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Das grüne Licht
Party! Endlich mal wieder eine gute Veranstaltung, dachte sich Vivienne, als sie die Einladung zum Sommerfest am nahe gelegenen See erhielt. Der See befand sich in einem Naturschutzgebiet. Das Fest sollte auf der Terrasse eines Restaurants stattfinden, in dem sie schon öfter gewesen war. Der Besitzer hatte auch mehrere Lokale in der Stadt, die regelmäßig von den sogenannten Schönen und Reichen frequentiert wurden. So brauchte er sich keine Sorgen um mangelndes Interesse machen und wartete mit einem großen Programm auf.
Vivienne machte sich fertig und fuhr am frühen Abend mit ihrer Freundin Julie zum See. Als sie ankamen, war es noch relativ leer. Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und verband sich mit der rosafarbenen Beleuchtung der Lokalität zu einem traumhaften Licht.
Nach und nach kamen immer mehr Gäste, es wurde gegessen, getrunken und getanzt. Einen Augenblick lang dachte sie, dass es eigentlich eine sehr oberflächliche Gesellschaft war. Sie ging mit Julie an den Rand der Terrasse zum See. Es war inzwischen schon dunkler geworden. Himmel und See leuchteten in einem Grün, das sie noch nie zuvor gesehen hatte. Sie schenkte diesem Licht zunächst keine Beachtung und ging wieder zurück zu den anderen Gästen. Es war sehr voll geworden. Julie und sie tranken ein Glas Wein und tanzten. Nach einer Weile ging sie wieder zurück zum Rand der Terrasse. Noch immer leuchteten See und Himmel grün. Woher kam das? War es nur eine optische Täuschung? Die anderen Gäste schienen es nicht zu bemerken. Vielleicht interessierte es sie auch nicht. Sie hatte plötzlich den Eindruck, das grüne Leuchten würde sich weiter Richtung Terrasse ausbreiten. Sie trat einen Schritt zurück und fühlte den seltsamen Drang, das Lokal verlassen zu müssen. Sie ging zu Julie, die gerade mit einem jungen Mann flirtete und machte ihr deutlich, dass sie kurz hinausgehen wollte. Inzwischen war es so voll, dass sie eine ganze Weile dafür brauchte. Als sie endlich vor dem Eingang stand, sah sie zurück und ihr stockte der Atem: das grüne Licht hatte sich über die gesamte Terrasse gelegt. Immer noch schien es niemand außer ihr zu realisieren. Sie glaubte schon an Halluzinationen, als etwas Fürchterliches passierte. Nach und nach begann das grüne Licht die Gäste zu verschlucken. Es blieb einfach nur ein leerer Platz übrig. Seltsamerweise nahm auch das niemand war. Vielleicht dachten die Leute, das Lokal leere sich langsam, es war schon spät. Irgendwann war keiner der Gäste mehr da. Alle waren von dem Licht verschluckt worden, lautlos, auch Julie. Eine gespenstische Stille lag über dem Ort. Vivienne wollte so schnell wie möglich nach Hause.
Sie konnte nicht glauben, was geschehen war und fürchtete, zu Hause ein ähnliches Szenario zu erleben. Aber dem war nicht so. In der Hoffnung, alles wäre nur ein Alptraum gewesen, ging sie zu Bett.
Am nächsten Morgen fuhr sie erneut zu dem Restaurant am See. Das grüne Licht war verschwunden, die Sonne schien. Aber dennoch war es kein Alptraum! Alles auf der Terrasse war noch wie am Abend zuvor, es standen leere Teller auf den Tischen, halb gefüllte Weingläser und nicht geleerte Aschenbecher. Aber kein einziger Mensch war mehr dort. Das einzige, was von diesen Menschen übrig blieb, war deren Schmuck und teure Uhren, die ebenfalls auf den Tischen und auf dem Boden lagen. Was hatte das zu bedeuten? Ängstlich blickte sich Vivienne um. In der Mitte der Terrasse saß ein kleiner Sperling. Er flog nicht fort, auch nicht, als Vivienne näher kam und ihn vorsichtig aufhob. Anscheinend konnte er nicht mehr fliegen. Sie nahm ihn an sich und fuhr zurück nach Hause, wo sie sich um ihn kümmern wollte. Als sie ihn näher betrachtete, sah sie seine leuchtend grünen Augen...