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Das Leben ... life! - Die EC-Karte macht einen Ausflug
Ich weiß auch nicht warum, aber ich gerate überdurchschnittlich oft in skurrile Situationen oder werde Zeugin unfreiwilligen Humors. Daher sind Vorkommnisse, die ich aufschreibe, weder unbeabsichtigt, noch sind Orte und Handlungen frei erfunden. Auch die Namen sind nicht zufällig. Ich sammle ausschließlich Begebenheiten, die das Leben schreibt. Und ich schwöre: ich habe nichts verschwiegen oder hinzugefügt. Sonst gnade mir Gott.
In Gedanken an meinen wundervollen Feierabend, klappe ich beim Betreten des Busses mein Portemonnaie auf. Was mich in Sekundenbruchteilen erstarren lässt, ist die Tatsache, dass meine EC-Karte, die sonst einträchtig neben ihrem Freund, dem Firmenticket logiert und sich mit ihm gut verträgt, nicht an dem eigens für sie reservierten Platz ist. Wo sonst der Hintergrund hoffnungsgrün ist, gähnt mich eine unübliche schwarze Leere an.
Ich habe den Satz: "Ich starrte ungläubig auf"... - der Rest ist beliebig einsetzbar - schon hundertmal in Selbstbekenntnissen, Romanen, ja sogar Essays entdeckt und fand ihn immer abgedroschen und einfallslos. Für manche Situationen gibt es aber keinen passenderen Ausdruck. Ich habe noch nicht einmal Herzklopfen. Ich starre nur stumpfsinnig auf mein Portemonnaie und warte auf einen erlösenden Augenblick. Dieser scheint aber anderweitig beschäftigt zu sein.
Manchmal erlaube ich meiner EC-Karte - wenn sie nicht so gerne in der Öffentlichkeit stehen möchte - sich hinter der Krankenkassen- oder Büchereikarte zu verstecken. An großzügigen Tagen auch ganz zuhinterst, hinter dem Videothek-Ausweis.
Ich setze mich besser.
Lebenserhaltenderweise ringe ich schnappartig nach Luft und murmele bestimmt aber so leise, dass mein junger Sitznachbar es nicht hören kann: "Komm raus! Jetzt ist aber Schluss mit lustig! Muss ich erst ungemütlich werden?" Aber nichts rührt sich. Sie muss sich, ohne mich zu informieren, zu einem Ausflug entschieden haben. Und ich finde, sie ist jetzt eindeutig zu weit gegangen.
Obwohl mich eine traurige Kombination von Erstarrung und Grauen befällt, versuche ich, ruhig zu bleiben. Ich sage mir, dass ich die Panik-Nummer bestimmt notiert habe. Irgendwo. Die Idee, bei meiner Bank anzurufen und um Hilfe zu schreien, muss ich beerdigen, denn es ist bereits kurz nach sechs. Aber garantiert gibt es eine Hotline. Notfalls muss die Feuerwehr ran.
Der Bus fährt sehr langsam an diesem Tag.
Wie konnte das nur passieren? War jemand in meinem Büro, während ich das Zimmer verlassen hatte? Nein. Ich schließe mein Zimmer immer ab, wenn ich es verlasse. Ich neige eher dazu, nicht mehr aufzusperren, wenn ich es in der Essens-Pause von innen verschließe. Darüber können allerhand hellhörige Kollegen Zeugnis ablegen. Und die hätten sicherlich etwas bemerkt. Und es entbehrt jeder noch so abstrusen Logik, dass der Übeltäter nur mein Portemonnaie seelenruhig geöffnet und pfeifend meine EC-Karte eingesteckt hätte. Da räumt man doch gleich richtig ab. Aber ... ich war gestern wegen einer Überweisung bei der Bank. Dabei hatte mir der Automat assistiert. Ich hatte vermutlich die Karte stecken lassen ... Oh, Gott. Ganz bestimmt hatte ich die Karte stecken lassen! Und ganz bestimmt konnte sie jemand gebrauchen.
Zu Hause angekommen. Jacke aus. Rucksack in die Ecke. Ich beobachte mit Erstaunen die fremden Finger, die die Notfall-Nummer wählen, die ich prompt gefunden habe. Denn ich bin ein relativ ordentlicher Mensch, wenn auch vergesslich. Es ist eine Frankfurter Nummer. Soviel hatte ich noch im Kopf. Ich wusste es doch. Ich wähle los: 069 etc.
