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Das große Karnickel

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02.11.2001
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Das große Karnickel

Sie sagten mir die Tollwut nach und wo immer ich mich blicken ließ, hetzten sie ihre Hunde auf mich. Ich hatte die Jagden in diesem Jahr überstanden. Sie zählten mich nicht zu ihren Freunden. Sie hängten die Schwänze meiner Brüder und Schwestern an ihre rasenden Götter. Doch die Schläue sprachen sie mir nicht ab. Da bewiesen sie Instinkt. Ich hatte keinen Groll gegen sie. Es war vielmehr so, dass ich meine Pirschgänge ausdehnte.
Neugier war es. Aber auch Hunger.
Sie erschlossen das Land, das auch das meine war. Sie bauten Lagerhallen und Einkaufszentren. Sie errichteten Tankstellen dazwischen, Parkplätze, Zufahrtsstraßen. In den Nächten waren diese Bereiche taghell beleuchtet und das Licht ging auf den Feldern, die noch da waren, spazieren. Ich stellte mich darauf ein.
Es war noch alles machbar, aber gefährlicher als früher.

Jetzt habe ich keinen Namen für meine Schmerzen.
Es wird kälter. Es wird nicht bis zum Morgen reichen. Das sagt mir mein Instinkt.
Meine Gier, mein Hunger. Beide waren gewaltig. Ich hätte meine Schläue nicht vergessen dürfen.

Es war ein Pirschgang.
Einer von vielen, bei denen ich den Duft eines Karnickels schon in der Nase hatte. Es musste ein großes gewesen sein. Ich schlich umher in einem ihrer Bereiche, die in den Nächten taghell beleuchtet waren. Ich hatte Hunger. Der trieb mich vorwärts. Ich vergaß meine Schläue für den Bruchteil eines Augenblicks. Ich sah das Licht auf mich zudonnern. Ich war erstarrt. Die Schnellstraße. Ich hatte die Schnellstraße vergessen. Auf ihre Schnellstraße. Es reichte noch für eine Drehung. Dann begann der Schmerz und ich begriff, dass ich nicht in meinen Bau zurückkehren werden würde. Nicht in dieser Nacht. Niemals mehr.

Der Boden der Straße war hart. Einer ihrer rasenden Götter hatte meinen linken Hinterlauf gerammt. Es knackte hässlich. Ich bin ein Kreisel, dachte ich. Ich wurde gegen das Metall geschleudert, mit dem sie ihre Straßen abgrenzen. Die Knochen meiner Hinterhand brachen wie trockenes Holz, im Fell stockte das Blut. Es kam kein Blut. Das Becken war durch den Anprall zertrümmert. Mein Blick wurde trübe. Ich glaubte das große Karnickel im Feld hocken zu sehen, witternd, mit hochgestellten Ohren. Es musste aber auch nicht wahr sein. Die Grenze zwischen meiner Wahrnehmung und der Wirklichkeit am Feld verschwamm. Ich zog mich mit den Vorderpfoten von der Mitte der Straße, schrammte meine offene Bauchdecke über den Asphalt. Mein Atem ging pfeifend, hechelnd, schubweise. Noch atmete ich. Ich roch das Gras, das Getreide, das jetzt hoch stand.
Durch den trüben Schleier hörte ich den nächsten Gott heranrasen, umgeben von strahlenden, vorauseilenden Lichtbündeln. Ich hörte ihn mehr als ich ihn sah. Sah man mich denn nicht hier liegen? Ich habe keinen Groll gegen euch, auch wenn ihre mit euren Straßen meine Pirschwege zerschneidet.
Manche bremsen, weichen aus. Dieser tat nichts von alldem. Der Aufprall war fürchterlich.
Ich spürte das Gewicht der ganzen Welt auf meinem Körper.

