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Das Leben des Friedrch Beutel

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04.07.2006
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Das Leben des Friedrch Beutel

Das Leben des Friedrich Beutel



Als Friedrich Beutel geboren wurde, war er 80 Jahre alt.
Wie bei fast alle Menschen in seinem Alter, ließ seine Gesundheit zu wünschen übrig.
Arthrose in fast allen Gelenken, ein Prostata Problem, grauer Star.
Von schütterem, kaum noch vorhandenem Haar und künstlichen Zähnen, einmal ganz zu schweigen.
Friedrich Beutel war in vielen Teilen seines täglichen Lebens auf die Mithilfe seiner Mitmenschen angewiesen. Das sauber halten seiner zwei Zimmer Wohnung gehörte dazu. Für einen Gang zum Supermarkt, um sich mit den Lebensmitteln zu versorgen, die sein Alter noch zuließ, musste er fremde Menschen bitten. Nicht alles vertrug sein Magen. Er hatte sich angewöhnt, Gemüse und Obst in einer Art Brei zu sich nehmen. Fleisch oder scharf gewürzte Speisen, hatte er gänzlich von seiner Speisekarte gestrichen. Sein hoher Zuckerspiegel verbot ihm jede Art von Süßigkeiten, obwohl gerade jetzt nahezu verrückt nach Bonbons und Schokolade war.
Da ihm das stehen und gehen auf den eigenen Füßen oft schwer fiel, wurde er stundenweise betreut. Nicht immer gelang es ihm, diese Hilfe zu akzeptieren. Das wechseln der Windeln war ihm einfach nur unangenehm. Manchmal konnte ungeduldig und sogar sehr wütend werden. Vor allem dann, wenn seine Betreuerin ihm die Windeln nicht schnell genug wechselte oder ihn im Rollstuhl in den Park schob.
Er sollte dort frische Luft bekommen und sich an der Natur erfreuen. Mit lauter Stimme erklärte sie ihm die Blumen und die Vögel. Das war ihm peinlich, denn hören konnte er noch ganz gut.
Wie gerne wäre er aufgestanden und auf den eigenen Beinen im Park herum gewandert.
So lebte Friedrich Beutel vor sich hin.
Als er 70 Jahre alt wurde, trat eine Verbesserung ein.
Er konnte fast mühelos und ohne fremde Hilfe aus dem Bett aufstehen. Seine Gelenke schmerzten minimal. Dafür schmerzte seine Kiefer. Die Zähne brachen durch. Wenn er allein war, kaute er auf einem kleinen Plastikring herum. Nur so ließen sich die Schmerzen und der ständige Juckreiz ertragen. Er konnte die Zeitung ohne Probleme studieren und den Zusammenhang der Geschehnisse verstehen. Den täglichen Gang zum Supermarkt, wo er sich mit allerlei Köstlichkeiten eindeckte, verband er gerne mit einem ausgiebigen Gang durch den Park. Er konnte sich immer wieder an den vielen, kleinen Wundern der Natur erfreuen. Auf fremde Hilfe konnte er fast ganz verzichten. Er fühlte sich frei und unabhängig.
Regelmäßig nahm er an Veranstaltungen in einem Seniorenclub teil. Dort waren alle in seinem Alter und teilten dieselben Interessen. Sie spielten Gesellschaftsspiele oder machten Ausflüge in die nähere Umgebung. Einmal im Monat gab es einen Tanzabend. Friedrich Beutel tanzte gerne und die Nähe einer Frau machte ihn etwas unruhig. Ein Gefühl, das er bisher kaum wahrgenommen hatte. Aber eine Partnerschaft mit allen Konsequenzen einzugehen, dazu fehlte ihm der Mut. Das Vertrauen in seine Männlichkeit, fehlte. Er wusste, es würde besser werden mit der Zeit. Er und seine Frau hatten den Zeitpunkt kaum erwarten können, an dem es zum ersten Mal soweit sein würde, aber daraus wurde nichts.
