Mitglied
- Beitritt
- 17.04.2007
- Beiträge
- 389
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 11
- Anmerkungen zum Text
Inspiriert von Tenet (Film)
Das Leben zog vorbei
Das erste, was sie von der Welt hörte, war ein dumpfes Pochen, das sie nicht verstand. Bald darauf wurde der Deckel geöffnet. Sonnenlicht blendete, als sie den ersten Atemzug nahm.
Erinnerungen der Zeit, die kommen würde, tröpfelten in ihren Geist. Um ihr Grab herum standen Familienangehörige in Schwarz, der Farbe der Freude. Der Priester half der alten Frau, über die Leiter aus dem Grab zu steigen. Oben wurde sie mit Umarmungen und Händeschütteln begrüßt. "Wie heiße ich?", wunderte sich die Frau und schaute zum Grabstein: Erika Johnson.
Dann, ohne auf die anderen zu achten, die bereits zu den Wagen vorgingen, untersuchte sie ihren Körper auf Spuren des Lebens, das sie erwartete, und fand eine Narbe quer über ihrem linken Handrücken. Oh je.
"Wie viele Kinder habe ich?", fragte sie eine Frau, die auf sie wartete.
"Eine Tochter", antwortete die Pflegerin. "Sie ist nicht gekommen."
Etwas enttäuscht musste Erika feststellen, dass es sich bei den anderen Leuten um entfernte Verwandte, Nachbarn und Freunde handelte. Ihre Tochter hätte schon von ihrer Existenz wissen müssen.
Erika wurde in ein Altenheim gebracht, wo sie die ersten Jahre oder Jahrzehnte verbringen würde, bis ihr Körper sich so weit verjüngt hatte, dass sie ein selbstständiges Leben antreten konnte. Das war bei jedem unterschiedlich. Schon einige Wochen später wurde sie von einer Pflegerin ans Telefon gerufen. "Ihre Tochter hat Sie gefunden, Frau Johnson. Meggie ist ihr Name." Sie hielt ihr lächelnd den Hörer hin.
Erika konnte es kaum glauben. "Meggie, mein Liebling."
"Hallo Mama. Ich hoffe, sie haben dich gut behandelt." Die Stimme klang reif, ließ noch das Alter erkennen, dem sie vor nicht all zu langer Zeit entwachsen war. "Sorry, ich hätte mich früher gemeldet, aber ich war damit beschäftigt, dir eine Wohnung zu kündigen und Zeug von Flohmärkten zu sammeln, das dir gefallen würde. Es soll ja nicht aussehen, als wärst du gerade erst eingezogen." Sie lachte. "Die Pflegerin sagte, du wärst bei bester Gesundheit. Ich hole dich nächste Woche ab, in Ordnung?"
Eine Woche später schleppte Erika ihre gepackten Koffer noch vor dem Abendbrot in den Eingangsbereich, so aufgeregt war sie. Nach ihrer Beerdigung hätte sie nicht die Kraft gehabt. Ihr Zustand besserte sich rasant.
Als Meggie kam, fielen sie einander freudestrahlend um den Hals. Dann half sie ihrer Mutter, die Koffer zum Auto zu tragen.
"Habe ich Enkelkinder?", fragte Erika aufgeregt darüber, den Rest ihrer Familie kennen zu lernen.
"Nein." Meggie verzog angewidert den Mund. "Das bleibt mir zum Glück erspart."
Erika musste sich die Zeit mit Spaziergängen und Kreuzworträtseln vertreiben, bis sie ein magisches Datum erreichte, ab dem es ihr erlaubt sein würde, arbeiten zu gehen. Jede Woche rief sie Meggie an, die sich zwar über den Anruf freute, aber kurz angebunden antwortete und sie schnell abwimmelte. Wahrscheinlich war sie beschäftigt. Erika versuchte sich vorzustellen, wie es war, beschäftigt zu sein.
In den Unterlagen fand sie ein Zeugnis, das sie zu als tüchtige Mitarbeiterin lobte und bedauerte, dass sie in Rente ging. Jeden Tag schob Erika den Marker auf dem Kalender einen Tag nach vorne. Endlich begab sie sich mit dem Zeugnis zum Bauunternehmen, wo sie als Sekretärin für den Geschäftsführer arbeitete.
