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Das Labyrinth der Gedanken

Seniors
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04.08.2001
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Das Labyrinth der Gedanken

Meine erste Begegnung mit Ole Hansson hatte ich in der Lobby unseres Hotels. Ich kannte ihn, jeder kannte ihn von den Plakaten, die schreiend bunt an allen Häusern der Stadt hingen.
Ich besprach mich mit einem Mitarbeiter in einer ruhigen Ecke, als ein Schrei von der Rezeption uns unterbrach.
Mein Kollege stoppte einen vorbeieilenden Kellner mit einer Handbewegung und der antwortete auf die Frage, indem er zur Aufnahme wies: “Hansson. Irgendwer vom Personal war in seinem Zimmer, ohne Genehmigung. Er hat Angst um sein Gepäck.”
Er lief weiter und im Nu war er hinter einer Tür verschwunden, die wer weiß wohin führte.
“Ah, Hansson”, sagte mein Gegenüber und lächelte. Ich sah das Funkeln in seinen Augen. Und so wandte ich mich um und beobachtete den Ursprung des Durcheinanders.
Die Plakate zeigten Hansson stets im Profil, so dass sich die markante Nase abhob. Als er sich dort am Tresen aber umdrehte, sein Gesicht in meine Richtung wandte, erkannte ich den furchtbaren Makel in seinem Antlitz. Auch wenn man sich immer wieder erzählte, dass Ole Hansson einen Augenfehler hatte, war ich nicht darauf gefasst, wie sehr ihn dieser entstellte.
Ich schaute ihn an, und sein gesundes Auge starrte zurück. Er kam auf mich zu, eine stattliche Person mit Reptilienausdruck, und ich war nicht in der Lage, den Blick abzuwenden. Schließlich blieb er vor mir stehen und musterte mich. Ich erkannte, dass sein zweites Auge, das in groteskem Winkel stand, ein Eigenleben zu führen schien.
Obwohl er hätte jammervoll wirken müssen, umgab ihn eine eiskalte Aura, als er sagte: “Sie finden mich hässlich, ja?”
Natürlich war er hässlich, mit dem schielenden Blick. Doch ich hatte versucht, mir dies nicht anmerken zu lassen.
“Sie brauchen nicht den falschen Anschein zu geben.” Er musterte mich. “Man sieht Ihrem Gesicht an, wie Sie über mich denken.”
Jedes Gemurmel war erstorben, die Flügel der Ventilatoren drehten sich schwerfällig.
Ich schwieg, denn ich hätte nur Unsinn herausgebracht. Hansson drehte sich um und ging davon.
“Das war dann also der große Gedankenleser”, sagte mein Kollege. “Der Herr, der alles weiß.”
Er lachte, während ich dem Mann hinterher sah, der so gar nicht den Eindruck des umjubelten Künstlers machte.

Als wir uns ein paar Tage später auf dem Hotelflur wiedertrafen, wollte ich wortlos an ihm vorbeieilen. Ich hatte nicht vor, wieder den Schuljungen für ihn zu machen, doch er war besserer Laune als Tage zuvor.
“Ich fürchte, ich habe mich ekelhaft benommen”, sagte er und brachte ein Lächeln zustande. “Ich möchte mich entschuldigen.”
Ich blieb stehen.
“So schlimm war es nun auch wieder nicht.”
Lachend breitete er die Arme aus. Er trug Smoking und Schal und war sicher auf dem Weg zu seinem Auftritt.
Er sprach weiter, dabei packte er meinen Ellenbogen und zog mich sanft mit sich.
“Aber ja doch. Es war abscheulich, Sie so bloßzustellen. Kommen Sie, Sie haben eine Wiedergutmachung verdient.”
Er ließ nicht zu, dass ich ablehnte. So spendierte er mir einen Bacardi und wir unterhielten uns in der fast leeren Hotelbar.
“Alle Welt schaut auf das schielende Auge.” Es hörte sich an, als spreche er übers Wetter. “Sie starren auf das Ding und gruseln sich. Dabei sind sie froh, dass sie nicht selbst so aussehen.”
Ich trank einen Schluck.
“Doch es entgeht ihnen, dass die eigentliche Besonderheit in meinem gesunden Blick liegt.”
Er lächelte, als hätte er eine tiefere Wahrheit geäußert.
“Trinken Sie noch etwas!” Und bestellte einen weiteren Bacardi für mich und für sich selbst ein Schweppes.
“Was ist mit Ihrem gesunden Auge?”, fragte ich. “Wo liegt das Geheimnis?”
Sein Lächeln erstarb. “Ich sehe Dinge. Dinge, die andere nicht sehen.”
Dabei hatte ich den Gedanken, dass Ole Hansson an mir soeben seine neueste Show ausprobierte, doch plötzlich lachte er wieder und sagte: “Niemand bemerkt es, weil sie alle auf das kranke Auge starren.”
Mir hätte schon damals bewusst sein müssen, dass er mir seinen einzigen und besten Trick verraten hatte.
“Sie sind Autor, was?”
Ich nickte, überrascht vom Themenwechsel.
“Wissenschaftlicher Kram, und so?”
Er sagte es, als würde ich Toilettenpapier verkaufen.
“Ich arbeite an einer Abhandlung über die Rolle der hiesigen Stadtchronik in der Geschichte des Deutschen Reiches”, sagte ich kühler als gewollt.
“So, so.” Er nahm einen Schluck Wasser und beobachtete mich über das Glas hinweg. “Die Stadtchronik, ja. Wie lange noch?”
“Ich stehe kurz vor dem Abschluss.” Ich hatte nicht das Gefühl, dass er sich für meine Arbeit interessierte. “Einige Studien noch, ein paar Wochen Arbeit am Manuskript und dann ...” Ich machte eine Handbewegung. “Ab dafür.”
“Ah ja.” Er hatte jemanden auf der anderen Seite der Bar entdeckt und nickte ihm zu.
Ich fand, seiner Entschuldigung war mit diesem Drink genüge getan und wollte aufstehen und mich verabschieden.
“Wissen Sie was”, sagte er. “Wieso schauen Sie sich nicht einfach meine Vorstellung an? Es wird Ihnen gefallen, glauben Sie mir.”
Damit lotste er mich mit demselben Elan, mit dem er mich hierher gebracht hatte, ins Odeon, in dem er eine halbe Stunde später auftrat.

Als die Vorstellung zu Ende war, herrschte hoffnungsloser Trubel in dem Theater. Alles strebte zu Ole Hansson, die Stimmung war euphorisch.
Für mich war das nichts, ich kämpfte mich gegen den Strom aus dem Theater hinaus, und weil es zu spät war zum Arbeiten, aber noch zu früh zum Schlafengehen, schaute ich noch auf einen einsamen Schluck in der Hotelbar vorbei.
Der zweite oder dritte Brandy sah dann, wie der Hocker neben mir zurückgezogen wurde und Ole Hansson sich lächelnd setzte.
“Wie fanden Sie es?”
“Ganz nett”, antwortete ich. Ich hatte noch nie den Hang zur Gaukelei verspürt.
“Ganz nett?”, schnaubte er. “Es war grandios! Einzigartig, die Leute haben mir zugejubelt. Kommen Sie, geben Sie zu, dass es Ihnen gefallen hat!”
Ich musste lächeln, er bestellte sich einen Brandy.
“Sie halten nicht viel von so etwas?”, fragte er mich.
“Nein.” Warum sollte ich lügen? “Wie Sie so treffend sagten: Ich schreibe Wissenschaftskram, da gibt es keinen Platz für Hokus-Pokus.”
“Keine Geheimnisse, was?” Er trank. “Ist das nicht ein trauriges Leben?”
“Es geht nicht darum, dass es keine Geheimnisse geben darf. Man muss nur versuchen, sie zu lösen. Wie haben Sie das gemacht, das mit dem Schlüssel unter Wasser?”
Er lachte. Von der Seite betrachtet, ohne seinen Smoking, sah er aus wie der Arbeitskollege, der auf ein Bier mitgekommen ist. Doch als er sich mir zuwandte und mich mit dem einen Auge anstarrte, ahnte ich etwas von der Traurigkeit, die in ihm wohnte.
“Ich kann Gedanken lesen”, sagte er trocken. Daraufhin winkte er dem Barkeeper und bestellte eine neue Runde.
“Ja, schon”, erwiderte ich. “Aber wie haben Sie herausgefunden, wo die Person den Schlüssel versteckt hat? Ich gehe davon aus, dass Sie den Mann nicht kannten, dass nichts abgesprochen war. Üblicherweise lesen Sie aus kleinen Gesten, was die Menschen verbergen wollen. Aber Sie hatten überhaupt keinen Kontakt zu dem Mann. Also, wie haben Sie das geschafft?”
Das Lächeln, mit dem er antwortete, war nicht mehr vergnügt. “Ich sagte doch, ich lese die Gedanken meiner Mitmenschen. Ich konnte sehen, was er dachte, als er sich den Schlüssel vorstellte. Ich sah in seinen Kopf.”
“Okay, das war‘s. Netter Abend. Ich danke dafür, auf Wiedersehen.”
Ich trank mein Glas leer, erhob mich und verließ die Bar, ohne mich umzudrehen.
Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich für dumm verkauft und Applaus dafür erwartet..

