.
„Hier, absorbier das. Das hilft gegen die Furcht. Siehst du?“ Sie zeigte auf Leute, die in völliger Euphorie herumtanzten. Einige praktizierten vor allen anderen schamlos Geschlechtsverkehr, andere starrten mit einem vernebelten Lächeln geistesabwesend vor sich hin.
„Nein, danke. Das brauche ich nicht“, sagte er darauf.
Er brauchte es. Und wie! Doch er wollte nicht. In diesem letzten Moment wollte er nicht seinen Geist mit Drogen vernebeln. Er wollte er selber sein und er wollte für sich sein, versunken in seinen Gedanken.
Nun war ihm alles egal. Er beachtete nicht die völlig verstörten und durchdrehenden Leute um sich herum. Er fühlte kaum, als sich seine Freundin enger an ihn presste und ihre Geschlechtstentakel mit einem lustvollen Aufstöhnen in ihn einführte. Er versank in einem Zustand innerer Ruhe und blickte die Sonnenscheibe an.
Verräterin, sagte er ihr gedanklich, ohne wirklichen Hass zu verspüren.
„Es fängt an! Es endet!“, rief jemand.
Mstilav hörte jemanden weinen. Aus einer anderen Ecke des Raumes war psychotisches Lachen zu hören. Magata stönte auf, einen Orgasmus verspürend.
Mstislav lächelte.
Wie ironisch, dachte er, ewige Finsternis und absolute Kälte begannen mit einem blendenden Lichtblitz und unerträglichen Hitze.