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Das Joch
Schon lange hege ich den Verdacht, dass Anton mich hintergeht. Natürlich ist mir völlig klar, dass sich offene Liebesbekundungen, sexuelle Begierden, selbst Zärtlichkeiten, mit der Zeit erschöpfen. Vermutlich steht jeder Beziehung ein bestimmtes Reservoir davon zur Verfügung, irgendwann ist es aufgebraucht. Es folgt das Bemühen, den Partner bei der Stange zu halten, was nicht wortwörtlich gemeint ist oder vielleicht doch. Ich gebe mir alle Mühe, neben meinen Pflichten als Hausfrau und Mutter auch denen der Ehefrau nachzukommen. Aber ohne ein gewisses Maß an Zutun seitens meines Gatten ist es mir schier unmöglich, befriedigend zu agieren.
Nun war ich nie der erotische Typ mit aufwallenden Leidenschaften oder gar sexueller Gier. Deshalb machte es mich nicht unglücklich, im erkalteten Bett zu ruhen, wenn ich nicht wüsste, wie triebgesteuert Anton war und sicher weiterhin ist. Also beobachte ich ihn. Ein Hauch femininen Parfüms an seiner Kleidung, Make-up Spuren am Hemdkragen, Hämatome am Hals, die er unter Pflaster zu verbergen versucht. Seine locker gelöste, ja, heitere Stimmung, wenn er nach einem angeblich 14-stündigen Arbeitstag nach Hause kommt. Sein riesiger Appetit, nicht auf mich, auf die von mir zubereitete Hausmannskost. Wie er nach der Völlerei beinahe augenblicklich wegsackt, vollends zufrieden wie ein Säugling an der Brust. Das alles sagt mir: Er hat eine Geliebte!
Wie immer unterschätzt er mich, lässt nicht nur seine Kleidung überall rumliegen, auch seinen Time-planer und das Mobiltelefon. So habe ich nun die vollständige Adresse von Paulina Zalewska. Heute noch werde ich ihr einen Besuch abstatten.
Meinem Sohn sage ich, was sage ich ihm? Ich war noch nie eine gute Lügnerin. Falls ich nun einen Brief schreibe und diesen neben der Spüle platziere, wird der erst entdeckt, wenn ich nicht rechtzeitig zurück bin, um das Abendessen pünktlich zu servieren. Ich fungiere doch nur noch als Köchin, Wasch- und Putzfrau der Familie. Das Joch einer Ehefrau, darüber will ich gar nicht klagen.
Also schreibe ich: Ich muss zu einer Freundin.
Aktuell habe ich keine.
Ich muss zu einer alten Schulfreundin, denn sie hat mich gebeten, ihr geht es sehr, sehr schlecht!
Das ist gut.
Wartet nicht mit dem Essen auf mich, eine kalte Platte steht im Kühlschrank.
Mit Bedacht wähle ich meine Garderobe: das Kostüm von Chanel in Anthrazit, passend dazu die delphinfarbene Bluse mit Biedermeierkragen im hellen Silberton, Pumps in Graphit sowie die Handtasche von Armada in Flintsteinoptik.
Ich rufe ein Taxi, fahre bis zum Karolinaplatz, wo ich aussteige und meine nächsten Schritte überdenke. Was, wenn Anton auch auf dem Weg zu ihr ist und mich erkennt? Das habe ich im Vorfeld nicht bedacht. Ich husche in die nächstgelegene Boutique. Dort erwerbe ich eine voluminöse Stola, Lederhandschuhe, Fächer und eine riesige Sonnenbrille – alles in dunklen Grautönen. Mein Haar verstecke ich unter einem schwarzen Haarnetz. Ich kaufe mir einen grellroten Lippenstift, benutze ihn großzügig für Mund und Wangen, male mir mit Kajal einen Leberfleck rechts neben den Nasenflügel, wie ich es auf dem Foto über dem Schminkspiegel erblicke. Zufrieden mit der Maskerade ziehe ich los zur Karolinaallee 46.