Einige Tage darauf trafen wir uns auf dem Flur. Er entschuldigte sich nochmals, obwohl er, wie er sagte, keine Ahnung hatte, wofür.
Er bat mich zu sich ins Zimmer. “Nur kurz, sprechen wir uns noch einmal aus.” Und so saßen wir dann zwischen Koffern und Taschen und sahen uns an.
“Ich reise ab”, sagte er. Er sah übernächtigt und gar nicht mehr so fröhlich aus. “Deshalb möchte ich reinen Tisch machen.”
Zwei Hotelpagen betraten schüchtern das Zimmer und begannen, Gepäck hinunter zu tragen.
“Was also hat Sie neulich gestört?”, fragte Hansson, als wir allein waren.
Ich stand auf und ging zum Fenster. Mit dem Rücken zu ihm sagte ich: “Ich mag es nicht, wenn man mich zum Narren hält.”
Jetzt lachte er auf. “Ah, daher weht der Wind, ich hätte es wissen sollen. Sie glauben mir nicht.”
Ich drehte mich um und sah ihn an. “Natürlich nicht. Was denken Sie.”
Er hielt meinem Blick stand.
Die beiden Angestellten betraten wieder das Zimmer und blickten Hansson fragend an. Unwirsch wies er auf zwei große Schrankkoffer, die vor der Tür zum Nachbarzimmer warteten.
“Warum stehen Sie nicht im Guinness-Buch der Rekorde?”, fragte ich, als die Beiden wieder hinaus waren. “Wenn Sie so ein Wunderkind sind, wenn Sie die Gedanken anderer Leute lesen, wenn Sie etwas können, was niemand kann, warum ziehen Sie dann als fahrender Gaukler durchs Land? Sie könnten Ihr Geld viel leichter verdienen. Warum melden Sie sich nicht bei Randy?” Ich setzte mich,
er beugte sich vor. Sein Alter war schwer zu bestimmen, aber er hätte mein Vater sein können. Behutsam legte er eine Hand in meinen Nacken und zog mich sanft zu sich heran.
“Bursche”, sagte er leise. “Meinst du, das ist eine Gabe? Denkst du, ich bin gesegnet damit, dass ich in anderer Leute Kopf schauen kann?”
Ich hörte ihn atmen, direkt an meinem Ohr. Unwillkürlich versuchte ich mich loszumachen, doch er zog mich nur noch fester zu sich.
“Meinst du, es ist ein Spaß, Tag für Tag die Gedanken all dieser Trottel hören zu müssen?”
Er sprach so leise, dass ich meinte, seine Stimme sei in meinem Kopf.
“All dies Zeug zu hören, diese dummen Gedanken ... Glaub mir, das ist nicht leicht.”
Er ließ mich los, ich bemerkte, dass die beiden Pagen wieder im Zimmer waren.
“Im Übrigen wäre ich für alle Welt der Freak”, sagte Hansson lauter. “Ich würde rumgereicht, begafft und untersucht. Denken Sie nicht, dass man Ehrfurcht hätte! Ich wäre die Dame mit dem Vollbart oder der Negersmann, ausgestellt auf dem Jahrmarkt.”
Ich räusperte mich, es fiel mir schwer zu sprechen. “Aber warum erzählen Sie mir das? Weshalb ich?”
Die beiden Angestellten waren diensteifrig ins Nachbarzimmer gegangen, um das dort stehende Gepäck zu verladen.
Hansson sprang auf. Mit einem Satz war er bei ihnen, herrschte sie an und trieb sie aus dem Raum. Mit hängenden Schultern schlichen die Beiden an mir vorbei.
Ich schloss mich ihnen an, nachdem ich mich hastig verabschiedet hatte.
Hansson rief noch etwas hinter mir her, doch ich konnte nicht verstehen, was es war.

Keine zwei Monate später erhielt ich einen Brief von ihm; weiß der Himmel, woher er meine Adresse hatte. Er teilte mir mit, dass er nicht mehr lange zu leben habe und dass er mich vor seinem Tod gern noch einmal sehen würde.
Ich fragte mich, wo der Grund dafür lag und kam zwangsläufig zu seinem Motiv, sich zu offenbaren. Warum hatte er mir erzählt, er könne wirklich und wahrhaftig die Gedanken anderer Menschen lesen?
Ich zog den beunruhigenden Schluss, dass er entweder ein großer Spinner war oder aber die Wahrheit sagte. Und wenn er die Wahrheit gesagt hatte – hypothetisch! – dass der Brief an mich die logische Folge war.
Wenn er wusste, was ich dachte, dann wusste er auch, dass ich ihn nicht verraten würde, dass ich, im Zwiespalt mit mir selbst, nicht entscheiden konnte, ob ich ihm glauben sollte. Und ihm musste klar sein, dass ich schließlich zusagen würde, ihn zu besuchen. Nur um herauszufinden, was stimmte und was nicht.
Beängstigend genug, diese Überlegung. Warum aber gab er sich solche Mühe, mich zu sehen? Warum sollte ich ihn besuchen?
Sämtliche Fenster der Villa waren zugehängt, als ich bei ihm klingelte. Das Haus hätte in seiner Größe mindestens zwei Kinderheimen Platz bieten können, so war ich überrascht, dass Hansson selbst mir öffnete.
Es war Mittagszeit, trotzdem erschien er im Morgenmantel in der Haustür und machte einen übernächtigten Eindruck. Als er mich sah, erhellte sich seine Miene ein wenig.
“Da sind Sie ja”, sagte er und trat beiseite.
Drinnen war es dunkel, ein Großteil des Hauses schien unbewohnt. Er führte mich durch die kalte Halle eine Treppe hinauf, deutete den Flur entlang auf ein Zimmer und meinte, er müsse sich noch einmal hinlegen.
So schlich er davon und als ich allein in dem Zimmer war, setzte ich mich auf das schwere Bett, um über seinen Zustand nachzudenken.
Sein Gesicht war eingefallen und faltig. Der Blick seines gesunden Auges war trüb und die Aura der Arroganz in seinem Wesen war verflogen.
Ich wollte einen oder zwei Tage bleiben, deshalb packte ich meine Reisetasche gar nicht erst aus. Ich stellte sie in den schweren Eichenschrank, zog die Vorhänge auf und öffnete das Fenster. Wenn Sonnenlicht eindrang, wirkte der Raum nicht halb so muffig.

