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Das Haus auf dem Hügel

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21.12.2015
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Das Haus auf dem Hügel

Das Haus auf dem Hügel

Die Woche war lang und anstrengend gewesen. Zwei Versuchsreihen, die Günter am Institut für Molekularbiologie vorbereitet hatte, waren missglückt. Zuhause hatte es ein paar gereizte Dialoge mit seiner Frau Ursula gegeben, die ebenfalls keine besonders erfolgreiche Woche hinter sich hatte.
„Lass uns einfach mit dem Auto losfahren. Wir sind schon so lange nicht mehr an unserem Stausee gewesen“, sagte Günter beim Frühstück am Sonntagmorgen. „Leisten wir uns diesen Luxus.“
Ursula nickte. Sie fühlte sich ziemlich schlapp und ausgelaugt. Auch war ihr Günters unfreundlicher Ton der letzten Tage aufs Gemüt geschlagen. Mehltau, dachte sie, irgendwie fühlt sich alles wie mit Mehltau überlagert an. Ob das in allen Ehen so ist? Mein Gott, es sind jetzt achtzehn Jahre her, dass wir uns kennen! Sie wusste aber aus Erfahrung, dass sie oft unterwegs gut darüber reden konnten, was sich alles an Unmut und Unlust der letzten Wochen angesammelt hatte.

Ein herrlicher Spätsommertag wartete auf sie. Nach einer längeren Regenperiode war der Himmel nun strahlend blau und die Luft erfrischend klar. Der kleine Stausee lag auf etwa tausend Meter Höhe; man konnte ihn leicht in zwei Stunden umrunden. Obwohl noch Hochsaison war, begegneten sie nur wenigen Wanderern. Manchmal donnerte ein Düsenjäger über den See, aber sonst hörten sie nur Grillengezirpe und das Plätschern, wenn eine Forelle oder ein Felchen nach Fliegen schnappte.

Die Stille tat ihre Wirkung. Sie merkten, wie die Anspannung nachließ und einer gelassenen Trägheit wich. Über die Mittagszeit suchten sie sich ein schattiges Plätzchen am Ufer.
„Kaffee oder einen Schluck Rotwein?“ Ursula hatte vor der Abfahrt noch geschwind einen Picknickkorb gepackt.
„Rotwein und ein paar Scheiben Salami, wenn du hast.“
Ursula hatte. Sie zauberte auch noch eine Portion Camembert und und ein paar Oliven hervor.
„Wunderbar! Danke, Ursula! Ein herrliches Fleckchen hier.“

