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Das Kleinod vom Flohmarkt
Ist das herrlich! Ich genieße es, allein zu sein. Strecke und räkele mich auf dem Liegestuhl im Schatten eines sanft hin und her wogenden Blätterdaches unseres alten Kirschbaums. Jürgen, mein Mann, ist heute Morgen mit drei Angelkollegen nach – ich weiß gar nicht mehr wohin – gefahren, um für drei Tage nur unter Männern zu sein. Mit allem, was dazugehört. Unsere Kinder Jens und Sabrina sind noch bis nächsten Samstag im Zeltlager auf Amrum. Und ich, ich bin allein.
Ich gehe in die Küche, um mir ein großes Glas Eistee zu holen. Dort angekommen, leuchtet mein Handy auf. Ich schaue drauf. Ach ja, ein Termin. Heute ist auf dem Unigelände großer Flohmarkt. Will ich überhaupt noch dort hin? Eigentlich habe ich ja schon genug Krimskrams in den Ecken herumstehen. Ach, was soll´s. Man kann ja mal gucken.
Da ich es nicht weit habe, bin ich schon nach zehn Minuten dort angekommen und enttäuscht, was sich hier so bietet. Flohmarkt, im herkömmlichen Sinn, ist das nun wirklich nicht mehr. Jede Menge fliegende Händler, die Tand für relativ viel Geld anbieten und dazu noch glauben machen wollen, dass man das Schnäppchen seines Lebens tätigen könne. Ich schlendere von Stand zu Stand, nehme das ein oder andere Stehrümchen in die Hand und stelle es misslaunig wieder zurück. Lohnt sich einfach nicht.
Gerade, als ich den Flohmarkt verlassen will, fällt mein Blick auf einen Verkaufsstand, der sich auffällig von all den anderen unterscheidet. Eigentlich ist es nur ein Küchentisch, bestückt mit etwa hundert Spielzeugbrunnen. Mein Interesse erlischt schlagartig. Doch noch ehe ich mich abwenden kann, drückt ein charismatischer Mann seine Kippe aus, lächelt mich offenherzig an und meint: „Nun, Gnädigste, an einem meiner Brunnen interessiert?“
„Eher nicht! Vielen Dank.“
„Das sollten Sie aber. Es handelt sich um Jungbrunnen.“
„Jungbrunnen, dass ich nicht lache. Soweit ich weiß, kann es – wenn überhaupt – nur einen davon geben. Bestimmt nicht in so inflationärer Menge. Selbst, wenn all diese Brunnen tatsächlich Jungbrunnen wären, kann ich mir kaum vorstellen, wie man in ihnen untertauchen könnte.“
„Ich merke, Sie sind mit scharfem Verstand gesegnet. Allerdings kennen Sie nicht das Geheimnis der Brunnen. Schauen Sie sie doch einmal ganz genau an. Nun, was sehen Sie?“
„Na, Spielzeugbrunnen, die jeweils auf ein Stück Pergamentpapier geklebt wurden. Ach, Halt, da ist noch etwas. Wenn ich das richtig sehe, ist jeder Brunnen mit einem Datum und einer Uhrzeit versehen.“
„Sehr gut beobachtet. Diese Beschriftung hat eine besondere Bewandtnis. Jeweils an dem vorgesehenen Datum und um die entsprechende Uhrzeit, muss man den Brunnen ist den Garten stellen, sich abwenden und wenn man sich wieder umdreht, sieht man einen Jungbrunnen von einem Meter Durchmesser und einem Meter Höhe vor sich. Außerdem ist er randvoll mit Wasser. Dann gilt es zu handeln.“
„Sie halten mich wohl für blöd, dass ich Ihnen einen solchen Stuss abkaufe.“
Aber irgendwie ist mein Interesse geweckt. Also frage ich: „Was soll eines dieser guten Stücke so kosten?“
„Nicht viel. Nur 100,00 €. Schauen Sie mal, in jedem dieser Kleinode befindet sich eine genaue Anweisung zur Handhabung. Wenn Sie sich strikt daran halten, steht einer Verjüngung nichts mehr im Wege.“
Ich weiß nicht warum; ich bin geneigt, diesen Handel einzugehen. Unser Wortgefecht hat eine Menge neugieriger Menschen, vor allen Dingen Frauen, angelockt. Schon wollen die ersten drei kaufen.