Ich machte mich auf den Weg, das Domizil zu erkunden. Der Hausherr hatte sich zurückgezogen, sonst schien niemand hier zu wohnen. Ein vom Leben verlassenes Heim.
Hanssons Frau, das wusste ich, war im letzten Jahr verstorben. Ich hatte mich gewundert, dass dem Künstler, als wir uns getroffen hatten, kaum etwas anzumerken gewesen war. Es war bekannt, dass seine Frau und er eine sehr enge Beziehung geführt hatten.
Es war totenstill im Gemäuer, ich wagte kaum Luft zu holen. Hier schienen die Wände zu lauschen und jedes Geräusch tönte doppelt so laut wie ursprünglich.
Als Hansson erschien, saß ich draußen im ungepflegten Garten auf einer Bank.
“Kommen Sie rein”, sagte er mürrisch. “Wir wollen essen.”
Wer sollte hier etwas zubereiten, fragte ich mich, als eine zierliche, asiatisch aussehende Person aufgetaucht war und sich im Haus nützlich machte.
“Shi Lann”, sagte Hansson, während wir an der Tafel in einem phänomenalen Esszimmer Platz nahmen. “Sie kommt dreimal die Woche und wenn ich Besuch habe, hilft sie aus. Eine ausgezeichnete Köchin.”
Zumindest in diesem Punkt hatte Hansson Recht: Die Grönland-Garnelen auf Avocadocreme, die Poulardenbrust am Spinat und die Birnencreme mit Eisnocke zeugten davon. Wie hatte die Frau in kurzer Zeit soviel fertig kriegen können?
Allein, Hansson aß kaum etwas.
“Sie wissen, warum ich Sie eingeladen habe?” Der Tisch war abgeräumt, ich fühlte mich satt.
Er saß am anderen Ende des Tisches, sah mich an und lächelte versonnen. Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen. Versuchte der Mann gerade meine Gedanken zu lesen?
Er lächelte weiter, schaute mich unverwandt an und sagte: “Glauben Sie mir jetzt, was ich Ihnen damals erzählt habe?”
Ich wollte den Kopf schütteln, stattdessen hielt ich nur seinem Blick stand.
Die Asiatin trat an seine Seite und zischelte ihm etwas ins Ohr. Er schaute auf und nickte dann leicht.
Daraufhin verließ die Kleine den Raum und kurze Zeit später hörten wir, wie die Haustür ins Schloss fiel. Wir waren allein.
“Wie ist Ihre Antwort?”, fragte Hansson in die Stille hinein. “Wollen Sie meine Geschichte aufschreiben?”
Ich wusste es nicht; mir war klar, dass ich soviel Egozentrik selten erlebt hatte. Andererseits hatte es natürlich seinen Reiz, in die Geheimnisse dieses Mannes einzutauchen.
“Weshalb stellen Sie Fragen, wenn Sie Gedanken lesen können?”, antwortete ich stattdessen.
Was, wenn er überzeugt war, in anderer Leute Hirn schauen zu können und sich dabei irrte? Wie konnte ich den Unterschied feststellen?
“Gehen wir ins Rauchzimmer.”
Er stand auf und während wir den Raum wechselten, sagte er: “Gut möglich, dass ich mir das alles nur einbilde.” Er lächelte immer noch. “Aber unwahrscheinlich.”
Ich blieb stehen und er holte zwei Cognacgläser aus einer Vitrine hervor, dazu eine Flasche. Er wies auf zwei Sessel vor dem Kamin und hielt mir eine Zigarrenschachtel hin. Doch ich konnte mich nicht setzen.
Verblüfft stand ich vor der einen Wand, an der unzählige Fotografien hingen, die nur eine Frau in verschiedenen Versionen zeigten.
“Morena”, sagte Hansson und prostete mir leicht zu. “Meine Frau.”
Die Abbildungen umfassten einen kleinen Zeitraum, keine zehn Jahre. Die Frau war jung und schön, doch trotz der Jugend bargen ihre Augen die Erfahrung eines reifen Menschen.
“Sie war sechzehn, als wir uns kennenlernten. Mit achtzehn hat sie mich geheiratet.”
Sein gesundes Auge erlangte Strahlkraft zurück.
“Mit vierundzwanzig starb sie. Der moderne Teufel Krebs.”
Was sollte ich sagen, es hätte sich alles falsch angehört.
“Die acht Jahre, die ich Morena kennen durfte, waren die entspanntesten meines Lebens. Ohne Frage war und ist Morena mein Lebensmittelpunkt.”
Ich hoffte, er würde nicht weinerlich werden, dass ich zu hören bekäme, er würde seiner Frau bald nachfolgen. Etwas in der Art.
“Ich werde Ihnen nicht erzählen, dass ich bald mit ihr vereint sein werde. Einfach deshalb, weil ich nie von ihr getrennt war.”
Das Feuer im Kamin knisterte, als würde es leise lachen. Die Nächte konnten jetzt wieder empfindlich kalt sein.
Ich nahm den Cognac vom Tisch und setzte mich ihm gegenüber.
“Wie haben Sie sie kennengelernt?”
“Sie war die Stieftochter meines Bruders. Wir standen uns nie besonders nahe, mein Bruder und ich. Er war immer der Bodenständige von uns, meinem Vater ähnlich. Zu seiner Hochzeit dann hatte er mich eingeladen, und dort traf ich Morena.”
“Ungewöhnlich, ein so junges Mädchen und Sie als ... reifer Mann.”
Er lachte.
“Morena war nie Kind, zumindest hatte ich den Eindruck. Sie war immer erfahrener als wir alle zusammen. In diesem Sinne war sie genauso Außenseiter wie ich selbst.”
Er sog an seiner Zigarre und hüllte sich in Qualm ein.
“Was meinen Sie, gibt es die ewige Liebe?”, fragte er schließlich. “Die immerwährende, über den Tod hinausgehende Liebe?”
Ich war wieder aufgestanden und besah mir noch einmal die Fotografien von Morena Hansson. Dabei hatte ich den Eindruck, sie wären in chronologischer Reihe aufgehängt, der Zeit folgend.
“Weiß nicht”, erwiderte ich, ohne mich umzuwenden. “Ich denke, da ist viel Folklore dabei. Ist das hier Morena, als Sie sich kennenlernten?”
Ich deutete auf ein ovales Bild, das links oben hing, und drehte mich um.
Er nickte.
“Dann dokumentieren die Reihen der Fotos hier all die Jahre ihrer Bekanntschaft und Ehe?”
“Das ist richtig”, meinte er abwartend.
Die Abbildungen gegen Ende der Reihen zeigten eine Morena, die krank wirkte, abgezehrt. Nicht so die letzte.
“Und das hier am Schluss, das Bild auf dem sie die Augen geschlossen hat ...”
“Ja?”
“Da ist sie ...?”
“Tot, ja.” Er schien zu lächeln. “Sind Sie schockiert?”
Morena sah auf diesem Bild erstaunlich frisch und gesund aus. Wenn man nicht wusste, dass sie tot war, hätte man meinen können, sie sei erleichtert über irgendetwas.
“Sie war der einzige Mensch, den ich je ins Vertrauen zog”, sagte Hansson.
“Sie meinen, sie wusste von Ihrer Fähigkeit?”
“Natürlich. Ich hätte es nicht vor ihr geheim halten können. Wissen Sie, zwei Menschen, die sich wirklich zugetan sind, verschweißt eine besondere Bande. Das kommt dem Gedankenlesen sehr nahe. Die Mutter spürt, wenn es dem Kind schlecht geht, Zwillingsgeschwister stehen ein Leben lang in besonderer Verbindung. Ich meine, Sie können das als naiven Glauben abtun, aber Sie können die Tatsache selbst nicht leugnen. Es gibt da etwas, das zwischen Wesen vorgeht, einen Strang.”
“Wie erklären Sie sich Ihr Können?”
Ich glaubte ihm immer noch nicht.
“Sie glauben mir immer noch nicht.”
Er stand auf. Nachdem er seinen Morgenmantel enger geschlungen hatte, legte er einige Holzscheite auf das Feuer, dann schenkte er jedem von uns nach. Schließlich setzte er sich mit leisem Stöhnen wieder in seinen Sessel.
“Wie erklären Sie sich Ihre Gedanken?”, fragte er mich. “Haben Sie jemals eine gute Theorie dafür gefunden, woher eine blendende Idee kommt oder wie diese zustande kam?”
“Nun, man nennt es Inspiration.”
“Ganz genau. Und die ist als solches nicht erforscht. Ich meine, wer weiß schon, was in unserem Gehirn vorgeht, wenn es arbeitet, wenn wir schlafen. Diese weiß-graue Masse, Ansammlung von Nerven- und Gliazellen, die da miteinander kommunizieren, Verschaltungen aufbauen und abreißen lassen.”
Er dozierte und ich hatte den Verdacht, dass er lange keinen Besuch gehabt hatte. Außerdem war ich müde. Der Tag war lang gewesen und ich fühlte mich wie erschlagen.
“Also gut”, sagte er. “Wir haben morgen mehr Zeit, es ist spät geworden. Ich werde noch etwas wach bleiben, Sie wissen ja, wo Ihr Zimmer ist. Gute Nacht.”
Ich sollte also für Ole Hansson den Biografen spielen; er hatte mich ausgewählt, und zwar damals schon, als wir uns das erste Mal begegnet waren. Vielleicht war ich ihm wegen meiner Gedanken aufgefallen.
Ich schlief schlecht. Nicht ungewöhnlich, immerhin war ich in der Fremde. Als ich Durst bekam – einen wirklich schlimmen Durst – stand ich auf und tapste hilflos durchs Haus. Amüsiert dachte ich bei mir, dass der Hausherr eigentlich zu Diensten sein und etwas zu trinken bringen sollte. Immerhin müsste er von meinem Verlangen wissen.
Ich fand die Küche, trank ein Glas Wasser und nahm mir eines mit aufs Zimmer.
Auf meinem Weg zurück fiel mir die perfekte Stille in diesem Hause auf; es war rein gar nichts zu hören. Eine unheimliche Ruhe. Dafür meinte ich einen feinen, absonderlichen Geruch wahrzunehmen, den ich nicht lokalisieren konnte. Auch war nicht sagen, worauf er schließen ließ.
Trotzdem mich dies beschäftigte, fiel ich in einen ruhigen Schlaf, der bis zum Morgen anhielt.
Ich war nicht erfrischt, als ich aufstand, aber dies war ein jungfräulicher Tag und das Sonnenlicht war Ansporn für neue Projekte.
Also legte ich meine Utensilien zusammen und wartete auf Hansson. Ich wollte mit den Aufzeichnungen beginnen, um möglichst schnell fertig zu werden, doch Hansson tauchte nicht auf. Er schien Langschläfer zu sein, vielleicht hatte dies auch mit seiner Krankheit zu tun. Denn ich ging davon aus, dass er krank war, hatte er doch geschrieben, bald sterben zu müssen.
So striff ich durchs Haus, bewunderte die schweren Möbel in der Halle und die Gemälde im oberen Flur.
Dann ging ich hinaus, das Wetter war schön, so dass ich den riesigen Garten erkunden konnte.
Zum Nachmittag dann erschien Hansson, er sah übernächtigt aus und machte den Eindruck, als hätte er geweint.
“Wir wollen beginnen”, sagte er ohne Begrüßung und ging ins Haus zurück. Er strebte hinauf in sein Arbeitszimmer, und ich war gezwungen, ihm zu folgen.
“Setzen Sie sich!” Ein Schreibtisch, an dem schon Bismarck seine Dekrete unterschrieben haben mochte. Er hockte sich mir gegenüber, Papier und Stift lagen bereit. Er hatte alles vorbereitet.
Also fingen wir an. Zwar plagte mich Hunger – ich hatte an diesem Tag noch nichts zu mir genommen – aber ich sagte nichts, vertröstete mich aufs Abendbrot.
Hansson begann zu erzählen, zunächst stockend, die Arme um den Körper geschlungen. Doch immer mehr öffnete er sich und es sprudelte aus ihm heraus, so dass ich kaum folgen konnte, mir Notizen zu machen.
Irgendwann nach zehn machten wir Schluss. Es war längst dunkel, mir tat die Schreibhand weh und auch Hansson wirkte erschöpft. Wir waren gut vorangekommen, er hatte mir von seiner Kindheit erzählt, von seiner Schwester, die früh starb und von den ersten Sätzen, die er hörte, obwohl niemand sprach.
“Sie müssen sich hier wie zu Hause fühlen”, sagte er, als wir ein improvisiertes Abendessen einnahmen. "Es geht mir oft nicht gut, so dass Sie sich hin und wieder selbst versorgen müssen. Sie wissen ja, wo die Küche ist, und haben auch sonst überall Zugang.”
Er verabschiedete sich, nachdem er zu Ende gegessen hatte und zog sich zurück. Mir blieb nichts, als dasselbe zu tun und zu versuchen, die Aufzeichnungen zu ordnen und einen ersten roten Faden zu finden.

Mitten in der Nacht wachte ich auf und meinte, ein Geräusch gehört zu haben. Es war still, alle Töne schienen weggesaugt. Wie in der letzten Nacht.
Ich legte mich wieder hi, als ich hochfuhr und zu zittern begann: Ein Schrei, zweifellos. Ein menschlicher Schrei.
Ich sprang auf, schlüpfte in die Schuhe und knipste die Lampe an. Ganz deutlich hatte ich vernommen, dass der Schrei “Morena!” lautete. Als ich zur Tür war und sie leise geöffnet hatte, atmete der Flur dahinter nur mehr Stille. Kein Laut, keine Bewegung.
Aber ich war mir sicher!
Morgens dann, erschien es mir wie ein Traum.
Hansson war nirgends zu sehen, also nahm ich ihn beim Wort und suchte mir in der Küche etwas zu essen.
Die kleine Asiatin erschien im Laufe des Vormittags und füllte die Vorräte nach. Sie lächelte und schwieg, so dass ich annahm, sie würde mich nur schlecht verstehen.
Doch als ich meinen Kaffee getrunken hatte, fragte sie mich, ob sie die Tasse abwaschen könne – ohne jeden Akzent. Ich wurde mir meiner Vorurteile bewusst und schämte mich.
Ich fragte, wie lange sie schon für Hansson arbeite. Ein knappes Jahr, meinte sie.
Als ich mich nach Hanssons Krankheit erkundigte, antwortete sie, sie wisse davon nichts. Aber hatte sie nicht gehört, dass der Hausherr nicht mehr lange zu leben habe? Nein, davon sei ihr nichts bekannt.
Da kam ich mir dumm vor und als ich ihren fragenden Blick sah, hatte ich das Gefühl, einen Fehler gemacht zu haben.
Hansson war schlecht gelaunt, als er auftauchte, Shi Lann war verschwunden und hatte Ordnung hinterlassen.
“Sie haben schlecht geschlafen”, sagte Hanssson mürrisch. “Ich spüre es.”
“Mir war, als hätte ich Stimmen gehört.”
“Das kann nicht sein.” Er sah mich nicht an. “Wir sind allein hier.”
Er wirkte abgespannt und genervt, aber nicht unbedingt krank.
Er blickte mich lange an, mit diesem einen, durchdringenden Auge. Dann seufzte er und sagte: “Wenn ich Ihnen schrieb, dass ich bald sterben würde, dann war das ernst gemeint.”
Eine gespannte Stille baute sich auf.
“Wollen wir arbeiten?”

“Ich brauchte lange, bis ich mit der Fähigkeit umgehen konnte.” Hansson lief auf und ab, während ich an seinem Schreibtisch saß.
“Wie muss ich mir das vorstellen – Gedankenlesen? Ist das Gehirn anderer Leute für Sie ein offenes Buch?”
“Ich habe mich nie damit abfinden können. Es war schwer, herauszufinden, was da so schlimm in meinem Kopf palavert.”
Er stoppte seinen Gang und zündete sich umständlich eine Zigarre an.
“Wissen Sie, alle Welt ist der Meinung, es wäre wichtig, neue Informationen aufzunehmen und zu speichern. Dabei ist es evident, unwichtige Informationen herauszufiltern. Und überlebenswichtig ist es, diese nutzlosen Nachrichten loszuwerden, aus dem Speicher zu löschen. Die wirklich relevanten Nachrichten zu trennen vom Wust unwichtiger Daten.”
Ich begann zu ahnen, worauf er hinauswollte.
“All der Faktenmüll, nutzlose Bits in Unzahlen. Jeder Gedanke, jede noch so winzige Idee, das Aufflackern des geringsten Impulses der Synapsen. Nichts ging an mir vorbei: Die Fragezeichen des Kindes an der Hand der Mutter, das Luftanhalten der Frau, wenn der fremde Mann sie anspricht. Ich bekam das leise Zucken der Nervenbahnen mit, wenn den Mann die Mücke stach; die unwillkürlichen Befehle an seine Muskeln, das Tier wegzuwischen. Alles, die kleinste Nuance in den Aktivitäten der Neuronen der Menschen bekam ich mit. Es war grausam.”
Er beugte sich über den Kamin und strich vorsichtig die Asche von der Zigarre.
“Zumal mir schnell klar wurde, dass ich diese Fähigkeit für mich behalten musste.”
“Niemand weiß davon?”
“Niemand, bis jetzt außer Ihnen.”
Er lächelte.
“Und Morena”, sagte ich.
“Ich hatte versucht, meiner Mutter davon zu erzählen. Die Eindrücke waren frisch, die Wahrnehmungen regneten auf mich herab, ohne dass ich mich wehren konnte. Ich weinte, als ich ihr davon schilderte. Sie drehte ihr Gesicht weg und sagte in eine andere Richtung: ‚Unsinn, was du da erzählst. Ole, sei nicht verrückt!‘ Sie gab mir einen Kuss, ohne mich anzusehen und verließ das Zimmer.”
Ich unterbrach das Schreiben.
“Hatte sie womöglich dieselbe Gabe?”
“Ich weiß es nicht. Ich habe nie wieder versucht, ihr davon zu erzählen.”
“Aber Morena haben Sie davon erzählt.?”
“Es war wieder einmal schlimm. Es kommt schubweise, Phasen, in denen ich weniger in der Lage bin, das nutzlose Gewäsch abzuhalten. Ich komme mir vor wie eine Mauer, die immer mehr nachgibt unter dem Anrennen der Horden. Ich fühlte mich krank und hilflos und habe Morena alles erzählt.”
Er stand mitten im Raum und starrte aus dem Fenster.
“Und wie hat sie reagiert?”
Er lächelte wieder. “Sie nahm meinen Kopf in ihre Hände und streichelte mich. Kein Geschrei, kein Staunen.”
“Morena.”
“Ja, Morena.”
Er setzte sich und ich beugte mich über die Notizen.

