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Das Kind, das nicht mehr leben darf

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11.10.2002
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Das Kind, das nicht mehr leben darf

Sie liegt zusammengekrümmt auf den kalten Küchenfliesen und starrt vor sich hin. Starrt ins Leere oder sieht sich etwas an, das andere nicht sehen können. Vielleicht beobachtet sie ihre Gedanken? Vielleicht kann sie in ihren eigenen Kopf hineingucken? Um sie herum liegen die ausgerissenen Haare.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Wenn ich diesen kleinen, zarten Körper da liegen sehe und so leise atmen höre, dass ich es gar nicht hören kann, dann tut das so weh, dass man nicht weitergucken will. Das tut so weh, dass man sich entweder umdrehen und alles schnell vergessen möchte oder man will sie hochzerren und sie anschreien. „Hör endlich mit dem Theater auf“, würde man schreien oder etwas wie: „Benimm dich wie ein normaler Mensch, du bist doch krank.“ Aber das würde sie ja gar nicht verstehen, sie kann ja auch gar nichts dafür und es täte mir dann gleich wieder leid , weil ich diese dünnen Ärmchen in den Händen spüre und diese großen dunklen Augen sehe. Da muss ich dann auch mal weinen. Und dann fragt sie „Warum weinst du denn?“ Und ich muss ihr wieder über den Kopf streichen und spüre kleine Stoppelhaare, wie Frauenbeine, die fünf Tage lang nicht rasiert wurden. Dabei passen Frauenbeine gar nicht zu ihr. Für Frauenbeine ist ihre Nase zu klein, ihre Augen zu unschuldig und ihr Nachthemd zu weiß. Aber ich gehe nicht weg und ich zerre sie nicht hoch und streichle ihr auch nicht über den Kopf.
Ich bleibe hier stehen und bewege mich nicht. Erst als sie beginnt ihre zerbrechlichen Hände zu Fäusten zu schließen, so dass ihre Hände ganz weiß und rot werden, wie Blut auf Schnee und als sie ihre Fingernägel in ihre Haut bohrt, da gehe ich zu ihr. Ich muss ihr die Fingernägel bald wieder schneiden, damit sie sich nicht kratzen kann. Vielleicht sollte man die Finger auch gleich abschneiden, damit sie keine Haare mehr ausreißt.
Ich nehme einen ihrer eiskalten Füße in die Hand und sie zieht ihn nicht zurück. Ich betrachte den kleinen, großen Fußzeh, diesen winzigen Fußnagel und fahre mit den Fingern über die zarte Haut bis sie zusammenzuckt. Da erst nehme ich sie in den Arm und muss tatsächlich ein bisschen weinen. Und sie tut gar nichts. Sitzt stocksteif auf meinen Armen, zu ängstlich um sich zu bewegen, damit nichts schlimmes passiert. Sie sitzt da, wie taub und blind und stumm. Vor allem stumm, denn seit dem hab ich ihre helle Stimme nicht mehr gefühlt, wie sie über meine Haut gerast ist und mich glücklich gemacht hat, wenn sie sich gefreut hat. Und das alles hat er uns genommen.
Ich trage sie in ihr Bett, in ihr rosarotes Zimmer, das nicht zu ihrer schwarzen Welt passt, viel eher noch der Teddybär, dem sie die Augen verbunden hat und der Hase, dem sie die Ohren abgerissen hat.
Ich mache das Licht aus und die Tür zu. Als ich selbst im Bett liege, da höre ich zwei kleine, nackte Füße, die über die Küchenfließen laufen. Ich schlucke und schlucke und denke an Pinguine und Sandstrand, nur nicht daran, dass sie gleich wieder auf dem Boden in der dunklen Küche liegt und vor sich hinstarrt.

 

Hallo thorny!

Deine Geschichte läßt sich gut und flüssig lesen - aber ich komm nicht drauf, was mit dem Kind eigentlich los ist. Das mit den Haaren würde mich auf Krebs bzw. Chemotherapie schließen lassen, aber warum liegt sie dann am Küchenboden? :shy:

Vielleicht fehlt Deiner Geschichte irgendetwas, was für Dich zwar klar ist, für den Leser aber nicht?

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Ja, flüssig lesen lässt sie sich - allerdings lässt sie mich mit einem: "hä?" zurück das ein wenig auf die Tränendrüse gedrückt wird, nichts wirklich erklärt wird: Ist das Kind krank? Warum geht es immer wieder in die Küche und legt sich da auf den Boden?

Alles in allem etwas erklärungsbedürftig - und mMN etwas zu sehr mitleidheischend.

 

Geschrieben von kakaotesschen
deine geschichte ist ganz schrecklich kitschig

Und ich Feigling habe nicht gewagt es auszusprechen - ist aber so ....

Glaubwürdiger wird so eine Geschichte durch eine möglichst nüchterne Erzählweise, und nicht durch diese etwas wehleidige Erzählweise deines Prot.

 

Hallo thorny,

puh, ganz schön harter Tobak, Deine Geschichte. Hab sie schon gestern abend gelesen. Ich finde sie nicht kitschig, sondern einfach eindringlich und bewegend. Ich fände es total unglaubhaft, wenn die Mutter nüchtern und distanziert erzählen würde. Kann mich den negativen Kritiken deswegen gar nicht anschließen.

Der ruhige Stil gefällt mir sehr gut, auch wenn einige Stellen noch ein klein wenig holprig sind.
Einen Satz fand ich völlig völlig deplatziert:

Vielleicht sollte man die Finger auch gleich abschneiden, damit sie keine Haare mehr ausreißt.

Was mit dem Mädchen los ist, war nicht schwer zu raten: Es ist mißbraucht worden. Vielleicht liege ich falsch, aber für mich war das ganz klar.