Gegen Abend kehrten sie am Talende, wo sie ihr Auto stehen hatten, in einem kleinen Landgasthof ein. Sie waren die einzigen Gäste. Auf der Speisekarte standen verschiedene Pilzgerichte.
„Gerade richtig für meine Stimmung, heute passt wirklich alles zusammen“, meine Günter aufgeräumt und verwickelte den Wirt in ein langes Gespräch über Pilzsorten, Fundorte und Rezepte. Ursula bestellte nur einen Salat. Obwohl sie den ganzen Tag an der frischen Luft gewesen war, verspürte sie keinen rechten Appetit. Sie griff nach dem Bündel Gräser und Blütenstängel in ihrem Korb und band sie zu einem spätsommerlichen Strauß zusammen. Als sie aus dem Gasthaus traten, funkelten die ersten Sterne am Abendhimmel.
„Wir könnten zur Abwechslung mal eine andere Strecke fahren, über den Berg, nicht über die Autobahn. Da gibt es wahrscheinlich weniger Verkehr um diese Zeit."
Günter griff nach der Straßenkarte, um sich zu orientieren.
„Wenn ich nicht ans Steuer muss, ist mir alles recht.“
Ursula gähnte, stellte ihren Autositz zurück und schloss die Augen. Sie genoss das Gefühl, für nichts verantwortlich zu sein. Sie schwiegen. Zweimal hielt Günter an, schaute in die Karte und schüttelte den Kopf. Sie fuhren und fuhren. Kurz vor Mitternacht stotterte der Motor plötzlich einige Male und erstarb. Günter lenkte das Auto an den Straßenrand und zog die Handbremse an. Das Armaturenbrett zeigte nichts Ungewöhnliches an; Benzin, Öl, alles schien in Ordnung zu sein. Auch ein Blick unter die Motorhaube offenbarte nicht, was die Panne ausgelöst hatte. Sie brauchten Hilfe, aber woher? Auf den letzten Kilometern hatten sie nur wenige Häuser gesehen, und die waren alle dunkel gewesen.
Doch sie schienen Glück zu haben. Kaum hundert Meter entfernt erkannten sie die Umrisse eines Hauses. Es stand, umgeben von einigen Fichten, auf einem Hügel.
„Bleib du mal hier sitzen. Ich werde es da oben probieren. Vielleicht kann ich von dort eine Werkstatt anrufen.“
Günter steckte die Autoschlüssel in die Hosentasche und machte sich auf den Weg. Ursula schaute ihm nach. Zu spät fiel ihr die Taschenlampe im Handschuhfach ein. Erstaunlich deutlich konnte sie erkennen, wie in dem Haus auf dem Hügel das Licht anging und Günter eingelassen wurde. Sie schaute auf ihre Armbanduhr, aber die war fünf Minuten vor zwölf stehen geblieben. Es kam ihr ungewöhnlich lange vor, bis sich die Tür wieder öffnete. Günter stürzte heraus. Sie hörte seine Schritte im Dunkeln knirschen, er knallte die Autotür zu und kurbelte das Fenster hoch. Im schwachen Mondlicht konnte Ursula erkennen, dass er totenblass war. Seine Hände zitterten.
„Um Gottes willen, was ist denn passiert? So rede doch!“
Günter kauerte sich in seinem Sitz zusammen. Er hielt sich am Lenkrad fest.
„Bitte, Günter, sag, was los ist!“
„Ich ... ich weiß nicht, wie ich es dir erzählen soll, du wirst mir kein Wort davon glauben.“
„Fang doch einfach von vorne an. Du hast geklopft oder geläutet, und jemand hat dir aufgemacht. Ich habe deinen Umriss im Lichtkegel ganz deutlich gesehen.“
Beruhigend streichelte sie seine rechte Hand. Seine Finger fühlten sich eiskalt an. Er erschauerte, zog die Hand zurück und verkroch sich noch tiefer in seinem Sitz.
„Es war eine junge Frau, so um die zwanzig, die mir geöffnet hat. Sie schien kein bisschen überrascht über mein Auftauchen. Sie war hübsch, mit einer Frisur, wie ich es bisher noch nie gesehen habe: die Haare in rot- und violettfarbenen Strähnen irgendwie um den Kopf gewickelt. Sie hat mich herein gebeten. Es war ein Wohnzimmer. Ein Junge, ungefähr fünfzehn Jahre alt, saß mit dem Rücken zu mir an einem Computer, vielleicht an Hausaufgaben. Ich konnte auf dem Bildschirm erkennen, dass er sich mit Biologiegrafiken befasste.“
„Bis jetzt kommt mir alles höchst normal vor. Es ist nur merkwürdig, dass in dem Haus vorher nirgends Licht gebrannt hat."
Ohne auf ihren Einwurf einzugehen, fuhr Günter mit monotoner Stimme und in ungewohnt gestelzten Formulierungen in seinem Bericht fort. Er klang zunehmend dumpfer und es schien so, als ob er, nachdem er einmal angefangen hatte zu erzählen, nicht mehr aufhören konnte.
„Etwas an dem Wohnzimmer kam mir vertraut vor. Der Grundriss, die gleiche Anordnung der Türen, und dann die geschwungene Holztreppe, die nach oben führte. Das Mädchen hatte sich entfernt, um, wie sie sagte, den Hausherrn zu holen. Es werde etwas dauern, ich solle mich inzwischen gut umsehen. Das tat ich auch. Zuerst studierte ich die Bücher im Regal, wie ich es ja immer tue, wenn ich Gelegenheit dazu bekomme. Die meisten Titel kannte ich. Einige, vor allem neu aussehende Bände, waren mir ganz unbekannt, obwohl sie von unseren Lieblingsautoren stammten. John Updike – du weißt, ich habe ihn dir geschenkt und etwas hineingeschrieben – stand auch da. Die gleiche Ausgabe. Ich griff danach und schlug die Titelseite auf. Und da..., und da....“ Ein Schüttelfrost hinderte Günter am Weitersprechen.