Weit nach Mitternacht zog ich mich schließlich zurück. Regen hatte eingesetzt, ums Haus strich Wind wie ein räudiger Hund.
Als ich endlich im Bett lag, schwirrte mir der Kopf von den Gesprächen mit Hansson. Nach und nach begann ich ihn zu verstehen, es gelang mir, eine Schicht auf die andere von ihm zu lösen. Allein, das Innere hatte er mir noch nicht dargeboten.
Die Lampe brannte, als ich erwachte, meine Notizen waren auf den Boden gerutscht. Es war halb drei und mein Mund war trocken wie ein Staublappen.
Das musste an der Luft liegen. Oder an diesem seltsamen Geruch.
Als ich den Gang entlang schlich, fiel mir auf, dass die Tür zum Schlafzimmer meines Gastgebers nur angelehnt war.
Im Erdgeschoss auf dem Weg in die Küche nahm ich hinter einer Tür eine Bewegung wahr. Ich ging darauf zu – sie lag am äußersten Ende des Flures – und schaltete die Taschenlampe aus.
Dort lauschte ich, die Stille schien mit einem Mal aus tausenderlei unterschwelligen Geräuschen zu bestehen, doch sie waren nicht fassbar.
So stand ich im Dunkeln mit dem Ohr am Holz und versuchte, nicht zu atmen. Kein Ton, trotzdem war ich sicher, etwas gehört zu haben. Außerdem leuchtete ein schwacher Lichtschein unter der Tür hervor. Jemand befand sich auf der anderen Seite.
Vorsichtig griff ich zur Klinke und presste sie hinunter. Mit sanftem Druck ließ sie sich bewegen, doch bevor ich die Tür öffnen konnte, ertönte ein Stöhnen von drinnen. Ich zuckte zurück.
“Gehen Sie!”, rief jemand.
Ich hastete davon.
Als ich im Bett lag – an Schlaf war nicht zu denken – fiel mir ein, dass ich noch immer nichts getrunken hatte. Doch ich stand nicht mehr auf, ich warf mich unruhig und voller Fragen von einer Seite auf die andere.

Am Morgen dann dasselbe Bild wie schon vorher, der Hausherr war nicht zu sehen, seine Schlafzimmertür fest verschlossen. Die Frage, was er des Nachts in diesem bestimmten Zimmer tat, ließ mir keine Ruhe.
Ich ging schließlich in die Stadt und kaufte Lebensmittel, um mich zu revanchieren für Kost und Logis. Hansson schien es nicht zu bemerken.
Wir arbeiteten abends, bis spät in die Nacht. Dann saßen wir meist auf ein Glas Cognac, eine Zigarre und ein paar Gedanken beisammen, bis ich mich zurückzog in mein Zimmer. Für Hansson schien dann erst der Tag zu beginnen; ich bemerkte, wie er auflebte, er bekam wirklich Farbe.
Doch ich wusste nicht, was er trieb, während ich schlief. Ich wagte nicht zu fragen und ich scheute mich davor, ihm hinterher zu spionieren. Ich ertappte mich sogar dabei, wie ich versuchte, meine Gedanken vor ihm zu verbergen. Doch ich wusste, die meiste Zeit hielt er sich abgeschottet.
“Millionen kleine Vögel, die an einem Körnerkolben picken, so fühlt es sich an.”
Er erzählte viel von Morena und noch mehr von seinem Leiden.
“Wissen Sie, schlimm ist es in der Nähe von Krankenhäusern.”
Ich konnte die Feder übers Papier kratzen hören, und auch, wie sie abrupt stillstand.
“Hospitäler, Altenheime, Sanatorien – der Schmerz ist universal. Dagegen kann ich mich nicht schützen. Die Gedanken sind so rein, so klar und nur auf eines konzentriert. Morena wurde schwächer und es ließ sich nicht vermeiden, sie in eine Klinik zu bringen. Medizinische Geräte waren vonnöten. Als wir hinfuhren ... ich war nicht darauf gefasst. Als würden sich tausend Hände zu mir recken und um Hilfe betteln.”
Er setzte sich, stützte seine Hände auf die Knie und hing für einen Augenblick seinen Gedanken nach.
“Dabei ist es sonst anders. Wissen Sie, was das vorherrschende Wort ist in dem Gedankenmeer, das mich umtost?”
Ein wenig vom alten Trotz erschien in seinem Blick. “,Ich‘!”, sagte er. “Es geht nur um das ,Ich‘, ,meins‘, mir. ,Ich‘, ,mich‘!”
Mir war nicht klar, ob ich mitschreiben sollte.
“Ganz selten hört man “,Wir‘, schon gar nicht ,Ihr‘ oder ,Euer‘. Außer, es geht um Schuldzuweisungen. Wir alle auf dieser Welt, Sie und ich, alle, wir sind jeder für sich ein abgeschlossenes Universum, abgeschottet und einsam dahintreibend. Eine Welt voll unzähliger kleiner Welten. Nur manchmal, sehr sehr selten, gelingt es zwei dieser Blasen, sich zu vereinen, zu einer zu werden und gemeinsam durch dies Jammertal zu treiben.”
Ich schrieb nicht mit, wenn ich diese Worte nutzen wollte, konnte ich sie später aus dem Gedächtnis notieren.
“Wenn man dann wieder getrennt wird ...” Hanssons Stimme kippte. “Ist es um so schlimmer.”

Ich interessierte mich mehr und mehr für das Zimmer, in dem Hansson die Nächte verbrachte. Es fiel auf, dass der seltsame Geruch dort herstammen musste; obwohl ich ihn immer noch nicht deuten konnte, ahnte ich doch eine Richtung. Es war ein chemisches Aroma, das aus dem Zimmer drang, ein künstlich erzeugter, strenger Hauch.
Ich wagte nicht, Hansson nach dem Zimmer zu fragen, also wartete ich bis Shi Lann wieder Dienst tat und sprach sie darauf an.
Sie sah mich mit glänzenden Augen an und gab mir zu verstehen, dass dieser Raum Morenas gewesen und niemandem der Zutritt erlaubt war.

Ich durchstriff das Gebäude, die Dunkelheit war Leere, kein Mensch im Haus, außer – das fühlte ich – in Morenas Zimmer. Ich fragte mich, ob man Finsternis spüren kann.
Mein Kopf war ein Bollwerk, die Gedanken Gefangene. Niemand konnte helfen, außer Hansson selbst.
In jedem Gespräch, mit jedem Thema schien er mich darauf deuten zu wollen: Morenas Zimmer. Das Geheimnis von Ole Hansson, sein Innerstes, das Elixier befand sich im ehemaligen Domizil seiner Frau.
Der Raum war Zentrum und Mittelpunkt dieses Hauses, und in der Folge schien ich mich wie ein Tropfen im Becken mit Macht immer näher an den Abgrund zu bewegen. Der Mahlstrom.
Das gesamte Gemäuer war schwarz, nur aus einem Raum drang Licht, ein schmaler Spalt. Es war wie eine Einladung.
Mit der Sicherheit des Träumenden strebte ich darauf zu; koste es, was es wolle, ich musste wissen, was dahinter war.
Das Licht hatte einen behaglichen Schein, es war warm und einladend.
Ich sah, wie sich meine Hand auf die Klinke legte und der Tür einen sanften Stoß gab. Der Eingang öffnete sich, das Holz zerteilte die Luft, der Blick wurde frei auf das Innere des Zimmers.
Das Inventar – liebevoll ausgesucht und drapiert, die Atmosphäre – behaglich. Es schien, als wäre das Zimmer bewohnt.
Hansson war anwesend, er saß in einem Sessel, den Morgenmantel nachlässig übergeworfen und schien zu schlafen.
Vor ihm stand ein großes Bett, und als ich sah, was darauf lag, musste ich mich umdrehen. Ich blickte noch einmal hinein, es war kein Zweifel möglich.
Er hält ihre Hand, dachte ich erschüttert. Er streichelt sie. Oder was davon übrig ist.
Ich lief davon, durch den Gang und dann die Treppe hinauf in mein Zimmer. Es war unmöglich, dass er mich nicht gehört hatte