Die Haare reißt sie sich doch immer aus, deswegen die Stoppeln, Susi...

Was ich nicht verstehe ist, warum die Mutter (oder ist es der Vater?) die Kleine nicht mit zu sich ins Bett nimmt. Die Nähe würden doch beide dringend brauchen.

Liebe Grüße
Sav

 

Die Haare reißt sie sich doch immer aus, deswegen die Stoppeln, Susi...
Ähm, ja. :)
Es ist mißbraucht worden. Vielleicht liege ich falsch, aber für mich war das ganz klar.
Gerade das Verhalten der Mutter oder des Vaters, das Du ja auch ansprichst, Sav, lassen mich das eher nicht denken. Warum sollte der/die Protagonist/in das Kind dann so liegen lassen, statt ihm Trost und Zuwendung zu geben? :shy:

Stellt er/sie das eigene Leid über das des Kindes?

 

Also die 10010303te Missbrauchs Story auf KG?

Mal abgsehen davon: Klar kann eine Erzählweise aus der Sicht der Mutter nicht unemotional sein - aber daran krankt die Story mMN nun mal - durch diese Erzählweise entsteht der teilweise kitsche, überzogene Eindruck. Lieber einen Erzählwinkel wählen der die beiden, Mutter/Vater und Kind eben von aussen betrachtet - und den Leser so nicht zwangsweise in die Gefühlswelt der Mutter/Vater ziehen wollen ...

Ich hatte allerdings auch eher an Krebs gedacht - klreiner, zarter Körper, irgendwie passte das mMn zum Krebs Bild besser ...

Ich frage mich auch warum die Mutter/Vater das Kind alleine in der Küche lässt anstatt es zu sich zu nehmen, oder die Nacht im Kinderzimmer zu verbringen ...

 

@Jadzia
Ich könnte mir vorstellen, daß die Autorin vielleicht noch keine eigenen Kinder hat und die Vorstellung, daß ein Kind unbedingt in einem eigenen Zimmer schlafen muß, fest in ihrem Kopf verankert ist und sie deswegen gar nicht auf die Idee kommt...

Öhm, ich sollte ich vielleicht nicht zu psychologischen Analysen der Autoren hinreißen lassen... :shy: :D


Was die "dreimillionste Mißbrauchsgeschichte" betrifft: Ich bin ja ganz sicher, daß die Ideen zu Deinen Geschichten alle total innovativ sind ;), aber die allermeisten Autoren machen doch nichts anderes, als zu versuchen, tausendmal verwendete Themen neu aufzubereiten. Mich natürlich auch ausgenommen. :D

@Susi
Es ist dieser Absatz, der mich vom Mißbrauch überzeugt hat:

Vor allem stumm, denn seit dem hab ich ihre helle Stimme nicht mehr gefühlt, wie sie über meine Haut gerast ist und mich glücklich gemacht hat, wenn sie sich gefreut hat. Und das alles hat er uns genommen.
Über den letzten Satz bin ich vorhin gestolpert, ich bin mir fast sicher, daß der gestern noch nicht da war...

 

raven: Na ja ich habe auch noch keine Kinder - aber ich würde mein Kind ganz instinktiv zu mir ins Bett nehmen wenn es ihm schlecht geht oder mich zur Not die ganze Nacht ins Kinderzimmer setzen statt zu versuchen zu ignorieren das mein kind wieder in die Küche zurückkehrt (ist ja eh noch nicht erklärt warm das Kind so einen Drang hat in die Küche zu gehen ...)

Innovativ sind meine Stories bestimmt nicht ... aber ich merke hier im Alltag oder im gesellschaft Forum zunehmen das über Missbruach geschrieben wird - als wäre es "in" und man erhofft sich damit einen höheren Mitleidsfaktor bei der Leserschaft ....

 

Hallo,

mich hat der folgende Text nachdenklich gemacht:

Innovativ sind meine Stories bestimmt nicht ... aber ich merke hier im Alltag oder im gesellschaft Forum zunehmen das über Missbruach geschrieben wird - als wäre es "in" und man erhofft sich damit einen höheren Mitleidsfaktor bei der Leserschaft ....
Könnte es nicht auch sein, dass diese Thematik so sehr im Bewusstsein derer ist, die darüber schreiben, dass die empfundene Betroffenheit, ob nun real in der eigenen Kindheit oder durch Mit-Erleben bei anderen, oder auch 'nur' fiktiv auf dem Hintergrund der Sorge für die eigenen Kinder sich Ausdruck sucht in einer schriftlichen Distanzierung von dem Geschehen? Im Sinne der Bewältigung von Ängsten.

Ich habe eine andere Frage zur Überschrift:

Das Kind, das nicht mehr leben darf
Ich finde diese Aussage unverständlich. Im Zusammenhang mit dem hilflosen Verhalten des Ich-Erzählers gegenüber diesem Kind, das offenbar nachts auf dem kalten Küchenboden Schutz (?) sucht...

darf ? Wer verbietet es?

nicht mehr leben 'will', 'kann' ... das wären Eigenentscheidungen eines Menschen.

DARF zielt auf eine von außen kommende Macht hin.

Vielleicht könnte das zutreffen, wenn ein Kind keine dringend nötige Ersatzniere usw. bekäme..

Weil von AUSSEN keine Hilfe kommt.

Oder, dass es aufgrund einer Tabu-Verletzung aus einer Gemeinschaft AUSGESTOßEN wäre ... Aber das alles bleibt im Dunkeln.

Mir wird zu wenig deutlich, was der Grund sein könnte.

Eventuell wäre 'nicht mehr lebenkann' passender, was auch die Andeutungen von Krankheit und krankhaftem Verhalten erklären könnten.

LG
ahino

 

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