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Das Herz des Machlands

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04.08.2002
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Das Herz des Machlands

Das Herz des Machlands

Niemand ging in den Wald am Rande des Machlands, hieß es. Trotzdem führte ein Weg hinein. Also hatte man mir eine Lügengeschichte aufgetischt. Ich joggte zum ersten Mal, seit wir nach Perg gezogen waren. Das kleine Städtchen war die einzige größere Siedlung in weitem Umfeld. Darüber hinaus gab es nur halb verfallene Dörfer mit einer abergläubischen Landbevölkerung. Ich würde als Rechtsanwalt hier ein beschauliches Leben bis zu meiner baldigen Pension führen. Um vor Geistergeschichten Angst zu haben, war ich zu alt und zu abgebrüht. Und außerdem bot sich der Weg geradezu an. Zuerst waren die Bäume neben dem schmalen Pfad noch hoch und stattlich, doch tiefer im Wald wuchsen sie niedriger und immer wieder sah ich abgestorbene Stämme in allen Stadien des Verfalls. Die lebendigen Bäume waren durchwegs verkrüppelt und machten immer öfter verfilzten Sträuchern und Brennnesseln Platz. Es stank nach fauligem Wasser und verwesenden Tieren.
Das Machland war vor Jahren dichter besiedelt gewesen. Missernten und fallende Preise für Nahrungsmittel hatten die bäuerliche Bevölkerung zum Großteil vertrieben.
Die Sonne ging bereits unter und die Luft wurde schlagartig kühler. Meinen Pfad hatte ich längst verloren, und so rannte ich quer über ein verödetes Feld. Es war voller stacheliger Disteln, von denen flaumige Samen losschwebten. Auf der anderen Seite fand ich einen halb zugewachsenen Trampelpfad, der mich durch einen von hohen Bäumen gebildeten Saum führte. Ich wurde unsicher, ob die Richtung stimmte. Zwischen den Bäumen sah ich etwas Weißes, doch als ich darauf zurannte, war es plötzlich verschwunden. Immer wieder rannte ich an verwilderten Feldern vorbei, auf denen selbst das Unkraut nur spärlich gedieh.
Mein Pfad verlor sich wieder im Gestrüpp. Ich blieb kurz stehen, prüfte anhand des rötlichen Schimmers im Westen die Himmelsrichtung und lief rasch weiter. Längst hätte ich die Straße am östlichen Rand des Waldes erreichen müssen.
Wieder sah ich den weißen Schemen. Vermutlich ein weißes Tier, das sich hier herumtrieb.
Endlich fand ich einen Weg mit frischen Reifenspuren. Jedenfalls sah es in der Dunkelheit so aus. Der Pfad führte mich zu einer kleinen Lichtung, auf der ein Haus mit einem erleuchteten Fenster stand.
An mehreren Stellen war der Verputz von der Mauer gefallen und bildete kleine Haufen. Abgeerntete Gemüsebeete schmiegten sich an das Gebäude. Der Besitzer schien keine weiten Wege gehen zu wollen. Neben der Tür bemerkte ich eine herabgefallene Leuchttafel. "Wirtshaus", stand darauf.
Ich drückte einen Knopf, den ich für die Klingel hielt, aber im Inneren war nichts zu hören. Dann klopfte ich, worauf schlurfende Schritte näher kamen. Eine zittrige Stimme fragte, wer da sei. Ich sagte, ich hätte mich verlaufen, und ob er mir sagen könne, wie ich am schnellsten zurück nach Perg käme.
Als Antwort erklang ein heftiges Lachen. Die Tür wurde geöffnet und ein alter, weißhaariger Mann mit krummen Rücken starrte mich an.
„Ich wollte mich nur nach dem Weg erkundigen. Ich komme aus Perg und habe mich verlaufen. Können sie mir sagen, wie ich zurückkomme?"
„Wenn sie heute noch zurück wollen, müssen sie schnell sein. Es sind mehr als zehn Kilometer." Er musterte mich und richtete sich auf. „Ist ihnen nicht kalt? Sie könnten einen Tee vertragen.“
"Zehn Kilometer. Das gibt es nicht. Ich bin doch gar nicht so lange gelaufen."
"Wenn sie mir nicht glauben, sehen sie auf die Karte."
Er führte mich in eine Gaststube, wo alle Tische bis auf einen von einer dünnen Staubschicht bedeckt waren. Auf der Wand zwischen einem Hirschgeweih und den geschwungenen Garderobenhacken hing eine große Karte.
"Wir sind hier", sagte er, und deutete auf eine Stelle, die als Dorf ausgezeichnet war. Und hier“, er zeigte auf den linken Rand, „sind sie zu Hause. Die Karte ist nicht mehr ganz neu. Die Felder sind verwildert und ein paar der Häuser zusammengefallen, aber ansonsten ist alles da.“
Ich betrachtete die zwanzig schwarzen Punkte, welche das Dorf darstellten, und fand das Wirtshaus. Tatsächlich lag es am Westende des Dorfes. Daneben war ein Weg eingezeichnet, der zu einer Straße führte.
"Ist diese Straße befahrbar?", fragte ich.
"Keine Ahnung. Ich war lange nicht mehr draußen."
"Was ist mit den anderen Leuten?"
"Alle weg. Ist ein schlechter Platz hier. Aber das ist eine lange Geschichte. Trinken sie einen Tee, und ich erzähle sie ihnen. Es wird ihnen wahrscheinlich sowieso nichts Anderes übrig bleiben, als bei mir zu übernachten. Hier nachts herumzulaufen war noch nie gut. Es gibt Sümpfe und dass, was die Kühe gefressen hat. Es wird ihnen niemand helfen, wenn sie erwischt werden. Aber im Haus sind sie sicher. Aus irgendeinem Grund mag es keine Häuser. Setzen sie sich. Ich mache ihnen einen Tee."
"Warten sie. Ich würde vorher gerne meine Frau anrufen. Sie kann mich abholen."
„Die Telefongesellschaft hat mir die Leitung abgeklemmt. Wollte nicht bezahlen, wenn ich nicht telefoniere. Was soll’s. Wüsste sowieso nicht, wenn ich anrufen sollte.“
"Meine Frau wird sich Sorgen machen. Ich fürchte, ich muss versuchen, zurückzulaufen," sagte ich zu dem Alten, der in die Küche gegangen war und mit einem Topf schepperte.
"Wissen sie," rief er von dort. "Ich kann sie nicht aufhalten. Wenn sie unbedingt gehen wollen, dann gehen sie. Aber ich habe sie gewarnt. Es wird ihnen so gehen, wie den Anderen."
"Welchen Anderen und was mag keine Häuser?"
Er kam mit einer dampfenden Teekanne zurück und setzte sich zu mir.
"Hör zu, junger Mann, bevor du wieder wegläufst. Draußen ist es inzwischen sowieso dunkel."
Er schenkte mir einen Tee ein und begann zu erzählen:

"Früher war hier alles Überschwemmungsgebiet. Immer wenn die Donau Hochwasser führte, stand das gesamte Machland unter Wasser. Das passierte jedes zweite Jahr. Irgendwann vor fünfunddreißig Jahren, vielleicht waren es auch vierzig, kam dann jemand im Ministerium für Entwicklung auf die Idee, einen Hochwasserdamm zu bauen und das Gebiet roden zu lassen. Damals gab es die Nahrungsmittelknappheit und das Projekt wurde innerhalb von drei Jahren durchgezogen. Zuerst kamen die Holzfäller und arbeiteten sich durch das Dickicht. Nach ihnen die Bagger und rissen die Baumstümpfe aus. Ich weiß nicht, was sie sonst noch getan haben. Das war vor meiner Zeit.
Als ich kam, sah es jedenfalls aus, als hätte es die Felder schon immer gegeben.
Mit mir ließen sich zwanzig Bauernfamilien aus ganz Europa nieder. Wir hatten uns von den Investitionsprämien locken lassen und vom billigen Land. Die meisten hatten ihre Höfe verkauft, um hier noch einmal von vorne zu beginnen. Ein paar waren auch dabei, die keine Ahnung hatten von der Landwirtschaft, aber damals war ja die Nahrungsmittelkrise und es sah aus, als ob man als einfacher Getreidebauer ein schönes Sümmchen verdienen könnte.
Einer von ihnen hieß Elias. Er hatte eine Hakennase und das Haar ging ihm bereits aus, obwohl er noch keine fünfzig Jahre alt war. Den Kopf hielt er immer schräg nach vorne. Wenn er seine Brille nicht trug, hatte er Ähnlichkeit mit einem Geier. Eigentlich war er ein netter Kerl. Zum Bauern war er allerdings nicht geboren. Das erste Jahr merkte niemand etwas davon. Der Winter war zu kalt gewesen und der Sommer zu warm. Im Frühjahr standen die Felder halb unter Wasser, sodass keiner rechtzeitig säen konnte, und im Sommer gab es keinen Regen und die Ernte vertrocknete. Niemand hatte etwas zu lachen, und alle saßen sie bei mir und überlegten, was geschehen sollte. Sogar das Gras auf den Wiesen war verdorrt. Die Bauern mit Kühen und Schweinen mussten Futter zukaufen, und das war teuer.
Zum Glück gab es Rygock. Ein großer Holländer mit kräftigen Händen und einem kantigen Gesicht. Er hatte Freunde im Landwirtschaftsministerium, die uns Überbrückungshilfen schickten. Im nächsten Winter wurde er zum Bürgermeister gewählt. Er versuchte noch mehr Familien hierher zu bringen und bekam sogar eine Bewilligung, um weitere Waldflächen zu roden.
Vorerst gingen seine Pläne allerdings nicht auf, denn bei den Rodearbeiten fiel ein Baum so unglücklich, dass zwei Holzfäller erschlagen wurden. Es kam zu einem unschönen Gerichtsstreit, und er musste ihren Familien eine große Summe Geld zahlen. Die Leute im Dorf waren auf seiner Seite und haben sogar einen Protestbrief geschrieben. Alle haben unterschrieben, bis auf Elias. Rygock fand das nicht sehr fein, vor allem weil Elias sogar aussagen wollte, dass er die Holzfäller zu lange arbeiten lies.
Genutzt hat der Brief dann allerdings sowieso nichts, und Rygock musste seine Erweiterungspläne vorerst einstellen.
Im nächsten Frühjahr kam nur ein einzelner Mann zu uns. Er hieß Schuster und anfangs glaubte ich, er wolle sich vor jemandem verstecken. Mit Rygock verstand er sich allerdings prächtig. Die Ernte im zweiten Jahr war wieder nicht gut und die Schweinezüchter verloren die Hälfte ihrer Schweine durch eine Seuche. Rygock hat ihnen wieder geholfen. Es war niemals leicht hier. Aber so ist das Leben. Der Lohn der Arbeit zeigt sich nicht immer sofort.
„Der Boden braucht eben seine Zeit,“ sagte Schuster, der Saatgutverkäufer geworden war, und gab ihnen zehn Prozent Rabatt. Im nächsten Jahr verkaufte er eine neue Maissorte.
"Die beste Sorte für magere Böden." Sie wuchs noch schlechter als der Mais im Jahr zuvor. Sie müssen wissen, dass die Bauern hier zur Hälfte Mais anbauten. Mais ist eine gute Sache. Er wächst schnell, ist leicht zu ernten und liefert praktisch jedes Jahr einen guten Ertrag. Überall, nur hier nicht.
"Es wird am Boden liegen", sagte Schuster und organisierte eine Bodenuntersuchung. Er zahlte die Hälfte der Kosten, doch die Chemiker fanden nicht viel. Etwas zu wenig Nährstoffe, einige Schwermetalle, aber nichts über den Grenzwerten.
"Man muss den Boden anständig bearbeiten. Und gut düngen. Er braucht viel Dünger", sagte Rygock und baute zusammen mit Schuster eine Lagerhalle für Kunstdünger und Spritzmittel.
Ungefähr einmal im Monat kamen die Bauern bei mir zusammen, um über ihre Probleme zu reden. Anfangs waren immer alle da. Auch Elias und seine Frau. Er hat meistens nur zugehört und nicht viel gesagt. Seine Frau kam auch immer mit. Ein niedliches, rundes Gesicht hat sie gehabt und langes, schwarzes Haar. Weiß nicht, warum sie sich einen wie den Elias ausgesucht hat.
Irgendwann in meinem dritten Jahr hier, sie stritten gerade, ob man noch mehr Kalk auf die Felder streuen sollte, sagte Elias plötzlich, dass sie gar nichts tun sollten. Es war, als sei etwas in ihn gefahren. Normalerweise redete er leise, und die meisten Leute überhörten ihn einfach. Doch nachdem er das gesagt hatte, fing er erst richtig an. Er schlug vor, Quarzsand mit Wasser zu mischen, um das Licht auf die Erde zu bringen.
Organisch dynamisch oder so, hieß die Methode. Geht nach Mondstand und den Sternen. Reinster Humbug also, und Elias redete, als wäre es sein voller Ernst. Seine Frau zog ihn erschrocken am Ärmel, doch er sprang auf und redete immer lauter. Sie versuchte ihn zu beschwichtigen und entschuldigte sich bei den Anderen, doch dann begann Rygock schallend zu lachen:
"Keine zwei Jahre bist du Bauer und jetzt willst du dich besser auskennen, als unsereins, der sich schon seit vierzig Jahren plagt und abrackert. Geh wieder dorthin, wo du hergekommen bist und lerne einmal, was es heißt, ein richtiger Bauer zu sein."
Die meisten Anderen wirkten erschrocken, weil Rygock Elias so übers Maul gefahren war, und vielleicht auch weil ein paar ebenfalls keine wirklichen Bauern waren, doch dann fing auch einer seiner Nachbarn, er hieß Zingli, ebenfalls zu schimpfen an. Er warf Elias die allergrößten Dummheiten vor, und was unter den Bauern am schlimmsten war: Faulheit, weil Elias nur wenig am Feld zu sehen war.
Elias öffnet und schloss den Mund, wie ein Fisch und setzte sich wieder hin. Ein paar Leute lachten und diskutierten dann weiter, ob der Bodenverbesserer, den Schuster ihnen besorgt hatte, auch wirklich etwas wert sei. Er versprach ihnen fünfzig Prozent Rückzahlung, wenn sie im nächsten Jahr nicht eine spürbar bessere Ernte einfuhren.
