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Das letzte Blatt
Eine Wiese im Sommer. Die Natur strotzte vor Lebendigkeit. Die Sonne warf einen goldenen Glanz auf die schier endlosen und endlos vollkommenen Wiesen. Seine Gefühlswelt spiegelte sich in der Freiheit der Vögel und in dem Lächeln von ihr wieder. "Ich denke, da ist ein schöner Platz", meinte er und zeigte auf das Ufer eines kleinen Weihers, "was meinst du?" "Lass uns lieber unter den Baum gehen!", erwiderte sie. Im Schatten des Baums breiteten sie das Mitgebrachte aus. Die auf dem Weg gepflückten süß-sauren Äpfel, die hell orangenen Mandarinen, die prallen Tomaten. Selbst das Butterbrot sah heute leckerer aus als sonst. Sie legten sich nebeneinander; waren unzertrennbar, waren verliebt, waren glücklich. Alles war perfekt. Alles wirkte unvergänglich.
"Herr Fatum! Herr Fatum, die Besuchszeit endet jetzt!" "Ich muss wohl eingeschlafen sein", sagte ich zur Krankenschwester. "Sehen Sie einfach zu, dass Sie in fünf Minuten am Ausgang sind", erwiderte diese genervt und ließ mich wieder allein, alleine an diesem trostlosen Ort. Ich hasste sie, ich hasste diesen Ort, ich hasste sie alle. Für einen Moment konnte ich diesem Albtraum entfliehen. Das Rascheln der Blätter der Eiche ließ mich aufblicken. Hinter dem geöffneten Fenster lagen gewaltige Nebelschwaden über der grauen Großstadt. Selbst der Fluss schimmerte grau im farblosen Licht der Straßenlaternen. Mein Blick fiel wieder auf den Baum. Ich beobachtet ein Blatt; wie es sich gegen das Abfallen wehrte. Doch der unermüdliche Herbststurm ließ nicht locker und es wurde schwächer und schwächer. Klammerte sich ans Leben; ohne Erfolg. Niemand kann seinem Schicksal entkommen. Ich sah meine Frau an. Zerbrechlich und schwach lag sie auf dem steril wirkenden Bett. Kämpft sie noch? Oder hat sie schon lange aufgegeben? Ich lehnte mich vor zu ihr. "Seit einem Jahr liegt du jetzt hier", flüsterte ich ihr ins Ohr, " was soll ich tun? Du hast mich alleine gelassen. Ich kann nicht mehr. Es zermürbt mich." Ich fing an zu schluchzen. Tränen fielen auf ihr Gesicht. Sie zeigte keine Regung. Nicht ein einziger Gesichtsmuskel bewegte sich. Nur Gleichgültigkeit. "Ich hasse dich. Ich hasse dich dafür, dass du mir das antust." Wieder nichts. Keine Reaktion. Nur Gleichgültigkeit. Mein Blick fiel auf das Beatmungsgerät. Das Gerät sollte Leben retten, dachte ich und ging langsam darauf zu. Ich fixierte den roten Schalter an und näherte mich diesem langsam. Er schien wie ein Tor, ein Tor zum Ende der Ungewissheit, ein Tor zur Erlösung. Mein Finger näherte sich diesem, immer näher und näher, doch plötzlich stoppt er . Eine Stimme regt sich in mir. Darf ich das? Sie hätte es nicht anders gewollte, versuchte ich mich zu rechtfertigen. Sie hätte niemals so lange künstlich beatmet werden wollen. Sei jetzt kein Feigling! Du weißt es ist das Beste für sie; und auch für dich. Mein Finger hatte sich nicht bewegt, es fühlte sich an wie eine Unendlichkeit wie ich dort stand. Unentschlossen, verzweifelt und ängstlich. Sie hätte es so gewollt, sagte ich mir wieder und wieder und wieder und...