Was ist neu

Das Leben in meinem Kopf

Mitglied
Beitritt
25.09.2002
Beiträge
24
Zuletzt bearbeitet:

Das Leben in meinem Kopf

Das Leben in meinem Kopf

Der Campus war mit einer Anzahl von Menschen bevölkert, die aus der Ferne betrachtet die Ausmaße einer Ameisenkolonie angenommen hätte. Ein sonniger Oktobertag kündigte sich an.
Im anonymen Strom seiner Kommilitonen fühlte er sich wohl. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. Freundlich grüßte er bekannte Gesichter und bewegte sich über den Vorplatz auf das kasernenartige Hauptgebäude zu.
Er war Robert Henning, ein zweiundzwanzigjähriger Student. Unter seinen Freunden galt er als zurückhaltender und freundlicher Mensch. In Menschenmengen viel er nicht auf. Er war unscheinbar, klein und optisch unaufdringlich. Keine schillernde Persönlichkeit, ein Statist im Spiel des Lebens.
Robert nahm sein Handy heraus und las geschäftig eine Kurzmitteilung, die es nicht gab. Er grinste breit. Man mußte doch den Schein waren. Robert war gut im Schein waren. Konventionen sind verbindlich dachte er. Das weiß nicht nur ein Soziologiestudent.
Freilich war er innerlich von weit weniger konventioneller Beschaffenheit als äußerlich. Nicht, dass es jemals jemandem aufgefallen wäre. Dazu fehlte seinen Bekannten diese besondere Beschichtung der Schädeldecke. Eine Legierung, die etwas zu metaphysisch war, als dass sich rationale Wissenschaftler zu deren Erforschung herablassen würden.
Ich bin sozusagen ein Unikum, dachte Robert. Ein unverkäuflicher Prototyp.
Heute war ein wichtiger Tag. Er hatte ihn nach reiflicher Überlegung ausgesucht. Sein Grinsen begann in den Wangen zu schmerzen. Robert hielt durch. Er würde nicht mehr lange so leben müssen wie bisher. Was würde das für eine gesegnete Erleichterung sein.
Während er den großen Eingang des Hauptgebäudes passierte, schwelgte er in Erinnerungen. Er wollte noch einmal die letzten Tage, Wochen und Monate nachvollziehen mit all ihrer Routine und grantiger Tristess. Die aufkommende Gedanken erfüllten ihn trotz allem mit Melancholie. Er nahm Abschied von sich selbst.

Nico sagte einmal er wäre wie eine von diesen gelben Dämmatten im Dach eines Hauses. Nico studierte Psychologie im ersten Semester.
"Ein sensibler sozialer Absorber."
Robert hatte achselzuckend genickt und dabei sein freundliches Lachen geschnauft. Er hielt die Künste der Verhaltensanalyse bei seinem Freund für sehr bescheiden. Dennoch beinhalteten seine Erinnerung eine Fülle von Belegexemplaren, die Nicos Analyse gelten lassen müßte:

("Du schaust heut wieder so glücklich."
"Aber ja. Wieso auch nicht? Das Leben geht so viel einfacher, oder nicht?"

"Du siehst grad´ aus wie Joda in Krieg der Sterne. Voll am Meditieren."
"Danke. Sehr schmeichelhaft."

Ralf tatst linkisch nach seinem unverkennbaren Bauchansatz.
"Das ist bloß mein Balastgewicht. Noch nie davon gehört?" Robert bedenkt seinen Kumpel mit einem wissenschaftlichen Blick.
"Kanadische Grizzlybären fressen bei den erbeuteten Lachsen nur das fettreiche Gehirn. Sie müssen schließlich Winterspeck ansetzten. Erstaunlich, oder?"
Ralf findet es erstaunlich. Er schüttelt amüsiert den Kopf.

Bettina kommt und ruft ihm etwas zu. Sie ist betrunken und Robert versteht sie wegen der lauten Musik nicht. Grinsend nickt er ihr zu. Sie lacht erfreut auf, als wäre das die erwartete Antwort. Sie tanzt weiter.