Am Morgen war er zeitig wach und wir frühstückten gemeinsam, was noch nicht vorgekommen war. Ich war aufgewühlt und sicher war es mir anzusehen. Hansson hingegen sah so müde aus, als käme die Erschöpfung von innen.
Nervös kaute ich an meinem Toast und vermochte nicht, ihn aus den Augen zu lassen, als er sagte: “Was werden Sie über mich schreiben?”
“Wie bitte?”
Eine Frage, die ich nun gar nicht erwartet hatte. Der Mann wusste, dass ich sein Geheimnis gelüftet hatte, dass ich in sein innerstes Refugium eingedrungen war. Streng genommen hatte er es für mich geöffnet.
Was sollte ich sagen, ich hatte immer wieder das Bild vor Augen: Die Familie – glücklich vereint, Hansson, der alles zusammenhielt.
Und dieser furchtbare, schrecklich egozentrische Mensch war nur daran interessiert, wie ich ihn für die Nachwelt darstellte.
“Sie haben nichts begriffen!” Ich hatte nicht bemerkt, dass er mich anstarrte. Traurig und in sich versunken ruhte sein Blick auf mir.
Ich hörte auf zu kauen, eine Idee durchzuckte mein Hirn. Ich konnte sie nicht fassen, aber die Spur davon blieb zurück.
Hansson hatte seine tote Frau bei sich behalten, er hatte sie aufgebahrt und Nacht um Nacht an ihrem Bett gesessen. Er hatte sie sogar auf Reisen mitgenommen.
“Keine Geheimnisse”, sagte er lächelnd.
Er hatte neben ihr gesessen.
“Nur mit ihr bin ich Mensch.”
Ihre Hand gehalten und die Augen geschlossen.
“Ich hätte nicht überleben können ohne Morena.”
Morena Hansson war auf gewisse Weise immer noch schön. Trotz des Verfalls und der Schwäche des Fleisches, der Auflösung, die auch mit chemischen Mitteln nicht aufzuhalten war.
“Es war jedes Mal die Hölle, von ihr getrennt zu sein.”
Hansson saß und hielt die Hand seiner Frau. Er hatte die Augen geschlossen.
“Es brauchte eine Zeit, bis Sie verstanden. Ein wenig Überzeugung.”
Der Gedanke – die Idee!
Hansson sah mich erwartungsvoll an.
Die Augen geschlossen, ebenso sie. Volle Konzentration.
“Sie stehen in Kontakt mit ihr”, sagte ich entsetzt.
Er nickte.
“Sie können noch immer ihre Gedanken lesen. Ihre Frau ...” Ich musste aufstehen, dabei riss ich einen Teil des Geschirrs zu Boden. “Ihre Frau hat noch immer Gedanken!”
Ich stolperte aus der Küche, Hanssons Miene war Bestätigung. Keuchend erreichte ich mein Zimmer. Ich zitterte am ganzen Körper und die Lungen zogen sich mir zusammen.
Hastig knallte ich meinen Koffer aufs Bett und warf die wenigen Sachen hinein, die fehlten. Das Gefühl der Bedrängung verstärkte sich, ich rannte zum Fenster, riss die Vorhänge auseinander. Das Licht strömte herein und breitete sich aus wie eine Armee. In diesem Moment ertönte ein Schuss.
Nicht laut, aber ich hörte ihn so deutlich, als wäre er neben mir abgefeuert worden.
Ich stürzte zur Tür und eine Etage hinab. Es war noch immer dunkel im Haus, nur aus ihrem Zimmer drang Licht.
Stille drinnen, wie auf einem Friedhof.
Ich betrat Hanssons Refugium, Morena war da, Hansson.
Morenas Mund – eine Öffnung in zerfallendem Fleisch.
Hansson lag neben ihr, das Loch in seinem Schädel kaum zu erkennen, die Pistole war auf den Boden gerutscht.
Auf dem Sessel neben dem Bett lag ein Zettel mit einem kurzen Satz, dessen Inhalt mich bis heute verfolgt:

“Es ist vorbei, ihre Gedanken sind versiegt!”

 

Ich weiß nicht, ob ich das hier tun sollte. Ich tue es trotzdem.

Thema des Monats: Es wird schaurig.
Da dieses Stück hier geschrieben wurde, um beim Anthologie-Wettbewerb "Die bizarre Welt des Edgar Allan Poe" eingereicht zu werden (und nur das, sie wurde abgelehnt, wie die meisten anderen auch), denke ich mal, dass sie hierher passt.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Hanniball

Man konnte ihm praktisch überhaupt nicht entkommen, nicht in dieser Zeit, nicht in dieser Stadt.

"praktisch überhaupt" - sagt nichts aus, kann raus

Das lag zu einem nicht unerheblichen Teil daran, dass unserer beiden Arbeitszeiten (wenn man davon reden wollte) ganz und gar gegensätzlich waren.

"ein nicht unerheblicher Teil" - finde ich kein schönes Konstrukt, ist aufgebläht, klingt umständlich. Warum nicht einfach weglassen? Schließlich wird sonst kein Grund genannt, weshalb sich beide nicht über den Weg laufen.

Er hatte des Abends seine Auftritte, da saß ich in meinem Zimmer und brütete noch über den Aufzeichnungen des Tages oder ich schlief schon.

Ich hab so meine Probleme mit der Sprache in dem Text. "des Abends" - das ist auf altmodisch gebürstet, wird aber nicht konsequent durchgehalten und klingt deshalb nicht authentisch. Zumal ich auch nicht das Gefühl habe, der Text spiele vor hundert Jahren - irgendwo wird nachher die Telefonnummer der Schwiegermutter erwähnt, da sehe ich den Text dann eher in der Gegenwart.

und war im Nu war er hinter einer Tür verschwunden, die wer weiß wohin führte.

ein "war" zu viel

doch als er sich umdrehte und seinen eher verängstigten Blick durch die Lobby schickte,

Auch "eher" ist so ein Wort, das in dem Satz nichts verloren hat. Solche Wörter machen die Bilder schwächer, mir sind auch zu viele "schien"s und "scheinbar"s etc. in dem Text. Das klingt immer, als wölltest du dem Leser ein Bild zeigen, aber doch nicht so richtig. Wie wenn Leute Sätze sagen, die mit "Ich würde sagen" beginnen.

erkannte ich den furchtbaren Makel in seinem Gesicht.

Ich wundere mich ein wenig, ist doch am Anfang die Rede davon, dass ihn die ganze Welt kannte und überall Plakate hängen und so. Und dem Erzähler fällt das mit dem Auge erst auf, als er ihn zum ersten Mal sieht?

Hansson war Gedankenleser, einer jener Gaukler, die ihren Schabernack mit dem Publikum treiben, indem sie vorgeben, in den Kopf des Mediums schauen und seine innersten Regungen erkennen zu können.

Gaukler, Schabernack - so redet heute ja niemand mehr, also spielt der Text schon weit in der Vergangenheit. Ich fände es schöner, wenn du das klarer herausstellen würdest.

Mir hat der erste Absatz als Einstieg in die Geschichte nicht so gut gefallen. Ich finde ihn umständlich, die relevanten Informationen könnte man knapper und packender übermitteln. Bspw. könntest du direkt mit dem Schrei an der Rezeption einsteigen, so dieses Geplänkel davor, dass sich beide erst nach zwei Wochen im Hotel begegnen etc., das finde ich unnötig.

„Alle Welt schaut auf das schielendes Auge“

schielende

Es war früher Abend, ich hatte noch immer die Hoffnung, zu meinen Papieren zurückzukehren.

Ich finde den Satz in dem Kontext, in dem er steht, seltsam. Ich hatte nicht den Eindruck, der Erzähler geht ungern mit Hansson mit, also warum will er (zeitig - wie es der Satz suggeriert und das man auch noch einfügen könnte) wieder zurück ins Hotel?

Als ich antworten wollte, setzte er hinzu: „Wissenschaftlichen Kram, nicht?“

Wissenschaftlicher Kram

„Wieso kommen Sie nicht mit? Einen Platz für Sie finden wir allemal.“

Mir ist über die ganze Geschichte nicht klar geworden, was die beiden aneinander bindet. Warum vertraut sich Hansson dem Erzähler an, warum verbringt der plötzlich einige Tage in seinem Haus? Das kam mir immer konstruiert vor, weil es die Geschichte so braucht. Eine echte Intention für dieses Verhalten sehe ich weder bei Hansson noch beim Erzähler.

Niemand, außer der Zuschauer, der ihn versteckt hatte, wusste, wo sich der Schlüssel befand.

Etwas verschachtelt, vielleicht besser: "Bis auf den Zuschauer, der ihn versteckt hatte, wusste niemand, wo sich der Schlüssel befand."

Ohne Verzögerung musste er sich den Schlüssel besorgen, um sich befreien und den Weg aus dem nassen Grab finden zu können.

Warum Grab? Es ist nur Wasser, in dem bislang niemand gestorben ist, da ist der Begriff mMn unangebracht.

„Nein.“ Er wurde ernst. „Seit meiner Kindheit kann ich in die Gedanken meiner Mitmenschen lesen.“

ohne "in"

„Wenn Sie Gedankenlesen können“,

Ich muss zugeben, ich bin nicht ganz sicher, aber wenn das Wort als Verb gebraucht wird, müsste man es "Gedanken lesen" schreiben. Als Substantiv ist es so OK.

Das hat bis heute gut gewirkt., ich weiß nicht, warum ich letzte Nacht davon abweichen musste.“

Da ist ein Punkt zu viel.
Dieses "Ich weiß nicht, warum ich abweichen musste" ist eine "Verlegenheitslösung" (so hat mein alter Deutschlehrer solche Sachen genannt). Möchtest du die Hansson-Figur wirklich so anlegen, oder ist dir als Autor kein glaubhafter Grund eingefallen?

Aber niemals war es jemandem gelungen, den Ort eines Gegenstandes herauszufinden.

Verstehe den Satz nicht - von welchem Ort welchen Gegenstandes ist hier die Rede? Oder meinst du den Ort eines Gedankens?

Wie weit konnte man die Gedankenleserei in diese Richtung betreiben?
Und nachdem man am Lebensanfang war, wie stand es mit der anderen?

Ich bin hier über dieses "wie stand es mit der anderen" gestolpert, weil ich zunächst nicht gesehen habe, dass sich das auf "Richtung" im Satz zuvor bezieht, zumal dann auch "Lebensanfang" noch im selben Satz erwähnt wird. Da klingt der Bezug dann falsch. Ich würde hier explizit schreiben, was du meinst: "... wie stand es mit dem anderen Ende".

Die unterschwellige Traurigkeit hatte sich verstärkt und die Faszination, die seinem Wesen eigen gewesen war, zeigte sich jetzt bodenlos.

bodenlos - heißt doch so viel wie "sehr" oder "ganz arg" - die Faszination zeigt sich bodenlos - ich krieg da kein Bild hin, wie das gemeint ist.

Im Haus herrschte finstere Stille.

Das wurde zwei Sätze vorher schon erwähnt.

Er fasste sich und fragte: „Was wollen Sie trinken?“
„Morena war noch ein Kind, als wir uns kennenlernten. Sie war eine Tochter, welche die Frau meines Bruders mit in die Ehe brachte.“

Seltsamer Übergang - warum wartet Hansson nicht auf eine Antwort?

Und: Die Tochter der Frau meines Bruders mag technisch gesehen meine Nichte sein, aber verwandt ist sie nicht mit mir (so lange der Bruder nicht der Vater ist). Insofern ist eine Hochzeit in jedem Fall unproblematisch (wenn sonst keine Gründe, Alter etc. dagegensprechen).
Edit:: Habe gesehen, dass man auch in solchen Fällen von "Verwandschaft" sprechen kann. Insofern dann in Ordnung, ich war nur etwas verwundert, weshalb diese Selbstverständlichkeit (die unproblematische Hochzeit) im Text dennoch thematisiert wird.

Ich breche mal ab an der Stelle - mir kommt der Text vor wie eine Rohfassung, die noch dringend überarbeitet werden muss. Hat mir weder von der Sprache noch von den verwendeten Bildern gefallen, ich finde das ganze auch - wie den Einstieg - umständlich erzählt. Da kommt für mich kein Sog zustande, der mich in die Geschichte zieht, der mich den Figuren mit Interesse folgen lässt. Zu oft bleibe ich irgendwo hängen.