Kurz vor seinem 60. Geburtstag ging Friedrich Beutel zum Arzt. Er wurde gründlich untersucht, im wahrsten Sinne des Wortes, auf Herz und Nieren geprüft. Bei ihm war alles etwas zu hoch. Der Blutdruck, der Puls, der Zuckerspiegel, der Cholesterin Spiegel. „Das wird besser“, sagte der Arzt“, da bin ich mir sicher. Aber sie müssen maßvoller leben.“ Das war leichter gesagt als getan.
Gerade jetzt fühlte sich Friedrich Beutel wirklich blendend. Das Essen und leider auch das Trinken, schmeckten ihm einfach zu gut. Er fand, es war an der Zeit, wieder Spaß am Leben zu haben. Seine Frau war viel zu früh gestorben. Zehn Jahre waren sie nur verheiratet gewesen. Die ersten Jahre waren mühsam. Sie waren beide nicht mehr gesund gewesen. Das Alter hatte ihnen zugesetzt. Aber sie hatten die Vorfreude auf die folgenden Jahre gehabt und die Aussicht auf Jugend und Gesundheit. Dann kam der Krebs. Es hatte sie in den Wechseljahren erwischt. Ihr schlechter Allgemeinzustand tat sein übriges dazu. Mit nur 54 Jahren musste er sie begraben. Jetzt hatte er wieder eine feste Partnerin und die körperliche Liebe machte beiden allzu viel Spaß.
Seit vier Wochen arbeitete Friedrich Beutel. Der Job gefiel ihm. Stellvertretender Direktor einer großen Versicherung. Mit eigenem, großräumigen, sehr geschmackvoll eingerichtetem Büro im 10. Stock eines Glaspalastes. Er machte Dienstreisen, die ebenfalls großzügig abgerechnet wurden und wohnte in einem schönen Haus am Stadtrand. Seine Anzüge kaufte er beim ersten Herrenausstatter am Platze. Seine Bekanntschaften waren elegant, gepflegt, gebildet und irgendwie langweilig.
Als er fünfzig wurde, gab Friedrich Beutel in seinem, noch nicht abbezahlten, Haus am Stadtrand eine Gartenparty für seine Freunde und Arbeitskollegen. Er war Abteilungsleiter und arbeitete in einem kleinen Büro im Glaspalast der Versicherung. Manchmal dachte er an die Zeiten zurück, als er noch in einem schönen, großen Büro residiert hatte. Aber heute war er jünger, gesünder, einfach besser drauf. Er hatte sich ein Motorrad gekauft und verbrachte seine freie Zeit mit seiner Maschine und seinen zahlreichen Bekanntschaften. Auch der heutige Abend war ganz nach seinem Geschmack. Seine Freunde, allesamt Motorradenthusiasten, Bier in rauen Mengen und laute, fetzige Musik. Aber auch Oldies, wie Friedrich sie in seinen früheren Jahren gehört hatte. Ein bisschen wehmütig dachte er an die vergangenen Jahre. Körperlich war ihm vieles verwehrt gewesen, aber sein Verstand war damals schärfer, weitsichtiger. Er wog alles genau ab, bevor er sich endgültig für etwas entschied. Er war so etwas wie weise gewesen. Leider hatte er so viel von dem was er einmal wusste, einfach vergessen.
Heute nahm er vieles auf die leichte Schulter. Manchmal war er geradezu leichtsinnig. Vor allem was das Motorrad fahren anbetraf. Im letzten Monat war es dann passiert. Er war etwas zu schnell in eine Kurve gefahren. Bein gebrochen, Hüfte geprellt, Gehirnerschütterung. „Sie haben Glück gehabt“, sagte der Arzt. Ein paar Jahre später, wäre das Glück allerdings noch größer gewesen. Der Heilungsprozess wäre wesentlich kürzer ausgefallen.