Damit fing der Ärger erst so richtig an. Wieder wuchs kaum etwas und das Ministerium zahlte nur noch wenig Unterstützung. Das Wetter war besser gewesen, aber irgendwie schien die Erde einfach schlecht zu sein. Bodenexperten kamen wieder, untersuchten, und einer hielt sogar einen Vortrag. Ich verstand ihn nicht und die Anderen wohl auch nicht.
Elias hatte es in der Zwischenzeit auf seine Weise versucht. Er kam nicht mehr zu den Versammlungen, denn die Anderen lachten ihn aus.
„Biobauern, das sind doch Spinner“, sagten sie. „Und bei der Lebensmittelknappheit ist es ein Verbrechen, keinen Kunstdünger zu streuen. In den Städten hungern die Leute, nur weil sich der Elias etwas einbildet. Man sollte ihm den Grund wieder wegnehmen.“
Während die anderen Bauern versuchten, ihre schlechten Ernten dadurch wettzumachen, dass sie noch mehr Land rodeten, begann Elias komische Bücher zu lesen. Die Felder bestellte von da an seine Frau. Sie hat sich manchmal andeutungsweise über ihrem Mann beschwert, aber was hätte sie tun sollen. Freunde hatte sie keine und Verwandte glaube ich auch nicht.
Elias grübelte, ging im Wald herum, sah sich seine Felder und die der anderen Bauern an. Eines Tages im April des nächsten Jahres kam er von einer ausgedehnten Wanderung zurück.
Es war später Nachmittag und er bestellte ein Bier bei mir. Plötzlich lagen zwei Erdbrocken auf dem Tisch.
"Riech daran“, forderte er mich auf.
„Stinkt, als würde etwas verwesen. Vielleicht ein Reh“, sagte ich.
„Kein Reh. Es ist ein eigener Geruch. Und er kommt aus der Erde. Du erkennst ihn kaum und wenn du nicht weißt, dass er da ist, fällt dir nichts auf. Aber jetzt bin ich mir sicher. Gestern war ich in den Bergen und habe einen Brocken Erde mitgebracht. Wenn du zuerst daran riechst und dann an unserem Boden, bemerkst du sofort den Unterschied."
„Trink dein Bier und bilde dir nichts ein“, erwiderte ich, doch damit machte ich ihn sofort wütend.
"Die Erde stinkt! Ich bilde mir das nicht ein. Es ist ein seltsamer, leicht süßlicher Geruch, aber kein Verwesungsgestank. Geh auf deine Felder und rieche daran. Und dann an dem hier.“
Er ließ die Klumpen bei mir und ich warf ihn weg.
Während der nächsten Woche besorgte sich Elias einen weiteren Stapel Bücher und begann von überall Bodenproben zu nehmen. Seine Frau redete die ganze Woche kein Wort mit ihm und machte schweigend die notwendigen Arbeiten auf den Feldern.
Am Sonntag ging Elias zum Lois. Alle nannten ihn Lois. Ich weiß selbst nicht mehr, wie sein Nachname war. Lois war auch nicht zum Bauer geboren. Aber er hatte sich in den Kopf gesetzt, Milchkühe zu halten, und das war etwas, dass hier noch am besten funktionierte. Ein netter Kerl war er, vielleicht etwas unbeholfen. Elias klopfte bei ihm an und hielt ihm zwei Erdbrocken unter die Nase.
„Riech daran“, sagte er.
Lois sah ihn verdutzt an und schnupperte. Zuerst beim Dunklen von Elias´ Feld und dann am Anderen, den Elias aus den Bergen mitgebracht hatte.
„Riecht ein bisschen faulig.“
„Faulig. Bist du dir sicher, dass es faulig ist?“
„Weiß nicht. Vielleicht ist es auch etwas Anderes. Komisch jedenfalls.“
„An was erinnert dich der Gestank noch?“
„Hm. Verwesung. Ist ein totes Reh in der Nähe gelegen?“
„Kein totes Reh. Der ganze Acker stinkt so. Überall. Deiner auch. Darum wächst nichts.“ Lois sah ihn verständnislos an.
„Weißt du, was Ley Linien sind?“ Elias hatte sich so in Fahrt geredet, dass er Lois ratlosen Gesichtsausdruck einfach ignorierte.
„Ley Linien sind Energielinien. Sie durchziehen die Erde wie ein Netz. Es gibt Positive und Negative. Auf den Positiven liegen Kirchen und Heiligtümer. Und auf den Negativen liegen Schlachtfelder, Konzentrationslager und Orte, wo grässliche Sachen geschahen. Zieh eine Linie vom Lager Natzviller über Dachau nach Mauthausen. Am anderen Ende liegt Aspern. Weißt du, dass dort vor 6000 Jahren ein ganzes Volk niedergemetzelt wurde. Eine zweite Linie geht durch Treblinka und Auschwitz. In der Verlängerung ist Solferino. Dort haben sich die Italiener und Österreicher gegenseitig umgebracht. Und eine dritte Linie wird von Ravensbrück, Sachsenhausen und Theresienstadt gebildet. Und rate, wo sie sich alle kreuzen.“
Lois sah in ratlos an.
„Hier!“, rief Elias triumphierend. Die negativen Ley Linien kreuzen sich genau unter uns. Das ist ein schlechter Ort. Kein Mensch sollte hier leben.“ Er deutete mit dem Finger energisch auf den Boden.
„Du solltest nicht so viel Blödsinn lesen. So etwas gibt es doch gar nicht“, sagte Lois, „entschuldige mich jetzt bitte. Ich muss in den Stall. Eine Kuh ist krank.“
Elias ließ sich dadurch jedoch nicht entmutigen, sondern kaufte eine große Karte und begann darauf sorgfältig alle Punkte einzuzeichnen, von denen er glaubte, sie gehörten zu seinen Ley Linien.
Seine Frau wollte ihn davon abhalten, doch er fand ziemlich viele Stellen, die auf diesen Linien lagen: den Teutoburger Wald, das Getto von Warschau, Dresden, das Amselfeld, Verdun und Musa Dagh.
Beim nächsten Stammtisch tauchte er mit seiner Karte auf. Seine Frau war zu Hause geblieben und hatte gedroht, ihn zu verlassen, wenn er nicht sofort aufhörte diesen Blödsinn zu erzählen. Elias kam eine Stunde früher und versuchte zuerst mir alles zu erklären.
„Elias. Du bist verrückt“, sagte ich. „Jeder normale Mensch weiß, dass es so etwas nicht gibt.“ Dann spendierte ich ihm ein Bier, weil er mir Leid tat.
„Elias. Was willst du hier“, grüßte ihn Rygock, der als Erster kam.
„Rygock. Du musst mir zuhören“, jammerte Elias. "Ich weiß, warum hier nichts wächst.“
„Wahrscheinlich, weil du nichts gesät hast.“
„Hier ist ein Kreuzungspunkt negativer Linien. Wir sollten alle wegziehen.“
„Elias. Das ist doch ein Blödsinn. Du beunruhigst die Leute.“
„Es stimmt! Ich habe das Buch mitgebracht, in dem alles steht. Hier ist es. Und dann habe ich eine Karte mit den Linien. Sie kreuzen sich im Wald, ganz in der Nähe. Ich bin dort gewesen und ich habe es gespürt.“
„Lass den Blödsinn. Die das schreiben, sind Trottel. Der Boden hier ist einfach nicht der Beste. Man muss Geduld haben. Und die Bodenverbesserer vom Schuster sind auch nicht schlecht.“
„Ausgezeichnet sind sie“, sagte Schuster, der gerade hereinkam. Und nächstes Jahr werden wir noch bessere bekommen. Für die organische Substanz. Bei so wenig organischer Substanz wird in einem schlechten Jahr die Ernte nichts. Aber das neue Upgrade B kriegt das in den Griff. Keine Sorgen.“
