Das Lagerhaus
Der Routenplaner im PC hatte die Fahrtzeit auf der Autobahn fast genau berechnet. Da er immer ein bißchen früher losfuhr, hatte er sein Ziel pünktlich erreicht. Und nun suchte er seit zwanzig Minuten in diesem tristen Industriegebiet die Adresse und fluchte leise vor sich hin. Wie immer waren die Hausschilder winzig, und die großen Blöcke der Lagerhäuser sahen alle gleich aus. Der rote Klinker der Häuser ließ darauf schließen, daß sie schon einige Zeit standen. Hin und wieder wurde die Dunkelheit von einer Bogenlaterne unterbrochen, die eine Lichtinsel auf der Straße hinterließ. Schnee legte sich in feuchten Flocken auf die Windschutzscheibe und wurde von den quietschenden Scheibenwischern an den Rang gedrängt, wo sie einen dicken weißen Strich bildeten und die Sicht behinderten.
Zum Glück hatte er die Taschenlampe, mit der er durch die Seitenscheibe einen leicht zerfallenden Lichtstrahl an die Häuserwände warf. Er hatte angehalten und die Seitenscheibe herunter gekurbelt, um besser sehen zu können. Der Lichtkreis der Taschenlampe fiel auf ein Firmenschild, das neben einer grauen Metalltür hing. „Romania Im- und Export“ stand auf dem Schild, darüber hing ziemlich klein die „135“. Endlich hatte er sein Ziel gefunden. Er drehte auf der Straße und fuhr durch das Tor auf den Parkplatz. Das Schneetreiben hatte zugenommen, und er nahm sich zuerst seinen Trench, bevor er aus dem Wagen stieg. Er zog den Mantel schnell an und zog sich den Kragen hoch in den Nacken, dann nahm er schnell den Aktenkoffer aus dem Kofferraum und ging zur Tür. Fast hätte er die Taschenlampe vergessen. Endlos lange dauerte es, bis nach seinem Klingeln endlich die Tür aufging.
Der Mann war rund ein Meter und siebzig Zentimeter groß, um die fünfzig und hatte einen markanten Bauch, der bei jeder Bewegung leicht hin und her wippte. Sein rundes Gesicht hatte etliche Falten, und die tiefen Krähenfüße um die Augen sahen nach einem bewegten Leben aus. Die schwarze Uniform war etwas weiter, und sah so aus, als ob Sie noch etliches zusätzlich aufnehmen könnte. Ein abschätzender Blick traf ihn, und der Mann zog die Metalltür weit auf.
Er schaute ihm in die Augen und lächelte. „Guten Abend, Herr Semmerling. Mein Name ist Frankenburg“. Der Händedruck des Mannes war für seinen Geschmack nicht fest genug. „Hallo Herr Frankenburg. Sie sind sehr pünktlich.“
„Ich bin auf der Autobahn sehr gut durchgekommen.“ Er stand in einem engen Treppenhaus, das nur von einer kleinen Glühlampe beleuchtet wurde. Eine Metalltreppe führte nach oben, und die Gitterstufen warfen quadratische Muster auf den Boden. Ihm gegenüber war eine weitere Metalltür.
„Kommen Sie mit nach oben, da ist es etwas wärmer.“ Der Mann ging die Treppe hinauf, und er folgte ihm mit der schweren Tasche. Sie gingen durch eine alte Holztür mit einer Glasscheibe und standen in einem Büro, in dem ein alter Schreibtisch, ein hölzerner Schubaktenschrank und ein Plastikstuhl stand. Auf der anderen Seite gab es ein Waschbecken vor einem vergilbten Fliesenspiegel, neben dem ein graues Handtuch hing. Eine Kaffeemaschine blubberte auf dem Schreibtisch vor sich hin. Ein Fenster öffnete den Blick in eine große und schwach beleuchtete Lagerhalle, in der verschiedene Holzkisten zu sehen waren. Neben dem Fenster gab es eine Tür, durch die man auf ein Podest gehen konnte.
„Hinter dem Schrank ist ein Haken für Ihren Mantel. Möchten Sie einen Kaffee?“
„Gern.“ Er hängte seinen Mantel an den Haken und setzte sich auf den Plastikstuhl auf der anderen Seite des Tisches, der Mann setzte sich auf einen grünen Schreibtischstuhl. Der Kaffee im Becher schmeckte stark und etwas bitter. Er achtete darauf, daß er kurz nach dem Mann zum Becher griff und bedankte sich für den Kaffee.
