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Das Leben geht weiter

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21.06.2003
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Das Leben geht weiter

Es ist mittag. Das Wetter ist grau und trübe. Ich sollte die Spülmaschine ausräumen. Ich sollte staubsaugen. Ich sollte aufräumen.
Statt dessen sitze ich hier und höre Musik. Ich versuche den Schmerz zu betäuben. Nicht daran zu denken. Und trotzdem trifft es mich. Heimweh. Ein Wort. Heimweh.
Auf meinem Schreibtisch steht ein Bild. Ein Foto aus guten Tagen. Wir alle vier. Und ich kann meine Tränen nicht länger zurückhalten. Ich schalte die Musik aus. Ich kann sie plötzlich nicht mehr ertragen. Stille. Sie frißt mich auf. Einsam. Ich will schreien. Ich will irgendetwas zerschlagen. Ich tue es nicht. Ich sitze nur hier und denke.
Ich muss die Spülmaschine ausräumen. Ich muss staubsaugen. Ich muss versuchen, dieses Bild von lachenden Gesichtern aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Doch es geht nicht. Es steht immer noch vor mir.
Wenn du mit ansehen musst, wie dein Vater weint, dann ist es real. Nichts wird mehr sein, wie es war.
Und ich bin immer noch allein.
Draußen beginnt es zu schneien. Schnee hat etwas Beruhigendes. Er deckt alles zu. Die grauen Straßen werden auf einmal weiß und schön. Ich mag Schnee. Er ist wie die Zeit, die alle Wunden heilt. Wie ein Dino-Pflaster das man einem schreienden Kind auf die blutende Wunde klebt, damit es wieder lacht.
Ich nehme ein anderes Bild in die Hand. Mein Patenkind. Ein kleiner Junge, zehn Monate alt. Er sieht so zufrieden aus. Er weiß nichts vom Leben. Er weiß nicht, wie schwer es manchmal fällt, durchzuhalten. Nicht nach dem Warum zu fragen, sondern immer nur nach dem Wie. Wie kann ich das Beste daraus machen?

Und ich mache die Musik wieder an. Es war das Falsche. Ein Lied über den Tod eines Bruders. Und ich weine. "Mann, wie konntest du von uns gehen?" Abschied nehmen. Abschied nehmen.
Ein neues Lied fängt an. Ich schalte die Musik wieder aus. Ich habe genug gehört. Ich habe genug geweint. In meinem Kopf herrscht Chaos. Doch eines ist sicher. Es wird nicht besser werden, wenn ich hier rumsitze und grüble. Also werde ich aufstehen. Ich werde aufstehen, ich werde staubsaugen. Ich werde die Spülmaschine ausräumen. Das Leben geht weiter. Doch kann ich weitergehen?
Wir waren zu viert. Dann zu dritt. Werden wir jetzt bald nur noch zu zweit sein?
Und ich will fernsehen. Irgendetwas, wo die Bösen bestraft werden, und den Guten nie etwas Schlimmes passiert. Wo am Ende alles wieder gut wird. Wo die einzige Schwester sich nicht einfach von einem Denkmal stürzt. Wo die Mutter niemals vor Trauer einen Hirntumor bekommen würde. Etwas, wobei man nicht darüber nachdenken muss, dass man vor einem halben Jahr noch zu viert war.
Ja, dass werde ich tun. Und dabei werde ich die Spülmaschine ausräumen und staubsaugen. Denn das Leben geht weiter. Mein Leben geht weiter.
Irgendwie.

 

Hi!
Du schreibst unheimlich klar und eindrucksvoll. Man hat den Eindruck als blicke man tatsächlich in die Gedanken deine Ich. Die Geschichte gefällt mir ausnehmend gut, die Bilder, die du verwendest sind absolut treffend (besonders das Dino-Pflaster kommt gut) und du bringst die Stimmung eindeutig rüber.
Hoffentlich gibt es bald mehr von dir zu lesen.

 

ja, das leben geht weiter, irgendwie. und irgendwie muss man den rest davon irgendwie bis zum ende verbringen. am besten so schmerzlos, wie nur moeglich.
hi barrash,
wer, ausser der, der den bestaendigen schmerz kennt, kann deine geschichte wirklich nachvollziehen?

sie ist wirklich sehr schoen und sehr aus der erfahrung heraus geschrieben. eine gute beobachtung und wiedergabe der gefuehle.
stilistisch ist nichts an ihr zu maekeln.

bye

barde

 

Mir gefällt die Geschichte wegen ihrer Eindringlichkeit.

Ob Deine Beschreibung der Gefühle eigenen Erfahrungen entspringt oder Deiner Vorstellungskraft, weiß ich nicht, aber sie spiegeln meine eigenen Gefühle wieder, die ich in einer solchen Situation hatte.

Nur einen einzigen Satz (eine Zeile) würde ich ändern:
Wir waren zu viert. Jetzt zu dritt. Werden wir bald nur noch zu zweit sein?

Weiterschreiben!

Lg
Aragorn

 

Hallo Barrash,

sehr eindringliche Geschichte. Die kurzen Sätze unterstreichen das. Mir hat sie trotz der Kürze sehr gut gefallen.