Ihre Arbeit war nicht sehr anspruchsvoll, aber wichtig. Sie löschte E-Mails und Briefe mit der Rückwärts-Löschen-Taste, nachdem sie einige Formulierungen umständlicher gemacht, Rechtschreibfehler hinzugefügt und überhaupt die Struktur ein wenig durcheinander gebracht hatte. Sie zog Dokumente aus dem Aktenvernichter und heftete sie weg. Manchmal riefen Leute an, die ihr mitteilten, dass ein zurückliegendes Treffen mit ihrem Chef erfolgreich verlaufen war und sie daher den Termin aus dem Kalender löschen konnte. Dafür wurde ihr jeden Monat ein Betrag von ihrem Konto abgezogen.
Jahre vergingen. Eines Tages wurde sie zum Chef gerufen, um die Unterschrift auf ihrem Arbeitsvertrag zu löschen. Voller Vorfreude nahm sie ihren Lebenslauf entgegen und schaute gespannt, wo sie als nächstes arbeiten würde. Enttäuschenderweise lag eine Zeit der Arbeitslosigkeit vor ihr.
Zu Hause verbrachte sie die nächsten Wochen damit, ihre Bewerbungen zu vernichten, die mit der Post eintrafen. Bis die Kündigung einer anderen Wohnung mit mehr Zimmern eintraf und sie für eine größere Änderung begeisterte, die sich damit ankündigte.
Die neue Wohnung stand noch leer, doch es dauerte nicht lange, bis neben den Sachen, die der Umzugswagen brachte, Müllcontainer allerlei Zeug anlieferten. Tagelang war sie damit beschäftigt, die Sachen in die Wohnung zu räumen und freute sich über Kinderklamotten und Spielzeug. Allerdings wunderte sie sich über fast leere Farbkästen, Pinsel und Gemälde, mit denen sie zuerst nichts anzufangen wusste. Nach dem Renovieren, dem Entfernen der obersten Schicht weißer Wandfarbe allerdings, kamen Farbspritzer im Kinderzimmer zum Vorschein, daher platzierte sie die Dinge dort.
Meggie, die mittlerweile auf neunzehn Jahre verjüngt war und mit den Bewerbungsunterlagen für eine Universität wedelte, erschien in der Haustür. "Die Uni hat mich nach Hause entlassen", freute sie sich und fiel Erika um den Hals.
"Schön." Die Mutter dachte mit Unbehagen an die Kindheit, die vor dem Mädchen lag und schob den Gedanken beiseite.
Meggie öffnete alle Türen, bis sie ihr Kinderzimmer fand und große Augen machte. "Ich mache Aquarellmalerei!"
"Denk dran, dein Anmeldeformular zu löschen, Schatz", erinnerte Erika sie und schleppte ihr die Koffer ins Zimmer.
"Ich habe in der Uni meine Hefter leergekritzelt, aber ich habe nicht erwartet ..." Voller Begeisterung holte Meggie sich ein schmutziges Glas aus der Küche, das sie im Bad mit dunklem Wasser füllte, das mit einer Bewegung des Glases vom Abfluss in das Gefäß sprang. Sie tauchte einen schmutzigen Pinsel ein und fuhr mit zarten Bewegungen über die Leinwand. Mit jedem Tupfen saugte der Pinsel Farbe auf, die sie mit kreisenden Bewegungen in den Farbkasten brachte. Das Bild verschwand nach und nach von der Leinwand und das Wasser im Glas wurde klar.
Nach einigen Monaten, in denen sich Meggie der Malerei hingab, kam sie in die Schule. Der erste Tag war der anstrengendste, da sie stundenlang all ihre Antworten vom Papier löschen musste, ab da würde es immer leichter werden. Es wunderte Erika, wie Meggie es schaffte, jeden Abend voller Freude in die Schule zu hüpfen, obwohl sie dort nach und nach alles vergaß, was sie wusste.
Bis die Tochter eines Tages über ihren Hausaufgaben grübelte, der Füller schwebte reglos über einer Matheaufgabe.
Erika stand gerade beim Abwasch, als sie hörte, wie der Füller auf dem Papier aufschlug. Meggies Schultern bebten. "Ist alles in Ordnung?"
Da setzte das Schluchzen ein und die Mutter eilte herbei, sah das rot verquollene Gesicht und legte ihrer Tochter einen Arm um.
"Ich verstehe es nicht mehr", heulte das Mädchen und die Stimme brach unter einem Weinkrampf. "Es wird immer schlimmer. Ich werde jung und vergesse alles."
