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Das Hausschwein

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19.06.2002
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Das Hausschwein

Der große Krieg war gerade ein halbes Dutzend Jahre vorbei, in den Städten mühten sich die Menschen, ihr Leben in den immer noch vorhandenen Trümmern einzurichten.
Etwas besser war das Dasein auf dem Lande, noch fern des Überflusses späterer Tage, aber ausgerichtet auf Genügsamkeit und Lebenserfahrung. So wurde bäuerlicher Tradition folgend streng darauf geachtet, dass alles verwertet wurde. Das war auch hinter dem Deich nicht anders. Viehwirtschaft und Kohlanbau stellten den Schwerpunkt der Arbeit auf dem Hof, für die eigene Küche war der Garten hinter dem Haus eingerichtet. Hühner und Enten ergänzten das Angebot für den Eigenbedarf. Zu guter Letzt war das Hausschwein nicht zu vergessen. Es war nicht nur den Kindern ein guter Freund, sondern verwertete auch alle Reste aus Küche und Stall, die natürliche ökologische Recyclingeinrichtung des Hofes. Und am Ende dieses Prozesses stand mit dem Schlachtfest ein willkommener kulinarischer Höhepunkt.
DAS Hausschwein gehörte einfach dazu.
Das wusste natürlich auch die kleine Marie, obwohl nur gelegentlich auf Opas Hof zu Gast.
Sie fuhr gerne zu den Großeltern, sich ihrer Stellung als jüngstes Enkelkind voll bewusst und daraus ein besonders gütiges Entgegenkommen des sonst so strengen Alten fordernd.
Wenn niemand sonst es wagte, die familiären Traditionen in Zweifel zu ziehen, so nahm Marie in dieser Hinsicht eine Sonderstellung ein. Das bedeutete allerdings keine unbegrenzten Freiheiten, besonders nicht zu den hohen Feiertagen der Familie. Neben den herausragenden Festen des christlichen Abendlandes waren die Geburtsage der Großeltern Anlässe, zu denen das ungeschriebene Gesetz galt, dass ein jeder aus dem großen Kreis der Familie sich zum festlichen Beisammensein auf dem Hof einzufinden hatte.
Schon Tage vorher begannen die Vorbereitungen. Es wurde gebraten, gekocht, gebacken, Wein, Bier und Schnaps eingelagert und die Gute Stube hergerichtet, die sonst nur an Sonn- oder Feiertagen betreten oder gar benutzt werden durfte.
Doch wenn alle Kinder, deren Familien, Onkel, Tanten und Nachbarn eingeladen waren, reichte der Platz in dem gemütlichen und stets anheimelnde Wärme ausstrahlenden Raum mit der niedrigen Decke nicht aus. Dann wurde der lange Tisch in der Diele gedeckt. Auf den weißen Damastdecken standen silberne Kerzenleuchter, die Kristallgläser waren zum Strahlen gebracht, das schwere Besteck akkurat ausgerichtet und der bunte Blumenschmuck aus dem Hausgarten zierte das Werk fleißiger Frauenhände.
Endlich war es soweit. Alle nahmen Platz, die Suppenschüsseln wurden aufgetragen und die Augen richteten sich auf den Großvater, der am Kopfende der Tafel Platz genommen hatte und mit einem majestätischen Nicken das Mahl eröffnete.
Es war eine sinnvolle Einrichtung, dass die Tische aus stabilen Eichenholz gefertigt waren. So hielten sie der Last der aufgetragenen Speisen stand.
Das Kratzen von Messer und Gabel auf dem kostbaren Porzellan wurde im Verlaufe des Essens weniger, dafür vernahm man an der langen Tafel einen gelegentlichen leise unterdrückten Seufzer. Zuerst waren es die Frauen, die ihre Esswerkzeuge dezent auf den leeren Teller legten.
Mancher Mann musste einsehen, dass der Weg von den Augen bis zum Magen ein weiter ist. Verstohlen wurde der Kragenknopf ein wenig gelockert, vielleicht unter der Tischdecke auch manchem Hosenbund Erleichterung verschafft.
Es half nichts. Wer sich vorzeitig zurück ziehen wollte, musste Großvaters strafenden Blick stand halten. Das gelang niemandem. War jedoch der Teller erst einmal gefüllt, galt der eherne Grundsatz, dass das, was auf dem Porzellan liegt, auch aufgegessen wird.
Die kleine Marie, ihr war ein Ehrenplatz an Opas Seite zugeteilt, vermochte nicht zu verstehen, ob der zwischendurch getrunkene Schnaps wirklich zur besseren Verteilung der verspeisten Mengen im Mannesinneren dienlich war.
Es half alles nichts. Unter Großvaters strengem Blick mussten die Teller geleert werden. Niemand durfte sich diesem Kampf entziehen. Auch das zwischenzeitliche Einlagern in den Wangen war keine dauerhafte Lösung.
Doch Opa war nicht ungerecht. Irgendwer hatte dem kleinen Mädchen an seiner Seite den Teller gefüllt, so dass der Streit mit der Menge von Marie nicht gewonnen werden konnte.
Da der weise Alte aber seinem eigenen Grundsatz, jeder Teller müsse blank sein, nicht widersprechen konnte, half er seiner Enkelin beim Leeren dadurch, dass er die Reste von ihrem Teller selbst verspeiste.
Ein Strahlen zog auf das Gesicht des Mädchens. Sie sah ihren Großvater an, griff vorsichtig nach seiner Hand und dankte ihm lautstark auf ihre eigene Art, in dem sie allen an der Tafel verkündete:
„Wie gut, dass wir einen Opa haben. Da brauchen wir kein Schwein!“

 

Hallo Kakaotesschen,

vielen Dank für deine Anregungen, die ich zu einer kritischen Durchsicht meines Textes nutzen werde.