„Jetzt sag bloß, es stand dieselbe Widmung drin wie in meinem Exemplar: 'Hoffentlich werden wir nicht so wie diese Ehepaare! In Liebe, Günter'!“
Der Mann am Lenkrad nickte. Ursula schüttelte fassungslos den Kopf, aber nun wartete sie. Sie wollte den Rest hören – alles!
„Irgendwo im Haus weinte ein kleines Kind, und eine Frauenstimme – es war die Stimme der jungen Person, die mich herein gelassen hatte – sprach tröstende Worte. Ich verstand sie aber nicht genau. Der Junge am Computer stand plötzlich auf und ging auf mich zu. Es war ein hübscher Junge. Er ... er hatte deine Augen und deine geschwungene Oberlippe. Es traf mich wie ein Blitz. Im selben Augenblick kam der Hausherr die Treppe herunter. Ich drehte mich um und schaute in mein eigenes Gesicht. Das heißt, ich erblickte mich so, wie ich vermutlich in fünfzehn Jahren aussehen werde. Grauhaarig und mit tiefen Sorgenfalten."
Eine längere Pause entstand. Günter war auf seinem Sitz kaum mehr auszumachen. Ursula starrte durch das Seitenfenster in die Dunkelheit. Schließlich sagte sie mit brüchiger Stimme: „Und ich, kam ich auch irgendwie vor?“
„Sie sagten, ich könne erst wieder zurückkehren, wenn du mich holen würdest.“
„Günter! Hatte ich auch einen Platz – in deiner Zukunft?“
„Das rothaarige Mädchen war das Kindermädchen. Mehr darf ich dir nicht sagen.“
„Und die Kinder, wie hießen die?“
„Das musst du selbst herausfinden. Ursula, du musst in das Haus gehen und mich dort herausholen. Ich bitte dich, geh schnell!“
„Das ist doch alles Wahnsinn, Günter, du bist krank. Du hast Halluzinationen. Vielleicht war ein Fliegenpilz in deinem Essen. Los, gib mir den Schlüssel. Wir versuchen es noch einmal. Ich will hier weg.“
„Du musst zu dem Haus, Ursula, du musst. Unser Sohn hat den Schlüssel.“
Günter sackte zu einem Häuflein Schatten zusammen. In aufflammender Panik riss Ursula die Seitentür auf und rannte den Hügel hinauf, wo das Haus, nun wieder völlig dunkel, auf sie wartete.
Als sie endlich neben dem Auto auftauchte, hatte sie den Schlüssebund in der Hand. Sie warf ihn Günter auf den Schoß und torkelte auf den Straßengraben zu. Günter hörte mehrmals würgende Geräusche, dann sank sie neben ihn. Auch sie war totenblaß, und sie presste ihre Hände auf ihren Bauch.
Der Wagen sprang sofort an. Die Autouhr zeigte jetzt eine Stunde nach Mitternacht. Auf dem Heimweg fiel kein Wort. Entgegen seiner Gewohnheit fuhr Günter ohne Rücksicht auf Verkehrszeichen und Geschwindigkeitsbegrenzungen.
Auch zu Hause wagten sie nicht, über ihr Erlebnis zu sprechen, sondern wandten sich im Bett sofort den Rücken zu. Beide fielen in einen unruhigen, von Angstträumen beherrschten Schlaf.
Beim Frühstück saßen sie sich noch immer schweigend gegenüber. Ursula trank nur zwei Tassen schwarzen Kaffee, dann verschwand sie im Badezimmer.
Als Günter am Abend vom Institut zurückkam, wartete seine Frau in der Küche auf ihn.
„Ich war heute beim Arzt", begann sie beinahe schroff, "es ist so, wie ich mir gedacht habe. Ich bin schwanger."
Freude und Furcht wallten in Günter gleichzeitig auf.
„Ist alles in Ordnung? Ich meine, geht es dir gut?“
Ursula zuckte die Schultern. „Organisch ist alles bestens. Aber … wir müssen jetzt miteinander reden. Ich bin völlig durcheinander. Ich kann überhaupt nicht mehr unterscheiden zwischen Realität und Einbildung. Ein fürchterlicherTag! Aber ich habe mir etwas überlegt.“
Sie holte zwei Blätter und Stifte. „Jeder wird jetzt für sich aufschreiben, wie die beiden Kinder hießen, die wir in dem Haus auf dem Hügel gesehen haben.“
Sie setzten sich am Küchentisch gegenüber, zwischen sich den Gräserstrauß, den Ursula am vorigen Nachmittag noch so fröhlich zusammengestellt hatte. Beide notierten zwei Namen auf und schoben ihr Blatt hastig über den Tisch. Auf beiden Bögen stand das gleiche: 'Jonas' für den Jungen, 'Klara' für das Mädchen.
Es war also wahr: Irgendeine unbekannte Macht hatte ihnen durch eine schmale Zeitspalte einen Blick in ihre Zukunft beschert. Entdeckt hatten sie dort einen nicht mehr jungen Vater, einen halbwüchsigen Sohn, ein wimmerndes Baby und ein rothaariges Kindermädchen. Sonst niemanden.