"Immer Lächeln, Robby. Im Zweifelsfall immer Lächeln. Das ist immer die richtige Antwort. Die Leute verstehen das. Es ist grundlegende Kommunikation ."
"Aber Papi. Wenn ich lache, obwohl mir nicht danach ist. Das ist doch wie (Heucheln) Lügen."
"Mein Sohn. Den Leuten ist die Art des Lächelns herzlich egal. Sie sind ganz gierig darauf. Solange sie überhaupt eines bekommen ist ihnen auch ein gelogenes recht. Das kannst du deinem Vertreterpapi ruhig glauben, Robbie. Und jetzt geh rein und frag Mami, wann es Essen gibt, ja.")

Und Robert hatte sich das Lächeln zu Nutzen gemacht. Es war wohl der einzige gute Tipp, den ihm sein nutzloser Vater jemals anvertraut hatte. Er verstand die Leute. Ein Lächeln zeugte schließlich von intimem Verständnis, oder nicht?
Im Gegenzug kam es vor, dass er derjenige war, der nicht verstanden wurde. Ob akustisch oder sachlich.
Zwei Bekannte aus seinem Seminar hatten sich am Montag über die Baskeballmeisterschaften in Amerika unterhalten. Er mischte sich in die Runde und ersann einen interessanten Kommentar. Er sprach ihn aus und niemand reagierte.
Zu leise gesprochen.
Etwas in ihm grämte sich, denn sie hatten nicht einmal bemerkt, dass er überhaupt gesprochen hatte.
Robert der Immerglückliche bewegte sich auf sozialem Parkett unsicher. Er begann im gleichen Moment zu sprechen wie sein Gegenüber. Er sprach so abstrakt, dass der Gesprächspartner lachte.
Manchmal vergass er eben den Konverter in seinem Kopf, der sein kognitives Produkt auf Realitätsniveau übersetzte und allzuoft drosselte.
Das konnte ziemlich schnell passieren. Denn er verbrachte einen Großteil seines Lebens in seinem Kopf und dachte nicht oft an das außerhalb befindliche. Er ließ die Realität gerne außen vor.
Robert lebte das, was Frau Heuke, seine Englischlehrerin, in der Schule als "stream of consciousness" bezeichnete (und mit persönlichem Verzücken als größte literarische Errungenschaft des zwanzigsten Jahrhunderts feierte.)
Er besaß das Talent des mentalen Selbstentertainments. So verbrachte er manch Nachmittag auf seinem Bett liegend und in der geistigen Schwebe.

("Was machst du eigentlich den ganzen Tag?"
"Och. Alles mögliche. Ein Bißchen Lesen und etwas Faulenzen. All die Sachen, die man als Student so macht."

"Und, Rob, was hast du heute gemacht?"
"Alles Mögliche. Hab gelesen."

Hört auf mein Leben zu kommentieren, verdammt, mit euren Fragen, wer gibt euch das Recht. wer gibt dir das Recht Papa, wer gibt dir das Recht, Nico, ich mache meinen Weg, wieso studiere ich fragen sie, wieso suchst du dir nicht einen Job fragen sie, wieso lebst du noch von unserem Geld wollen sie fragen, du Parasit denken sie, denke ich, ich weiß es nicht, habe eine Arbeitsscheu, muß zu allem gezwungen werden, muß zu meinem Glück gezwungen werden, brauche Druck zum Leben, platze sonst wie ein Tiefseefisch, den sie an die Oberfläche ziehen, liebe und hasse den Druck, versprühe Tinte wie Tintenfische, sie zerren mich aus dem Bett, brauche doch so dringend Schlaf, so lebenswichtig, denn ich wohne in meinem Kopf, das Leben ist in meinem Kopf, und glaubt mir, hört zu, er, sie, es lebt in meinem Kopf, wird gelebt haben, wohnt dort, Gedanken leben in meinem Kopf, laßt mir Zeit für dieses Leben, brauche Freiraum, brauche Druck, brauche Freunde, Freundin, Eiweiß, drei Liter Wasser am Tag, muß es noch schaffen, die Verwandlung einleiten, eines Tages, ihr werdet schon sehen, oh ja, wie Jesus komme ich, wenn ihr es schon nicht mehr glaubt, wenn ihr mich unter euren Erwartungen begraben, und schon längst zu trauern aufgehört habt, mich abgeschrieben habt, stehe ich auf, ihr wollt etwas sagen, ich mache mühelos den Himmel und die Welt weiß, ändere alles, restauriere die Welt, wenn die Welt aus meinem Kopf entspricht dann der Welt in eurem Kopf und außerhalb meines, zum ersten Mal, eines Tages, ihr werdet schon sehen, ihr werdet den Mund aufsperren, euch unerwartet rechtfertigen wollen, doch dann kehrt das weiße Licht zurück, und macht euch stumm, und...)