„Schlecht ist es ja nicht, dein Mittel. Aber auch teuer. Und es wirkt keine Wunder. In Holland habe ich doppelt so viel Weizen geerntet. Ohne dein Upgrade", sagte einer der weiteren Männer, die hinter ihm in die Gaststube trotteten.
„Ich geh ja schon ans Limit. Billiger geht es wirklich nicht. Die Entwicklungskosten sind teuer und der Transport auch. Ehrlich. Ich verdiene damit keinen Groschen.“
„Wenn man sich einen neuen Mercedes kaufen kann, wird der Preis wohl nicht so schlimm sein“, spottete ein anderer Bauer. Fünf Minuten später waren alle versammelt.
Rygock redete währenddessen auf Elias ein, den Mund zu halten. Er wolle nur das beste für ihn, doch Elias war nicht aufzuhalten.
„Ich habe herausgefunden, was hier nicht stimmt“, sagte er laut um das Gemurmel zu übertönen. Dann holte er zwei Erdbrocken heraus.
„Riecht daran“; forderte er die Runde auf.
„Hast du draufgepisst?“, fragte Schuster.
„Ein Brocken ist von meinem Feld, den Anderen habe ich aus den Bergen geholt. Wenn man an Beiden riecht, merkt man sofort den Unterschied.“
Einer der Bauern griff nach den Brocken, um daran zu riechen.
„Irgendwie komisch stinkt der schon.“
„Lass dir nichts einreden.“ Rygock nahm den Brocken, öffnete ein Fenster und warf ihn hinaus.
„Hört mir doch zu“, flehte Elias. „Es stimmt ja, dass es sich verrückt anhört, aber seht euch doch um. Ist euch nicht aufgefallen, dass es im Wald keine Tiere gibt? Nicht einmal Krähen. Seit der Damm das Hochwasser aufhält, hätten wieder welche herziehen müssen. Der Boden ist verdorben und ihr werdet nie etwas ernten.“
„Nur weil du keine Hasen siehst“, heißt dass noch lange nicht, dass keine da sind. Wenn man die Nase den ganzen Tag in Bücher steckt, wird man sie nicht sehen“, spottete sein Nachbar Zingli.
„So ein Blödsinn“, murmelte jemand. „Es ist einfach alles abgesoffen. So schnell wächst nichts nach. Außerdem solltest du froh sein, dass es hier keine Krähen gibt.“
„Ihr werdet es alle noch merken, dass ich recht habe.“ Zornig stapfte Elias hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
„So ein Trottel!“, sagte Schuster. „Unsereins rackert sich ab, damit etwas aus den Feldern wird, und er liest Bücher und streut Quarzsand. Jeder vernünftige Mensch weiß doch, dass man Dünger und Spritzmittel braucht, damit etwas wächst.“
Dann sah ich Elias längere Zeit nicht mehr. Er und seine Frau hatten viel Streit. Die anderen Bauern wandten sich anderen Angelegenheiten zu. Sie wollten von Schuster die fünfzig Prozent für seine Bodenverbesserer zurückhaben, weil sie angeblich nichts wirkten. Es gab einige böse Worte und, wenn Rygock nicht dazwischengefahren wäre, hätten sie ihn verprügelt.
Im Oktober begann Rygock ein großes Stück Wald zu roden. Zuerst fällte er tagelang nur Bäume und schlichtete die Stämme zu Haufen. Elias kam manchmal und sah zu. Rygock ignorierte ihn einfach und arbeitete weiter. Einmal sah Elias wieder zu, wie Rygock einen Baum nach dem anderen fällte. Plötzlich lief er auf ihn zu und stieß ihn beiseite. Rygock war so überrascht, dass er die Motorsäge fallen ließ und hinstürzte. Als er sich umdrehte, wurde er furchtbar wütend. Elias versuchte nämlich gerade seine Motorsäge zu zerstören.
„Mach die Augen auf! Siehst du nicht, dass du dabei bist, das Herz frei zu legen. Hier ist der Kreuzungspunkt. Sie dir den Boden an. Er stinkt, dass mir schlecht wird!“
Elias nahm einen Erdbrocken und warf ihn nach Rygock. „Riech daran! Du musst den Wald stehen lassen. Wenn das frei wird, geschieht eine Katastrophe.“
Da hatte sich Rygock aufgerappelt und stürzte sich auf Elias. Er gab ihm zuerst eine kräftige Ohrfeige und dann boxte er ihm in den Magen. Elias fiel zu Boden und Rygock schrie:
„Du bist ja völlig durchgedreht. Du ruinierst alles, was wir hier aufgebaut haben.“
„Nicht ich“, schrie Elias zurück, „du ruinierst sie, weil du nicht zugeben kannst, dass der Boden verdorben ist. Du hast keine Ahnung.“
„Ist es der Neid, weil ich es zu etwas gebracht habe? Man kann überall ernten, wenn man sich nur richtig anstrengt. Aber davon hast du ja keine Ahnung.“
„Er ist verflucht! Daran kannst du nichts ändern. Wenn das Herz frei liegt, wird es euch alle umbringen. Darum hat hier vorher auch niemand gelebt.“
Rygock wurde so wütend, dass er begann, Elias mit Fußtritten zu traktieren. In diesem Moment kam zum Glück Rygocks Frau, um ihm das Mittagessen zu bringen und hielt ihn davon ab, Elias umzubringen. Elias drohte, dass er es bitter bereuen würde, wenn er nicht aufhörte und lief dann davon. Rygock musste sich eine neue Motorsäge kaufen, verzichtete aber großzügigerweise darauf, deswegen von Elias Geld zu fordern.
Schließlich kam der Winter. Es war furchtbar kalt. Und dann, eigentlich passierte es schon vorher, im Herbst, begannen Tiere zu verschwinden. Zuerst war es eine Kuh von Elias selbst. Es geschah kurz, nachdem er den Streit mit Rygock hatte. Niemand wunderte sich darüber, Elias kümmerte sich ja nie um seine Zäune, aber er behauptete, sie wäre gestohlen worden und zwar von Zingli, einem seiner Nachbarn. Der drohte ihm das Maul zu stopfen, wenn er noch einmal so eine Lüge erzählte. Elias verlangte, in seinen Stall sehen zu dürfen, doch Zingli sagte, er würde die Kühe beleidigen. Elias ging weg und schwor, es ihm Heim zu zahlen, doch am nächsten Tag kam er wieder und entschuldigte sich.
„Der Boden habe sie verschluckt“, verkündete er und warnte alle, die Tiere nachts auf der Weide zu lassen. Er wollte noch mehr sagen, ich glaube er gab Rygock die Schuld für alles, aber da dieser anwesend war und ihn finster anblickte, verkniff er sich den Rest.
Im Winter erwischte es nur ein paar Katzen und Hunde. Das fiel nicht besonders auf, doch im April verschwand eine von Lois` Kühen. Er rannte überall herum und kam dabei natürlich auch zu Elias. Sie redeten eine Weile miteinander und dann war Lois auch von Elias` Wahn angesteckt. Er ließ die Kühe nicht mehr auf die Weide und fing ebenfalls an, am Boden zu riechen.
In das Ganze platzte die Nachricht, dass die Bauern keine staatlichen Unterstützungen mehr bekommen würden. Angesichts der schlechten Ernten bedeutete es das sichere Ende des Dorfes. Die Bauern schimpften auf den Staat, der sie im Stich ließ, aber noch hatten sie Hoffnung. Die Ernte war noch nicht eingebracht. Wenn sie ein bisschen besser ausfiel, als das Jahr zuvor, würden sie über die Runden kommen.