Ursula fasste sich zuerst wieder. Jetzt war sie die Entschlossenere von beiden, vielleicht aus Verzweiflung. „Nun will ich es aber genau wissen! Was wäre, wenn wir noch ein drittes Kind bekämen? Steht sein Name auch schon für alle Ewigkeit fest?“
Wieder schrieb jeder einen Namen auf. Aber nun ließen sie sich Zeit, bevor sie die Blätter austauschten. 'Ruth' hieß die Tochter, die Günter sich noch gewünscht hatte; seine Frau hatte ihr Wunschkind 'Georg' getauft. So blieb alles ungewiss. Es gab keine rationale Erklärung für das Haus auf dem Hügel.
„Lass uns unser Leben so leben, wie wir es für richtig halten“, sagte Günter, als er die leise weinende Ursula in die Arme nahm, „gar nichts ist vorherbestimmt, es ist doch bloß eine von vielen Möglichkeiten, die es in der Zukunft für uns gibt. Wer weiß, vielleicht war es nur eine Mahnung, dass wir sorgsamer miteinander umgehen sollen. Ursula, glaub' mir, alles liegt nur an uns selber. Ich verspreche dir, wir werden unserem Schicksal schon noch ein paar Überraschungen abtrotzen. Jetzt erst recht!“

 
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Hallo wieselmaus,

Willkommen hier bei den Wortkriegern.

Du schreibst in deinem Profil:

Ich habe eine Schublade voll mit Kurzgeschichten, die im privaten Kreis ganz gut ankommen. Ich hätte gerne neutralere Feedbacks, vor allem, was das Interesse an meinen Themen betrifft. Aber natürlich bin ich auch gespannt auf handwerkliche Anmerkungen.
Das ist zum einen sehr schön, dass du eine Schublade voller KGs hast, andererseits solltest du sie bitte nicht auf einmal hier ausschütten.

In deiner ersten, erst ein paar Stunden zuvor hier geposteten KG sind einige Kommentare und handwerkliche Anmerkungen gemacht worden und du sagtest, dass du darüber noch nachdenken möchtest.

Über Hannahs Motive muss ich noch gründlicher nachdenken.
Wahrscheinlich werde ich zunächst einen weiteren Text aus der Schublade ziehen.
Dann hast du aber das wahr gemacht, was im zweiten Satz steht und eine neue KG gepostet.
Mein Tipp wäre, auch tatsächlich nachzudenken, die Tipps zu nutzen und den Text ggf. anzupassen, weitere Kommentare abzuwarten (gerade jetzt in der stillen, friedlichen Weihnachtszeit sind wahrscheinlich nicht so viele Wortkrieger aktiv ;)), bevor du noch am selben Tag eine neue KG postest.
Gemach, gemach. Ruhig, Brauner. :)

Wenn du tatsächlich Interesse an handwerklichen Anmerkungen hast, dann zeige es auch. Es ist keinem geholfen, wenn du einen Text unbearbeitet lässt und sofort den nächsten postest.
Das nur Mal so am Rande.

Und jetzt wünsche ich Dir noch viel Spaß hier.

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Hallo GoMusic,

ich danke Dir für die Ratschläge, die natürlich richtig sind. Was Du vielleicht nicht gesehen hast, war, dass ich bereits alle vorgeschlagenen Änderungen übernommen hatte bis auf den Vorschlag, die Geschichte zu erweitern. Das muss ich tatsächlich erst ein wenig ruhen lassen (Kochkiste!) Ich gebe zu, dass ich vielleicht zu ungeduldig war und auch zu egoistisch, aber eben auch hoch motiviert. Ich verrate Dir auch noch mein Alter: 72 Jahre. Da denkt man mitunter, dass man nicht mehr so viel Zeit hat...

Dir auch schöne, ruhige Feiertage mit ein paar schönen Texten 8keine Angst, nicht von mir!
Liebe Grüße
wieselmaus

 

Hallo wieselmaus,

super, dann haben wir uns ja richtig verstanden. Freut mich. :thumbsup:

Danke für deinen netten Gruß. Dir auch besinnliche Feiertage.
Und wenn ich Zeit habe, schaue ich mir deine Text Mal an.

Liebe Grüße,
GoMusic

 

Hallo Wieselmaus,

ich finde deinen Schreibstiel angenehm zu lesen, man kommt gut in die Geschichte rein. Was ich mich beim lesen gefragt habe: aus welcher Perspektive schreibst du? Als Gunter in das Haus geht, lesen wir nicht, was darin passiert, und als Ursula geht auch nicht, dabei ist doch genau das spannend, finde ich. Also wie sie langsam entdecken, was im Haus vor sich geht. Dieser Aha-Effekt. Ich finde dadurch, dass es nur im Nachhinein zusammegefasst wird, nimmt es viel Inhalt raus.
Viele Grüße,

Marissa

 
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Liebe wieselmaus,

auch ich begrüße dich bei den Wortkriegern.

Ich habe deine Geschichte gelesen und möchte dir meine Gedanken beim und nach dem Lesen mitteilen. Du fragst in deinem Profil nach handwerklichen Anmerkungen. Und so solltest du meinen Kommentar auch verstehen. Das sind Ideen, die mir beim Lesen kamen, sie stellen nur meine Meinung dar.