„Herr Winter hat uns empfohlen,“ stellte er fest und lehnte sich leicht auf seinem Stuhl zurück. Semmerling erzählte, daß er auf seinem Sparbuch 50.000,- Mark angespart hatte und das Geld in Aktien anlegen wollte. „Stellen Sie sich einmal vor,“ sagte er, „ Ich habe mein ganzes Leben lang gespart und habe immer so 4 -5 Prozent an Zinsen dafür bekommen. Herr Winter hat mir erzählt, wie so ein Aktienfonds funktioniert, und jetzt ärgere ich mich, daß ich mich nicht schon eher damit beschäftigt habe. Der Mensch bei der Bank hat mir immer gesagt, Aktien sind viel zu gefährlich.
Der Berater schüttelte den Kopf. „Die Banken halten selbst große Aktienpakete und haben in den Jahren gut daran verdient, daß sie das Geld der Leute billig bekommen haben und dann in Aktien wieder angelegt haben. Da sind die Leute gegenüber den Banken heute mit Recht sehr vorsichtig.“ Langsam beugte er sich vor und saß dann auch leicht vorgebeugt, mit den Ellenbogen auf der Schreibtischkante. Nach einem Moment faßte er sich an das Ohr, und mit einem Schnaufer bewegte der Mann seine Hand auch zum Ohr und kratzte sich dort.
„Er ist bei mir,“ dachte er und freute sich, daß es so schnell gegangen war. Über seinen Rücken fühlte er ein unangenehmes Kribbeln, das sich über dem Arm bis zu seiner linken Hand fortsetzte und auf dem Handrücken endete. Irgendetwas schien ihn durch das Fenster zu beobachten.
Semmerling hatte seine Kopfbewegung zum Fenster gesehen und seufzte. „So geht es mir seit zwei Tagen. Gestern hatte ich sogar den Kammerjäger hier. Aber er hat nichts gefunden.“ Mit einem Achselzucken blickte er auf das Papier, das Frankenburg auf dem Schreibtisch ausgebreitet hatte.
Dann fing Frankenburg ganz von vorn an, fragte nach dem bisherigen Vermögen, nach den Zukunftsplänen, wie lange der Mann arbeiten wollte und erklärte dann, warum über einen langen Zeitraum Aktienfonds die sicherste und rentabelste Anlage sind. Er schaltete den PC ein und startete das Fondsprogramm.
Gerade als er erklären wollte, warum nicht der beste deutsche Aktienfonds auch der sicherste Fonds sei, klingelte ein Wecker.
„Interessieren Sie sich für Antiquitäten?“ fragte der Mann und erhob sich von dem grünen Stuhl. Frankenburg nickte. „So ganz nebenbei,“ sagte er und erhob sich ebenfalls.
„Dann können Sie sich ja bei meiner Runde begleiten.“ Semmerling nahm eine schwarze, große Taschenlampe in die Hand. Als Frankenburg durch das Fenster in die Halle schaute, meinte er, etwas fliegen zu sehen. Er nahm seine eigene Taschenlampe.
„Haben Sie hier Vögel oder Fledermäuse in der Halle? Manchmal kommt so etwas vor, ich habe einmal Spatzen in einem Supermarkt gesehen.“
Semmerling schüttelte den Kopf. „Die Halle ist klimatisiert. Hier drin sind immer 19 Grad bei einer gleichbleibenden Luftfeuchtigkeit. Normalerweise dürfte hier kein Tier drin sein.“
Beide traten durch die Tür und stiegen die Treppe hinunter. Dann standen sie zwischen großen Holzkisten und gingen schweigend ein paar Schritte.
„Ich gehe immer erst einmal um den Hallenrand und zu den Türen auf der anderen Seite. Dort sind die Werkstätten, in denen die alten Möbel aufgearbeitet werden.“ Semmerling öffnete den grauen Kasten neben der Treppe und drückte auf den Hauptschalter für die Hallenbeleuchtung. Die Neonröhren tauchen die Halle in ein hellgraues Licht.
„Die Firma hier holt Antiquitäten aus den Ostblockländern. In der Werkstatt werden sie restauriert und dann an Sammler in ganz Deutschland verkauft.“ Der Mann ging langsam an der Wand entlang und klopfte dabei seine Taschenlampe in die linke Handinnenfläche.
„Das scheint ein gutes Geschäft zu sein. Hier sind ja eine Unmenge von Kisten.“ Frankenburg war bemüht, den Gesprächsfaden weiter zu führen.