Das Wetter sah gut aus. Viel Sonne, ab und zu ein Gewitter, das für die notwendige Feuchtigkeit sorgte. Und trotzdem wuchs nichts. Der Weizen bekam Schorf, obwohl er dagegen gespritzt worden war, über den Mais, der gegen sie resistent sein sollte, fielen Maiszünsler her und das Unkraut wuchs, als sei es gesät worden. Die Situation wurde immer schlimmer und die Menschen immer gereizter. Dann, im August, alle waren verzweifelt, weil sie sahen, dass nach der schlechten Getreideernte auch der Mais nichts werden würde, verschwand Picards Herde. Es passierte in der Nacht. Der Zaun war nicht beschädigt und bald ging das Gerücht um, Elias hätte sie ausgelassen. Obwohl man nirgends Spuren fand. Ab da achteten die Bauern allerdings darauf, ihre Tiere nachts im Stall zu haben. Daraus verschwanden sie nie. Jedenfalls zuerst nicht.
Elias tauchte ab und zu auf um die Bauern aufzufordern, von hier wegzuziehen. Er selbst, sagte er, bereite sich bereits darauf vor. Ein paar begannen ihm schließlich zuzuhören. Ich weiß nicht, ob Elias wirklich weg wollte, aber dann verschwand plötzlich seine Frau. Niemand hat gesehen, was mit ihr passiert ist. Von einem Tag auf den Anderen war sie weg. Die Leute sagten, es sei klar gewesen, dass sie ihm bald davon laufen würde.
Für Elias war es das Schlimmste, was passieren konnte. Lois war am nächsten Tag bei ihm und erzählte, Elias rede nur mehr wirr durcheinander.
Einen Teil davon dürfte er geglaubt haben, denn bald sagte er, ebenfalls wegziehen zu wollen. Rygock, der strikt dagegen war, berief darauf hin eine Krisensitzung ein.
Er hatte vor einer Woche einen neuen Traktor mit einem großen Spatenpflug gekauft. Ein Experte aus Wien hatte ihm dazu geraten, und Rygock glaubte damit das Mittel gegen den schlechten Boden gefunden zu haben. Die meisten Bauern waren unsicher und nicht wenige behaupteten, der Boden stinke tatsächlich. Ein paar sagten auch, Schuster sei ein Betrüger. Seine Mittel wirkten überhaupt nicht und sie würden nichts mehr bei ihm kaufen. Erst gegen Ende des Abends hatte Rygock sie so weit, dass sie alle blieben.
„Wenn einer anfängt zu gehen, können wir alle aufhören. Es muss ein Miteinander geben. Ich werde wieder an den Minister schreiben. Sie können uns nicht wieder im Stich lassen. Wenn wir alle fest zusammenhalten, werden wir durchkommen. Und dann wird jeder sein Auskommen haben. Man darf nicht auf Idioten hören, die keine Ahnung haben. Ich habe mit einem Experten geredet und viel in den Spatenpflug investiert. Für den Boden hier ist er genau das Richtige. Die Erde wird bis in einen Meter Tiefe gelockert und damit die Belüftung und Bodenstruktur wieder hergestellt. Der Händler hat mir Bilder von Feldern gezeigt, auf denen genauso wenig gewachsen ist, wie auf unseren. Und im Jahr, nachdem er mit dem Spatenpflug darüber gefahren ist, war der Mais zweieinhalb Meter hoch.“
Es wurde auch viel darüber diskutiert, was mit dem Boden werden sollte. Man hätte ihn, so lange niemand etwas darüber wusste, an jemand Anderen verkaufen sollen, wurde geflüstert. Ich überlegte damals auch, ob ich verkaufen sollte, aber irgendwie hoffte ich doch, dass es weitergehen würde. Genauso wie die Anderen. Alles schien gut zu gehen, doch am nächsten Tag kam Elias zu mir und sagte, die verschwundenen Tiere wären vom Land verschlungen worden.
„Was?“, fragte ich. „Elias hatte nicht einmal „Grüß Gott“ gesagt. Er kam einfach herein und sagte, dass Land würde die Tiere fressen. Und auch die Menschen, wenn sie zu lange hier blieben. Es hätte seine Frau, und ihn könne es auch holen, ihm sei jetzt alles egal, aber wir sollten verschwinden. Die drei Männer in der Schankstube blickten verwundert auf. Elias sah schlecht aus. Seine Augen blickten ins Leere und darunter zeigten sich blaue Schatten. Er setzte sich zu den Dreien und palaverte sie voll. Zuerst lachten sie, aber er redete so lange auf sie ein, bis sie Angst bekamen und zwei von ihnen gingen. Kaum waren sie weg, stürmte Rygock herein. Er schrie Elias an, was er sich einbilde, alles zu ruinieren, und dass er hinter den Rinderdiebstählen stecke, weil er den Anderen beweisen wolle, dass er recht habe. Elias fuhr ihn an, dass er alles in die eigene Tasche wirtschafte, und es ihm nur darum gehe, selbst gut dazustehen. Rygock wurde wütend, packte ihn bei den Schultern, hob ihn hoch und warf ihn einfach hinaus.
„Das wirst du büßen“, schrie Elias, bevor er weglief. Ich habe einflussreiche Freunde. Sie werden erfahren, dass hier alles umsonst ist. Rygock stürmte ihm nach, doch Elias war in der Dunkelheit verschwunden.
Am nächsten Tag war Bauernstammtisch und es herrschte eine gespannte Stimmung. Nicht, nur weil Elias ihnen Angst gemacht hatte, und Rygock wütend war, sondern auch, weil ein paar Schuster beschuldigten ein Betrüger zu sein. Als sie ihn aufforderten, das Geld zurückzugeben, wollte er gehen, doch die Bauern hielten ihn mit Gewalt zurück.
„Was wollt ihr mir an den Kragen. Bin ich schuld, dass der Elias nach Wien schreibt, wir wären alle Lügner,“ schrie er.
„Lenk nicht ab“, schrie einer. „Deine Mittel wirken nichts. Ich habe es ausgetestet und es war kein Unterschied.“
Rygock hatte die ganze Zeit schweigend zugehört.
„Lasst ihn los“ donnerte er plötzlich los. „Elias hat uns alles eingebrockt. Er hat an das Landwirtschaftsministerium geschrieben. Deswegen bekommen wir keine Sonderunterstützungen mehr. Und er hat auch die Kühe gestohlen. Gestern Abend habe ich ihn vor meinem Haus gesehen und heute fehlt mir meine beste Zuchtsau. Direkt aus dem Stall. Er ist völlig durchgedreht. Wir müssen etwas gegen ihn tun.“
„Genau!“, schrie Schuster. „Er vergiftet die Felder. Er wandert ja den ganzen Tag herum. Und dabei verstreut er Gift. So geht das nicht weiter.“
„Wir müssen ihm eine Abreibung verpassen“, rief Zingli. „Das kann er nicht machen. Nicht mit uns.“
„Der wird nicht mehr so schnell den Mund aufmachen,“ schrie ein Anderer. Dann zogen sie los. Lois wollte sich drücken, doch sie sagten, wenn er nicht mitkäme, würden sie mit ihm anfangen. Er sei ja mitschuldig, weil er auf Elias gehört habe. Ich sollte auch mitkommen, aber ich sagte, ich müsse auf das Haus aufpassen und außerdem gäbe es noch eine Menge Geschirr zu waschen. Ich hatte ziemliche Angst bekommen, denn ein paar redeten schon von Aufhängen und ersaufen."