"Ach, Mädchen." Erika drehte sie zu sich und nahm sie in den Arm. Die Tränen flossen von der feuchten Schulter zurück in die Augen. "Du hast die schönste, unbeschwerte Zeit noch vor dir."
Das Mädchen krallte sich in den Stoff am Rücken der Mutter. "Ich werde mich nicht an dich erinnern."
"Das macht nichts."
Meggie drückte sich weg, um ihrer Mutter in die Augen zu sehen. "Ich werde dir grauenhafte Dinge antun."
"Ich liebe dich trotzdem." Sie zog das Mädchen wieder an sich und sie blieben in der Umarmung sitzen, bis Meggie sich beruhigt hatte.
"Ich habe versucht, es aufzuhalten. Ich dachte, wenn ich nicht bei dir einziehe, würde ich ... aber dann kam die Hausverwaltung mit meinem Mietvertrag und ich konnte nirgendwo anders hin." Sie wurde von einem Weinkrampf geschüttelt, sodass die Tränen nur so in ihre Augen zurückflogen.
"Man kann es nicht aufhalten. Wir wissen nicht, wo wir herkommen, aber wohin wir gehen, wissen wir ganz genau."
Nach und nach beruhigte sich das Mädchen und wischte sich die letzten Tränen in die Augen. "Was passiert, wenn ich es nicht mache? Keine Hausaufgaben mehr lösche? Bleibt dann mein Gedächtnis wie es war?"
"Schatz, das geht doch nicht ..."
Doch Meggie packte entschlossen den Block und die Stifte ein. "Doch, das geht. Ich lasse die Blätter zu Hause. Ich sage, ich hätte es vergessen. Ich stelle mich dumm. Du wirst schon sehen."
Erika seufzte. Das Mädchen würde es schon irgendwann merken.
Es dauerte nur einige Jahre. Mitten in der Nacht schreckte Meggie hoch, im Vergleich mit ihren Mitschülern insgeheim ein Genie. Sie lief ins Schlafzimmer. "Mama, wenn mein Gedächtnis so bleibt und ich in dich zurückkehre, werde ich dann ..."
Erika rieb sich verschlafen das Gesicht. Ja, sie würde ihre eigene Geburt mit vollem Bewusstsein erleben und alles, was danach geschah, doch dann würde es zu spät sein, um noch irgendwas zu ändern. Manche Leute hatten die gleiche Idee gehabt, doch es war keiner zurückgekehrt, um zu berichten.
Schockiert zog Meggie die Kartons mit all ihren Hausaufgaben hervor, die sie über die Jahre nicht gelöscht hatte, und holte alles über die nächsten drei Tage nach, bis ihr war, als würde sie nichts mehr wissen.
Erika saß am Rand des Spielplatzes auf einer Bank, neben ihr eine langjährige Freundin aus dem Altenheim. Sie hatte Emma kaum wiedererkannt. Die kleine Meggie tobte in einem Holzhäuschen herum. Das freudige Spiel und Gekreische der vielen Kinder erfüllte Erika mit Wehmut.
"Ich kann deine Falten nicht mehr sehen", sagte sie und betrachtete die glatte, reine Haut ihrer Bekannten.
"Deine Haare sind ganz braun geworden."
Erika lachte. "Ja, ich werde jung, wie wir alle. Erinnere mich nicht dran. Mir graut es davor, bei meinen Eltern einzuziehen. Sie schreien sich wegen Kleinigkeiten an."
"Ach, dann hast du sie schon gefunden."
"Ich habe eines Tages die Kündigung ihrer Wohnung im Briefkasten gefunden", erinnerte sich Erika. "Einige Monate später bekam ich einen Anruf aus dem Krankenhaus, dass meine Mutter erwacht war. Mein Vater kam nur ein paar Jahre später."
"Hm", machte Emma nachdenklich. "Eigentlich sollten sie schon längst da sein. Ich fürchte, sie kommen durch einen Autounfall ins Leben, kann das sein?"
Erika zuckte mit den Schultern. Wie üblich kündigten sich Veränderungen einige Zeit vor deren Eintreffen an. Daran ließ sich nichts ändern.
"Wo hast du eigentlich die Narbe her?" Emma deutete auf Erikas Unterarm, wo der weiße Strich unter dem langen Ärmel hervorgerutscht war.