„Die meisten der Kisten sind leer.“
Sie gingen gleichmäßig an der Wand lang, und Frankenburg spürte wieder das Kribbeln auf dem Rücken.
Eine Holzkiste folgte der anderen, es war ein langweiliger Rundgang. Plötzlich blieb Semmerling stehen, und auch Frankenburg stoppte. Semmerling hielt den ausgestreckten Zeigefinger vor den Mund und bedeutete Frankenburg auch zu horchen. Es war ein leises Kratzen, als ob eine Raspel über Holz fahren würde, aber es war nicht herauszufinden, wo das Geräusch herkam. Beide Männer gingen schweigend weiter, und die Schritte hallten zur Wand und wurden durch die ganze Halle getragen. Sie bogen um die Ecke, und sahen die große Doppeltür aus Metall einen Meter weit offen stehen.
Semmerling fluchte leise. „Die war vorhin noch zu.“ Sie gingen vorsichtig auf die Tür zu, und Frankenburg sah sich plötzlich mit einem neuen Risiko seines Berufes konfrontiert. Er faßte Semmerling an den Arm und hielt ihn zurück. „Lassen Sie uns lieber die Polizei holen,“ schlug er vor.
Semmerling schüttelte den Kopf. „Wenn ich die Polizei hole, und sie findet nichts oder stellt fest, daß ein Luftzug die Tür geöffnet hat, dann habe ich morgen vielleicht keine Arbeit mehr.“ Er zuckte mit den Schultern und ging auf die Tür zu. Semmerling schaltete die Taschenlampe ein und leuchtete durch die Tür in die Werkstatt hinein. Der Lichtkegel fuhr über Arbeitstische mit Stemmeisen, Feilen und anderen Werkzeugen, über Flaschen mit verschiedenen Tinkturen und Flüssigkeiten. Ein fauliger Geruch stand in dem Raum, und Frankenburg schob sich ein Taschentuch vor die Nase. Semmerling schaltete die Deckenlampe an. Vor ihnen standen einige alte Truhen und Schränke, die mit Wappen verziert waren und mit schweren Beschlägen versehen. Die Truhen waren geöffnet und verströmten den fauligen Geruch.
Semmerling ging zur Außentür. Er rüttelte am Türgriff und stellte fest, daß diese verschlossen war.
„Sehen Sie, das hätte Ärger gegeben.“ Semmerling schaute zu ihm hinüber und leuchtete in die Kiste, die vor ihm stand. „Sie ist leer. Die Möbel sind vor vier Tagen geliefert worden, und seitdem hat der Ärger hier angefangen. Der Meister hat mir erzählt, daß die Möbel aus einem alten Schloß in Rumänien kommen.“
Sie hörten ein lautes Knacken. In diesem Moment ging das Licht aus, und beide schalteten ihre Taschenlampen wieder ein.
„Das Wort Ärger trifft wohl zu,“ murmelte Frankenburg und leuchtete mit der Taschenlampe auf einen Schrank. Rechts von ihm knarrte eine Schranktür, und Frankenburg richtete den Strahl ruckartig auf die Türen. Die Taschenlampe in seiner Hand wurde warm, und der Lichtstrahl steigerte sich zu einem gleißenden Leuchten. Für einen Moment glaubte er einen Menschen zu sehen, der plötzlich verschwand, als der Strahl ihn traf. Er ging zu dem Schrank und fand vor dem Boden nur einen kleinen Haufen Staub. Etwas in dem Schrank schien sich zu bewegen, und er leuchtete hinein. Auch dort lag auf dem Boden nur der graue Staub, der auch schon vor dem Schrank lag.
„Hier drin ist nichts als Staub,“ sagte er zu Semmerling. Das Licht der Taschenlampe war wieder normal.
„Dann lassen Sie uns einmal nach der Sicherung sehen. Die ist auch hier in der Werkstatt, im Nebenraum.“ Er leuchtete auf eine weitere große Metalltür, auf der in großen schwarzen Buchstaben „Zutritt verboten“ stand. Frankenburg standen die Haare zu Berge bei dem Gedanken, daß er durch diese Tür gehen sollte.
„Kam von hier nicht vorhin das laute Knacken?“, fragte er Semmerling.
„Die klemmt immer.“ sagte der Mann nickend, drückte fest mit beiden Händen auf die schwarze Klinke und riß die Tür auf, bevor Frankenburg einen anderen Vorschlag machen konnte.