Der alte Wirt schloss den Mund und sah schweigend zur Tür.

"Am nächsten Tag ist dann niemand gekommen. Sie waren alle bei Rygock. Die ganze Woche ließ sich niemand blicken. Wie wenn sie der Erdboden verschluckt hätte. Dann begegnete ich dem Lois. Er sagte nur, es wäre einfach so passiert, und er hätte dabei gar nichts getan. Was es war, wollte er nicht sagen.
Am Ende der Woche verschwanden Schuster und Rygock. Ihre Frauen sagten, sie seien gemeinsam mit dem Lastwagen losgefahren um Saatgut von der nächsten Bahnstation zu holen. Dort waren sie aber nie. Auch der Laster wurde nie mehr gefunden. Und am nächsten Tag waren auch ihre Familien weg. Keiner sah, wie es passierte. Angeblich war in den Häusern alles so, als wären sie nur kurz weggegangen. Wir durchsuchten sie, fanden aber weder ihre Pässe noch die Besitzurkunden der Äcker. Sofort machte das Gerücht die Runde, sie wären geflohen und hätten vorher alles verkauft."

Es klopfte an der Tür und wir zuckten beide erschrocken zusammen. Der Wirt geriet sogar in Panik.
„Nein!“, schrie er und lief in die Küche.
"Bleiben sie doch", rief ich ihm hinterher, doch der Wirt war verschwunden.
Erneut pochte es gegen die Tür. Ich erhob mich, um aufzumachen.
"Tun sie das nicht."
Der Wirt stand an der Küchentür sein Gesicht war völlig weiß und er zitterte am ganzen Körper.
Es pochte erneut.
"Vor wem haben sie Angst?"
"Sie wollen mich holen. Sie sind da draußen und nur ich bin noch da und jetzt wollen sie, dass ich zu ihnen komme."
"Wer sind sie?"
"Die Anderen. Sie streichen um das Haus. Sie leben in der Erde. Dort wo keine Erde ist, können sie nicht hin. Darum bin ich hier sicher."
Ich verkniff mir eine scharfe Bemerkung, wie ein so alter Mann so eine Geschichte glauben konnte und riss die Tür auf.
Draußen stand Elias. Er war völlig weiß und halb durchscheinend. Hinter ihm erhoben sich schwarz und schattenhaft eine Gruppe von Männern. Ein Hüne stand direkt neben ihm und schien etwas zu sagen, doch es blieb völlig still.
Ich wollte die Tür wieder zuwerfen, doch sie blieb offen. Elias weiße Gestalt floss einen halben Meter herein. Die Augen des Wirtes weiteten sich vor Entsetzten. Ich stellte mich vor ihm und wurde zur Seite geschoben, als hätte ich kein Gewicht. Die Gestalt war kühl und fühlte sich an, wie Eis, nur, dass sie nicht kalt war.
"Du kannst nicht herein. Die verdammte Erde ist hier nicht!," kreischte der Wirt.
Elias weiße Gestalt ging zu ihm, und fasste ihn an der Hand. Ich sah, kleine Erdbrocken an den Stellen, wo er auftrat. Der Wirt heulte auf.
"Du weißt doch, dass ich es nicht wollte. Sie haben mich gezwungen. Was hätte ich den tun sollen."
Die weiße Gestalt starrte ihn ausdruckslos an.
"Ich habe ihnen nicht die gesamte Wahrheit erzählt."
Tränen rannen seine Augen runter.
"Ich bin mit zu ihm. Es war ein Lynchmob. Wir haben ihn in seinem Bett gefunden. Die Leute haben zuerst auf ihn eingeschlagen. Er hat geblutet, doch sie wollten nicht aufhören. Niemand hat gesagt, dass es genug sei, als sie ihm den Arm gebrochen und die Zähne eingeschlagen haben. Er hat geschrien, wie ein Schwein. Sie schleiften ihn hinaus, er war von ihren Tritten schon halb tot und begannen eine Grube zu graben. Sie schmissen ihn hinein und deckten ihn mit Erde zu. Dann stampften sie den Boden fest und schrien und grölten. Es war ein Albtraum."
Die weiße Gestalt nickte.
"Ich hätte es verhindern sollen, aber ich war zu feig. Wir alle waren zu feig und Elias hatte recht. Das Herz holte einen nach dem Anderen. Niemand entkam. Nachts kommen sie aus der Erde und ziehen umher. Elias sagt, sie seien Sklaven des Herzens und dass es sich langsam ausbreite. Bald wird es über den Wald hinaus gelangt sein."
Der Wirt hielt einen Augenblick inne und schien zu lauschen.
"Er ist unschuldig", sagte er.
Mir wurde heiß, denn es ging um mich.
"Nur, weil es dir passiert ist, muss es nicht wieder geschehen."
Die weiße Gestalt schüttelte den Kopf. Die schwarzen Schemen kamen vorsichtig in den Raum. Sie zögerten noch. Ich wich langsam zurück.
"Es wird ihm doch niemand glauben. Ihr habt doch alle perfekt getäuscht. Draußen halten sie es für ein Schauermärchen."
"Was haben sie vor?", ich brachte die Worte kaum heraus.
"Nein, das dürft ihr nicht", sagte der Wirt zu Elias. Dann sah er mich an und seine Stimme war nur mehr ein heißeres Flüstern.
Laufen sie durch die Küche geradeaus zum Hintereingang. Laufen sie immer geradeaus so schnell sie können. Vielleicht haben sie eine Chance. Jetzt!"
Er warf sich mit einem Brüllen auf Elias und ich hetzte an ihnen vorbei durch die Küche, riss die Tür auf und stolperte in die Nacht. Ich strauchelte, doch dann war ich auf einem schmalen Pfad und lief so schnell ich konnte durch das hohe Gras. Es gab keine Verfolger, die ich hören konnte. Das Gras raschelte unter meinen Füßen und mein Atem ging stoßweise. Ich rannte so schnell ich konnte und ignorierte die Zweige, die mir immer wieder ins Gesicht schlugen.
Ich spürte schon ihre Hände nach mir greifen, doch nichts geschah. Nach einiger Zeit drehte ich mich um und sah die weiße Gestalt hinter mir. Ich verdoppelte meine Anstrengungen, obwohl ich das Tempo nicht mehr lange halten konnte. Dann verlor sich der Weg zwischen den Bäumen und ich war im Wald. Die Zweige rissen meine Haut auf und immer wieder glaubte ich die weiße Gestalt hinter mir zu sehen.
Ich muss doch bald aus dem verdammten Wald sein, dachte ich und dann krachte ich voll gegen einen Baum.
Alles wurde schwarz.