"Willkommen bei der GZS. Sie sind verbunden mit dem Service für Kredit-Karten-Sperren," sagt eine wahrscheinlich wegen ihrer angenehmen Stimme eigens eingestellte, freundliche Dame und verbindet mich augenblicklich mit dem nächsten freien Operator.
Aufatmen.
Es meldet sich eine, für meinen Geschmack etwas zu gleichgültige Mitarbeiterin, die meiner Aufregung stimmlich und emphatisch keinerlei Rechnung trägt. Ich erkläre dieser Stimme ausgiebig den nervenaufreibenden Sachverhalt.
Die Mitarbeiterin, die offenbar auch keinerlei psychologische Fertigkeiten besitzt, erkundigt sich äußerst pomadig, ob es sich um eine EC-Karte handelt. Ich bejahe so schnell ich kann.
Sie betont daraufhin Mitleid und Nichtzuständigkeit. Dabei dehnt sie die Vokale derart, dass ich vor lauter Ungeduld unwillkürlich mit der Hechelatmung beginne. Alsdann verweist mich – unter Gähnen, wie mir scheint – an den EC-Karten-Notfall-Service.
Erschrecken. "Haben Sie die Nummer?"
Offensichtlich meint sie, ein schlichtes "ja" reicht mir. Leider bin ich nicht mit der Fähigkeit der Hellsichtigkeit ausgestattet. Und es hilft mir auch nicht, dass sie ihr "ja" derart lasziv ausdehnt, dass man meinen könnte, ich wäre mit einer Ferkel-Hotline verbunden. Auf meine genervte Frage, ob sie diese Nummer auch preiszugeben gedenke, schenkt sie mir wiederum ein ausführliches „ja“ und nennt mir dann die Nummer und das Verfahren. Wenn ich Schwierigkeiten bekäme, solle ich die Kommunikation einstellen. Dann würde sich ein Mitarbeiter der Zentrale einschalten.
Wie? Nicht klarkommen? Warum sagt sie das? Droht mir mulmig zu werden? Geschieht jetzt ein Chaos? Komische Methoden. --- Quatsch. Ich bin eine erwachsene, selbständige, tüchtige Frau. Ich wiederhole stattdessen die mir genannte Nummer sicherheitshalber, was zunächst gebilligt, dann aber widerrufen wird. Es müsse noch eine Null dazwischen.
Aufatmen. Jetzt haben wir es gleich.
Ich wähle die besagte Nummer.
"Herzlich willkommen im Netz der EWE-Tel. Wenn Sie Fragen zur EWE-Tel haben, rufen Sie unsere kostenlose Hotline. Vielen Dank und Auf Wiederhören!"
Stille.
Wie? Was ist das denn? Da kann doch irgendwas nicht stimmen. Aber egal. Die Stimme sagte ja, ich solle die kostenlose Hotline anrufen. Vielleicht geht's in dieser Richtung weiter. Merkwürdiges Geschäftsgebaren. Das muss ich schon sagen. Nächster Versuch: Hotline.
"Herzlich Willkommen bei der EWE-Tel. Leider können wir ihren Anruf zurzeit wegen des hohen Anrufaufkommens nicht persönlich entgegennehmen. Bitte versuchen Sie es zu einer anderen Zeit noch einmal oder besuchen Sie uns im Internet unter. Sie können uns aber ihr Anliegen auch gerne per e-mail mitteilen."
Die genaue Adresse folgt. Sie interessiert mich aber nicht, weil ich keinen Internet-Anschluss besitze und – was ist überhaupt die EWE-Tel? Eine Scheinfirma argwöhne ich. Daher wähle ich die genannte Nummer noch einmal, um genau das herauszufinden.
"Herzlich Willkommen bei der EWE-Tel. Leider können wir ihren Anruf ... " Meine strapazierten Nerven müssen sich die Einleitung noch einmal anhören. Die Telefonnummer kann nicht stimmen. Das merkt sogar jemand, der nicht weiß, dass man t-online nicht aufgießen kann. Erneuter Versuch in Frankfurt.