Die Jahre gingen wie im Flug vorbei. Friedrich Beutel war einfach nur noch gut drauf. Er spielte Tennis und Fußball, ohne das seine Gelenke schmerzten. Er ging regelmäßig in die Sauna. Angst vor Kreislaufproblemen hatte er nicht mehr. Sein Körper konnte sich sehen lassen. Der Bauch straff, die Muskeln fest, die Falten waren zu Fältchen geworden. Das graue, schüttere Haar war wieder lockig und tiefschwarz. Lediglich an den Schläfen war es leicht angegraut.
Er war jetzt 40 Jahre alt und Sachbearbeiter bei der Versicherung mit dem imposanten Glaspalast. Mit drei anderen Kollegen teilte er sich ein Großraumbüro. Sie hatten viel Spaß miteinander und verbrachten auch einen grossteil ihrer Freizeit zusammen. Frei und ungebunden machten sie die Kneipen der Kleinstadt unsicher, gingen zu Rock Konzerten oder flogen übers Wochenende mal eben nach London oder zum feiern nach Mallorca. Sein Leben machte einfach nur Spaß. An das gestern konnte er sich nicht mehr so recht erinnern und an das morgen wollte er nicht denken.
Mit dreißig saß Friedrich Beutel mit noch 15 anderen Kollegen in einem sehr großen Großraumbüro. Er bearbeitete die Schadensfälle A-D und lebte in einem Apartment mit Kochnische. Er ging gerne ins Kino oder zum tanzen. Er wechselte seine Freundinnen häufig, wollte sich aber nicht fest binden. Mit den 20-15 jährigen hatte er schlechte Erfahrungen gemacht. Sie kicherten albern, lasen BRAVO und himmelten Schauspieler an. Die Frauen in seinem Alter zehrten fast ausschließlich von den Erinnerungen der vergangenen Jahre. Wie reif sie damals waren und wie erfahren. Die meisten waren Witwen. Das einzige was sie wirklich interessierte, war ihre Gewichtsabnahme. Eine weinte tatsächlich bei der Vorstellung, ihre Garderobe zukünftig in der Kinderabteilung bei H&M kaufen zu müssen. Zu dieser Zeit trug Friedrich fast ausschließlich Jeans. Auch bei der Arbeit kombinierte er sie mit Schlips und Blazer. Er konnte sich erinnern, das ihm das tragen eines Anzugs, mächtig auf den Geist gegangen war. Und teuer war es irgendwie auch gewesen. Überhaupt Geld. Früher hatte er das Geld zusammen gehalten. Richtig gehend gespart. Jetzt gab er sein relativ kleines Gehalt ohne nachzudenken, einfach aus. Was ihm gefiel, leistete er sich. Oft war er am 20. eines Monates schon total pleite.
Als er seinen 20. Geburtstag feierte, machte er seine Lehre bei der großen Versicherung. Den ganzen Tag hastete er von Abteilung zu Abteilung. Legte Akten ab, kochte Kaffee oder musste sich vom Abteilungsleiter anhören, wie blöde er doch sei. Schwach erinnerte er sich daran, dass er dieselben Worte auch mal zu einem Lehrling gesagt hatte. Damals, als er Abteilungsleiter war. Er war froh, diese Zeit bald hinter sich lassen zu können, um in aller Ruhe zur Schule zu gehen.
Friedrich lebte noch bei seinen Eltern. Sein Zimmerchen unterm Dach war voll gestopft mit technischen Errungenschaften aller Art. Computer, DVD Player, der neuste Fernseher, Handy und die obligatorische Playstation. An den Wochenenden hing er mit Freunden herum und ließ sich vollaufen.
Im Gegensatz zu früher, konnte er jetzt feiern ohne große Nebenwirkungen zu verspüren. Ohne Kater und relativ ausgeschlafen, ging er montags pünktlich zur Arbeit. Das bisschen Lehrlingsgehalt ging für Fast Food und coole Klamotten drauf.