Eine kräftige Männerstimme schrie mich an. Ich wollte schreien, doch mir war viel zu übel. Eine Taschenlampe leuchtete in mein Gesicht.
„Sie sind gegen einen Baum gelaufen“, sagte der Polizist. "Wir haben schon das Schlimmste befürchtet. Die Gegend ist nicht angenehm. In den Sümpfen sind schon öfter Leute verschwunden."
"Wo sind sie," stammelte ich. "Bringen sie mich weg."
Der Polizist wollte mir aufhelfen, doch ich konnte nicht gehen. Mit seinem Kollegen trug er mich in das Polizeiauto, legte mich auf den Rücksitz und fuhr mich ins Krankenhaus. Ich hatte eine schwere Gehirnerschütterung und musste mehrere Wochen lang völlig ruhig liegen.
Meine Frau machte mir Vorwürfe, dass ich in der Dunkelheit so weit gelaufen war. Ich wusste keine Antwort darauf. Was sollte ich ihr sagen?
Während ich langsam genas, begann eine Regenperiode, die alle Wege unpassierbar machte. Der Regen dauerte an und führte dazu, dass der Damm brach, der uns vor dem Hochwasser schützen sollte. Unser soeben erworbenes Haus versank bis zur Hälfte in den Fluten und war nachher voller Schlamm. Man zahlte mir wegen des Dammbruches eine hohe Entschädigung, mit der ich mir zehn Kilometer entfernt auf einem Hügel ein Neues kaufte.
Der Damm wurde nicht mehr aufgebaut, und das Machland ist heute wieder Urwald.

 

Hallo Bernhard!

Deine Story hat lange auf eine Antwort gewartet, obwohl sie im Grunde nicht schlecht ist.
Einerseits wird das daran liegen, dass in letzter Zeit sehr viele neue Geschichten in Horror gepostet wurden, anderseits daran, dass du in deinem Text und speziell schon im ersten Abschnitt einige groben Tippfehler drin hast und ein paar unglückliche Sätze.
Ein paar wenige hab ich dir ausgesucht, aber jedenfalls solltest du den Text noch zwei/drei Male aufmerksam durchlesen.

Ich lief auf einem unkrautüberwucherte Weg. Es war mein erster Lauf durch diesen Wald neben meinem neuen Heim. Anfangs war der Pfad breit gewesen und zwischen hohen Bäumen verlaufen,
1.unkrautüberwucherten
2.der dritte Satz ist unglücklich; wenn schon verlaufend, aber auch das ist unschön. Vorschlag: Anfangs verlief ein breiter Pfad zwischen hohen Bäumen (oder so)
Es stank nach fauligem Wasser und nach verwesenden Tieren.
die verwesenden Tieren würde ich hier weglassen. Der Prot. bemerkt das sofort und ein ganzes Bauerndorf braucht Jahre?
Eher ähnliche Gerüche erwähnen, wie eben 'fauligem Wasser'
Er hatte eine Hackennase
...mit der er in den Boden hackte... ->Hakennase
Eigentlich war er ein netter Kerl. Zum Bauern war er allerdings nicht geboren. Das erste Jahr merkte niemand etwas davon.
Wovon merkte niemand etwas? Das er ein schlechter Bauer war? Warum? Erscheint mir überflüssig, der letzte Satz und verwirrend...
der es zum örtliche Saatgutvertreter gebracht hatte
Tippfehler versteckt...örtlichen(wie gesagt, ich werde nicht alle aufzählen, hat leider ne Menge)
Seine Frau kam auch immer mit. Ein niedliches, rundes Gesicht hat sie gehabt und langes, schwarzes Haar.
das ist mE unwesentlich für die Geschichte, sonst erfährt man auch nicht von allen Personen, was für Gesichter sie haben und welchen Haarfarbe, sie ist zudem bei weitem keine Hauptfigur...
„Trink dein Bier und bilde dir nichts ein“, erwiderte ich, doch er damit machte ich ihn sofort wütend.
doch ('er' streichen) damit...
Aber er hatte sich in den Kopf gesetzt, Milchkühe zu halten, und das war etwas, dass auf dem Boden noch am besten funktionierte.
komischer/falscher Satz: etwas, dass am besten funktionierte... noch gut funktionierte, oder: das einzige, dass auf dem Boden noch funktionierte, oder: und das war es, was auf dem Boden noch am besten funktionierte...
siehst du das Problem?
Laß den Blödsinn. Die das schreiben sind Trottel.
Diejenigen, die das...
Zuerst schnitt er Tagelang nur Bäume um und schlichtete sie zu Haufen.
zwei Sachen: Bäume 'schneiden' - das assoziiere ich mit einer Schere oder nem Messer;)
2.schlichten:D hmm ->schichten
Im Winter erwischte es nur ich ein paar Katzen und Hunde.
Im Winter erwischte es sich nur...
fielen Maiszünsler her und das Unkraut wuchs, als sei es gesät worden.
am Anfang sagst du doch, dass selbst das Unkraut spärlich wächst?
Ihre Frauen sagten, sie sein gemeinsam mit dem Lastwagen losgefahren
sie seien...
um Saatgut von der nächsten Bahnstation zu hohlen.
hol mir mal ne Flasche Bier, ne Flasche Bier... aus dem hohlen Kühlschrank
Ich überlegten einfach, wo sie hingelaufen sein könnten.“
also ich persönlich überlege meistens im Singular;)
Der Polizisten führten mich zu seinem schlammbespritzten...
Ein Polizist oder mehrere, was dazwischen eher nicht...

Okay, das wären Details gewesen...
Im Grossen und Ganzen hat mir deine Geschichte inhaltliche ganz gut gefallen; die Idee mit den Ley Linien ist hervorragend und dem Herz, das ausgegraben wird
Jedoch bezweifle ich, dass wenn Elias die Linien anhand irgendwelcher Schlachtfelder zieht, dass er dann so genau den Kreuzpunkt berechnen kann... jedoch ist das für die Geschichte nicht so schlimm...

Das Ende kam mir ein bisschen zu abrupt. Die Erzählung war lange und spannend; eigentlich gerade eine gute Grundlage, sie für den Schluss auszunützen: Ich hätte mir eine Art Flucht bei der Rückkehr durch den Wald gewünscht, wo der Boden sich bewegt und zwar ohne Polizisten... der Prot darf gerne entkommen und auch, dass das Machland überschwemmt wird finde ich okay, aber eben nicht so schnell.

Weiter glaube ich nicht, dass die Experten vom ausserordentlichen Gestank nichts merken, vor allem sollte doch diese Fäulnis analysiert werden können...

Die Dialoge in der Erzählung fand ich passend/gut und die Erzählung selbst ist auch meistens sehr unterhaltsam.

Am Anfang hatte ich den Verdacht, eine Hänsel und Gretel artige Geschichte zu lesen (und hätte deshalb fast aufgehört zu lesen), doch das hat sich zum Glück nicht bestätigt und ich muss sagen, dass ich den Plot gut und originell fand. Nur eben vielleicht ein bisschen ein horrormässigeres Ende...

So, das wars von meiner Seite aus...

mfg Van

 

Hallo Van

Danke für deine ausführliche Kritik.
Wo genau wolltest du fast aufhören zu lesen?

Gar zu horrormäßig wollte ich das Ende dann eben nicht machen, weil mir das irgendwie zu "billig" war.

War es troztdem gruselig?

Grüße
Bernhard

 

Hallo Bernhard!

Als dein Prot. zum alten Wirtshaus lief, befürchtete ich, dass die Story mir nichts neues, nichts besonders Aufregendes bot (zum Beispiel, dass dein Prot im Wirtshaus eingesperrt wird, oder das eine Hexe/ ein Monster die Tür aufmacht, oder das er in ein leeres Haus vorstosst, dort übernachten will und in der Nacht stellt sich heraus, dass das Haus doch nicht leer ist... etc., aber von daher hat mich deine Story, wie gesagt, positiv überrascht/beeindruckt...).
Also ich denke schon, dass ich sie irgedwann zu Ende gelesen hätte, aber nicht sehr motiviert, oder nicht sofort. So habe ich sie aber an einem Stuck gelesen.

Okay, wenn ein Monster aus der Erde kriecht, wird es uU schon billig, aber es liesse sich auch anders viel Spannung, Angst erzeugen.
Die Stelle, wo an der Tür geklopft wird und der Wirt Angst bekommt ist sehr eindrücklich, da dachte ich sofort in die falsche Richtung. Ich stellte mir vor, das der Prot. die Türe aufmacht... und auf den ersten Blick ist niemand da. Dann klopft es erneut und das solange, bis der Prot. einen Schritt hinausgeht... sowas wäre mir eine Möglichkeit gewesen. Dagegen erschienen mir die Polizisten wie eine Ausrede und vor allem wie spannungsraubende und unnötige Beschützer deines Prots.
Das mag allerdings auch Geschmackssache sein. Ohnehin sind Inhaltskritiken teils sehr individuell. Für mich gibt es punkto Horror/Grusel fast keine Grenze (es sei denn es wird sinnlos). Ein wenig gruselig ist diese Geschichte allerdings schon. Die beste Stelle war für mich von der Handlung (direkten, nicht Erzählung)her eben die Stelle, an dem an die Tür geklopft wird, da dachte ich "shit, jetzt wird's hart!"
Andere mögen jedoch mit dieser Portion Horror schon zufrieden sein, ich bei einer anderen Geschichte eventuell auch, aber deine bot mir eine irrsinnige Gelegenheit tiefer darauf einzugehen...

Nun, aber dass du jetzt nicht meinst, mir habe die Geschichte nicht gefallen. Ich hab sie insgesammt ganz gern gelesen (an die Fehlerchen gewöhnt man sich ja), vor allem wegen dem Inhalt, der Grundidee.

Fazit: Zu wenig Kontrolle gelesen, sprachlich okay, stilistisch mE okay, inhaltlich gut und originell, dennoch ausbaufähig.

Verstehst du, was ich sagen wollte?

mfg Van

 

Hi Van,
Ja,
Anstatt der Polizisten könnte da wirklich was anderes sein. Mein Protagonist kommt zu leicht davon. Wird eine harte Nuß, denn ich will in dieser Geschichte auf jeden Fall weiter die Balance zwischen -Horror und -doch natürlich erklärbar beibehalten

Grüße
Bernhard

 

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