...die Tür gingt auf. Mutter kam rein. Sie sah ihren Sohn auf dem Bett liegen, das Alibibuch beliebig aufgeschlagen neben ihm.
(Der Junge liest ja nur noch. Bis spät in die Nacht.)
"Was willst du zum Abendbrot, Rob?"
"Das selbe wie gestern."
"Omelett?"
"Ja."

(...sie bemerken nicht die -Tür schließt sich- das zweite Leben -Frank ruft etwas nur für ihn selbst belangvolles- vergiß nicht das neue Simpsonscomic zu kaufen, sie lachen über meine Simpsonsaffinität, denn die -Autotür schlägt zu, er kommt heute früher als sonst- aber es ist jeden Tag das Selbe, diese verdammte Routine, sie verkürzt unser Leben, stiehlt unsere kostbare Lebenszeit, jeden morgen sind die Tagesetappen bereits vorbestimmt und unabwendbar, erinnere mich an gestern und vorgestern und die Tage gleichen denen von vor einer Woche, in der Erinnerung sind zu viele Tage gleich, werden weniger, und ich sehe es und kann ich kann es nicht ändern, denn...)

"Na, Rob. Wie war dein Tag?"
"Gut Pap."
"Was hast du schönes gemacht."
(Das muß aufhören!!)
"Alles mögliche."
Tür zu.

Die Tage vergingen auch weiterhin schnell. Die Routine kürzte sie wie ein guter Fünftklässler einen mathematischen Bruch. Auch in Roberts Zweitwelt war ein gewisser Alltag enthalten. In verschiedenen Intensitätsgraden reflektierten seine Schädelwände die Problemstellungen der Außenwelt. Was ihn am meisten beschäftigte hallte am stärksten. Allerdings verlief die Verarbeitung der kognitiven Materie langsamer als deren Zufuhr, wie der Rückstau in einer Müllverbrennungsanlage. Kleinere Probleme ordneten sich im Orbit Roberts fundamentaler Daseinsfragen an. Sie umkreisten seinen Wesenskern wie Weltraumschrott. Genauso war es, denn ...

(... das Leben ist so sehr in meinem Kopf, die Welt draußen ist so feindlich, lebensarm, denn die Routine ist außerhalb von meinem Kopf, innen bin ich sicher, -und es ist schon so spät, die Zeit vergeht zu schnell, und- das muß aufhören! sag es ihnen! Aber sie sind hohl! -Und ich bin zu müde, zu schläfrig- Sie haben kein Zweitleben! Nicht in ihrem Kopf! Denkt nicht mal dran, denn euer Kopf ist innen nicht verchromt oder verspiegelt, denn sie -schlafen- immer dann ...und...immer, weil sie...)