In dem Raum standen Regale in Reihen nebeneinander, in denen sich Möbelteile stapelten. Semmerling ging ein paar Schritte vor ihm und leuchtete in den Regalen umher. „Hinter der Ecke ist der Sicherungskasten.“. Frankenburg schloß schnell auf, und Semmerling ging vor und leuchtete auf die Schalttafel.
„Na, da freut sich der Elektriker.“
Frankenburg leuchtete ebenfalls über die Tafel. Dicke Kabelstränge, die von oben in den Kasten geführt hatten, waren mit großer Kraft einfach herausgerissen worden. Hinter den beiden Männern flogen die Möbelteile gerade heraus in das nächste Regal, wie bei einer Explosion. Beide zuckten zusammen und drückten sich gegen die Wand, unfähig zu atmen. Die Männer leuchteten in das Regal hinein. Ein tiefes Seufzen war zu hören, und ein großer Schatten flog durch die Tür, bevor ihn der Kegel der Taschenlampen erreichen konnte. Frankenburgs Taschenlampe strahlte so intensiv, daß sie fast den ganzen Raum erhellte.
Frankenburg und Semmerling drückten sich an die Wand. Die Lichtkegel der Lampen zitterten über Möbelteile, und Frankenburg stand der Schweiß auf der Stirn. Seine Taschenlampe hatte wieder an Helligkeit verloren.
Semmerling räusperte sich. „Habe ich Ihnen eigentlich gesagt, daß mein Vorgänger spurlos verschwunden ist?“ Seine Stimme zitterte. „Das ist wohl genau der richtige Zeitpunkt, um mir das zu sagen. Jetzt sollten wir doch Hilfe holen,“ antwortete Frankenburg und griff in die rechte Seitentasche seines Jackets. Er fluchte laut, als er feststellte, daß er sein Handy im Auto vergessen hatte.
„Was machen wir jetzt? Dieses Ding wird irgendwo auf uns lauern.“ Semmerling hielt die Taschenlampe auf die Eingangstür gerichtet.
„Ich kenne mich hier nicht aus.“ Auch Frankenburgs Stimme zitterte. „Aber das Ding hat mit Regal ausräumen aufgehört und ist geflohen, als wir mit der Taschenlampe in das Regal geleuchtet haben. Vielleicht hat es Angst vor dem Licht.“
„Durch die Werkstattür kommen wir nicht raus“. Semmerling leuchtete über die Regale. „Den Schlüssel habe ich nicht mit.“
Frankenburg leuchtete ebenfalls über die Regale. „Wie kommen wir denn hier am schnellsten raus?“
„Über dem Podest in der Mitte der Halle ist ein Oberlicht. Dafür habe ich den Schlüssel. Wenn wir laufen, haben wir eine gute Chance. Und wir sehen da oben, wenn etwas auf uns zukommt.“ Semmerling räusperte sich.
Frankenburg leuchtete mit der Taschenlampe auf den zerstörten Verteilerkasten. „Hoffentlich haben Sie Recht. Wir sollten dicht zusammen bleiben.“
Langsam gingen beide an der Wand entlang und leuchteten dabei in die Regale, jederzeit in der Erwartung, daß wieder Möbelteile auf sie zufliegen könnten. Aber es blieb ruhig im Raum, und sie erreichten ohne Zwischenfall die Tür zur Werkstatt. Beide Taschenlampen strahlten in den Raum hinein und glitten über die alten Möbel und die Werkzeuge hinweg, ohne daß sich etwas bewegte oder daß Frankenburgs Taschenlampe an Leuchtkraft zunahm.
Sie gingen langsam zwischen den Tischen hindurch und erreichten die Tür zur Halle, an der sie stehen blieben und horchten. Der Atem dröhnte in den Ohren der Männer und es rauschte in Frankenburgs Ohren, als er Flügelschlag hörte. Schnell leuchtete er in den Raum hinein, und ein scharf gebündelter Lichtstrahl, stark wie ein Laser und hell wie das Sonnenlicht, fuhr über die Hallendecke. Was immer sich auch in der Luft bewegt hatte, war geschickt ausgewichen und nun verschwunden. Ein mehrstimmiges Stöhnen klang aus der Halle, und Frankenburg blickte in das aschgraue Gesicht von Semmerling.
„Ohne Ihre Taschenlampe wären wir schon Hundefutter.“
„Für einen Hund würde ich das nicht gerade halten,“ entgegnete Frankenburg und leuchtete weiter in die Halle hinein. Es erschien ihnen endlos, in der Tür zu warten. In der Halle herrschte Ruhe, nichts bewegte sich, kein Lufthauch zog um die Kisten. Der Berater traute der Stille nicht, seine Hände zitterten noch.