"Willkommen bei der GZS. Sie sind verbunden mit dem Service für Kredit-Karten-Sperren," sagt die bereits bekannte, wahrscheinlich wegen ihrer angenehmen Stimme eigens beauftragte freundliche Dame nochmals und verbindet mich mit dem nächsten freien Operator.
Ich höre wieder die Stimme des lasziv-gelangweilten Telefon-Fräuleins mit dem ich eben schon gesprochen habe und erkläre ihr meine Vermutung und bitte um einen Telefonnummernvergleich.
Bis sie ihr "ja, gerne" zu Ende gedehnt hat, sehe ich mir in aller Ruhe die bizarren Strukturen an, die sich am düsteren Himmel bilden ...
Plötzlich erscheint inmitten dieser Gebilde das Telefon-Fräulein. Ich sehe sie vor mir sitzen. Gelangweilt. Die Beine hochgelegt. Den Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt. An den Feierabend denkend, den ich jetzt auch endlich mal gerne hätte, und sich die Fingernägel lackierend. Ich dagegen sitze auf heißen Kohlen. Und ein Versuch, mir im jetzigen Augenblick meine Nägel zu lackieren, hätte ein verdammt schlampiges Ergebnis zur Folge.
Es stellt sich heraus, dass die 0 doch hinter der 2 folgen muss. Zahlendreher. "Ok. Danke." Ich versuch's noch mal.
"Guten Abend," sagt eine automatische Dame, deren wohltemperierte Stimme mir völlig egal ist, "Sie sind mit dem EC-Karten-Notfall-Service verbunden ..."
NA, GOTT SEI DANK!
"... Dieser Anruf wird aufgezeichnet. Bitte beachten Sie, dass Sie hier jedoch nur EC-Karten und Bankkundenkarten sperren können, nicht jedoch Kreditkarten und Schecks. Um eine Sperrung ihrer EC-Karte durchführen zu können, benötigen wir zwingend ihre Konto-Nummer und ihre Bankleitzahl. Wenn Sie diese im Moment nicht wissen, erkundigen Sie sich bitte oder wenden sich, soweit möglich, an ihre Bank. Sollten Sie mehrere EC-Karten besitzen, werden diese ebenfalls gesperrt. Bitte wenden sie sich zum Entsperren Ihrer Karte an Ihre Bank."
"Ist Ihnen Ihre Bankleitzahl bekannt, so antworten Sie bitte mit "ja". Anderenfalls mit "nein"."
"Ja."
"Bitte nennen sie nun deutlich Ihre achtstellige Bankleitzahl."
"Vier – zwo – null – fünf – null – null – null - eins."
"Ich habe verstanden: Vier – zwo – null – fünf – null – null – null – eins. Wenn ich die Bankleitzahl richtig verstanden habe, so antworten Sie mit "richtig verstanden" anderenfalls mit "falsch verstanden“."
Ich bin erleichtert und singe: "Richtig verstanden."
"Bitte nennen sie nun deutlich Ihre Kontonummer," fordert mich die automatische Dame auf.
Gleich haben wir es. Ich nenne die Nummer. Die ist nämlich leicht. Dafür kann man mich nachts wecken. Die kommt wie aus der Pistole geschossen.
"Ich habe verstanden," sagt die automatische Dame: Zwei – acht – zwei ... null. Wenn ich die Kontonummer richtig verstanden habe, so antworten Sie mit "richtig verstanden" anderenfalls mit "falsch verstanden“."
HERRGOTT. Die letzte Ziffer lautet fünf. Ich muss aufgesprungen sein. Jedenfalls stehe ich und stampfe satt mit dem Fuß auf.
Ich sage dann aber nichts mehr, weil die Lasziv-Gelangweilte mit den lackierten Fingernägeln gesagt hat, ich würde dann mit einer menschlichen Stimme verbunden.
Fehlanzeige. Die Frau automatische Dame lackiert sich wahrscheinlich inzwischen ebenfalls die Fingernägel oder telefoniert mit ihrer Kollegin vom Kredit-Karten-Service. Sie reden wahrscheinlich über Qualitätsmerkmale und Trocknungszeiten der einzelnen Lacke. Inzwischen wird mein hart verdientes Geld verschleudert. Andere trinken auf meine Kosten Schampus und werfen Lokalrunden. Die Musik von dort dröhnt bis hierhin, sodass ich Ohrenschmerzen bekomme.