Im Mittelpunkt deiner Geschichte stehen die Ereignisse in dem Haus auf dem Hügel. Und so solltest du deine Geschichte auch gewichten. Du erzählst in der Vorgeschichte so viel Unwichtiges, dass der Leser möglicherweise sein Interesse verloren hat, wenn es richtig los geht.

Überlege einmal, was für den Kern deiner Geschichte wirklich notwendig ist. Du wirst das wahrscheinlich anders sehen als ich, aber ich markiere mal, was ich für die Geschichte nicht gebraucht hätte:

Die Woche war lang und anstrengend gewesen. Zwei Versuchsreihen, die Günter Weiding, Dozent am Institut für Molekularbiologie, für seine Studenten vorbereitet hatte, waren durch die Unachtsamkeit einer Putzfrau missglückt. Zuhause hatte es ein paar gereizte Dialoge mit seiner Frau Ursula gegeben, die ebenfalls keine besonders erfolgreiche Woche als Lehrerin hinter sich hatte – zu viele Korrekturen und eine hässliche Auseinandersetzung mit einem Schüler wegen unentschuldigter Fehlzeiten.
„Lass uns einfach mit dem Auto losfahren. Wir sind schon so lange nicht mehr an unserem Stausee gewesen“, sagte Günter beim Frühstück am Sonntagmorgen, „leisten wir uns diesen Luxus.“
Ursula nickte. Normalerweise benutzten sie ihr Auto nur in Notfällen. Beide waren überzeugt davon, dass öffentliche Verkehrsmittel und Fahrräder genügten, um an ihren Arbeitsplatz zu gelangen oder für einen Ausflug ins Grüne. Aber heute konnten sie etwas Bequemlichkeit nach all dem Stress der vergangenen Tage gebrauchen. Ursula (Sie) fühlte sich ziemlich schlapp und ausgelaugt. Außerdem wusste sie aus Erfahrung, dass sie gerade bei der Heimfahrt gut darüber reden konnten, was sich so an Unmut und Unlust der letzten Wochen angesammelt hatte. Solche therapeutischen Kniffe hatten sich während ihrer dreijährigen Ehe sehr gut bewährt.

Und so geht es weiter. Der Leser erfährt akribisch genau, wie der Ausflug verläuft. Nur hat diese Vorgeschichte nichts mit dem eigentlichen Geschehen zu tun. Für das, was du erzählen willst, ist sie überflüssig: sie erklärt nichts, führt den Leser in ihrer Ausführlichkeit auch nicht in die Handlung ein. Ich würde diesen Teil radikal kürzen, den Tag kurz skizzieren, die Personen vorstellen und sehr schnell zur Begegnung am Abend kommen.

Zum eigentlichen Geschehen: Ich finde es nicht so gelungen, dass du das, was der Mann (und später die Frau) im Haus erleben, nur berichtend darstellst. In Theaterstücken gibt es den Trick der ‚ Mauerschau’ oder des ‚Botenberichts’, wenn etwas nicht dargestellt werden kann. So erscheint mir auch deine Darstellungsweise. Aber du hast ja als Autorin die Möglichkeit, die Begegnung im Haus in ihren Einzelheiten darzustellen. Warum lässt du den Mann nicht durch das Haus gehen, beschreibst nicht die unheimliche Atmosphäre und seine Begegnung mit der Zukunft. Das ist unmittelbarer und sicher für den Leser auch interessanter und gruseliger. Wenn du möchtest, kann die Frau dann anschließend auch in das Haus gehen. Das ist ja nötig für die Abgleichung der Namen. Obwohl mir nicht ganz einleuchtet, warum sich auch die Frau freiwillig in diese gespenstische Situation begibt.

Auch das Ende der Geschichte würde ich kürzen und sie mit diesem Satz abschließen:

Es war also wahr: Irgendeine unbekannte Macht hatte ihnen durch eine schmale Zeitspalte einen Blick in ihre Zukunft beschert.

Das, was du danach noch schreibst, war für mich verwirrend, konnte ich nicht einordnen, wirkte wie angehängt.

wieselmaus, du hast hier eine gute Idee für eine Fantasy-Geschichte gehabt. Vielleicht lässt du dir meine Anregungen noch einmal durch den Kopf gehen.
Sprachlich und was die Rechtschreibung angeht, hast du keine Probleme. Das ist doch schon mal eine sehr gute Basis. Viel Spaß hier im Forum.

Frohe Weihnachten wünscht dir
barnhelm

 

Hallo wieselmaus,

deine SF-Geschichte hat ein interessantes und klassisches Thema der Zeitreise aufgegriffen. Na ja, eigentlich ja mehr eine Art Ausblick auf die Zukunft. Besonders gut hat mir das Ende gefallen, dass deine beiden Hauptfiguren nicht die Zukunft als feststehende Größe fatalistisch hinnehmen, sondern ihr Leben so leben wollen, wie sie es für richtig halten. Dieser Kampfgeist gefällt mir sehr!
In sprachlicher Hinsicht ebenfalls angenehm und flüssig zu lesen - insgesamt hat mir deine Geschichte gut gefallen.