Viele Grüße
Hannes

 

Lieber Hannes!

Also mir gefällt Deine Geschichte sehr gut. :) – Sie lebt ja auch nicht nur von der äußerst netten Pointe, sondern es ist das Erzählen an sich, das die Geschichte zu einer liebenswerten macht. Würdest Du da was streichen, wäre die Geschichte wahrscheinlich wie ein Skelett, dem man das Fleisch zwischen den Knochen weggenommen hat. ;)

Also ich finde sie völlig in Ordnung so, nur diese zwei Kleinigkeiten würde ich ausbessern:

»Das wussten natürlich auch die kleine Marie, obwohl nur gelegentlich auf Opas Hof zu Gast«
– wusste (ohne n)

»Das gelang niemanden.«
– niemandem

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Moin :)

Auch mir ist die Geschichte streckenweise zu lang. Der letzte Satz ist sehr gelungen, der Erste mMn nicht. "Ein halbes Dutzend Jahre" finde ich sehr umständlich. Auch ist mir "Der große Krieg" zu ungenau.

"DAS Hausschwein"

Also ich mag solche großgeschriebenen Wörter die ein Wort betonen sollen nicht - sowas gehört mMn eher in ein Comic.

Also die Gschichte etwas eindampfen - dann überfliegt man sie auch nicht so ... grade der Erste Absatz ist viel zu lang.

 

Liebe Susi,

vielen Dank für deine lobenden Anmerkungen, über die ich mich natürlich gefreut habe.

Ich finde es immer wieder interessant, welche unterschiedliche Resonanz auf eine Geschichte erfolgt. Dabei gehören den kritischen Anmerkungen genauso viel Aufmerksamkeit wie den freundlichen Worten.

Hmmmh! Deinem orthografischen Auge ist natürlich nichts entgangen... Dank für die Hinweise.

Liebe Grüße nach Wien
Hannes

 

Moin Jadzia,

auch dir ein Danke für deine Kritik.

Die Wirkung einer Geschichte ist ganz sicher höchst unterschiedlich beim Leser, aber gerade kritische Anmerkungen helfen mir als Autor, sich noch einmal mit dem geschriebenen Wort auseinanderzusetzen, seien es einzelne Formulierungen, den Leser ermüdende Passagen oder gar die legitime Feststellung, dass Thema und Stil nicht den Nerv des Kritikers finden.

Deshalb habe ich mich auch über deine Kritik gefreut.

Tschüs
Hannes

 

Ich würde mich ja jetzt gerne Kakaotesschens Meinung über die Art von Dir mit Kritik umzugehen anschließen - aber es fällt langsam auf das wir immer einer Meinung sind :) :D

Nein im Ernst - hier gibt es wirklich auch ein paar: Alt-Autoren die sich auch nur durch ein Quäntchen Kritik gleich persönlich angepi... ähm ja du weist schon, fühlen - da ist es richtig angenehem mal auf das Gegenteil zu treffen :)

 

Hallo Theresa,
hallo Jadzia,

da sprecht ihr ein heißes Thema an...

Jeder, der sich schon ein Mal als "Zeilenschmied" versucht und Kontakt zu einem Verlag hatte, wird sich überraschenderweise der Kritik eines Lektors ausgesetzt haben. Und es ist erstaunlich, was eine andere Sicht auf die eigenen Zeilen bringt. Die Auseinandersetzung mit wohlmeinender und nicht zerstörenden Kritik kann nur zu einer Optimierung des Werkes führen.

Natürlich gibt es auch Kritiken, denen man nicht folgen kann. Wenn ein kritischer Leser aus seiner eigenen, sehr persönlichen und auch berechtigten Sicht, sich einen anderen Verlauf der Geschichte oder einen anderen Schluß wünscht, dann mag das legitim sein, aber - häufig - nicht berechtigt. Der Autor hat sich den Plot mit genau dem von ihm vorgedachten Verlauf zurecht gelegt und kann nicht jeder anderen Idee, die bestimmt auch reizvoll sein kann, folgen. In solchen Fällen würde ich es als ungerecht empfinden, den armen Schreiberling als "stur und jeder Kritik verschlossen" zu beschimpfen.

Wenn hingegen, wie in euren Fällen geschehen, wohlmeinende Vorschläge unterbreitet werden, ist es für den Autor ein wertvoller Hinweis, noch einmal "mit der Brille des Lesers" kritisch den Text zu überdenken und sich eigene Gedanken zu den Schwachstellen zu machen. Es ist nun einmal so, dass man zu seinem eignen Text nie den Bezug herstellen kann, den ein Dritter aufbaut. Wär man nicht von seinen Zeilen überzeugt, würde man sie nicht in dieser Form veröffentlichen. Längen, die den Leser langweilen, erkennt man selbst ebenso wenig wie Lücken, die den Text unverständlich machen. Von daher ist die Kritik ein unerläßliches Instrumentarium, ersetzt sie doch die fehlende Distanz, die man zum eigen Werk nie aufbauen kann.

Und schließlich darf man nicht vergessen, dass sich jeder Kritiker ja auch einem Aufwand unterzieht, wenn er auf einen Beitrag antwortet.

Ich stimme euch zu, dass der Umgang zwischen Autor und Kritik häufig nicht angemessen ist, aber, auch bei den Vorbildern im professionellen Bereich weiden wir uns ja häfig an deren Auseinandersetzungen.

Dankeschön und liebe Grüße aus Münster
Hannes

 

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