Natürlich hab ich den Text trotzdem zu Ende gelesen. Eigentlich eine schöne Idee, auch die Qualen einer solchen Gabe in den Vordergrund zu stellen. Zum Ende hin bekommt dann auch diese Rubrik ihre Berechtigung, wie Hansson die Hand seiner toten Frau hält, das fand ich ein stimmungsvolles Bild und die Szene auch schön erzählt (wenn ich auch nicht verstehe, warum der Erzähler den Leichnam nicht riecht). Auch den Ausgang finde ich gut gelöst, also Potential wäre auf jeden Fall da.

Insgesamt überzeugt mich der Text aber nicht. Meine Kritikpunkte hab ich ja eingebracht. Hoffe sie sind nachvollziehbar und geben dir den einen oder anderen Anhaltspunkt, den Text zu verbessern.

Grüsse,
Schwups

 

Hallo Schwups!

Schönen Dank für die schnelle, die umfangreiche und kritische Antwort. Ich hab mir jeden Satz zu Herzen genommen, es ist natürlich immer eine Meta-Ebene vorhanden, auf die man die Schuld zwar nicht abwälzen kann, die man aber mit einbezieht, und die man eventuell ändern muss. (Was heißt eventuell, natürlich auf jeden Fall!)

Soweit ich das sehen kann (hab nicht viel Zeit [Meta-Ebene]) hast du mit allen Kritikpunkten Recht, mal vollständig und uneingeschränkt und auch mit Abstrichen.


Man konnte ihm praktisch überhaupt nicht entkommen, nicht in dieser Zeit, nicht in dieser Stadt.

"praktisch überhaupt" - sagt nichts aus, kann raus

Natürlich, ohne Frage!


Ich hab so meine Probleme mit der Sprache in dem Text.

Unterschwellig ging mir das wohl ähnlich, die Sprache in der Poe schrieb, ist nicht zu leicht zu sprechen. Wenn man versucht das zu kopieren, geht das in die Hose.
Was man selbst oft genug predigt.


doch als er sich umdrehte und seinen eher verängstigten Blick durch die Lobby schickte,

Auch "eher" ist so ein Wort, das in dem Satz nichts verloren hat. Solche Wörter machen die Bilder schwächer, mir sind auch zu viele "schien"s und "scheinbar"s etc. in dem Text.

Ja. Es hätte der Erklärung gar nicht bedurft, habe ich ja selbst so häufig gepredigt. Und das ist eigentlich so klar!


erkannte ich den furchtbaren Makel in seinem Gesicht.

Ich wundere mich ein wenig, ist doch am Anfang die Rede davon, dass ihn die ganze Welt kannte und überall Plakate hängen und so. Und dem Erzähler fällt das mit dem Auge erst auf, als er ihn zum ersten Mal sieht?

Gut, hier könnten wir diskutieren. Ich könnte argumentieren, dass man auf den Plakaten sicher nicht den Makel des Mannes zur Schau stellen würde.
Du würdest sagen, ja, aber das ist sein Markenzeichen, zumindest müsste der Protagonist davon gehört haben.
Der Einwand ist auf jeden Fall berechtigt.


Möchtest du die Hansson-Figur wirklich so anlegen, oder ist dir als Autor kein glaubhafter Grund eingefallen?

Ja, ich glaube, darauf läuft es zu 90 Prozent der Fälle hinaus.


Und: Die Tochter der Frau meines Bruders mag technisch gesehen meine Nichte sein, aber verwandt ist sie nicht mit mir (so lange der Bruder nicht der Vater ist). Insofern ist eine Hochzeit in jedem Fall unproblematisch (wenn sonst keine Gründe, Alter etc. dagegensprechen).
Edit:: Habe gesehen, dass man auch in solchen Fällen von "Verwandschaft" sprechen kann. Insofern dann in Ordnung, ich war nur etwas verwundert, weshalb diese Selbstverständlichkeit (die unproblematische Hochzeit) im Text dennoch thematisiert wird.

Meines Wissens hatte Poe dasselbe Problem.

Natürlich hab ich den Text trotzdem zu Ende gelesen.

Dieser Satz war wie ein Nadelstich!

Ich habe auch die Änderungen deiner Kritik herausgefunden, ich hatte sie in der Nacht schon gelesen, Zeit gehabt drüber nachzudenken, um sie dann nochmals vorzunehmen.

Gut, du hast natürlich Recht, an mir liegt es, herauszufinden, woran es nun gelegen hat.
Wieder einmal keine gründliche Überarbeitung, denke ich. Nicht der nötige Ernst, die Hingabe an den Text.
Ich werde mich zeitnah damit beschäftigen. :D Das heißt also in den nächsten Tagen.


Danke dir!

Schöne Grüße von diesseits!

 

Hallo Hannibal,

die Idee zum Text finde ich wunderbar. Was hier immer wieder als Gabe genannt wird, ist eigentlich ein Fluch. All die Gedanken zu lesen, macht ihn zum Freak, zum ewigen Außenseiter. Das Ende war auch wirklich stark. Unheimlich unheimlich diese Vorstellung. Nur kommt der Text etwas langsam in Fahrt. Dieses Kennenlernen, das Besäufnis. Das war mir eine zu lange Einleitung. Der Anfang könnte also eine Kürzung vertragen, während der zweite Teil des Textes in der Villa noch etwas erweitert werden könnte. Besonders bei den nächtlichen Spaziergängen hätte man ordentlich Spannung aufbauen können. Ein paar mehr Sinneseindrücke wären hier schön gewesen. Diese dunklen, verlassenen Flure, die Gemälde. Das Geheimnis! Creepy! Klassisch, funktioniert aber immer wieder. Also da wäre mehr potential dagewesen. Nun ein bisschen was aus dem Text. Ich hab nicht genau darauf geachtet, aber hier bin ich hängen geblieben.

Man konnte ihm praktisch überhaupt nicht entkommen[/QUOTE
Man konnte ihm nicht entkommen. Dieses praktisch überhaupt nicht braucht es nicht. Aber das hat Schwups, der da ganz gewissenhaft gearbeitet hat, ja schon erwähnt.

und war im Nu war er hinter einer Tür verschwunden
Raus damit!

Nicht, seit meine Frau gestorben ist. Ich habe es geheim gehalten, selbst vor Menschen, die mir sehr nahestehen. Das hat bis heute gut gewirkt., ich weiß nicht, warum ich letzte Nacht davon abweichen musste.“
Da konntest du dich nicht entscheiden, ob Punkt oder Komma.

Er war nicht in seinem Bett.
... in seinem Bett gewesen.

Er fragte das so angstvoll, als sei er gar nicht an einer Antwort interessiert.
Das finde ich komisch. Natürlich interessiert ihn die Frage, ja, brennend sogar. Auch wenn er die Antwort nicht unbedingt von seinem Gegenüber erwartet.

Hansson hinen sah so müde aus, als käme die Erschöpfung von innen.
hingegen, oder? Egal, das kann eh raus. Der Satz funktioniert auch ohne sehr gut, besser.

Am Ende war ich doch froh, durchgehalten zu haben.

Grüße und einen schönen Sonntag

Hacke

 

Hallo Hacke,

schönen Dank erstmal, für die Mühe, fürs Durchhalten, für die Tipps.

Ich nehm das Teil nunächst raus, werde es mal überarbeiten (bin dabei), nach euren Hinweisen umbauen.
Schnellstmöglich stelle ich das Stück dann wieder ein und werde auch ausführlich nochmal antworten.

Schöne Grüße von meiner Seite!

 

Nimmt man die Zeit, die es gedauert hat, müsste hier mindestens der Nobel-Preis drin sein.
Ist er nicht, aber ich hab mir Mühe gegeben, da sich die Meta-Ebene nun überhaupt noch nicht verändert hat, musste ich die Überarbeitung eben strecken.

Ich hab die Story völlig neu geschrieben, dabei habe ich versucht, eure Kritikpunkte zu beherzigen. Dank an Schwups und Hacke und auch an Novak!

 

Hallo Hanniball

Nachdem ich die erste Version verpasste, du hattest sie vom Netz genommen, las ich nun die Neufassung. In Etappen zwar, obwohl es flüssig zu lesen ist, aber da ich momentan über keine freie Zeit verfüge und nur häppchenweise entspannende Momente suchen konnte.
Deine selbstkritischen Worte, mit denen du die erste Fassung kommentiert hattest, liessen mich etwas skeptisch ans Werk gehen. Zu Unrecht, wie ich alsbald feststellen musste, der Inhalt als auch die sprachliche Umsetzung faszinierte mich. Schmunzeln musste ich über die Namenwahl deines Protagonisten, Hanssen, die Assoziation zu Erik Jan Hanussen liegt auf der Hand.
Wie es enden würde, war mir klar, als dein namenloser Wissenschaftler – oder hatte ich diesen überlesen – das Geheimnis um das Zimmer lüftete. Dennoch blieb es mir bis am Schluss so stimmig, wenngleich, ich Hanssen erst auf die Mumie schiessen lassen hätte, als einen symbolischen Akt um auch Morenas Gedanken aufzuheben.

Ich finde es eine wunderbare Erzählung, nichts Makabres, das die Leser erschreckt und dennoch in der Zuordnung richtig, es gehört in dieses Genre, das Unbefangenen ein Schaudern entlockt. Den Erzählfluss fand ich angenehm, die Hinführung zur Lüftung des Geheimnisses ohne Übertreibungen aber doch spannungsbesetzt. Mir persönlich war es das Gelungenste von den Stücken, die ich von dir kenne. :thumbsup:

Meine nachfolgend kritischen Anmerkungen sind eher winzige Retuschen, in dem schönen Bild, das du zeichnetest. Nimm dir davon, was du für dich als richtig erachtest:

Ich bin es nicht gewohnt, dass man mich für dumm verkauft und Applaus dafür erwartet..

Am Ende ein Punkt zu viel.

Ich setzte mich,
er beugte sich vor.

Mitten im Satz, ein ungewollter(?) Zeilenumbruch.

Er wies auf zwei Sessel vor dem Kamin und hielt mir eine Zigarrenschachtel hin.

Klingt ungewöhnlich, das Bild zeigt mir eher ein Zigarrenkistchen aus edlem Holz gefertigt.

Der moderne Teufel Krebs.”

Das Moderne an dieser Krankheit ist nur die verbreitete Diagnostik und die Empfindung in der Gesellschaft, es sei an die heutige Zeit und deren Lebensform gebunden. In der griechischen Antike war sie bereits unter dem Namen Karkínos bekannt, womit das Tier benannt wurde. Der Arzt und Anatom Galenos von Pergamon beschrieb im 2. Jahrhundert die Namensherkunft, dass die Tumore einem Krebs ähnelten, wie ich mal in einer ironischen Weihnachtsgeschichte festhielt.

Er sog an seiner Zigarre und hüllte sich in Qualm ein.

Ich bin kein Zigarrenraucher, meine Davidoffs sind von jener Sorte mit Papier umhüllter Stäbchen, aber ich denke, die Geniesser der handgedrehten Tabakblätter wären entsetzt, wenn ihr bedachtes ziehen am Brandherd mit dem Wort sog umschrieben wird.