Viele Grüße und ein frohes Weihnachtsfest wünscht dir der Eisenmann

 

Hallo Barnhelm,
Danke für Deinen ausführlichen Kommentar. Wahrscheinlich ist meine Geschichte unter falscher Flagge gesegelt. Meine Thematik ist eher Beziehungkisten und deren Bedrohung durch den zermürbenden Alltag. Daher der erste , vielleicht zu lange geratene erste Teil mit den versteckten Hinweisen auf die sich anbahnende mögliche Gefährdung. Ich lese zwar selber sehr gerne SF, glaube aber nicht, dass ich darin gut wäre. Das Ehepaar soll eine Warnung erhalten, damit es achtsamer mit sich umgeht und mit der neuen Familiensituation.
Ich finde es total spannend, wie die Reaktionen hier ausfallen. Und sehr hilf- und lehrreich. Also nochmals danke und friedliche Weihnachtstage

Liebe Grüße
wieselmaus

 

Hallo Manlio,
erstmal danke, dass Du Dir die Zeit genommen hast, meine Geschichte zu kommentieren. Die innere Logik habe ich wohl doch nicht so vermittelt, wie ich glaubte. Ja, du hast Recht, das ist ein sprödes, nicht ganz taufrisches Ehepaar aus den Neunziger Jahren. Ich werde sie ab jetzt zehn Jahre verheiratet sein lassen. Der Mehltau des Alltags macht sie allmählich mürbe. Aber sie sind guten Willens. Dass Günter zwar aus dem Haus auf dem Hügel herauskommt, aber doch von seiner Frau geholt werden soll, heißt nur, dass er gar nicht körperlich anwesend ist, sondern nur als Geist. Dafür gibt es im Text Hinweise, die aber wohl nicht deutlich genug sind. Daraus erklärt sich auch sein Wissen über das Kindermädchen. Es hat wohl ein zweites Kind gegeben, der Leser könnte sich Günter in diesem Zukunftsbild als frisch verwitwet vorstellen, deshalb seine besorgte Miene.
Aber das ist ja das Gute am Forum: Man wird mit der Nase auf Ungereimtheiten gestoßenen, die man als Autor gar nicht bemerkt.
Der "Indianersommer" ist auch so ein Retro-Begriff. Weiße Spinnenfäden symbolisieren den nahenden Herbst (Alter). Vor 2000 wurde er häufig verwendet.
Vielleicht konnte ich meine Gedankengänge etwas verdeutlichen. Aber in erster Linie sollte dies der Text selber leisten.

Liebe Grüße und schöne, ruhige Weihnachten

wieselmaus

 

Liebe wieselmaus,

kann es sein, dass du da etwas verwechselst:
Indian Summer nennt man die Rot-Orange-Färbung der Ahornbäume im Herbst in Kanada. Zurückzuführen ist das wohl auf den hohen Zuckergehalt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Indian_Summer

Was du ansprichst, scheint mit der Altweibersommer zu sein:
https://de.wikipedia.org/wiki/Altweibersommer
Dort steht:

Nach der einen Erklärung leitet sich der Name von Spinnfäden her, mit denen junge Baldachinspinnen im Herbst durch die Luft segeln.
Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo Barnhelm, genau richtig, deine Erklärungen. Ich werde aber den Begriff sowieso rausnehmen. Er ist unnötig.
Danke!
wieselmaus

 

Hallo Fliege, GoMusic, Marissa , barnhelm, eisenmann, manlio,

ich habe meine Hausaufgaben gemacht und meine Geschichte "Das Haus am Hügel" umgearbeitet. Es wäre wunderbar, wenn ich nochmals eine Rückmeldung bekäme. Ihr habt mir sehr geholfen!
Fliege, es tut mir Leid, dass ich dich zu nachtschlafender Zeit behelligt habe. Ich brauche wohl eine neue Brille. Hörgeräte hab ich schon.
Gruß
wieselmaus

 

Hallo wieselmaus,

Ich beginne mal sofort mit textlichen Sachen:

Sonntagmorgen, „leisten wir uns diesen Luxus.“
Hier würde ich zwei Sätze machen:
Sonntagmorgen. „Leisten wir uns diesen Luxus.“

'Mehltau',(LEERFELD)dachte sie,

Da gibt es wahrscheinlich weniger Verkehr um diese Zeit."
Vorher heißt es „nur wenigen Wanderern.“ und „Sie waren die einzigen Gäste.“
Wieso denkt er dann, es gäbe viel Verkehr?