Ich liege am Rande der Straße.
Die Einsamkeit ist schlimmer als der Schmerz, der mich in Schüben quält. Mein Rückrat ist zersplittert. Beim Aufprall habe ich mir die Zunge abgebissen. Ich habe Angst hier alleine zu bleiben bis zum Ende. Ich liege neben der Straße, zwischen leeren Dosen und Papier, das sie achtlos aus ihren rasenden Göttern werfen. Ich spüre noch das Gras. Lichtbündel jaulen vorbei, verschwinden mit roten Augen im Dunkel. Die Schmerzen. Bei ihren Hunden habe ich meine Schläue ins Spiel gebracht. Jahre habe ich ihnen abgetrotzt damit. Das Fleisch des Karnickels hätte im Bau für ein paar Tage gereicht. Hätte, wäre! Was denke ich nur. Es war immer unser Land hier. Es gab Karnickel, Fasane, Rebhühner. Es gab zu essen. Die Jagden hatten sie schon damals veranstaltet. Doch man wurde klüger mit jedem Jahr. Alles begann sich weiter in die Wälder, die Felder, zurückzuziehen. Man tauschte sich aus, sprach sich ab, wusste, wo es zu gefährlich war. Die Ausfälle waren gering und es ging weiter. Es gab immer wieder eine Zukunft und ihre Hunde hatten wir Älteren meistens im Griff.
Sie sind uns nachgerückt, haben die Wälder gerodet, die auch uns gehören. Sie haben das Land verändert, Häuser darauf gebaut, Straßen und Gleise dorthin gelegt. Es gibt nur noch wenige von uns und wir lieben uns immer seltener im Dämmer und dem Tau des Morgens. Das haben sie geschafft. Sie wollen uns weg haben, sehen unsere Schwänze lieber aufgepflanzt auf ihren rasenden Göttern.

Mir ist kalt. Ich möchte aufstehen, davonlaufen. Quer über die Äcker möchte ich laufen. Es ist so jämmerlich hier. Ja, das große Karnickel. Es ist größer als ich gedacht hatte. Ich sehe es jetzt. Es ist unheimlich groß, hockt mitten im grellen Licht über mir. Ich schlage meine Zähne in seinen Nacken. Es hat Augen wie sie. Ich wünschte, ich hätte die Tollwut.
Jetzt. Jetzt.

 

Hallo Aqualung!

was schreib ich jetzt... wieder bei dieser Geschichte der unaufdringliche, leise Vorwurf an den Menschen. Der Raubzug gegen die Natur, die Zerstörung, Ausbeutung, Jagd auf Wesen, oft gleichgültig, unüberlegt, ignorant. :(
Einige wunderschöne Ausdrücke beschreiben die grausame Szene...z.B.

das Licht ging auf den Feldern, die noch da waren, spazieren
Flüssig zu lesen, das Verständnis des Textes kein Problem. Ähnliche Gefühle wie in Deiner Fant-Geschichte. Ein Ausdruck ist mir nicht geläufig, klingt für mich holprig:
Ich hatte auf die Schnellstraße vergessen. Auf ihre Schnellstraße
... für mich wärs ohne "auf" flüssiger.

schöne Grüße, Anne

 

Hallo Aqua,

ich nehme hier nur einem ab, dass ein Fuchs sprechen kann! Fantastisch. Eine Anklage, eine traurige Geschichte. Tja, was soll auch ich noch sagen, was? was? Meine Verneigung? Die hast du schon seit "Isa"! oder "Schmidt empfiehlt sich"

Liebe Grüsse Stefan

 

Hallo Aqua,

Plot gut, ich selbst habe ja auch sabbelnde Kater, von daher ist mir völlig klar, dass es auch redende Füchse gibt. Keine Frage.
Die Sichtweise des Fuchses zu wählen find ich ebenso gut, habs selbst schon häufig aus der Sicht der Kater gschrieben.
Deine Geschichte ist aber zu lang und breit angelegt. Du wiederholst an manchen Stellen, ohne dass damit der Geschichte mehr Tiefe oder Deutlichkeit oder gar mehr Informationen entfließen.

Hier ein paar Beispiele, wo ich vielleicht kürzen würde und damit du weißt, was ich meine:


"Ich hatte keinen Groll gegen sie." das sagst du mindestens nochmals an einer anderen Stelle. Ich ,Leser, bin aber nicht so vergeßlich, wie du es bei mir vermutest.;)(obwohl bei meinem fortgeschrittenen Alter man vielleicht doch auf die Idee kommen könnte. :D).

Der Absatz mit der Schnellstraße könnte gestrafft werden. Du wiederholst den Begriff laufend. Ich persönlich würde alles wegstreichen, was wegkann, also so lange Worte entfernen, wie es der Sinn noch zuläßt.