Das Leben geht immer, immer weiter. Und das ist manchmal das Grausame daran...

Griasle,
stephy

 

Nur einen einzigen Satz (eine Zeile) wuerde ich aendern: Wir waren zu viert. Jetzt zu dritt. Werden wir bald nur noch zu zweit sein?

aragorn, dieser aenderungswunsch steht ja ohne begruendung und auch ohne vorschlag da. was soll er denn fuer einen wert haben?

 

Barde,
ich würde in dieser Form ändern, um das Wort "jetzt" dem gegenwärtigen Zustand, also "zu dritt" zuzuordnen, während "bald" für den vielleicht zukünftigen Zustand ausreichend ist. "Jetzt bald" ist ein Widerspruch in sich.

Aragorn

 

Hi ihr alle!
Erst einmal ein großes Dankeschön für euer Lob!! Die erste Geschichte ist ja immer eine Hürde die man erstmal nehmen muss, ich bin richtig froh, hier keinen Verriss lesen zu müssen :D

Der Änderungswunsch von Aragorn wurde ja schon in meiner Abwesenheit ausführlich diskutiert :), aber hier jetzt meine Meinung dazu: Ich habe den Satz so geschrieben, wie er mir gerade in dem Moment durch den Kopf ging, doch wenn ich jetzt noch einmal darüber nachdenke, würde ich sagen, dass er einen zeitlichen Ablauf kennzeichnet, d. h. dass ich hier sozusagen nicht mehr aus der Gegenwart gesehen schreibe, sondern aus einer Zukunft, die für mich bereits gegenwärtig ist: Erst zu viert, dann zu dritt, jetzt bald zu zweit. Daher ist dieses jetzt bald für mich auch kein Widerspruch, da ich über eine Situation schreibe, die für mich im Kopf bereits ein jetzt ist, die jedoch in der Zeitebene des Textes weiterhin ein bald bleiben muss, da der Schreiber ja trotzdem auf ein Wunder hofft, also darauf, das dieser Fall (bald zu zweit) wider erwarten nicht eintreten wird.

Das war jetzt alles wahnsinnig kompliziert, tschuldige ;).
Also noch mal kurz und knapp: Ich denke ich werde den Text nicht ändern, da ich mir dabei durchaus etwas gedacht habe, doch es steht dem Leser natürlich frei, das jetzt, bzw. das bald einfach zu überlesen ;).

Nun zu der anderen Frage. Ja, ich habe solch eine Situation erlebt, und meine Gedanken dazu aufgeschrieben. Es überrascht mich ein wenig, so viel Resonanz dazu zu finden (freut mich aber sehr!). In einer solchen Situation denkt man oft, man ist der einzige, der solche Gedanken hat, und es tut gut, zu lesen, dass dem nicht so ist.

Also, noch einmal DANKE an euch alle, auch für die Ermutigung. Ich denke, ihr werdet nochmal was von mir hören (Drohung :D).

Machts gut, Barrash

 

Hallo Barrash,

es ist, wie ich es nach "Der Liebling des Kindergartens" vermutet habe: Du kannst schreiben. Sehr eindringlich erzählst Du in dieser Geschichte von der Trauer und der Lähmung, die uns überfällt und niederdrückt, wenn wir geliebte Menschen verlieren müssen, bzw. sie auf ihrem letzten Leidensweg begleiten.

Und genau so, wie Du es beschreibst, ist es: Es bleibt uns nichts, als die Spülmaschine auszuräumen und staubzusaugen, d.h. irgendwie weiterzuleben.

Danke für diese Geschichte.

Liebe Grüße
Barbara

 

Du hatest Recht, hab letztes Mal nur einen Post abgegeben. Komisch, hätte schwören können es seien Zwei gewesen... Naja is ja auch egal, hol ich das jetzt ebend ( <--- Wort mit -ND ;) ) nach.

Also die Geschichte ist wirklich super geschrieben. Und sie geht mir total Nahe.
Besonders da ich Dich kenne, weiß ich ja genau worum es geht.
Aber auch wenn ich das net wüßte, sie ist so gut geschrieben, dass sie wirklich unter die Haut geht.
Schreib auf jeden Fall weiter!
Wir sehen uns.
Dein kleiner Buffy-Zitierer

 

Hallo Barrash,

Ich mache leider immer wieder den Fehler, deine Geschichten zu le - nein, natürlich war das ein Scherz, ich meinte: Erst immer die Kommentare zu lesen und dann meinen Senf dazuzugeben, naja.

Zu deiner Geschichte springt mir ein Satz von der Zunge: Im Kleinen ganz groß. Deine Geschichte kommt so zart daher und dann erzählt sie von etwas, das sie zum Bersten ausfüllt. Das Motivnetz ist sehr einfach gestrickt, aber diese nichtwollende Melancholie der Umsetzung ist es, die mich so fasziniert.
Bei nicht vielen Geschichten kongruieren Inhalt und Stil so wie hier.

Es tut mir leid, dass diese Geschichte autobiografisch ist. Auch, weil ich allmählich gelernt habe, Geschichten von ihrem Autor getrennt zu behandeln und somit das Gefühl habe, dass mein Verständnis für diese Geschichte nicht tief genug geht.


FLoH.

 

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