Doch sie schienen Glück zu haben. Kaum hundert Meter von der Stelle entfernt, an der ihr Wagen stehen geblieben war, erkannten sie die Umrisse eines Hauses.
Das fett markierte kannst du ruhig streichen.

vor zwölf stehen geblieben.(LEERFELD)Es kam ihr ungewöhnlich lange

Sie hörte seine Schritte im Dunkeln knirschen, er knallte die Tür zu und kurbelte das Fenster hoch.
Ich würde hier Autotür sagen, ich dachte erst, die Haustür wäre gemeint.

„Um Gottes willen, was ist denn passiert?(LEERFELD)... So rede doch!“

„Ich(LEERFELD)... ich weiß nicht,
Leerfeld, wenn ein Wort fehlt; kein Leerfeld, wenn das Wort nicht vollständig ist.
Kommt öfter im Text vor.

gewickelt. sie (Sie) hat mich herein gebeten.

Das rothaarige Mädchen war das Kindermädchen. Mehr darf ich dir nicht sagen.“
„Und die Kinder, wie hießen die?“
Hier finde ich die Reaktion unglaubwürdig. Sie hätte doch fragen müssen, warum er was nicht sagen darf. Stattdessen fragt sie nach den Namen ... Hm ....

Günter hörte mehrmals würgende Geräusche, dann sank (WER ODER WAS?) neben ihn.

Entgegen seiner Gewohnheit fuhr Günter ohne Rücksicht auf Verkehrszeichen und Geschwindigkeitsbegrenzungen. (ABSATZ)Auch zu Hause wagten sie nicht, über ihr Erlebnis zu sprechen, sondern wandten sich im Bett sofort den Rücken zu. Beide fielen in einen unruhigen, von Angstträumen beherrschten Schlaf. (ABSATZ)Beim Frühstück saßen sie sich noch immer schweigend gegenüber.
Hier würd ich zwei Absätze oder zumindest Zeilenwechsel machen, da neue Zeiten kommen.

Es war also wahr: Irgendeine unbekannte Macht hatte ihnen durch eine schmale Zeitspalte einen Blick in ihre Zukunft beschert
Ist das die Schlussfolgerung, nur, weil sie dieselben Namen notiert hatten? Klingt zu sehr nach Erklärung, wo es ja sowieso schon klar sein mag.

Gerne gelesen, spannend. :)
Nur das Ende ist noch ausbaufähig.
Für wen steht das Kindermädchen?
Die Stelle mit Ruth und Georg muss nicht sein. Das lässt nur Fragen offen und schwächt m.M.n. das Ende.

Wenn es meine Story wäre, hätte ich sie beide Pilze essen und als mögliche Erklärung es nach einer Halluzination aussehen gelassen. ;)

Viel Spaß hier noch.

Liebe Grüße,
GoMusic

 
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Hallo wieselmaus,

ich finde die neue Version deiner Geschichte schon viel besser als die erste. Vor allem der Anfang ist nun knackiger, es geht schneller los.

Hier meine Kritikpunkte im einzelnen. Am Ende habe ich noch eine generelle Empfehlung für dich.

„Gerade richtig für meine Stimmung, heute passt wirklich alles zusammen“, meine Günter zufrieden
Es fehlt das t bei "meinte".

Etwas an dem Wohnzimmer kam mir vertraut vor. Der Grundriss, die gleiche Anordnung der Türen, und dann die geschwungene Holztreppe, die nach oben führte
Warum kam Günter das vertraut vor? Das Haus ist doch aus der Zukunft, woher kennt er es also?

Das heißt, ich erblickte mich so, wie ich vermutlich in fünfzehn Jahren aussehen werde. Grauhaarig und mit tiefen Sorgenfalten."
Eine längere Pause entstand. Günter war auf seinem Sitz kaum mehr auszumachen. Ursula starrte durch das Seitenfenster in die Dunkelheit. Schließlich sagte sie mit brüchiger Stimme: „Und ich, kam ich auch irgendwie vor?“
„Sie sagten, ich könne erst wieder zurückkehren, wenn du mich holen würdest.“
„Günter! Hatte ich auch einen Platz – in deiner Zukunft?“
Ich finde Ursulas Reaktion nicht glaubwürdig. Da erzählt ihr Mann etwas was er gesehen hat und sie akzeptiert sofort, dass es sich um die Zukunft handelt. Es ist ja nicht gerade gewöhnlich, in die Zukunft zu blicken. Um nicht zu sagen, der Blick in die Zukunft ist hier ja das Zentrale Element und das kommt meiner Meinung nach viel zu einfach herein.