Auch war nicht sagen, worauf er schließen ließ.

Hier fehlt ein verbindendes Wort, vielleicht einfach „zu“.

So striff ich durchs Haus, bewunderte die schweren Möbel in der Halle und die Gemälde im oberen Flur.

Ungewöhnliche Wortwahl, die ich in keinem deutschen Wörterbuch ausmachen konnte. Wohl abgeleitet von streifte, doch wäre nicht dies die angezeigte Formulierung?

Ich legte mich wieder hi, als ich hochfuhr und zu zittern begann:

hin

Ein Schrei, zweifellos. Ein menschlicher Schrei.

Hier wirkte es mir markanter, das zweifellos würde sich mit dem zweiten Satz verbinden: Ein Schrei! Zweifellos ein menschlicher Schrei.

Als ich zur Tür war und sie leise geöffnet hatte, atmete der Flur dahinter nur mehr Stille.

Ist diese Sprachform nicht einzig regional verbreitet und wäre mit „an der“ verbreiteter?

Sie gab mir einen Kuss, ohne mich anzusehen und verließ das Zimmer.”

Hm, hier tangiert es meine Vorstellungskraft. Es kann nicht gemeint sein, dass sie die Augen geschlossen hatte. Wenn ich es sinngemäss interpretiere, dünkte mich besser: … ohne mich weiter zu beachten …

Nach und nach begann ich ihn zu verstehen, es gelang mir, eine Schicht auf die andere von ihm zu lösen.

um (Zumindest scheint mir dies die gängigere Wortwahl.)

Ich durchstriff das Gebäude, die Dunkelheit war Leere, kein Mensch im Haus, außer – das fühlte ich – in Morenas Zimmer.

Auch hier wieder, diese Eigenart der Wortwahl.

Es war mir ein Lesevergnügen, eine Erzählung, welche sich nach meiner Einschätzung gut in die Klassiker dieses Genres einfügt.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon!

Ich wusste gar nicht, ob das Teil überhaupt noch Aufnahme finden würde, deshalb bin ich umso erfreuter, so rasch von dir zu hören.

Deine selbstkritischen Worte, mit denen du die erste Fassung kommentiert hattest, liessen mich etwas skeptisch ans Werk gehen.

Deshalb sind wir doch hier, nicht? Und ich muss sagen, niemand verstand es bisher so gut, mir den Kopf zurechtzurücken, wenn ich mal etwas übermütig wurde.

Zu Unrecht, wie ich alsbald feststellen musste, der Inhalt als auch die sprachliche Umsetzung faszinierte mich.

Ich muss sagen, das Lob freut mich wirklich, denn ich weiß ja annähernd, wie du autoren-technisch tickst (ich hoffe, das war nicht zu missverständlich:D). Da es ja eigentlich eine Hommage an Poe war, gerade der Stil, der sich an den des Meisters anlehnte (man kann auch sagen, billig kopierte), habe ich bei der Überarbeitung Abstand genommen von Poe, bin aber offensichtlich zurück gekommen. Kein Wunder, bei dem Stoff.

Ich finde es eine wunderbare Erzählung, nichts Makabres, das die Leser erschreckt und dennoch in der Zuordnung richtig, es gehört in dieses Genre, das Unbefangenen ein Schaudern entlockt.

Schön, wie du das sagst, ich versteh es zwar nicht ganz (vielleicht auf der metaphorischen Ebene), aber ich freu mich drüber:shy:.


Deine Anmerkungen sind natürlich richtig. Wie immer kann ich nur bemerken, dass sich auch bei gründlichster Überarbeitung Fehler einschleichen. Ich werde mich drum kümmern.

Danke dir, lieber Anakreon. Du weißt gar nicht wie viel mir das Lob bedeutet!

Schöne Grüße von meiner Seite!

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich schließe mich Anakreon mal an, lieber Hanniball, das ist jetzt viel besser umgesetzt und spannender geschrieben.
Ich glaube es liegt auch daran (jedenfalls für mich) dass man sich jetzt mehr vorstellen kann, wieso die beiden zueinander kommen. Von mir aus könntest du das aber sogar noch mehr betonen, dass da so eine gewisse Eitelkeit am Werke ist, von beiden Seiten. Also der Hansson, der will, dass seine Biografie geschreiben wird. Und der andere, dem das natürlich auch schmeichelt, Biograph eines berühnten Zauberers/Hellsehers zu sein.

Und das Ende, klar, ich kenne die Geschichte ja schon, ich fand es trotzdem spannend, obwohl ich wusste, was auf mich zukommt.
Eine angenehm gruslige Geschichte.
Was mir besonders gut gefällt, ich habe keine Ahnung mehr, wie das in Version ens war, ob das da auch schon so deutlich war, das ist, dass jetzt deutlicher herauskommt, dass Morena sogar als Tote noch Gedanken hat. Wenn man diese Idee weiterspinnt, dann steht man vor dem grausigen Phänomen, dass die Gedanken, der Geist eines Menschen langsamer sterben als sein Körper.
Echt schaurig.
Viele liebe Grüße aus dem grau gefärbten Frankfurt.

Ach ein PS:

Bitte, bitte, es heißt durchstreifte und streifte, nicht durchstriff oder striff.
Niemals, never ever, nunca, jamas.

 

Hallo,

an sich gefällt mir der Text sehr, das Ende ist interessant, und die beiden Figuren sind es ebenfalls. Was mir nur ein bisschen fehlt, ist die wirkliche Motivation für den Protagonisten. Er will es so unbedingt herausfinden, was Hansson meint, obwohl dieser ihm immer nur wie ein Scharlatan vorkam, dass er dafür seine Biographie schreiben will? Da ist schon ein Ziehen, aber ob das stark genug ist?
Der Schreibstil gefällt mir, oft ist es sehr bildlich und stimmungsvoll, manchmal wirkt es etwas zu gewollt, wie wenn der Flur nur Stille atmet.

Ich fragte, wie lange sie schon für Hansson arbeite. Ein knappes Jahr, meinte sie.
Als ich mich nach Hanssons Krankheit erkundigte, antwortete sie, sie wisse davon nichts. Aber hatte sie nicht gehört, dass der Hausherr nicht mehr lange zu leben habe? Nein, davon sei ihr nichts bekannt.

Vielleicht ist das sehr Poe-esk, aber auf mich wirkte es etwas komisch und hat mich aus der Geschichte geworfen, die sonst immer die direkte Rede verwendet hat.

Das Geheimnis von Ole Hansson, sein Innerstes, das Elixier befand sich im ehemaligen Domizil seiner Frau.

Zaubertrank / Lebenselixir gut und schön, aber nach "Innerstes" passt es für mich irgendwie gar nicht.

Noch einmal aber: insgesamt sehr stimmungsvolle, ruhige Geschichte, die langsam ins Rätselhafte und Düstere abdriftet, gefällt mir im Gesamtbild sehr.

 

Hallo allerseits!
@Anakreon nochmal:
Der moderne Teufel Krebs.
Ja, ich weiß schon, dass der Krebs nicht nur die Krankheit unserer Zeit ist, mir war vorher schon bekannt, dass auch in der Antike diese Krankheit vorkam. Es ist doch aber faszinierend, woher die Namen kommen und wie man sich diese Krankheiten in damaligen Zeiten erklärte.
Wirklich faszinierend.

Hallo Novak!

Schön, dass du trotzdem nochmal vorbeigeschaut hast, und schön, dass dir die Story gefällt. Freut mich überhaupt, wenn ein Stück überwiegend positiv aufgenommen wird.

Ich glaube es liegt auch daran (jedenfalls für mich) dass man sich jetzt mehr vorstellen kann,

Tatsächlich habe ich mich auch darauf konzentriert. Unter anderem wurde das ja angesprochen.

Also der Hansson, der will, dass seine Biografie geschreiben wird. Und der andere, dem das natürlich auch schmeichelt, Biograph eines berühnten Zauberers/Hellsehers zu sein.

Haargenau so war es gedacht, eigentlich war ich sicher, dass das auch ziemlich so rüberkommt.
Ist ja so, das Geschehen steht und fällt mit der Motivation der Protagonisten. Es war in der ersten Fassung schon so angelegt, aber wohl nicht gut herausgearbeitet.

Und das Ende, klar, ich kenne die Geschichte ja schon...

Ja, ich hatte das Stück extra rausgenommen, weil ich finde, der Schluss muss vernünftig eingepackt sein. Wenn man den Twist kennt, ist die halbe Miete perdü, ich wollte vermeiden, dass Leser die alte - schlecht überarbeitete - Story kennen und rausgehen mit dem Gedanken, das ist ja 'n Scheiß, langweilig und nicht nachvollziehbar. Das, finde ich, hat der Schluss nicht verdient.
Obwohl Schwups mich dann drauf gebracht hat, dass in dem Stück mehr steckt (na ja, wäre erst recht armselig, nur auf den Schluss zuzuschreiben [obwohl Poe gerade das gefordert hat])

Bitte, bitte, es heißt durchstreifte und streifte, nicht durchstriff oder striff.
Niemals, never ever, nunca, jamas.

:lol:
Bin mir ziemlich sicher, es mal irgendwo gelesen zu haben. Aber wo?:D

Schönen Dank für deine Hilfe und die nochmalige Mühe.


Hi Samael!

Freut mich auch bei dir, dass der Text gefallen hat, auch wenn dir die Motivation der beiden Prots immer noch fehlt. Ich war wirklich der Meinung, oft genug drauf angespielt zu haben. Weiß nicht, werde sicher nochmal drübergehen.

Da ist schon ein Ziehen, aber ob das stark genug ist?

Geld? Ruhm?
Na ja, dafür ist er der Typ nicht, hast schon Recht. Vielleicht sogar noch verzwickter, als ich dachte.

Der Schreibstil gefällt mir, oft ist es sehr bildlich und stimmungsvoll, manchmal wirkt es etwas zu gewollt, wie wenn der Flur nur Stille atmet.

Jeder Satz ist behauen in dem Stück und die atmende Stille ist mir tatsächlich auch aufgefallen, natürlich. Allerdings war das eher positiv, denn mir hat das Bild gefallen. Wenn du jetzt sagst, es wirkt bemüht, dann ist das schon das Schlimmste, was man über ein Bild sagen kann, wahrscheinlich hat das zur Folge, dass es rausfliegt.

Vielleicht ist das sehr Poe-esk, aber auf mich wirkte es etwas komisch und hat mich aus der Geschichte geworfen, die sonst immer die direkte Rede verwendet hat.

Eigentlich steckt schon ein wenig Absicht dahinter, die einzig andere sprechende Person in diesem Stück (außer die Mutter mit ihrem Kurzauftritt) in der indirekten Rede sprechen zu lassen. Sie sollte nicht mit ins Geschehen reingezogen werden, außen bleiben, quasi.

Zaubertrank / Lebenselixir gut und schön, aber nach "Innerstes" passt es für mich irgendwie gar nicht.

Hmm, Elixier als Lebensinhalt. Da muss ich drüber nachdenken.