"Ich habe noch keine Hinweise darauf entdeckt. Vermutlich dauert es noch eine Weile, bis sich das aufklärt."
Aufgeregt kam Meggie herbeigelaufen. "Guck mal, Mama, ich habe beim Klettern den Splitter verloren." Sie hielt den Zeigefinger nach vorne gestreckt, damit die Mutter die unversehrte Fingerkuppe sehen konnte.
"Schön, Mäuschen." Erika verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln. Man musste Kindern gegenüber positiv sein.
Meggie lachte und lief zurück zum Spielen.
Irgendwann wurden mit dem Müll Fotoalben angeliefert und Rahmen, deren Scherben sich zusammensetzten, als Erika sie herausholte. Die Bilder zeigten sie bei der Hochzeit mit einem Mann, den sie noch nie gesehen hatte. Keine Spur von Meggie. Das hieß, dass ihnen mindestens einige Jahre zusammen bevorstanden. Sie konnte es kaum erwarten, ihn zu treffen. Aus dem Abfluss hüpfte ihr ein Ehering entgegen.
Bis er eines Tages mit vollen Koffern vor der Tür stand, der durchschnittlich aussehende Mann, kurze dunkle Haare in einer Allerweltsfrisur, leicht muskulös mit einem kleinen Bierbauch. Freundlich lächelnd hielt er ihr ein Foto hin, das sie zusammen zeigte und gab ihr einen Kuss zur Begrüßung. Er stellte sich als Arnold vor.
Meggie eilte herbei, um hallo zu sagen. "Wo ist meine Kleine?", begrüßte er sie, nahm sie auf den Arm und gab auch ihr einen Kuss.
Die Narbe an Erikas linkem Handgelenk begann sich seit einigen Monaten rötlich zu färben und zu zwicken. Die Wunde öffnete sich und sie musste einen Verband anlegen. Eines Tages wurde der Schmerz so schlimm, dass sie sich von Arnold ins Krankenhaus fahren ließ. Dort nahmen sie ihr den Verband ab, gaben ihr ein blutdurchtränktes Geschirrhandtuch, das sie auf die Wunde drücken musste, und schickten sie nach Hause. Doch noch immer wurde es nicht besser.
Arnold fand Scherben im Mülleimer, zusammen mit einem blutigen Lappen und verteilte mit dem Mob eine Pfütze frischen Blutes in der Küche.
"Ich kann das nicht", erklärte Erika und drückte sich an die Wand, weit weg von der Küche.
"Du musst", erwiderte Arnold und zog sie sanft nach vorne. "Sonst wird es nicht besser." Sie verschränkte die Arme. "Nur ein kurzer Schmerz, dann ist es vorbei", versprach er.
Sie stellte sich vor den offenen Schrank in ihre Spuren und riss den Arm hoch. Die Scherben flogen am Boden zu zwei Tellerhälften zusammen, diese schossen nach oben, an Erikas Handgelenk vorbei und setzten sich auf dem Schrank so schnell zusammen, dass die Frau nicht mitbekam, was geschehen war. Im Vorbeiflug hatten sie das Blut mitgenommen und die Wunde geheilt. Erika schloss die Schranktür, die dadurch den Teller auf den Schrank hinausschob. Damit war das Rätsel gelöst. "Die Schränke sind zu voll", erklärte sie. "Wir müssen einkaufen gehen."
Erika packte die Teller zusammen mit einem Beutel voller Lebensmittel aus dem Kühlschrank ein und wollte das schnell alleine erledigen, doch Meggie bestand darauf, mitzukommen. Das Mädchen legte eifrig Sachen auf das Kassenband, sodass für Erika, außer zu bezahlen, kaum etwas zu tun blieb. Dann huschte die Kleine durch den Supermarkt und sortierte die Sachen in die Regale, lief dabei unnötigerweise hin und her, ohne darauf zu warten, dass Erika den Einkaufswagen durch die Korridore fuhr.
"Ich helfe dir, solange ich noch groß bin", erklärte das Mädchen. Erika wurde sich mit einem Stich ihrer Vergänglichkeit bewusst.
Zu Hause drängte sich Meggie mit dem Hintern an der Wand entlang, doch Erika entging der feuchte Fleck nicht, den das Mädchen versuchte, mit den Händen zu verstecken. "Was hast du getan?", fuhr Erika auf, von ihrer eigenen Lautstärke erschrocken.
Meggie fing laut an zu weinen. "Es tut mir leid, ich mache es wieder gut."