Als Roberts Mutter um zweiundzwanzig Uhr das letzte Mal an diesem Tag auf Kontrollgang war, fand sie ihren Sohn schlafend auf seiner alten Kinderliege vor. Sie deckte ihn liebevoll zu, und wenn Robert gewußt hätte, wie seine Mutter ihm diese kindliche Fürsorge angedeihen ließ, wäre sein erklärtes Autonomiestreben peinlich verletzt gewesen. Aber da diese altmütterlichen Gepflogenheiten abseits seines Bewußtseins stattfanden, blieb der bestehende Zustand erhalten.
Einer Mutter ist es egal wie alt ihr Sohn ist, dachte sie. Für eine Mutter bleibt er immer ein kleiner Junge, der ihre unbedingte Fürsorge verdient. Und wenn der Sohn eines Tages selbst auf dem Fahrersitz des Autos platznimmt und neue tiefgehende weibliche Bekanntschaften schließt, täuscht er sich nur selbst. In Augenblicken wie jetzt bleibt alles beim alten. Er bildet sich eben etwas zu viel auf sich ein.
Mutter lächelte sinnlich. Sie hatte keine reelle Ahnung über das geistige Driftverhalten Roberts. Für sie war er einfach nur ihr überaus fantasiebegabter geliebter Eigenbrötler. Sie verließ leise das Zimmer. Zu dem Zeitpunkt wußte sie nicht, dass sie schon am nächsten Tag das Verständnis gegenüber ihrem Sohn grundlegend revidieren mußte.

Robert konnte sich über einen Mangel an Träumen nicht beschweren. Auch wenn er mit offenen Augen wesentlich besser träumen konnte. Er vollführte schließlich Traumarbeit im Beisein des bewußten Ichs. Freud würde sich dafür interessiert haben.
Robert erleichterte sich in dieser Nacht um halb drei. Seine schmerzende Blase duldete keinen Aufschub. Ein unerwarteter Gedankenwust entfaltete beim Urinieren seine erdrückende Wirkung. Als er wieder im Bett lag, war an Schlaf nicht mehr zu denken.

(Es ist die Degeneration der Dinge. Nichts wird besser. Alles geht kaputt. Sie verkleben mein Hirn mit ihrer trivialen klebrigen Paste. Alle wollen etwas von mir. Laden etwas auf mir ab, und behandeln mich instinktiv wie eine unermessliche geistige Deponie, weil ihr eigener Kleingeist dafür ungeeignet ist, denn ihnen fehlt etwas, nein ich habe es ihnen voraus, man kann es nicht von ihnen erwarten, und deshalb machen sie es sich so leicht, und sie denken auf einer niederen Frequenz, die die Dinge unvollkommen erfasst, ihr denken ist improvisiert aber zweckmäßig, und du hast keinen Sinn, denn das ist nämlich das Problem, ein sinnloser Mutant, und...)

... der Faden Riß, als Robert um drei Uhr unverhofft der Schlaf erlöste.
Am Morgen fühlte sich Robert zum ersten Mal seit langer Zeit vollkommen ausgeschlafen. Eben hatte er noch geschlafen, jetzt war er hellwach. Ihn erfüllte eine freudige Erwartung, die ein Kind zwei Stunden vor der weihnachtlichen Bescherung empfinden mochte. Unter der Dusche pfiff er eine sentimentale Melodie. Er war betont freundlich zu seinen Eltern und zu seinem Bruder. Er verabschiedete sich so herzlich wie er konnte, ohne Argwohn zu erwecken.