„Das musst du selbst herausfinden. Ursula, du musst in das Haus gehen und mich dort herausholen. Ich bitte dich, geh schnell!“
Das verstehe ich nicht. Günter sitzt doch mit ihr im Wagen. Warum soll sie ihn dann aus dem Haus holen? Oder meint er sein zukünftiges Ich? Dann musst du das beschreiben. Aber warum soll sie ihn überhaupt aus dem Haus holen?

„Das ist doch alles Wahnsinn, Günter, du bist krank. Du hast Halluzinationen. Vielleicht war ein Fliegenpilz in deinem Essen. Los, gib mir den Schlüssel. Wir versuchen es noch einmal. Ich will hier weg.“
Aha, und jetzt hat Ursula doch Zweifel? Kurz vorher hatte sie ja bereits akzeptiert, dass Günter die Zukunft gesehen hat. Das ist alles noch nicht schlüssig und glaubwürdig. Du musst das besser aufbauen. Das mit den Pilzen ist aber cool ;-)

Günter hörte mehrmals würgende Geräusche, dann sank neben ihn.
Hier fehlt was.

Sie holte zwei weiße Blätter und zwei Stifte. „Jeder wird jetzt für sich aufschreiben, wie die beiden Kinder hießen, die wir in dem Haus auf dem Hügel gesehen haben.“
Das verstehe ich nicht. Warum machen sie das? Das musst du dem Leser erklären, damit er das Ergebnis versteht.

Auf beiden Bögen stand das gleiche: 'Jonas' für den Jungen, 'Klara' für das Mädchen.
Es war also wahr: Irgendeine unbekannte Macht hatte ihnen durch eine schmale Zeitspalte einen Blick in ihre Zukunft beschert.
Wieso war es dadurch wahr, nur weil beide die gleichen Namen aufgeschrieben hatten? Wenn ich mit meiner Frau nacheinander eine Familie besuchen gehe, und wir danach die Namen der Kinder aufschreiben, dann werden wir doch auch die gleichen Namen aufschreiben, eben weil wir das gleiche gesehen haben. Aber dadurch haben wir doch noch lange nicht in irgendeine Zukunft geblickt. Verstehst du, was ich meine? Es ist nicht schlüssig, dass aus der Namensgleichheit folgt, dass sie die Zukunft gesehen haben.


Wie bereits erwähnt, ist die neue Version bereits besser als die erste. Weiter so! Ich glaube, du kannst hier noch einiges rausholen.

Ich rate dir außerdem, die Geschichte noch kompakter zu gestalten. Damit meine ich nicht, Handlungselemente rauszuschmeißen. Aber du könntest die Wörter jedes Teils/Kapitels zählen und dir eine geringer Anzahl an Wörtern zum Ziel setzen. Z.B. wenn ein Teil 500 Wörter hat, dann versuche ihn auf 450 Wörter zu kürzen. Du wirst dann feststellen, dass das sehr gut geht, einfach indem man Sätze vereinfacht. Nicht jedes Adjektiv ist nötig. Nicht jeder Beisatz trägt zur Geschichte bei. Der positive Nebeneffekt einer solchen Kompaktierung ist, dass die Geschichte viel besser lesbar wird!

Beispiel für so eine Kompaktierung:
Mache aus

Sie holte zwei weiße Blätter und zwei Stifte. „Jeder wird jetzt für sich aufschreiben, wie die beiden Kinder hießen, die wir in dem Haus auf dem Hügel gesehen haben.“

Das hier:
Sie holte zwei Blätter und Stifte. „Jetzt schreibt jeder die Namen der beiden Kinder auf, die wir gestern gesehen haben.“

Gleicher Informationsgehalt, aber einfacher zu lesen.

Aber letztendlich ist es natürlich deine Geschichte und dein Stil, d.h. du entscheidest.

 
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Hallo Hendrik,
danke für dein Interesse.
Das Haus auf dem Hügel ist innen natürlich sein altes Haus. Warum sollte er auch umgezogen sein? Es hat ja auch alle seine Bücher und dazu die, die er in der Zukunft gekauft haben wird.
Zurück kommt zunächst nicht Günter selbst, sondern ein Phantom ("phantastische Geschichte"), das erst wieder durch die reale Person ersetzt wird, wenn Ursula die Aufgabe gelöst hat.
Ursula will nicht diskutieren, sondern die für sie brennende Frage nach den Kindern beantwortet haben. Ich halte dies für eine nachvollziehbare weibliche Reaktion (schwanger!)
Stilistisch gibt es natürlich immer etwas zu verbessern. Besonders Redundanzen übersieht man selber leicht.
Nochmals danke und freundliche Grüße
wieselmaus

 

Hallo wieselmaus,

jetzt verstehe ich es. Aber es kommt im Text halt - zumindest für mich - nicht raus. Das wollte ich nur mitteilen.

 

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