Was ich mir wünsche, ist eine Sperrung meines Kontos. Umgehend.
Meine Visionen weiten sich aus. Ich sehe eine mir unbekannte und obendrein unsympathische Person hinterlistig lächelnd meinen Kreditrahmen bis zur Obergrenze ausschöpfen. Ich lege auf. Soll ich doch etwa die Feuerwehr anrufen? Nein. Es hilft nichts. Ich rufe nochmals den Notfall-Service an. Tiefes Durchatmen hat noch niemandem geschadet. Es belebt und massiert die inneren Organe.
"Guten Abend," sagt die automatische Dame wieder, Sie sind mit dem EC-Karten-Notfall-Service verbunden. Sie erzählt mir noch einmal, dass dieser Anruf wird aufgezeichnet wird, sagt mir, was ich beachten muss, aber jetzt und hier gar nicht wissen will. Sie lässt mich erst zu Wort kommen, als sie zum zweiten Male heute abend meine Bankleitzahl wissen will.
Ich sage diesmal akzentuiert bis zur Albernheit: "Vier – zwo – null – fünf – null – null – null - eins".
Der nächste Satz verdeutlicht mir, dass man für eine Wahnvorstellung keine Eintrittskarte benötigt.
"Ich habe verstanden: Vier – zwo – null – fünf – null – null – null – null."
Ja, habe ich es denn nur mit Nullen zu tun?
In diesem möchte nur noch eins: Meine Fäuste ballen, die Zähne fletschen, die Balkontür aufreißen, den Hörer gegen die gegenüberliegende Häuserwand schleudern und mit der ganzen, mir nach einem arbeitsreichen Tag noch zur noch Verfügung stehenden Rest-Energie Scheißääää! in den nachtschwarzen, wolkenverhangenen Ruhrgebietshimmel schreien.
Alternativ brülle ich in den Hörer: "Falsch verstanden!!!" Dann werde ich, dem Kollaps nahe, mit dem mir schon vor einer Viertelstunde angekündigten freien Operator, der eine Operatorin ist, verbunden. Selten in meinem immerhin schon recht lange währenden Leben war ich so beglückt, mit einer Person aus Fleisch und Blut reden zu können. Denn sie antwortet auf meine Fragen und nicht umgekehrt. Von der automatischen Dame fühlte ich mich nicht so recht ernst genommen.
Ach guck?! - Innerhalb einer Minute ist alles geklärt. Die Dame aus Fleisch und Blut erklärt mir, dass ein Missbrauch mit meiner Karte ziemlich ausgeschlossen sei, weil der Überweisungsautomat bei vergesslichen Leuten eine Art Aufpasser-Funktion besitzt: Er steckt sich die Karte ein, und kichert sich eins, wenn man es nicht merkt. Ich könne sie sogar wiederbekommen. Die Aussichten ständen gut.
Als ich am Montag um 7.29 Uhr in meiner Sparkassen-Filiale anrufe, begrüßt mich eine wohltemperierte, weibliche Automatenstimme mit den Worten: "Sie sind verbunden mit der Sparkasse. Unsere Telefon-Anschlüsse sind zurzeit leider alle belegt, bitte haben Sie einen Moment Geduld oder versuchen Sie es zu einer anderen Zeit noch einmal."
In diesem Augenblick stellte ich mir vor, wie es wohl gewesen wäre, wenn zu Zeiten Schneewittchens die Stiefmutter den Spiegel gefragt hätte: "Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land? und er geantwortet hätte: "Guten Tag, hier ist das Spieglein an der Wand. Sie rufen außerhalb meiner Sprechzeiten an. In dringenden Fällen können Sie sich aber gerne an meine Hotline wenden"."
Nach Feierabend eile ich persönlich zu meiner Stamm-Zweigstelle und bitte meinen persönlichen Sachbearbeiter, sich meines persönlichen Problems und meiner lädierten Nerven anzunehmen. Dieser winkt mir schon von weitem mit meiner EC-Karte zu, deren Ausflug hier zu Ende ist, und fragt mitfühlend: "Warum haben Sie denn nicht angerufen?"
"Soll das ein Witz sein? Es war doch schon kurz nach sechs? ..."
"Aber es war doch Donnerstag, da haben wir immer bis 18.30 Uhr geöffnet."