Robert hatte den Hörsaal erreicht und nahm im hinteren Bereich des rechten Flügels Platz. Das einstudierte naive Grinsen war einem zynischen Schmunzeln gewichen. Er tauschte einige belanglose automatische Gesten mit einem Bekannten. Der Großteil seines Verstandes war mit etwas beschäftigt, dessen er sich nicht bewußt werden konnte. Er wollte sich den skurrilen Überraschung seiner kranken Nerven erst hingeben, wenn die Zeit dafür gekommen war. Momentan erschien ihm der betroffene Teil seines Ichs auf der immerdunklen Rückseite des Mondes zu sein, die man von der Erde aus niemals sieht.
Unterdessen war Professor Schüssel aufgelaufen. Er trug einen dunkelroten Rollkragenpullover und graue Hosen. Seine schwarzen Haare waren altmodisch gescheitelt und wirkten auf dem Haupt dieser kleinen untersetzten Gestalt wie ein Toupet. Aus Schüssels Mund quollen Laute, aber Roberts Gehirn verweigerte deren Dechiffrierung. Wage erinnerte er sich an das Thema der Vorlesung: Sprachwandel.
Eine von Roberts frühesten Erinnerungen war der Aufenthalt im Kabinett seines Vaters. Aus heutiger Sicht wirkte die Tatsache, dass sein kleinbürgerlicher Vater ein Zimmer ihrer alten Wohnung zu seinem privaten Kabinett erklärt hatte, lächerlich.
Damals mußte Robert etwa drei Jahre alt gewesen sein und das Kabinett übte eine faszinierende Anziehungskraft auf ihn aus. Die Öffnungszeiten des Kabinetts waren sehr begrenzt und unregelmäßig. Meistens öffnete es am Sonntagvormittag seine Pforten und Robert saß neben seinem Vater auf der schwarzen Ledercouch. Dieser saugte genüsslich an seiner Pfeife, während die Luft jenen würzigen Tabakduft annahm, der sich nur in diesem Raum verbreiten durfte.
"Das Kabinett ist Papas Rauchexil", hatte seine Mutter einmal gesagt.
Gegenüber der teuren Sitzgruppe befand sich eine riesige Schrankwand, deren pragmatisch gegliederten Abteilungen mit Büchern aller Art gefüllt waren. Die Bücher hatten so schicke Einbände, dass Kleinrobbie sie nicht berühren durfte.
"Die sind nur Dekoration", hatte Mutter gemahnt.
Robert versuchte das Wesen des schrulligen Charmes dieses Zimmers zu erfassen, aber man konnte es schwer an einzelnen Details festmachen.
(Das Ganze ist nicht die Summe seiner Teile.)
Wo hatte das nur gehört? Das Denken ging jetzt sehr langsam. Das Bild des Kabinetts löste sich wie ein Poster von der Wand. Die Wand dahinter war schwarz.
Professor Schüssel erläuterte gerade die "Trampelpfadtheorie" eines Kollegen, als ihn ein ungesundes wieherndes Gelächter unterbrach. Es entstammte der Kehle eines unter anderen Umständen völlig normal wirkenden jungen Mannes. Er saß von ihm aus gesehen im linken Flügel. Der Unruhestifter trug ein dunkelblaues Poloshirt mit einer großen schreiend gelben Smiley - Plakette auf der Brust. Darauf stand: "don`t worry, be happy."
Trotz seines unguten Gefühls beschloss Schüssel diese Situation charmant zu lösen.
"Junger Mann, es freut mich ungelogen, dass sie die bildliche Veranschaulichung des Sprachwandels amüsant finden."
Der junge Mann fand die Ausführungen Schüssels in der Tat wahnsinnig amüsant. Er brüllte erneut auf und schüttelte übertrieben den Kopf wie ein Politiker, der die Polemik eines oppositionellen Kollegen honoriert.
"Geht es ihnen vielleicht nicht gut." Aus Schüssels ungutem Gefühl wuchs ernste Sorge.
Die übrigen Hörer reagierten denkbar unterschiedlich. Einige wenige ließen sich von den Lachsalven anstecken. Die Pubertät lag noch nicht lange zurück, als Maßengelächter an keinem Schultag ausblieb. Doch die Mehrzahl der Studenten offenbarten verschiedene Grade von Sorge. Der Sitznachbar wirkte sogar genervt und legte Robert nahe das Maul zu halten. Ein Mädchen verließ verstört den Hörsaal.
"Vielleicht wäre es besser, wenn sie kurz rausgehen, junger Mann," sagte Schüssel.
Das hysterische Gelächter ebbte ab bis nur noch ein süffisantes Lächeln zurückblieb.
"Gut und böse. Hell und dunkel. Messer und Gabel. Ernie und Bert", rief Robert. Er redete geschwollen und gestikulierte dabei wie ein Schauspieler am Wendepunkt der Tragödie.
"Sieben und zweihundertneunundvierzig," intonierte Robert. "Hänsel und Gretel. Vogel und Strauß. Himmel und Erde. Tribonusterestes und Zink. Kahn und Kafka. Fisch und Fleisch. Birke und Borke. Bimmel und Bammel."
Der Hörsaal lehrte sich jetzt, als gelte es eine gute Zeit bei einer Brandschutzübung zu erzielen. Jemand rief nach einem Arzt.
"Jod und Skorbut. Heidelbeere und Johanneskraut. Leben und Tod. Beethoven und Umek. Licht und Schatten. Leben in meinem Kopf und Wirklichkeit. Du oder ich. Haben oder sein."
Seine letzten Äußerungen untermalte Robert mit Fausthieben auf den Tisch wie der Staatsanwalt bei einem energischen Plädoyer. Dann setzte er sich aufrecht hin und schwieg. Er erwartete das Urteil.

