Mitglied
- Beitritt
- 08.01.2004
- Beiträge
- 180
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 13
Das leere Bettchen
Das leere Bettchen
„Mark!“
Ein entsetzlicher Schrei riss ihn aus dem Schlaf.
Es war die Stimme von Shari, seiner Frau. Panik, Angst, Trauer fügten sich zu einem Wort.
„Mark“
Mit einem Satz war er aus dem Bett gesprungen, lief in die Richtung, aus der die Stimme kam, ins Kinderzimmer.
„Was ist...“
„Hilf ihr, sie atmet nicht“, unterbrach Shari ihn und drückte ihm die vier Monate alte Darleen in den Arm. Oh Gott, dachte er und betrachtet das kleine Gesichtchen seiner Tochter. Seine Hände zitterten. Mund zu Mund Beatmung schoss es durch seinen Kopf – doch wie? Hilfe suchend sah er in die ängstlich aufgerissenen Augen seiner Frau.
„Den Notarzt, ruf den Notarzt“, kam es brüchig aus seiner Kehle.
Während Shari zum Telefon rannte, versuchte er sich verzweifelt daran zu erinnern, wie man ein Baby wiederbelebt. Legte den schlaffen Körper, der sich warm und weich anfühlte, auf die Wickelauflage. Der typische Babygeruch strömte in ihn, als er seine Lippen über die kleine Nase stülpte und zaghaft versuchte seinen Lebensatem in sie zu hauchen. Bitte Darleen, atme, dachte er. Tränen rannen über seine Wangen.
Endlich klingelte es.
„Kommen Sie, schnell!“
Sharis Stimme hörte sich fremd an. Mark wagte nicht mit seinen Bemühungen aufzuhören, bis er eine Hand auf seinem Rücken spürte.
„Darf ich?“
Er hob den Kopf, sah in die Augen des Sanitäters und wusste es war zu spät.
Mit einem Mal war Stille. Wie in Zeitlupe nahm er die Bewegungen der fremden Menschen wahr, der Raum schien kleiner als zuvor. Wieso kam ihm der Boden entgegen?
„He, ganz ruhig, setzen Sie sich.“
Zu wem gehörte die Stimme, wer hielt ihn fest?
Fast so, als hätte er einen Schlag auf den Kopf bekommen, wandelte sich das Bild, hektisch waren die Bewegungen der Sanitäter, überdimensional laut die Geräusche, wenn Plastikpäckchen aufgerissen wurden, jemand an Glasfläschchen klopfte. Er hörte Sharis Weinen, aber sie war nicht da. Noch immer hielt ihn jemand fest.
„Lassen Sie nur“, sagte er zu dem Mann, der neben ihm kniete und ihm eine Blutdruckmanschette anlegen wollte, „mir geht es gut.“
Die Sonne strahlte ins Kinderzimmer, spiegelte sich in den Reflektoren der Sanitäterkleidung, hüllte die Szenerie in ein unwirkliches Licht, wie kleine Regenbögen blitzte es überall.
Langsam wanderte sein Blick durch den Raum, der Arzt drehte sich um, schüttelte kaum merklich den Kopf, während der Mann neben ihm Darleen mit einem Tuch bedeckte. Eiseskälte machte sich in Mark breit und jeder Blick, der ihm auswich, sagte Darleen ist tot.
Der Arzt kam auf ihn zu, kniete sich zu ihm, sah ihn mit traurigen Augen an. Mark sah wie er den Mund bewegte, sich seine Stirn in Falten legte, aber er hörte seine Worte nicht. Spürte die Schwere der Hand auf seiner Schulter, doch drang keine Wärme zu ihm.
Plötzlich hörte er Sharis Stimme.
„Wach auf, Süße, wach auf.“
Er drehte den Kopf und ließ vor Entsetzen den Mund offen stehen. Shari stand mitten im Raum, hatte den leblosen Körper Darleens auf den Armen, sah mit wirren Augen, die nicht verstehen konnten, ihre Tochter an, und schüttelte sie.
„Oh mein Gott“, vernahm Mark die Stimme des Arztes, der in diesem Moment hilflos wirkte. Niemand hatte auf Shari geachtet, unbemerkt von allen war sie ins Kinderzimmer gekommen, um ihr Baby zu wecken, um es zu sich zu holen.
Mark sah wie ein Polizist auf sie zu ging, er wusste wenn man ihr jetzt das Baby wegnehmen würde, hätte dies fatale Folgen.
„Nein“, kam es brüchig über seine Lippen, „lassen Sie sie.“
Dann war er bei ihr, nahm sie in den Arm, wiegte sie hin und her, summte dabei ein Schlaflied. „Lass sie schlafen, Liebling, sie ist so müde.“
Ganz sanft hauchte er die Worte an ihr Ohr, während seine Tränen ihre Wangen hinunter liefen. Mark wusste nicht, mit welcher Kraft er es schaffte ihr sanft den Babykörper abzunehmen und dem Arzt zu übergeben. Er drückte ihr Gesicht an seine Brust, denn sie sollte nicht sehen, was er sah;
wie Darleen von fremden Händen gehalten in ein Tuch gehüllt und in einen Zinksarg gelegt wurde.
Ihm wurde schwarz vor Augen, am liebsten hätte er sich fallen lassen, aber er spürte wie Shari in sich zusammensackte, er musste sie halten.