„Halt, halt, meine Damen.“ Er hebt beschwichtigend die Hände und sieht mich aufmunternd an: „Sie sind diejenige, die als erste einen Brunnen erwerben kann. Greifen Sie zu, meine Teuerste. Wollen Sie den Brunnen mit dem heutigen Datum? Dann müssen Sie sich aber sputen. Denn schon in einer Stunde müssen Sie bereit sein.“
Der Händler schaut mir tief in die Augen und überreicht mir besagten Brunnen. Ich kann nicht anders, suche in all meinen Taschen herum und bringe es nur auf 95,00 €. Eine aufgedonnerte Blondine neben mir wird ungeduldig, drückt mir 5,00 € in die Faust und blafft mich an: „Nun, machen Sie schon. Ich kann hier nicht ewig warten.“
Der Handel ist perfekt.
Ich schaue auf das soeben erworbene Kleinod und strebe eilig nach Hause. Dort angekommen, stelle ich den Brunnen auf den Küchentisch und klaube die Anleitung aus dem Inneren. Ich lese: Anleitung zur Verjüngung eines jeden Lebewesens –unbedingt präzise einzuhalten. Am nämlichen Tag, zur nämlichen Uhrzeit, muss der Jungbrunnen in einen Garten verbracht werden. Wenn man ihn standfest platziert hat, drehe man sich um und nach fünfzig Sekunden, retour. Alsdann ist der Brunnen gewachsen – Ausmaße: ein Meter Tiefe und ein Meter Durchmesser. Er ist voll mit Wasser. Ab jetzt hat man noch genau zwei Minuten und fünf Sekunden Zeit, einzutauchen. Nach fünf Sekunden findet jeweils in drei Sekunden eine Verjüngung um ein Jahr statt. Es ist also möglich – maximal vierzig Jahre jünger zu werden. Wenn die gewünschte Zeit um ist, steige man umgehend aus dem Wasser und trockne sich peinlichst genau ab. Nicht ein einziges Tröpfchen darf am Körper haften bleiben. +++++++++++’’’’’’’’’’’*****. Der letzte Satz ist so klein geschrieben, dass ich ihn ohne Lupe nicht lesen kann.
Jetzt wird es aber Zeit. Ich ziehe mich aus, streife meinen Schmuck ab und hänge mir ein Badetuch um. Dann nehme ich den Brunnen, stelle ihn neben die Sonnenliege unter den Kirschbaum und verfahre wie vorgegeben.
Tatsächlich, nach fünfzig Sekunden steht ein ausgewachsener Brunnen vor mir. Schnell lasse ich das Badetuch auf die Erde fallen, stelle meine Stoppuhr auf eine Minute und fünf Sekunden (die brauche ich, um mich ins Wasser gleiten zu lassen) und hoffe, nach sechzig Sekunden um zwanzig Jahre jünger dem Nass zu entsteigen. Das Wasser ist herrlich. Wunderbar temperiert umspielt es meinen Körper. Zarter Maiglöckchenduft umschmeichelt meine Nase. Ich halte die Luft an und tauche unter. Schließlich soll alles zwanzig Jahre jünger werden. Dann lasse ich mich treiben. Das schrille Geläut meiner Stoppuhr holt mich zurück in die Wirklichkeit. Schnell entspringe ich dem Brunnen und trockne mich mit allergrößter Sorgfalt ab, so dass auch nicht ein winziges Tröpflein übersehen wird.
Jetzt bin ich aber gespannt. Splitterfasernackt renne ich zum Wandspiegel in der Diele. Wow, das ist ja wohl gelungen. Ich betrachte mich von oben bis unten und von vorne bis hinten. Ich bin runderneuert. Alles ist zwanzig Jahre jünger. Ich kann es kaum fassen. Was wohl Jürgen dazu sagen wird? Oder gar die Kinder, wenn sie eine so jugendliche Mama vorfinden. Oder meine Freundin Rita. Die wird vor Neid erblassen und sofort die Anschrift meines Schönheitschirurgen haben wollen.
Da fällt mir mein Kleid ein, das ich seit neunzehn Jahren nicht mehr angezogen habe, weil es viel zu eng geworden war. Ob es jetzt wohl wieder passt?
Da hängt es ja. Ich schnappe es und stülpe es mir über. Ist ja der helle Wahnsinn. Es sitzt wie angegossen, ohne zu zwicken.
Ich gehe in die Küche, um mein Hochgefühl mit einem guten Gläschen Rotwein abzurunden. In diesem Moment fährt eine Windböe durch das Küchenfenster und weht die auf dem Küchentisch liegende Anweisung direkt vor meine Füße. Ordnungsliebend, wie ich bin, hebe ich sie auf und werfe einen Blick darauf. Der letzte, winzig klein und unleserlich geschriebene Satz steht da, wie alle anderen. Ich lese: Um die Verjüngungswirkung aufrecht zu erhalten, ist es unerlässlich, die Prozedur jeden Tag – wie vorgegeben – zu wiederholen.
Ich bin irritiert. Starre noch eine Weile auf die Anweisung und dann fällt mein Blick in den brunnenlosen Garten.