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Das Leben geht weiter
Es ist mittag. Das Wetter ist grau und trübe. Ich sollte die Spülmaschine ausräumen. Ich sollte staubsaugen. Ich sollte aufräumen.
Statt dessen sitze ich hier und höre Musik. Ich versuche den Schmerz zu betäuben. Nicht daran zu denken. Und trotzdem trifft es mich. Heimweh. Ein Wort. Heimweh.
Auf meinem Schreibtisch steht ein Bild. Ein Foto aus guten Tagen. Wir alle vier. Und ich kann meine Tränen nicht länger zurückhalten. Ich schalte die Musik aus. Ich kann sie plötzlich nicht mehr ertragen. Stille. Sie frißt mich auf. Einsam. Ich will schreien. Ich will irgendetwas zerschlagen. Ich tue es nicht. Ich sitze nur hier und denke.
Ich muss die Spülmaschine ausräumen. Ich muss staubsaugen. Ich muss versuchen, dieses Bild von lachenden Gesichtern aus meinem Gedächtnis zu verbannen. Doch es geht nicht. Es steht immer noch vor mir.
Wenn du mit ansehen musst, wie dein Vater weint, dann ist es real. Nichts wird mehr sein, wie es war.
Und ich bin immer noch allein.
Draußen beginnt es zu schneien. Schnee hat etwas Beruhigendes. Er deckt alles zu. Die grauen Straßen werden auf einmal weiß und schön. Ich mag Schnee. Er ist wie die Zeit, die alle Wunden heilt. Wie ein Dino-Pflaster das man einem schreienden Kind auf die blutende Wunde klebt, damit es wieder lacht.
Ich nehme ein anderes Bild in die Hand. Mein Patenkind. Ein kleiner Junge, zehn Monate alt. Er sieht so zufrieden aus. Er weiß nichts vom Leben. Er weiß nicht, wie schwer es manchmal fällt, durchzuhalten. Nicht nach dem Warum zu fragen, sondern immer nur nach dem Wie. Wie kann ich das Beste daraus machen?
Und ich mache die Musik wieder an. Es war das Falsche. Ein Lied über den Tod eines Bruders. Und ich weine. "Mann, wie konntest du von uns gehen?" Abschied nehmen. Abschied nehmen.
Ein neues Lied fängt an. Ich schalte die Musik wieder aus. Ich habe genug gehört. Ich habe genug geweint. In meinem Kopf herrscht Chaos. Doch eines ist sicher. Es wird nicht besser werden, wenn ich hier rumsitze und grüble. Also werde ich aufstehen. Ich werde aufstehen, ich werde staubsaugen. Ich werde die Spülmaschine ausräumen. Das Leben geht weiter. Doch kann ich weitergehen?
Wir waren zu viert. Dann zu dritt. Werden wir jetzt bald nur noch zu zweit sein?
Und ich will fernsehen. Irgendetwas, wo die Bösen bestraft werden, und den Guten nie etwas Schlimmes passiert. Wo am Ende alles wieder gut wird. Wo die einzige Schwester sich nicht einfach von einem Denkmal stürzt. Wo die Mutter niemals vor Trauer einen Hirntumor bekommen würde. Etwas, wobei man nicht darüber nachdenken muss, dass man vor einem halben Jahr noch zu viert war.
Ja, dass werde ich tun. Und dabei werde ich die Spülmaschine ausräumen und staubsaugen. Denn das Leben geht weiter. Mein Leben geht weiter.
Irgendwie.