Dein Protagonist (wie das abartig klingt, wenn es um einen Fuchs geht..also nee) also der Fuchs bringt an diversen Stellen seine Anklage wegen der Bebauung seines Landes an. Ich finde es wirkt intensiver, wenn er es nur einmal aber dafür gründlich anklagt und nicht laufend wiederholt, das verwässert irgendwie.

Soso und am Ende wird die Mantadeko noch rachsüchtig und wünscht sich die Tollwut. :D Mir fällt dazu ein, dass er sicherlich es aber noch schaffen dürfte, wenigstens den Bandwurm zu übertragen. Späte Rache.

Scherz beiseite, denn deine Geschichte ist zurecht ernsthaft geschildert und läßt bei mir ein beschämendes Gefühl zurück. Wir Menschen glauben immer, wie seien so klug und weise und allen überlegen, aber eigentlich sind wir nur perfekte Zerstörer der Natur, in dieser Disziplin haben wir uns tatsächlich vervollkommnet. Dafür schäm ich mich manchesmal ein bisschen, auch wenn ich keine Patentlösung dafür habe, was man verändern könnte.

Sich bewußter zu machen, was für ein Widerling man ist, schafft vielleicht auf zukünftig mehr Kopf dafür mit unserer Natur gewissenhafter und pfleglicher umzugehen. Naja...hehre Worte.

Deine Geschichte hat mir, das möchte ich keinesfalls versäumen zu sagen, gut gefallen. Meine Kritikpunkte sind lediglich Verbesserungsvorschläge und sollen hier nicht als Indiz für die Fehlerhaftigkeit der Geschichte dienen, mitnichten.

Lieben Gruß
Lakita

 

Hallo Aqualung,

der Jäger wird zum gejagten Objekt, all´ seine angesammelte Erfahrung wird auf einen Schlag zerstört.
Vom Kaninchen aus gesehen allerdings...
Es ist wirklich geschickt, die Autos als Götter zu bezeichnen.

Zur Ehrenrettung der Füchse kann man sagen, daß sie immer mehr die Städte erobern und so mancher Katze den Futternapf leeren.

Tschüß...Woltochinon

 

Maus, Maus,
vielen Dank für deine Kritik. Das AUF bei der Schnellstraße hab ich eliminiert. Hattest recht, klingt jetzt viel flüssiger.

Moin Arche,

alle Tiere können sprechen. Wir hören nur nicht hin, wenn sie uns was sagen wollen. Vielleicht ist es auch besser, es nicht zu hören. Es wäre wahrscheinlich die reinste Anklage. Der Fuchs steht hier als Vertreter als einer von vielen auf unseren Straßen Gejagten.
Verneigung retour fürs Lesen. Wird ja richtig zum Ritual. Melde mich Montag wieder.

Lak aus HH,

danke dir ganz herzlich für deine Kritik.
Hab bewußt etwas in die Breite geschrieben, ähnlich der Breite unserer sechsspurigen Autobahnen. Schon komisch, wenn der Protagonist ein Fuchs ist, hmm?
Bleib mir gewogen, prego!

Hi Wolto,

unsere Autos sind für einige von uns zumindest gottähnlich. Manche bremsen damit auch für Tiere. Meistens reicht jedoch die Reaktion nicht.
Ich finde den Eroberungsfeldzug der Füchse hinein in den Beton unserer Städte ausgezeichnet. Die Städte den Füchsen!

Liebe Grüße an euch alle - Aqua

 

hi aqua,
hach menno - wieder eine melancholische geschichte von dir. kommt es dir denn gar nicht in den sinn, dass ein auto mal anhalten könnte, ein kleines mädchen hüpft raus und stellt sich gegen seine eltern, indem es ihren willen durchsetzt, und den fuchs zum tierarzt bringt, der ihn dann wieder zusammeflickt, und die geschichte eine happy end hat?
hasst du happy ends??? :D :D :D
aber, solide geschrieben. wieder ein text für liebhaber *smile*.
bye
barde

 

Dankeee, Barde.

Irgendwann bei irgendeiner Geschichte werde ich irgendwie ein Happy-End probieren, mit irgendwem als Protagonist. Irgendwas hält mich jedoch immer davon ab.
Irgendwelche Fragen?
Danke für deine Kritik, Barde.

Liebe Grüße - Aqua

 

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