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Das kann doch nicht alles gewesen sein

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09.12.2003
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Das kann doch nicht alles gewesen sein

Romy Ulrich

Das kann doch nicht alles gewesen sein

Abends essen wir immer warm. Heute gibt es Bohnensuppe und hinterher Vanillepudding mit Himbeersoße. Wenn es Suppe gibt, dann gibt es auch immer Pudding als Nachtisch. Das war schon immer so. Meinem Mann würde etwas fehlen, wenn ich einmal keinen Pudding gemacht hätte. Bei seiner Mutter und Großmutter war es auch nie anders. Hans sagt, das sei Tradition. Die wenigen Gerichte, die ich von meiner Mutter weiß, koche ich nicht mehr. Zu ausgefallen, meint er.
In einer Viertelstunde wird er den Schlüssel in das Schloss der Wohnungstür stecken und „hallo, ich bin da“ rufen. Er kommt auf die Minute pünktlich um 17.10 Uhr, seit 28 Jahren. Er ist beim Finanzamt beschäftigt, sogar immer noch im gleichen Büro.
„Hallo, ich bin da“, Hans betrat den kleinen Flur und stellte seine Tasche ab. Er hing den Mantel sorgfältig auf einen Bügel an die Flurgarderobe, zog die Schuhe aus und klopfte sie mit den Sohlen aneinander, bevor sie von ihm in den Schuhschrank gestellt wurden. Dann streifte er sich die Niedertreter über, er will nur Niedertreter als Hausschuhe, und kam in die Küche. „Hm, was gibt es heute, es riecht so gut?“ Er rieb sich vergnügt die Hände.
„Wir können gleich essen, ich mach nur noch den Pudding in die Schüsselchen“, rief ich ihm nach, während er ins Bad ging, um sich sorgfältig die Hände zu waschen.
„Haben sich die Kinder gemeldet?“ Ich antwortete ihm nicht, dass er aber auch immer aus dem Bad mit mir sprechen muss. Er weiß genau, dass ich das nicht leiden kann.
Hans nörgelt an mir nie herum, er ist immer zufrieden. Das finde ich unnormal, sagte ich neulich zu ihm. Wieso, es gäbe nichts zu nörgeln. Er fände es bei uns immer gemütlich und sauber, ich wäre nicht zänkisch, wie viele Frauen und mit dem Haushaltsgeld käme ich auch prima zurecht. Außerdem wären wir schon Mitte fünfzig und in vier Wochen dreißig Jahre verheiratet, da ist doch vieles Gewohnheit.
„Haben die Kinder angerufen? Sie wollten doch mit uns besprechen, wie wir unseren
Dreißigsten feiern wollen.“ Hans setzte sich mir gegenüber an den Küchentisch. In der Woche essen wir grundsätzlich in der Küche.
„Ja, aber ich sagte, dass wir uns noch nicht einig:"
„Wir waren uns einig. Wir wollen nicht sparen, Inge. Es ging nur darum, ob wir in der „Gartenklause“ oder im „Alten Kaiser“ bestellen. Im „Alten Kaiser“ ist es etwas teurer, aber gediegen. Was hältst du übrigens davon, wenn wir Tante Gretchen auch einladen und vielleicht noch Ernst?“
Ich nahm den Löffel und fing an zu essen. In letzter Zeit kamen mir oft Gedanken, wie schnell die Jahre vorbei gingen. Alles kam mir „gediegen“ vor. Die ganzen dreißig Jahre waren „gediegen“, immer ordentlich, Jahr ein – Jahr aus solide und nach Plan.
Die Kinder kamen geplant, nachdem Hans beamtet wurde. Nun konnte ich zu Hause bleiben, das Auskommen war gesichert. Wir leben sparsam und fahren einmal im Jahr in den Urlaub nach Stallwang, im oberen Bayrischen Wald. Da fuhren wir schon hin, als die Kinder noch klein waren. Den restlichen Urlaub von Hans verbringen wir immer bei seinen Eltern. Seit zwei Jahren brauchen sie Hilfe im Garten. „Gediegen“ ist ein Lieblingswort seiner Mutter.
„Inge, du hörst mir ja gar nicht zu. Was meinst du, ob es den Kindern gefällt, wenn wir im „Alten Kaiser“ bestellen? Wir sollten es nicht mit ihnen besprechen, es ist ganz allein deine und meine Entscheidung! Nun sag doch was!“ holte mich Hans aus meinen Gedanken.
„Hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie langweilig unsere Ehe ist? Warum geben wir das Geld nicht für eine Reise aus? Tante Gretchen wird 88, aber wir noch nicht. Und Ernst siehst du seit 18 Jahren täglich dir gegenüber am Schreibtisch.“
„Aber Inge, wir sehen uns auch täglich.“
„Hans, ich bitte dich. Du bist mit Ernst nicht verheiratet. Die Kinder würden es verstehen. Die sagen so oft, wir sollten uns etwas leisten.“
„Ich verstehe dich nicht. Wir fahren jedes Jahr in die Ferien und zu den Eltern. Meinst du das können sich andere leisten, die nur einen Verdiener in der Familie haben? Nicht einmal hast du auf den Urlaub verzichten müssen. Was sollen meine Eltern denken, wenn der Dreißigste nicht gefeiert wird. Nein, ich bin nicht damit einverstanden. Und überhaupt so ein Unsinn, zwei Monate später fahren wir doch sowieso nach Stallwang.“
Hans nahm sich noch einmal Bohnensuppe. In seinem Gesicht spiegelte sich Ärger und Unverständnis. Ich hätte es gut, bin den ganzen Tag zu Hause, brauchte mich um nichts zu kümmern. Etwas Besseres kann sich eine Frau doch nicht wünschen, meint er.
Als die Kinder in die Schule kamen, wollte ich wieder in meinen Beruf. Halbtags, damit war er anfangs einverstanden. Es ist mehr das Hobby meiner Frau, als ihr Beruf – so stellte er mich einmal einem Kollegen vor. Meine Schwiegermutter vertrat natürlich die Meinung, dass eine Mutter zu ihren Kindern gehöre. Bald war Hans der gleichen Ansicht.
Archäologie, das war schon mit vierzehn mein Traum, Schliemann mein Vorbild. Dann das Abitur und mit Eifer das Studium in Berlin. Gut, dass meine Eltern den Abschluss noch erlebt haben. Warum muss eine Mutter immer bei ihren Kindern sein, darf sie ihre Lebenswünsche nicht wahrnehmen? Die Kinder würden es mir nicht vorwerfen. Der Große sagte erst vor kurzem zu mir: „Mutter, wie hältst du euer spießiges Leben nur aus?“ Ich war beleidigt. Aber dann kam es mir vor, als sei das ein Zauberwort gewesen, als erwachte ich. Wolf Biermanns altes Lied fiel mir ein „… das kann doch nicht alles gewesen sein, das bisschen Fernsehen und Kinderschrein, da muss es doch noch etwas geben…Leben!“Stallwang. Ich will nicht nach Stallwang und auch nicht in den „Alten Kaiser!“
„Hans“, versuchte ich es noch einmal und fasste über den Küchentisch nach seiner Hand.
„Wir gönnen uns wenig. Es ist doch unser Tag, da wäre es doch schön eine kleine verspätete Hochzeitsreise zu machen. Sieh mal, damals konnten wir uns keine leisten und ich möchte auch mal etwas anderes kennen lernen. Wir könnten im Reisebüro nach Angeboten sehen, vielleicht eine Städtereise?“
Noch nie habe ich bei meinem Mann so einen entgeisterten Gesichtsausdruck gesehen.
„Aber Inge“, fing er leise an, „ich kenne dich nicht wieder. Wie kommst du bloß auf solch extravagante Ideen?“ Er steigerte sich im Ton: „ Wir gönnen uns nichts? Bist du plötzlich unzufrieden? Wer bezahlt das denn alles hier, den ganzen Schnickschnack, den du kaufst? Alten Muff raus schmeißen nennst du das. Ein neues Service, was wir nicht brauchen, letztens neue Gläser. Ich sage ja nichts, aber wo Schluss ist, muss Schluss sein! Die gnädige Frau möchte mal was anderes sehen. Reisebüro, wie das schon klingt. Leute wie wir, die fahren noch ganz normal in dieFerien!
Hans riss sein Puddingschälchen an sich und löffelte verbissen in sich hinein.
„Ich wollte doch nur..."
„Schluss habe ich gesagt. Ich weiß nicht, wo du die Idee her hast, aber schlag sie dir aus dem Kopf. „Gartenklause“ oder „Alter Kaiser“, was anderes kommt nicht in Frage!“
Meine Bohnen waren inzwischen kalt und ich wollte…

„Hallo, Frau Hinz, hören Sie mich? Machen Sie mal die Augen auf!“ rief der Notarzt und schlug mit der Hand leicht auf ihre Wange.
„Machen Sie mal ein bisschen Platz, Herr Hinz. Wir nehmen Ihre Frau mit ins Krankenhaus!“ Mit diesen Worten schob der Rettungsassistent den Esstisch und die Stühle mit einer forschen Bewegung beiseite, um für die Trage Platz zu machen.
„Ja, aber ich muss doch mit und Wäsche mitnehmen.“
„Später können Sie Sachen nachbringen. Jetzt muss es schnell gehen.“
„Was hat denn meine Frau, ist es was am Herzen?“
„Das wissen wir noch nicht, wahrscheinlich ein Schlaganfall. Nehmen Sie alle Medikamente mit, die Ihre Frau zurzeit nimmt.“, war die kurze Antwort des Arztes.
Was ist mit mir? Warum…, oh mein Gott, warum liege ich auf dem Boden?
Meine Frau kommt zu sich, Herr Doktor, sie bewegt sich. „ Inge, kannst du mich hören? I n g e, der Arzt ist hier!“
Arzt? Ach, ich erinnere mich, wir haben gegessen, Bohnensuppe und Vanillepudding. ‚Hans, was machen die mit mir? Ich will nicht weg, hilf mir doch auf die Couch, bitte.’
„Es wird alles wieder gut, Inge. In der Klinik werden sie dir schon helfen. Beruhige dich doch. Siehst du, wir sind schon da und nun kommst du in die Notaufnahme.“
Die Schwester am Eingang dirigiert Hans ins Wartezimmer, während die Krankenhausroutine ihren gewohnten Gang nimmt.
„Apoplex! Der Ehemann sagte, sie sei während des Essens seitlich vom Stuhl gekippt.
Kleine Prellmarke an der rechten Schläfe, sonst hat sie keine äußeren Verletzungen. Schwester Heike rufen Sie die Röntgenassistentin an, wir brauchen ein CT.“
Oh Gott, ich bin im Krankenhaus. Mein Bett wird wie von Geisterhand durch einen kalten Flur geschoben. Ich sehe flackernde und helle Neonröhren sich in schnellem Tempo abwechseln. In den Plastikabdeckungen liegen noch die toten Insekten vom letzten Sommer. Am Kopfende erscheint ein freundliches Gesicht.
„Frau Hinz, ich bin Schwester Heike. Wir fahren jetzt zu einer Untersuchung. Wir wollen Ihren Kopf untersuchen. Ganz ruhig, es tut nicht weh.“
‚Kopf untersuchen? Ich habe doch nichts am Kopf. Schwester, wo ist mein Mann?
Ich möchte meinen Mann sprechen’
„Frau Hinz, nicht so unruhig. Es passiert nichts Schlimmes.“
‚H i l f e! Schwester, was machen Sie mit mir? Ich möchte im Bett bleiben.
Nein, lassen Sie das, ich will nicht in dieses Gerät! Hans, mein Mann heißt Hans Hinz, er soll kommen. Schwester, bitte rufen Sie meinen Mann.’
„Die Patientin ist sehr unruhig und reagiert nicht.“ sagte Schwester Heike zur Röntgenassistentin „ich helfe dir, sie auf den Untersuchungstisch zu legen.“
Wieso reagiere ich nicht. Ich sage der Schwester doch laufend, sie soll Hans holen.
‚Schwester, jetzt hören Sie mal zu. Ich will meinen Mann sprechen!’
„Frau Hinz, bitte versuchen Sie ganz ruhig zu liegen. Die Untersuchung ist gleich vorbei, dann kommen Sie wieder in Ihr Bett.“
Oh Gott, die hört mich nicht. Niemand hört mich. Der Arzt holt Hans herein. Sie sprechen leise. Aha, mir wollen die nichts sagen, die haben mich schon abgeschrieben.
„Herr Hinz, Ihre Frau hat einen Schlaganfall erlitten. Die Computertomographie hat es bestätigt. Wir nennen es Ischämie. Es betrifft die rechte Seite des Gehirns. Das heißt, Ihre Frau kann hören und sehen, kann aber nicht sprechen.“
Hans kommt an mein Bett, er sieht bedrückt aus.
„Inge, du musst hier bleiben. Ich komme dich morgen besuchen. Siehst du, unser Gespräch hat dich aufgeregt. Ich sagte doch, für unsereins sind solche großspurigen Reisen nichts. Das würde dich noch viel mehr aufregen, der Lärm und die Eindrücke. Es gibt sehr schöne Sendungen im Fernsehen über fremde Städte. Nun sieh mich doch nicht so traurig an. Mit viel Geduld wird es wieder werden.“
Eine Reise im Fernsehen? „Alter Kaiser“, Suppen mit Pudding? Niedertreter und Schwiegermutter, immer fürs Gediegene? Nein, ich will nicht mehr, will nicht mehr nach Hause.
Das kann doch nicht alles gewesen sein, das bisschen Haushalt und… hmm, hmm ,hm.
Und wenn ich mir Mühe gebe und gesund werde? Dann könnte…
„Mir war eben, als hätte Frau Hinz ganz leise ein Lied gesummt.“ sagte die Schwester
und schüttelte verwundert den Kopf.

 

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