"Schon gut, es ist nicht schlimm", beruhigte Erika sie. "Musst du noch mehr?" Sie schaute in den Wäschekorb nach weiteren nassen Sachen, doch das Mädchen schüttelte mit fliegenden Haaren den Kopf. Dann stellte sie sich hinter die Tür, um die Nässe aufzunehmen.
Erika seufzte. "Ich wünschte, wir wären wieder alt. Als ich alt war, war ich weniger gestresst."
Bald lieferte die Müllabfuhr regelmäßig volle Windeln an und Meggie nahm mehr und mehr von Erikas Zeit in Anspruch. Anfangs entschuldigte sich das Mädchen noch, solange ihr Sprachverständnis das noch zuließ und sie machte zumindest Anstalten, mit ihren ungeschickten Händchen helfen zu wollen. Bald weinte sie nur noch, schließlich reagierte sie nicht mehr auf ihre Missgeschicke - sie hatte sich wohl mit ihrem Schicksal abgefunden. Der Anblick des Kindes, das immer schneller schrumpfte, machte Erika traurig. Wenigstens verbesserte sich auch ihre Beziehung zu Arnold, der ihr mehr und mehr mit Meggie zur Hand ging.
Erika lief mit der schlafenden Meggie im Arm durch die Wohnung. In ihrem Unterleib begann ein leichtes Brennen. Bald war es so weit.
Arnold schaute liebevoll auf das kleine Bündel. "Sie ist schon so klein, es wird Zeit. Soll ich dich ins Krankenhaus fahren?"
Die junge Mutter ließ den Blick durch den Raum schweifen. "Ist es zu spät, sich für eine Hausgeburt zu entscheiden?"
Der Mann folgte ihrem Blick und schaute in den Mülleimer. "Hier gibt es keine schmutzigen Handtücher. Du musst ins Krankenhaus."
Erika nickte traurig und sie begaben sich auf den Weg.
Traurig saß sie zu Hause und streichelte ihren dicken Bauch, der jeden Tag schrumpfte. Sie sprach noch immer ständig mit Meggie in der Gewissheit, dass diese sich an sie erinnerte, denn das Strampeln wurde ganz aufgeregt, sobald Erika die Stimme erhob.
Arnold umarmte sie von hinten, drückte ihr einen Kuss auf die Wange und streichelte ihren Bauch, der mittlerweile kleiner war als seiner. "Ist sie noch da?"
"Ich vermisse sie."
"Sie wird immer bei uns sein."
Erika nickte traurig.
Die Frau näherte sich der Dusche, Wasser lief durch den Abfluss hinein. Nach dem Duschen war sie nassgeschwitzt und legte sich im Schlafanzug ins Bett. Arnold drängte sich an ihren Rücken, streichelte ihre Hüfte und küsste ihren Nacken. Dabei stöhnte er ihr ins Ohr: "Du bist ja ganz verschwitzt. Wie kommt das denn?"
Sie drehte sich zu ihm um und hielt ihre geöffneten Lippen provozierend knapp außerhalb seiner Reichweite. "Das wirst du mir bestimmt gleich zeigen."
Nach den Flitterwochen wurde ihre Ehe aufgelöst, doch Erika konnte sich nicht damit zufrieden geben, dass ihre gemeinsame Zeit vorbei sein sollte, und bat Arnold fast jeden zweiten Tag um ein Date. "Willst du Schluss machen?", fragte er über einer Pizza.
Sie erinnerte sich an das Bild. Gleich würde er ein Foto machen, sobald sie die Pizza vervollständigt hatten, bevor diese in die Küche gebracht wurde. "Mir ist, als würden wir einander fremd werden", versuchte sie ihre Gefühle zu erklären. "Als wüsste ich bald nicht mehr, wer du bist." Es war ihr, als würden sie am Anfang ihrer Beziehung stehen, nicht am Ende.
"Ich habe eine Wohnungskündigung bekommen." Er nahm ihre Hand und streichelte sie. "Ich muss ausziehen."
Erika nickte traurig.
"Hey, Kopf hoch. Ich bin hier, ich bin für dich da."
Sie half ihm dabei, seine Sachen zu packen und verabschiedete sich schweren Herzens von ihm. Er versprach, dass sie einander weiterhin oft sehen würden.
Ein paar Wochen später sahen sie sich auf einer Party zum letzten Mal.