„Wenn wir noch länger warten, geht vielleicht den Lampen der Saft aus,“ flüsterte Semmerling.
Einen Moment überlegte Frankenburg und flüsterte dann leise zurück. „In Ordnung. Wir laufen bis zur Treppe, leuchten dann zurück, laufen die Treppe hoch und schauen noch einmal zurück. Dann über die Treppe bis zur Kiste, zurückleuchten, hoch, an die Kiste, zurückleuchten und raus. Okay?“
Semmerling starrte immer noch in die Halle und nickte. „Okay. Aber laufen Sie nicht so schnell. Ich bin nicht fit. Auf drei geht es los. Eins, zwei, drei.“
Ehe Frankenburg noch etwas sagen konnte, rannte der Mann los. Die Kleidung schlotterte um seine Hüften, und erstaunt rannte Frankenburg hinter ihm her und hatte ihn schnell eingeholt. Sie liefen zwischen den Kisten hindurch, und er ließ den Lichtstrahl über die Holzkisten und in die Gänge springen, wild zuckend und weiße Lichtlinien ziehend.
In Rekordzeit erreichten sie die Treppe, blieben stehen und leuchteten in den Gang zurück. Nichts rührte sich, und die Lichtstärke der Taschenlampe blieb gleich, wohin Frankenburg auch leuchtete. Vielleicht hatten sie sich das doch nur alles eingebildet. Hektisch liefen Sie die Treppe hoch, erreichten die Plattform und ließen sich vor die Holzkiste fallen.
Semmerling atmete schwer. „Ab morgen geh ich joggen.“
Frankenburg leuchtete die Treppe hinunter, aber es rührte sich nichts, und er nahm die Taschenlampe zurück. Über Ihnen war der Lichtschacht, der von innen durch ein Gitter gesichert war. Oben konnten sie die Plexiglashaube sehen.
„Ich kletter hoch, und Sie leuchten um mich herum.“ Semmerling schaute zu Frankenburg, als ob er eine Antwort erwarten würde.
„In Ordnung. Ich schalte nur die Rundum-Leuchte ein, dann haben wir einen größeren Lichtkreis.“ Er streckte den linken Arm mit der Taschenlampe nach oben und schalte den Strahler mit dem Daumen aus. In diesem Moment wurde er an seinem ausgestreckten Arm hochgerissen, sein Handgelenk schmerzte und instinktiv schaltete er die Neonleuchte ein. Aus der Lampe strahlte reines Sonnenlicht, ergoß sich durch den Raum, und die Strahlen krochen wie Schlangen in jede Lücke und in jede Kiste hinein, lebendig gewordene Vipern aus Licht, die keine einzige Stelle der Halle und der Werkstatt ausließen. Schreie und Stöhnen klangen für einen kurzen Augenblick durch den Raum.
Frankenburg schwebte mit der Hand an der Taschenlampe einen Meter über den Boden, und in einem weiteren Moment krochen die Strahlen wieder in die Lampe zurück, und nur noch normales Licht strahlte aus der Neonlampe.
Er wurde von einer Wolke grauen Staubes begraben und fiel hart auf den Hintern, als das Licht sich wieder normalisierte. Er lag auf den Holzplanken des Podestes, hielt sich das schmerzende Hinterteil und konnte gar nicht wieder aufhören zu husten. Semmerling fing an, ihm mit der Hand den Staub abzuklopfen, und half ihm auf. Es dauerte eine Viertelstunde, bis der gröbste Staub aus den Haaren und dem Anzug verschwunden war, und Frankenburg wünschte sich nichts mehr als eine Dusche.
„Ich glaube, das war´s.“‘ Semmerling grinste und zitterte, als sie den Gang in Richtung des Büros gingen. Sie leuchteten den Gang entlang, aber es war alles ruhig, und sie erreichten das Büro ohne Probleme.
„Wo haben Sie eigentlich die Taschenlampe her?“, fragte Semmerling, und bot dann Frankenburg an, sich zu waschen. Er nahm das Angebot gern an. „Vom Flohmarkt in Hannover. Das war eine ganz seltsame Geschichte.“
Semmerling lachte. „Bestimmt nicht so seltsam wie dieser Abend.“
Der Versuch, Kaffee aus der Kanne in den Becher zu gießen, scheiterte am Zittern seiner Hände.
[Beitrag editiert von: JR am 27.02.2002 um 22:21]