Vielen Dank für die Blumen und auch für die kritischen Anmerkungen.

Schöne Grüße von diesseits!

 

hallo rainer,

deine geschichte fand ich ziemlich spannend und sehr atmosphärisch, hab sie gern gelesen.

ein bisschen erinnerte sie mich an diesen wahren fall, wo ein mann - aus verzweifelter, sentiment. liebe - seine frau jahre lang zuhause aufbahrte....

die überarbeitung hat sich gelohnt.

auch das poe-element ist da. allein der name morena... gute namenswahl.

Als er sich dort am Tresen aber umdrehte, sein Gesicht in meine Richtung wandte, erkannte ich den furchtbaren Makel in seinem Antlitz. Auch wenn man sich immer wieder erzählte, dass Ole Hansson einen Augenfehler hatte, war ich nicht darauf gefasst, wie sehr ihn dieser entstellte.

>>>> über antlitz stolpere ich sehr, m.M braucht es der satz gar nicht

Als er sich am Tresen aber umdrehte, sein Gesicht in meine Richtung wandte, erkannte ich den furchtbaren Makel. Auch wenn man sich immer wieder erzählte, dass Ole Hansson einen Augenfehler hatte, war ich nicht darauf gefasst, wie sehr ihn dieser entstellte.

Sein Gesicht war eingefallen und faltig. Der Blick seines gesunden

Auges war trüb und die Aura der Arroganz in seinem Wesen war verflogen.


>>>> dreimal war. eventuell so::
Sein Gesicht war eingefallen und faltig. Der Blick seines gesunden

Auges trüb und die Aura der Arroganz in seinem Wesen verflogen.


Die Grönland-Garnelen auf Avocadocreme, die Poulardenbrust am Spinat

und die Birnencreme


>>
an Spinat

herzliche grüße! pe

 

Hallo Hanniball,

dies ist die erste Geschichte, die ich von Dir gelesen habe, und sie hat mich gefesselt. Ich werde gleich ein paar Aspekte genauer beleuchten, aber vorneweg schon mal die Einschätzung, dass die Korrekturen dem Text gut getan haben müssen, denn die von Schwups angemerkten Defizite konnte ich in der aktuellen Version nicht finden.

Idee/ Plot – Es gefällt mir sehr gut, wie Du die Geschichte durch die verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung führst, bis hin zum bizarren Schlusspunkt. Du hast ja ein Pointen-Format gewählt, das aus den klassischen Gruselgeschichten bekannt ist: im Leben des mysteriösen Einzelgängers gibt es ein Geheimnis, das aus gesellschaftlicher Perspektive ein Tabu darstellt. Das erinnert an Bram Stokers Dracula und ist schön gemacht.

Was mir ein wenig als Webfehler Deiner Geschichte erscheint ist folgendes: Die Entscheidung Hanssons, seine tote Frau zu mumifizieren und im Haus zu behalten, basiert ja auf zwei wesentlichen Gründen. Erstens war sie die große Liebe seines Lebens, die ihm dabei half, mit seiner besonderen Fähigkeit zurechtzukommen. Zweitens konnte er ihre Gedanken weiterhin nach ihrem Tod hören und wollte deshalb, dass ihr Körper bei ihm im Haus blieb.

Läuft aber der Spannungsbogen nicht in eine andere Richtung? Es hat mich zumindest stark beschäftigt, was es mit den besonderen Fähigkeiten Hanssons auf sich hat. Der große Knall wäre für mich die Enthüllung gewesen, wie Hansson seine unheimliches Talent überhaupt entwickeln konnte. Das hätte den Regelcodizes des Genres zufolge ein außergewöhnliches Ereignis sein können. Und welches käme hier in Frage? Natürlich, der ungewöhnlich frühe Tod seiner jungen Frau.

Mit anderen Worten: Wäre es nicht viel stimmiger, wenn Hansson erst durch diesen Schock seine Fähigkeit erlangt hätte? Wenn er nach dem Tod unerklärlicherweise weiterhin die Stimme seiner Frau gehört und dann bemerkt hätte, dass er auch die Gedanken anderer Menschen lesen kann? Für mein Empfinden würde das den gesamten Plot in eine klarere Richtung bringen. Es wäre die Auflösung des zentralen Rätsels in Deiner Geschichte, nämlich, weshalb Hansson Gedanken lesen kann.

Eine Kleinigkeit, die mir außerdem aufgefallen ist: Da Hansson Gedanken lesen kann und dies im Verlaufe der Geschichte auch mehrmals unter Beweis stellt, ist rätselhaft, weshalb er die Verärgerung des Erzählers am Anfang der Story nicht zu deuten vermag. ("Einige Tage darauf trafen wir uns auf dem Flur. Er entschuldigte sich nochmals, obwohl er, wie er sagte, keine Ahnung hatte, wofür. ")

Sprache – Die Präzision und Geschmeidigkeit der Formulierungen ist schön zu lesen. Der Text fließt. Aber es gibt ein paar Stellen, die noch der Überarbeitung bedürfen, zumindest aus meiner Sicht.

1) Das Wort "übernächtigt" taucht in diesem kurzen Text drei mal auf. Das ist zu viel, denn es handelt sich ja nicht um ein Wort wie gehen, sitzen, schlafen, groß, klein…
2) "Es war bekannt, dass seine Frau und er eine sehr enge Beziehung geführt hatten." Das klingt eigenartig. Würde ich ändern.
3) "So striff ich durchs Haus…" Das ist mit Sicherheit falsch. Was sagt denn da Deine Autokorrektur?
4) "Ich legte mich wieder hi, als ich…" Da fehlt ein n.
5) "Dabei ist es evident, unwichtige Informationen herauszufiltern." Das klingt sehr schräg. "Evident" bedeutet ja dem Sinn nach "offensichtlich" oder "augenscheinlich". Deshalb macht der Satz keinen rechten Sinn.

Umsetzung – Ich hatte schon erwähnt, dass mir sehr gefällt, wie sich Deine Geschichte zuspitzt. Es läuft auf das gruselige Finale hinaus, ohne jedoch den Weg dorthin zu vernachlässigen. Die Beschreibungen der Charaktere und Situationen finde ich gelungen. Es hat etwas altmodisch Gediegenes. Das lese ich mit Vergnügen.


Das war es erst mal von mir. Vielen Dank für diese Geschichte.

Beste Grüße
Achillus

 

Hallo Hanniball, ich bin nicht Rainer, wer bist du?:dozey::D

Petdays, meine Liebe!
Sehr schön, dass du dir meine Story angetan hast und dass sie dir gefiel.
Eigentlich hat sie schon eine bewegte Zeit hinter sich, ich hab sie in jedem Fall öfter in der Mangel gehabt, als hier zu sehen war.
Intensiv allerdings, das muss ich zugeben, habe ich sie im Juli, August überarbeitet. Vorher fehlte mir ein wenig ein Arschtritt.

ein bisschen erinnerte sie mich an diesen wahren fall, wo ein mann - aus verzweifelter, sentiment. liebe - seine frau jahre lang zuhause aufbahrte....

Beim Schreiben (vor allem die zweite Fassung), wurde mir klar, dass wir es hier mit einem sehr komplexen Thema zu tun haben, nicht nur die Gedankenleserei auch der Fakt der Liebe, die über den Tod hinausgeht. Ein immerwährendes Poe-Thema, wie ich glaube.

Zitat:

Als er sich dort am Tresen aber umdrehte, sein Gesicht in meine Richtung wandte, erkannte ich den furchtbaren Makel in seinem Antlitz. Auch wenn man sich immer wieder erzählte, dass Ole Hansson einen Augenfehler hatte, war ich nicht darauf gefasst, wie sehr ihn dieser entstellte.

>>>> über antlitz stolpere ich sehr, m.M braucht es der satz gar nicht


Ja, du hast Recht. Ohne Antlitz liest sich der Satz flotter und man weiß trotzdem, worum es geht. Werde ich ändern.

Mit den anderen beiden Sachen liegst du natürlich auch richtig.

Danke dir für die Mühe und die wohlwollenden Worte.


Hallo Achillus!

...und sie hat mich gefesselt.

Das ist wirklich ein sehr schönes Kompliment. Ich spüre immer, dass ich meine Texte dahingehend abklopfe, ob sie "professionell" sind, das heißt, würde jemand Geld bezahlen, das Stück zu lesen.
Wenn man davon gefesselt ist, kommt das dem doch schon ziemlich nahe.
Danke dafür.

Die Idee (meist ist es so bei mir) resultiert aus einem einzigen Gedanken, nämlich dem der Pointe. Diesen Twist wollte ich verbauen, allein der Gedanke war faszinierend. Drumherum kam dann das Gerüst zustande und durch die Überarbeitung fokussierte sich der Blick sehr stark auf die Plage des Gedankenlesens. Eventuell hätte ich die Beziehung von Hansson zu seiner Frau mehr thematisieren müssen, um im Schlusspunkt eben bei der Pointe zu landen.
Allerdings, dein Aspekt, Hansson hätte das Gedankenlesen erfahren können durch den Tod seiner Frau, ist, zugegeben, reizvoll. Das zieht aber wirklich einen Schwanz nach sich, weiß nicht, ob das dann dieselbe Geschichte wäre.
Ich kann dir aber versichern, dass ich drüber nachdenke, noch 'ne ganze Weile.

Ich finde allerdings, dass ein Aspekt zu kurz gekommen ist - dass er sich nämlich diese Fähigkeit nur einbildet. Würde passen, denke ich. Doch das wurde noch weniger thematisiert.

Da Hansson Gedanken lesen kann und dies im Verlaufe der Geschichte auch mehrmals unter Beweis stellt, ist rätselhaft, weshalb er die Verärgerung des Erzählers am Anfang der Story nicht zu deuten vermag. ("Einige Tage darauf trafen wir uns auf dem Flur. Er entschuldigte sich nochmals, obwohl er, wie er sagte, keine Ahnung hatte, wofür. ")

Spricht wohl für diese Version. Ich habe im Übrigen versucht, nicht zu plakativ damit umzugehen, dass er jeden Gedanken errät. Es sollte eigentlich alles in der Schwebe sein.

Die Präzision und Geschmeidigkeit der Formulierungen ist schön zu lesen. Der Text fließt.

Danke,
du hast natürlich Recht mit deinen Anmerkungen, das wird geändert.
"Evident" hatte ich immer als besonders wichtig in Erinnerung. Ist aber nicht so, in dieser Bedeutung passt es natürlich nicht.


Danke auch dir für die Mühe und die warmen Worte!

Schöne Grüße von meiner Seite!

 

Hallo Hanniball,

Hallo Hanniball, ich bin nicht Rainer, wer bist du?:dozey::D

... da wundere ich mich jetzt selbst. ..:confused: :D

Wahrscheinlich bin ich fürchterlich überarbeitet...
Ein großes (Auftrags-)Schreibwerk.... und in den kleinen Pausen dazu war ich auf KG.de unterwegs.....

liebe Grüße, Petdays

 

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