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Das kurze Leben des Jeffrey Reynolds
Das kurze Leben des Jeffrey Reynolds
Er konnte ihre Verzweiflung förmlich spüren. Diese Menschen, diese armseligen Kreaturen sahen ihn mit diesem kurzen und alles sagenden Blick in die Augen. Immer wieder musste er sich in solch zerstörte Seelen hineinversetzen. Er konnte nicht anders, hätte es doch endlich einmal aufgehört. Dieses Gefühl machte ihn wahnsinnig, ja führte es ihn sogar in tiefsten Selbsthass. Freunde hatte er nicht. Dieser Mann konnte keine Menschen um sich haben die ihm Respekt zollen würden, denn er fand sich selbst zu abartig um auf nette Gesten von anderen einzugehen. Jeffrey Reynolds – als Kind war er schon immer eine penetrante Quasselstrippe und unglaublich neugierig und wissbegierig bei wirklich allem, ja schon fast hyperaktiv. Doch das änderte sich schnell als er etwas mit anderen Kindern hätte unternehmen sollen. Über die Jahre, und schon lange nach der Pubertät, war der schon erwachsene Jeffrey ein sogenannter Aussenseiter, ein menschenscheuer Feigling der es nie zu etwas bringen würde, so meinten es zumindest seine „Freunde“. Ein Mensch der gerne ganz normal wäre, es aber nicht kann. Er war innerlich so zerbrochen, doch an was verdammt noch mal lag das? Sein Bekanntenkreis befand ihn als ganz „normal“. Also ein Durchschnittstyp eben, der Abends in seine Stammkneipe geht ein paar Bier trinkt, mit seinen Freunden über Gott und die Welt redet und sich letztendlich wieder frohen Gemütes ins Bett fallen lässt.
Er konnte sich eben gut verstellen. So gut, dass wirklich niemand darauf gekommen wäre was mit Jeffrey los war. Ab und zu sah er Menschen von denen er hoffte andere Impulse zu spüren außer bloßen Hass, Bosheit oder Abscheu, schüchtern ins Gesicht und hoffte innerlich auf einen Erfolg. Doch das gelang ihm selten. Biedere Gedanken trieben in seinem Kopf herum. Vor allem wenn er alleine und ungestört war. Er konnte nicht mit der Gesellschaft, konnte aber auch nicht einsam sein. Mühsam drehte er die, mit seinen generell verachtend blickenden Augen, in eine andere Richtung um sich auf einen, von seinen Gedanken ablenkenden Gegenstand zu konzentrieren. Nichts brachte in von seinen morbiden Gedanken weg. „AAAAAAAHHHH“ schrie er mit einem hasserfüllten Ton , und schlug so fest er konnte mit seiner Faust auf das neben ihm stehende Holzregal. Blut floss seine Hand herunter. Er war wie weggetreten, band sich ein Leinentuch um seine Hand und legte die Bücher wieder zurück ins Regal.
Die Bücher handelten von der Wahrheit des Universums, Theorien von Physikern, Wissenschaftlern und Hellsehern und den Geschichten der Illuminati. Es bereitete ihm eine gewisse Freude zu lesen, dass es vielleicht noch etwas anderes außer das Hier und Jetzt, die Menschen, und nur dieses eingeschränkte Leben geben könne.
Nach dem abendlichen Fernsehprogramm zog sich Jeffrey zurück ins Bett. Wie so oft, stellte er sich vor, wie wundervoll es wäre als ein anderes Wesen wiedergeboren zu werden. Am liebsten als ein Tier. Ein Vogel, war sein Favorit. Sie hatten ihr geregeltes Leben – davon träumte er oft. Doch schon meldete sich sein Gewissen wieder: „Ich würde mein Leben ja nicht mal als Vogel hinbekommen!“. An einem dieser Abende beschloss er sich und seinem verdammten Leiden ein Ende zu setzen. Er rannte in die Küche, nahm sich eine volle Wodkaflasche aus dem Schrank und trank sie fast vollkommen aus. Sein Selbstbewusstsein stieg. Nun war es kein großes Ding mehr. Man hörte nur noch den dumpfen Ton des Aufschlags der durch das Zimmer hallte und das metallische Klingen des Messers das mit ihm auf den kühlen Boden aus harten Fliesen fiel. Die Bewohnern des Plattenbaus bemerkten Jeffreys Tod lange Zeit nicht, bis an dem Tag, als ein beißender Geruch aus seinem Appartement in das Treppenhaus schlich.
