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Das Indianerzelt im Wohnzimmer
Da komme ich nach Hause und aus dem Wohnzimmer dröhnt es: „Wengapo! Das heißt ‘guten Tag’ auf indianisch!“
Ich blinzele um die Ecke, da sitzt unsere fünfjährige Tochter im Schneidersitz auf dem Berber und guckt Pocahontas, ist eingetaucht in die Indianerwelt von Walt Disney. Sie beachtet mich überhaupt nicht. Kein Freudenschrei zur Begrüßung wie sonst, das Kind ist eine Rothaut.
Unbemerkt stehle ich mich wieder aus dem Wohnzimmer. Von oben ruft meine Frau: „Bist du’s?“ „Ja“, antworte ich, hänge meine Jacke an den Haken und gehe in die Küche: Das totale Chaos! Die Kurze hat sich offensichtlich selbst etwas zu essen gemacht. Milchpfützen auf dem Tisch und auf dem Boden, überall Cornflakes verstreut. Das Szenario ist verfeinert mit einem angebrochenen Paket Käse und den Resten des Mittagessens auf den Tellern sorgfältig beschienen vom Licht, das aus dem offenen Kühlschrank strahlt.
Ich lösche das Licht im Kühlschrank und mache mich auf den Weg nach oben, um mich umzuziehen.
Auf der Treppe höre ich die Stimme meiner Frau. Sie telefoniert im Arbeitszimmer. Meine Frau telefoniert gerne, ausgiebig und oft. Wenn bei uns zu Hause das Telefon klingelt gehe ich schon gar nicht mehr ‘ran, ist sowieso fast nie für mich.
Vorsichtig betrete ich das Schlafzimmer. Das war gut so, sonst wäre ich nämlich über den halben Hausrat aus dem Kinderzimmer gestolpert. Trampolin, Barbiekiste und Legosteine liegen in friedlicher Eintracht kunterbunt durcheinander. Vor dem Spiegel ein Repertoire von Kinderschminke und die offensichtlich heute im Kindergarten gebastelte Maske mit Federn und Glitzer liegt daneben.
Auf dem Bett liegen haufenweise Klamotten. Anna hat wieder verkleiden gespielt.
Ich ziehe meine Sachen aus und rein in die Wohlfühlklamotten. ‘Erst mal in den Garten.’, denke ich und im Hinuntergehen fällt mein Blick ins Kinderzimmer - unbeschreiblich - ich schließe einfach die Tür.
Um in den Garten zu kommen muß ich durch Indianergebiet, also ich ins Wohnzimmer, meine Tochter nimmt mich tatsächlich wahr, springt auf, freut sich und fragt, während sie keinen Blick vom Fernseher läßt: „Spielst Du gleich mit mir?“ „Ja“, sage ich „aber laß mich erst mal richtig da sein, ok?“ „ok!“
Ich gehe auf die Terrasse. Unser Garten ist ziemlich groß und am anderen Ende der Wiese entdecke ich einen Haufen Holz und Spielzeug, die Gartenbank und den Tisch, umgedreht auf dem Boden mit den Füßen nach oben. Dachlatten drangezimmert. Sieht interessant aus! Eine Wettermaschine, wie ich später von meiner Tochter erfahren werde und, daß ich ihr dabei helfen soll, sie fertig zu bauen.
Der Abend neigt sich über das traute Heim. Besuch kam noch kurz vorbei, einige Telefonate für meine Frau. Anna und ich haben Abendbrot gegessen und meine Frau bringt sie gerade zu Bett.
Nachdem ich die Küche aufgeräumt habe, will ich vor dem Fernseher ein bißchen entspannen. Neben dem bequemen Ohrensessel steht ein Indianerzelt, dessen Eingang sorgsam zur Mattscheibe gerichtet ist.
Das Indianerzelt gehört da nicht hin.
Ich räume es nicht mehr weg, sondern setze mich daneben in den Sessel und finde es eigentlich ganz nett...
... Glück auf!