Robert befand sich jetzt im Inneren seines Kopfes. Oder war der Inhalt etwa nach außen gelangt? Das spielte keine Rolle. Es war sehr dunkel und er saß auf der Ledercouch in Vaters Kabinett. Draußen herrschte eine ewige Nacht. Seine Eltern, sein Bruder und Bettina waren auch in einer unbeschreiblichen Form vorhanden. Er konnte sie nur aus den Augenwinkeln sehen. Wenn er sie direkt ansah, waren sie in der unnatürlichen Breite des Raumes verschwunden. Seine Aufmerksamkeit richtete sich auf die formatfüllende Schrankwand vor ihm. In einer Abteilung der Regale war eine Leinwand. Ein Ausguck nach außerhalb. Er sah zwei weißgekleidete Personen mit grellen orangefarbenen Westen in seinem Blickfeld auftauchen. Ihre Lippen bewegten sich unablässig. Dumpfe Sprechlaute hallten in seinen Kopf, die alles mögliche bedeuten konnte. Als ob ihn Kommunikation hier drinnen noch interessierte. Dieser Raum war gut isoliert. Dieser Raum war sein Lebensraum.
Robert wohnte jetzt in seinem Kopf.

ENDE

 

Hallo positron!

Kein leichter Text, aber beileibe keine schlechte Kurzgeschichte. Erinnert mich an eine Geschichte, die wir in der Schule mal gelesen haben. Ich weiß nicht mehr genau, ob die von Kafka war.

Dein Protagonist lebt in seiner eigenen Welt, und das hast du recht gut rübergebracht. Formulierungen wie "Aus Schüssels Mund quollen Laute, aber Roberts Gehirn verweigerte die Dechiffrierung" fand ich gelungen.

Die lange Klammer von "Du schaust heut wieder so glücklich." bis "...wann es Essen gibt, ja." hat mich allerdings ein bisschen gestört. Eigentlich könnte man die Klammern streichen, oder?

Ich lese im Allgemeinen lieber "Unterhaltungsgeschichten", aber diese Kurzgeschichte war für mich so interessant geschrieben, dass ich sie gerne zu Ende gelesen habe.

Ein paar Fehler sind noch im Text. Vielleicht liest du noch einmal Korrektur.

Viele Grüße

Christian

 

Hi!

An Kafka habe ich beim Schreiben zwar nicht gedacht. Aber ich lese (natürlich rein zufällig) gerne seine grotesken Erzählungen.
Die Klammern habe ich deshalb eingeführt, weil ich nicht genau weiß wie man kursive Textpassagen importiert. Jedenfalls wurde bei der Übernahme die Kursivschrift nicht übernommen. Vielleicht weiß jemand an dieser Stelle Rat?
Die besagte erste Klammer hat mir selbst nicht gefallen. Da werde ich auch Abhilfe schaffen. Die Gedankensequenzen an sich möchte ich jedoch nicht streichen, weil diese die Geschichte ausmachen. Sie sollten über der eigentlichen Handlung stehen.
Die Geschichte hat für mich auch einen experimentellen Charakter. Danke für den Kommentar.

 

Hallo positron!

Wenn du vor der kursiv zu setzenden Stelle

[ I ]

und nachher

[ / I ]

einfügst, müsste es eigentlich gehen (allerdings OHNE die Leerzeichen, die hab ich nur gesetzt, weil du sonst den Code nicht sehen könntest).

Ich fände kursiv viel besser als die Klammern.

Streichen brauchst du die Gedanken nicht, bloss würde ich die Klammern, vor allem die lange, ersetzen.

Gruß

Christian

 

Hallo ihr!

Ich wollte nur mal den Text etwas nach vorne spülen. Ich hätte so gerne noch eine zweite Meinung bevor die Geschichte in der Versenkung verschwindet.

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom