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Das Kamelrennen
Das Kamelrennen
Auszug aus „Eins“ von Alpha O'Droma
Anmerkung des Autors:
Der Held dieses Romans, Thor Becker, war aus Gründen, welche uns hier nicht weiter kümmern, mit einer indischen Familie durch die Wüste gereist, um nach Pushkar zu gelangen, einer heiligen Stadt in Rajastan, wo jedes Jahr die größte Camel-Fare der Welt stattfindet. Eine Camel-Fare ist eine Art Beduinen-Woodstock.
Ein knurrender Magen weckte ihn. Er verschlang Naan mit Käse, 6 Spiegeleier und wanderte vergnügt zum Lager seiner Gastfamilie. Badu sah ihn kommen und lief ihm entgegen. „Meine Familie in großer Sorge, aber ich wußte, du kommst zurück.“ Thor hievte den besten Kameljockey von Rajastan auf seine Schultern und hielt auf das Zelt seiner Sippe zu: „ Ich werde mir doch deinen Sieg nicht entgehen lassen.“ Badu verspannte sich. „Was ist los, hat Aga Khan sich den Knöchel verstaucht?“ Badu enthüllte die Tragödie. Aga Khan war im Finale. Doch Mustafa Hadschi Ibn Saud, ein zwölfjähriger Abkömmling der Königsfamilie von Saudi Arabien hatte mit seinem Hengst Aldebaran den Wettbewerb dominiert. Im zweiten Halbfinale hatte Aldebaran den Streckenrekord geknackt, den Aga Khans Vater vor 12 Jahren aufgestellt hatte. Er war von australischer Herkunft, und kein Kamel der asiatischen Welt vermochte seinem unwiderstehlichen Endspurt etwas entgegenzusetzen. Thor dachte an Michael Schumacher und Ferrari. „Das Kamel allein ist nicht entscheidend. Es kommt auf den Reiter an!“, versuchte er seinem Freund Mut zuzusprechen, „Der beste Reiter kann auch mit dem zweitbesten Kamel gewinnen.“ Badu zog ihn am Ohr, was einem Dank entsprach. Sie betraten das Zelt. Baderans Mutter begrüßte ihn wie einen verlorenen Sohn. Sie zerrte ihn auf eine Matte und zwang ihn, wenigstens anderthalb in Honig geröstete Hühner zu verputzen, auch auf die Gefahr hin, dass er platzte. Etwa 5 Rülpser später kam Baderan heim, umarmte ihn und stopfte die Wasserpfeife.
Er war zu Hause.
Am nächsten Morgen waren sie alle nervös. Baderan stauchte seine Kameltreiber wegen Kleinigkeiten zusammen, doch die verstanden ihn nur zu gut. So viel stand auf dem Spiel. Die Familie und ihr Anhang, etwa 100 Personen und Kamele also, begaben sich zur Rennstrecke. Das Kamelrennstadion von Pushkar ist ein Oval mit zwei kleinen Tribünen an den Geraden. Um die Kurven herrscht offenes Gelände. Für das Finale kamen etwa 100000 Zuschauer, obwohl die Tribünen nur 6000 Sitzplätze hatten. Der Rest verteilte sich in Hörweite um das Stadion. Der aktuelle Stand des Rennens wurde nach hinten weitergesagt.
Das Beduinen-Woodstock näherte sich seinem Höhepunkt. Zuerst stand ein Juniorenrennen auf dem Programm. In der Klasse der Dreijährigen lag eine afghanische Stute lange in Führung. Eine Runde maß ungefähr 500 Meter, das wußte keiner so genau. Die Stute ritt ein zehnjähriger Mudjahedin, kampferfahren und im Sattel geboren. Er hatte in der zweiten von 7 Runden die Führung übernommen und verteidigte sie tapfer bis zur sechsten. „Yalla!Yalla!“, wurde er von seinen Landsleuten angefeuert.
Die Afghanen hatten nicht viel Geld. Sie schlossen ihre Wetten in Haschisch ab, der vierthäufigsten Währung nach amerikanischen Dollar, indischen Rupien und Kamelen. Findige Buchmacher boten auch Wechselkurse für pakistanische Rupien, Afghani, australische Dollar, Hühner, saudische Rial, Ziegen, türkische Lira und Seide an. Nur Kamele mußten auf- oder abgerundet werden. Hier galt noch der Handschlag, denn alle waren sich darüber im Klaren, dass Zwangsvollstreckungen meist mit einem Dolch in der Brust des Schuldners endeten.
Die Jungkamele gingen in die letzte Runde. Zwei australische Jungbullen saudischen Gestüts holten die Stute ein und nahmen sie in die Zange. Der Afghane gab seinem Kamel die Sporen. Kamele werden eigentlich nicht mit Sporen geritten, doch Mudjahedin besitzen kein Schuhwerk ohne die metallischen Motivationskünstler. In der letzten Kurve lagen sie noch gleich auf, doch dann legten die Saudis ihren unwiderstehlichen Schlußspurt hin. Die afghanische Stute gab alles, sie schäumte. Es gelang ihr, den Saudibullen, der aussen lief abzudrängen, doch der andere auf der Innenbahn zog davon. Sie hatte Charakter. Noch 100 Meter. Sie keilte aus, traf den äusseren Saudi in den Bauch und machte sich an die Verfolgung des inneren. Flocken weißen Schaums flogen dem Mudjahedin ins Gesicht. Sie holte auf. Doch es reichte nicht. Der Saudi gewann das Juniorenrennen. Die afghanische Stute brach auf der Ziellinie zusammen und ihr Reiter flog in hohem Bogen über sie hinweg. Er rollte sich elegant ab und rannte zu seinem Kamel. Das zuckte nur noch spasmisch vor sich hin. Ein älterer Krieger, offensichtlich der Vater des Jungen, kam angelaufen, legte die Hand auf seine Schulter und reichte ihm ein Gewehr. Der Knirps strich zärtlich über den Hals der Stute, küßte ihr zuckendes Ohr, wobei er etwas flüsterte, und schoß ihr dann in den Kopf. Sie hätte es ohnehin nicht überlebt. Genau wie Pferde, sind Kamele tatsächlich in der Lage, sich totzurennen. Der Sieger war abgestiegen und zu ihnen getreten. Er verneigte sich kurz vor seinem Widersacher, wie es unter Gleichgestellten üblich ist, und verbeugte sich dann tief vor dem toten Kamel. Sie würden es gemeinsam essen, obwohl Kamelfleisch so zäh, wie das von Affen ist, und sie würden gute Freunde werden, denn so hatte es das Schicksal bestimmt. Ahmed, der Sohn des saudischen Prinzen, würde den Afghanen 3 Kamele schenken, denn er wurde als Ehrenmann erzogen.
Es dauerte fast eine Stunde, bis auch der hinterste Kameltreiber den genauen Hergang des Rennens zu berichten wußte. Die Geschichte interessierte schließlich Lagerfeuer in ganz Asien.
Thor massierte Badus Schultern, Nacken und Schläfen. 4 Mann kneteten Aga Khan durch und rieben eine durchblutungsfördende Tinktur in sein Fell. Badu war ganz fickrig. Thor glaubte den Grund zu kennen. Die australischen Kamele der Saudis hatten sich in allen Rennen durchgesetzt und Aldebaran war ihr Champion. Mustafa Hadschi Ibn Saud galt als bester Jockey Arabiens und dennoch hatte die Kalunjasippe einen Großteil ihres Besitzes auf ihren achtjährigen Sohn verwettet. „Du wirst es packen,“ versuchte Thor ihn zu beruhigen, „Vertrau Aga Khan, er ist ein Kämpfer genau wie du!“ Ein fetter Inder, der so fett war, wie nur Inder fett sein können, forderte sie auf, sich an den Start zu begeben.
Die 8 besten Kamele des Orients versammelten sich an der Startlinie. 3 aus Saudi Arabien, 2 aus Indien, ein afghanisches Kamel aus Kandahar, ein pakistanisches aus dem Punjab und eins aus dem Oman. Helfer spannten ein Seil, um Frühstarts zu verhindern, was funktionierte, denn Kamele sind lausige Springer. Der Zeremonienmeister hielt eine kurze Rede, die simultan von Hindi in Urdu, Farsi und 20 andere Sprachen übersetzt wurde. Zuschauer, oder besser Zuhörer in weit entfernten Zelten waren gespannt. Für 90% aller Beteiligten war das Rennen nur als eine Art Radioreportage zu verfolgen, doch das tat der Freude keinen Abbruch. Im Gegenteil. Je weiter man vom Oval entfernt war, desto dramatischer waren die Ereignisse. Der Zeremonienmeister gebot der jubelnden Menge Einhalt. Totenstille. Er hob theatralisch eine alte Büchse, die einst Old Shatterhand gehört haben mochte, in die Höhe und feuerte den Startschuß.
Thor fühlte sich ambivalent. Er war mittags zum Buchmacher gegangen. Aldebaran war klarer Favorit mit 22 für 10. Aga Khan brachte 45 für 10. Da er sicher war, einer der beiden würde gewinnen, sollte er eigentlich 100 $ auf beide setzen. Gewänne Aldebaran, brächte das 20 $, für Aga Khan sogar 250 $ Profit. Er müßte eigentlich mit Versicherung zocken, doch er wäre sich wie ein Verräter vorgekommen. Scheiß drauf! 200 $ auf Aga Khan. Sein Wettschein war ein Fetzen Papier, auf den irgendwas in Sanskrit gekritzelt war, nur die Zahl 200 war zu erkennen. Schien O.K. zu sein. Das Rennen begann.
Das Finale ging über 9 Runden. Badu startete in der Mitte. Den besten Start hatte das Kamel aus dem Oman ganz innen. Aga Khan war im Mittelfeld als es in die erste Kurve ging. Er wurde aussen von einem Saudi bedrängt, der sich anschickte, ihn in der Kurve zu überholen. Badu tat das einzig Richtige. Er zog nicht gleich nach innen, sondern nahm sich die Zeit, den Saudi zu rammen. Der kriegte die Kurve nicht mehr und kollidierte mit dem ganz aussen gegangenen Pakistani, was ihn rettete. Er hielt sich glücklich im Sattel, während der Sohn Pakistans in hohem Bogen von seinem Kamel flog. Für den 10jährigen aus dem Punjab war die Show vorbei. Er hatte sich die Schulter ausgekugelt. Oman lag jetzt vor Afghanistan. Aldebaran 3. Aga Khan 4. Daran sollte sich 2 Runden nichts ändern, bis Aga Khan anzog. In der 4. Runde machte er 2 Plätze gut und lag nun eine Länge hinter dem Überraschungskamel aus Oman. Aldebaran hielt sich innen und griff den Afghanen an. Der zog kurz vor der Kurve abrupt nach links, um ihn zu schneiden. Fast jedes Tier hätte nun gebremst, doch nicht der saudische Hoffnungsträger. Er traf den Afghanen fast im rechten Winkel. Mustafa Hadschi Ibn Saud schrie etwas Arabisches, Aldebaran neigte seinen Schädel und traf den afghanischen Reiter voll in die Seite, nur Sekundenbruchteile bevor seine Brust die Flanke des Feindes rammte. Der Gegner wich nach aussen und sein Reiter hatte erstaunlicherweise nur 3 gebrochene Rippen zu beklagen. Dieser Vorfall brachte dem Kamel aus Oman und Aga Khan satte 5 Längen Vorsprung. In der 6. Runde begann Oman zu schäumen. Er wurde müde. Badu bewies Geduld, ließ den anderen die Führungsarbeit verrichten und wartete ab. Aldebaran begann die Lücke zu schließen. In der 8. Runde kam Badu‘s Chance. Vor ihnen tauchte das letzte indische Kamel auf. Oman wollte es außen überrunden. Ein Fehler. Badu zog innen in der Kurve vorbei. Die letzte Runde. Aldebaran hatte sich den erschöpften Helden aus Oman gekauft und lag eine Länge hinter ihm. Der Saudi schaltete jetzt den Turbo ein. In der letzten Kurve wollte er innen vorbei, doch Badu konnte den Angriff abwehren. Aldebaran quetschte sich dennoch irgendwie zwischen Aga Khan und die Bande. Sie lagen jetzt auf gleicher Höhe und man konnte sehen, dass der Saudi mehr Reserven hatte. Nach 50 Metern beschloß Aga Khan, die Taktik zu wechseln, und biss Aldebaran in den Hals. Der geriet daraufhin kurz aus dem Tritt. Badu nutzte die Schrecksekunde, um die Zügel nach links zu reißen und der kamelgewordene Held Rajastans rammte seinen Gegner mit Freuden gegen die Bande. Es mutete an wie ein Stock-Car-Race, nur statt Funken flogen Fellbüschel. Aldebaran war beleidigt, biss seinem Peiniger mit Schmackes in die linke hintere Flanke - der Autor hat lange nach einem Synonym für Arschbacke gesucht – und zog nach außen. Noch 60 Meter. Aldebaran verfügte über einen atemberaubenden Endspurt. Aga Khan quollen die Augen aus den Höhlen, doch Aldebaran schob sich rechts neben ihn und zog schließlich vorbei.
Leider, meine lieben saudischen Leser, war zu diesem Zeitpunkt die Ziellinie schon überschritten. Aga Khan hatte gesiegt. Rajastan im Freudentaumel. Ohrenbetäubender Jubel. Thor dem Ersticken nahe, weil Baderans Umarmung ihm die Luft abschnürte. Aga Khan nervös, weil hunderte Inder ihn küssen oder streicheln wollten, urinierte erst mal in die Arena. Euphorische Inder, besprenkelt mit Kamelpisse.
Es war ein schöner Tag.