Ein Hochhaus, 15 Etagen, ich suche nach ihrem Namen und steige in den Lift. Eine junge Frau quetscht sich trotz der sich schließenden Türen zu mir herein. Sie mustert mich von oben bis unten. Ich breite meinen Fächer aus, wedle mir Luft zu.
„Heiß, was?“, raunt sie mir zu.
„O, ja“, hüstele ich, nehme die Stola ab, hänge sie über meine Handtasche.
„Wohnen Sie hier?“, fragt sie mich.
„Nein, ich besuche eine Kollegin. Wir haben einen Termin, Geschäftstermin.“
Wieder mustert sie mich von Kopf bis Fuß. „Shades of Grey?“
Ich schaue an mir herab, selbst meine Strümpfe sind grau, taubengrau. Sie dagegen ist rot und schwarz gekleidet und zwar ziemlich aufregend, besser gesagt: aufreizend. Man könnte es auch als nuttig bezeichnen, als typischen Ostblock-Nutten-Look.
Ich nicke bestimmt.
„Yes!“, ruft sie und umarmt mich. „Oldschool, abgefahrn. Haste eine Maske dabei?“
Ich schüttle den Kopf.
„Ich glaub nich, dass die Brille reicht“, schiebt sie mich aus dem sich öffnenden Lift, schließt die Wohnung mit dem Namensschild >Zalewska< auf, schubst mich hinein. „Ich glaub, ich hab noch eine.“
Sie kramt in ihrem Garderobenschrank. „Da!“, streckt sie mir eine schwarze Spitzenmaske entgegen. „Passt sogar zum Outfit. Musst du nochmal Pippi?“
Sprachlos schüttle ich wiederum den Kopf.
„Dann los, der Wagen wartet schon!“, schiebt sie mich aus der Tür und zurück in den Lift. Sie plappert unentwegt, ich verstehe ihre Worte, aber nicht den Sinn dahinter, nur, dass wir spät dran sind und sie schon ewig auf mich wartet, nach mir gesucht hat, im ganzen Haus. „Haste kein Akku mehr? Ging nur die Mailbox ran. Passiert mir auch ständig. Na ja, läuft ja jetzt. Da lang!“, treibt sie mich vor sich her. „In die schwarze Limo, rein mit dir!“
Kaum sitzen wir in diesem Luxusschlitten, rasen wir auch schon los. Ich kralle mich in die roten Lederpolster, schaue aus dem Fenster, versuche mir Straßennamen einzuprägen. Paulina hält mir ein Glas vor die Nase, lässt den Champagnerkorken knallen und gießt ein. „Auf einen guten Job, Sister!“, stößt sie an mein Glas. „Krassen Zug haste“, gießt sie mir erneut ein. „Also denk dran, no names! Du bist Bad Girl, ich bin Good Girl, wie die Cops Nummer, läuft immer. Haste schon wieder leer?“, schenkt sie mir nach. „Alles klar, Karla? Karla war doch dein Name, oder?“
Noch ein Glas, ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so viel Alkohol konsumiert habe. Mein Kopf nickt von alleine, obwohl ich nicht Karla heiße, sondern Marianne. „Alles klar, Paula.“
Der Wagen hält vor einem roten Haus. Mit großen goldenen Lettern steht an der Fassade: >Fremder, wir garantieren: Du wirst uns lieben!<
„Nenn mich ruhig Paula“, zwitschert Paulina. „Mir nach, wir nehmen den Hintereingang.“
Rasch steigen wir eine Wendeltreppe hoch, werden von zwei grinsenden Reeperbahn-Typen empfangen und hinter einen goldenen Vorhang geleitet. Marktschreierisch dröhnt unsere Good-Bad-Girl-Ansage, Männer klatschen, stampfen und grölen.