Lange dauerte es, bis endlich der zuständige Hausmeister Jeffreys Wohnung aufsperrte um nachzusehen was dort passiert war. Ein kalter Schauder lief ihm über dem Rücken als er die Tür aufsschloss. Es roch bestialisch. Überall lagen alte Zeitschriften, Kartons und anderer Müll herum der von einem Saum aus Taubenfedern geschmückt war.
Da das Bad kein Fenster hatte, durchsuchte er seine Wohnung nach geöffneten – doch zu seinem großen Erstaunen war jedes einzelne verschlossen. „Ich muss schleunigst weg hier und die Bullen anrufen, sollen die sich doch um dieses Szenario kümmern“, dachte er sich und ging in Richtung Ausgang. Plötzlich vernahm er ein leises zwitschern dass aus dem Bad kam. Er drehte sich um und drückte den Lichtschalter langsam nach unten. Was er sah war bizarr. Ein Bild wie in einem wirklich derben Psychothriller: Ein dünner Mann liegt verkrümmt auf dem Boden, die Augen weit geöffnet, der Mund jedoch zu einem leichten Lächeln geformt. Das Blut hatte sich schon überall zu einer dunkelrot braunen Kruste gewandelt und ließ den Hausmeister in einem fast paralisierten Zustand verweilen. Um ihn herum waren einige weiße Tauben. Die meisten schon tot. Nur noch einer der Vögel, der schon halb verhungert war, stolperte in der Nähe der Tür herum. Der Hausmeister schlug die Badezimmertür zu und lief so schnell ihn seine Beine trugen zurück in die Wohnung um anschliessend die Polizei zu benachrichtigen.
Tage später stand der Vorfall in der lokalen Zeitung unter der Rubrik: „Mysteriöses und Unerklärliches“. Unter anderem wurden dort einige Bewohner des Plattenbaus befragt ob sie eine Erklärung hatten, woher denn die Tauben plötzlich erschienen, da ja alle Fenster seines Appartements geschlossen waren. Die Aussagen beliefen sich zum größten Teil auf: „Gott hatte seine Hand ganz klar im Spiel…, ich finde keine andere Erklärung dafür“ oder „Ich glaube nicht an übernatürlichen Schnick - Schnack, der kranke Typ hat sich n´ paar Tauben mit ins Bad genommen und hat sich dann die Kehle durchgeschnitten, wahrscheinlich um nicht ganz alleine zu sterben…“
Doch nichts von alle dem traf auf Jeffreys unerklärliches Szenario zu. Der Hausmeister wurde an diesem Tag festgenommen, doch durfte er schon nach einem kurzen Verhör die Polizeistation verlassen. Schnurstraks ging er auf eine gut befahrene Hauptsrasse zu und warf sich ohne noch groß nachzudenken und mit dem Bild welches er gesehen, dass sich so fest in seine Netzhaut eingebrannt hatte vor einen heranfahrenden LKW. Er verkraftete es einfach nicht mit dieser Impression weiterzuleben.
Die Tage vergingen und die Zeitungen schrieben immer wildere Geschichten um Jeffreys mysteriöses Todesszenario. Diesmal las man unter der Rubrik: „Nachrichten“, folgende erschütternde Zeilen: „Circa 12 Jahre altes Mädchen aus dem Keller eines Pädophilen befreit – Mädchen gibt an die Tochter des kurz im Krankenhaus mit Koma eingelieferten Patienten zu sein. Der Mann wäre eine gewisser Randolf Cudes, von Beruf Hausmeister und Gebäudereiniger eines Mietwohnungskomplexes.“ Die lächerlichen Gerüchte aus einer von Proleten verfassten Zeitung sollten für die Bewohner der Stadt eine klare Erklärung geworden sein.
Die Wahrheit ist, Jeffrey, ein dürrer unbedeutender Mensch verließ diese Welt nur, um einen dieser abscheulichen Kreaturen mit sich sterben zu lassen und einem bedeutungsvollem Menschen ein erfüllteres Leben zu verschaffen.
Seine zerstörte Seele konnte nur mit seinem Tod auf ein anderes Lebewesen übertragen werden. In einen verachtungswerten Körper. In einen menschlichen, toten Körper.