Mit fünfzehn Jahren ging Friedrich Beutel in die 10. Klasse eines Gymnasiums. Er war ein mittelmäßiger Schüler und hatte die Klassen 13, 12 und 11 so eben geschafft. Gott sei Dank wurde es jetzt leichter. Überhaupt war das Leben jetzt leichter. Friedrich war unbekümmert und ließ den Dingen einfach ihren Lauf. Den Führerschein hatte er mit 18 Jahren abgegeben. Fahrrad fahren war jetzt angesagt. Sein Interesse am anderen Geschlecht beschränkte sich auf dumme Sprüche machen, rot werden und das heimliche lesen des „Playboy“.
Die Jahre gingen viel zu schnell ins Land. Friedrich wurde eingeschult und trug stolz seinen Tornister. Die Welt war schön und bunt. Das einzige das ihn wirklich störte, war die Tatsache, dass er immer kleiner wurde. Für alles und jedes musste er sich einen Stuhl oder eine Trittleiter holen. Noch vor zwei Jahren hatte seine Mutter eine Heidenangst um ihn gehabt, wenn er irgendwo drauf kletterte. Aber mit der Zeit wurde auch sie immer unbekümmerter. Er hatte das Fahrrad fahren verlernt und war auf ein Dreirad umgestiegen. Sein Wortschatz wurde immer kleiner und seine Zähne verschwanden langsam in seinem Kiefer. Nach und nach verlernte er zu lesen und besah sich schließlich nur noch Bilderbücher. Er wusste, dass er einmal richtige Bücher gelesen hatte, er konnte sich sogar noch an die Schriftsteller erinnern. Thomas Mann, Kurt Tucholsky und Stephan King. Aber was er da gelesen hatte, verstand er nicht mehr. In nicht mehr all’ zu ferner Zeit würde er in den Kindergarten kommen. Er freute sich darauf. Dort würde er spielen und malen können. Er musste sich nicht mehr anstrengen und über komplizierte Dinge nachdenken. Denken war überhaupt ein Problem für ihn. Im Moment dachte er nur darüber nach, warum Hummeln fliegen können und ob Fische nachts auch schlafen.
Friedrich wurde durch den Park geschoben. Laufen konnte er nicht mehr. Er war schlecht gelaunt. Durst hatte er und Hunger. Außerdem war seine Windel randvoll. Er mochte es nicht, auf andere Menschen angewiesen zu sein. Vage erinnerte es sich daran, dass es in seinem Leben einmal eine Zeit gegeben hatte, die dieser sehr ähnlich war. Auch damals konnte sein Magen nicht alles vertragen und das wenig abwechslungsreiche Essen musste püriert sein. Er war hilflos und konnte seinen Unmut nur durch schreien kundtun.
Friedrich Beutel wog 3.500 Gramm und maß 52 cm, als er merkte dass es dem Ende zuging.
Nur noch wenige Wochen, genauer gesagt 40 Wochen, dann kam der Tod. Das Letzte was Friedrich wahrnahm, war das warme, geborgene Gefühl im Mutterleib. Er wurde kleiner und kleiner. Bis schließlich zwei Zellen aufeinander stießen. Er starb so wie alle sterben wollen, wie es jeder irgendwann einmal gewünscht hat, in einem wunderschönen, atemberaubenden Orgasmus.

 

Tach miss-bates,

da Du scheinbar kein Interesse daran hast, Deine Texte zu bearbeiten und auf Kommentare zu reagieren, erspare ich mir eine Fehlerliste und auch das genaue Lesen Deines Textes, dessen Pointe Du ja im ersten Satz bereits preisgibst und der sich dann zieht wie Kaugummi, bis er auf diese Pointe zusteuert.
Die Idee an sich ist bereits mehrfach literarisch verarbeitet, doch Innovation muss ja auch nicht sein, wenn das Handwerk stimmt.

Was hier nicht der Fall ist, drum gibts nur einen Kurzverriss.

Grüße
C. Seltsem

 

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