„Du bist auf der rechten Bühnenseite, also rechts von dir, im Zweifel, wo die Peitschen hängen“, flüstert Paula mir hastig zu, da öffnet sich der Vorhang. Ich stehe fest wie eine deutsche Eiche, doch Paula zerrt mich kreischend aus meiner Verwurzelung auf die Bühne. Mit Barbiestimme jauchzt sie: „Hi Boys, ich bin Good Girl und das“, zeigt sie schwungvoll mit bis in die Zeigefinger durchgestreckten Armen auf mich, „ist Bad Girl. Sei nicht so bad, Girl und sag Hello!“
„Hallo“, sage ich, schaue in die Menge und weiß nicht, ob mir von denen oder vom Alkohol übel ist.
„Ist sie nicht bad?“, kichert und hüpft Good Girl wie ein pubertierender Cheerleader, tatsächlich schlägt sie sogar ein Rad und noch eins. „Ist sie nicht bad, hahahaha.“ Popo wackelnd dreht sie sich zu mir und knurrt: „Komm jetzt, ich kann nich alles alleine machen!“
Ich hebe hilflos die Schultern.
„Ist sie nicht bad!“, schlägt Paula noch ein Rad.
Einige Männer rufen: „Hey Bad Girl, nimm mich!“ „Nein mich!“ „Mich!“
Ich fahre herum: „DU!“, übertöne ich die Meute mit einer Stimme, die sich rau und kehlig artikuliert. „Ja, Du, im braunen Bruno Banani, komm her zu mir!“
Ich lasse eine schwarze Lederpeitsche knallen, als wäre das schon längst meine Pflicht. „Auf die Knie!“, knirsche ich hervor, hebe ein Joch vom Ständer und hänge es ihm um den Hals. „Du Dreck!“, ziehe ich das Leder über seinen Rücken.
Er stöhnt: „Ja. Ja, Bad Girl!“
„Du musst bestraft werden!“, schwinge ich die Peitsche. Er schreit. Seine Augen sind voller Lust. Ich schließe die meinen.
„Da hast du, und da, da und da ...“
Die Menge johlt. Good Girls Rad schiebt sich geschickt zwischen uns. Sie umarmt mein Opfer, zieht es von mir weg, befreit es vom Joch.
„Armer, armer Darling! Jetzt ist Good Girl da, Good Girl passt auf Dich auf“, knutscht sie ihn ab, wiegt ihn an ihrem Busen. Dann schiebt sie Anton von der Bühne.
„Ist sie nicht bad, Bad Girl!“, kreischt Paula Popo wackelnd und zu mir: „Wow. Jetzt tanzen wir noch ‘n bisschen.“
„Das war mal überzeugend, es geht doch nichts über Old School in unserem Business“, bemerkt Paula auf der Heimfahrt, nimmt mir die Maske ab, schaut in meine Augen, streicht mir eine Strähne aus dem Gesicht, öffnet den Mund und schließt ihn wieder. Ihr Handy summt, sie holt es aus der Tasche. „Dein Opfer hat geschrieben, er will dich buchen.“
Lachen schüttelt mich, bis mein Gesicht in Tränen schwimmt und Paula mich in ihren Armen wiegt, wie sie es vorher mit Anton tat.
„Was ist los?“, fragt sie nach einer Weile.
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Das tut so gut.“
„Was tut gut?“, fragt Paula zurück.
„Das Umarmen, lange hat das niemand mehr für mich getan.“
Angestaute Worte fließen, eigensinnig sprechen sie mich, füllen die Limousine bis unters Dach mit Trauer, Wut und Verzweiflung. Paula sitzt reglos neben mir, schaut mich an, hält meine Hand.
„Was soll ich jetzt tun?“
Sacht streicht Paula über meine Wange, atmet hörbar ein, langsam öffnen sich ihre Lippen: „Wir Frauen sollten zusammenhalten, also ...“
Wieder summt ihr Handy. Schmunzelnd liest sie mir vor: „Hi Paulina, hast mir auf die Box gesprochen. Handy war weg. Dachte, der Termin wär morgen. Tut mir voll sorry, vielleicht andermal? Karla“