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Das größte Grauen

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22.12.2002
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Das größte Grauen

In ihm war nichts als Angst, und um ihn herum nur Dunkelheit. Das erste, was ihm dumpf zu Bewußtsein kam, war, daß er träumte. Aber das minderte seine Angst nicht. Im Gegenteil, es verstärkte nur das Gefühl, dem Lauf der Ereignisse hilflos ausgeliefert zu sein.
Dann kam die Erinnerung. Er hatte diesen Traum schon so oft geträumt. Es war jedesmal etwas anders, doch immer ähnlich. Bis jetzt war er in diesem Traum niemals gestorben.
Bis jetzt.
Aber es war jedesmal etwas anders.
Ihm graute vor der Vorstellung, was mit ihm in jener fernen, unerreichbaren Welt der Wirklichkeit geschehen würde, sollte er einmal im Traum getötet werden. Für einen Augenblick stieg das Entsetzen in ihm auf wie eine Woge, die alles andere überspülte. Instinktiv wich er vor der Dunkelheit zurück.
Er prallte mit dem Rücken gegen etwas Hartes. Eine Mauer. Langsam glitt er seitwärts daran entlang. Nach einer Ewigkeit gelangte er an eine Ecke. Die Mauer war vermutlich eine Hauswand. Er tastete sich um die Ecke herum. Etwas war falsch, das spürte er deutlich. Dennoch begab er sich immer tiefer in diese SEITENSTRASSE hinein, immer tiefer und tiefer in den Schutz dieser SACKGASSE. Nun wußte er wieder, was falsch war. Aber es war zu spät. Wie jedesmal, wenn ihm klar wurde, daß er in eine Sackgasse geraten war, hörte er sie kommen.
Er war gefangen.
Während Paul Lindenau mit pochendem Herzen darauf wartete, daß die grauenvollen Gestalten aus der Finsternis auf ihn zukriechen würden, begann irgend etwas, diese Finsternis zurückzudrängen. Immer häufiger wurde der Himmel über ihm von einem schwachen Leuchten erfüllt, das jeweils nur Sekunden andauerte. Was dieses Leuchten war, wurde ihm klar, als der Donner der gewaltigen, nicht abreißenden Explosionen allmählich heranrollte. Es war Krieg.
Natürlich.
In dieser unwirklichen Welt, die doch wirklich werden würde – wirklich werden, weil er selbst sie schaffen würde -, war ständig Krieg.
„Das habe ich nicht gewollt“, flüsterte er in die Nacht hinein. Der Himmel leuchtete inzwischen nahezu ununterbrochen, so daß Lindenau die an drei Seiten von hohen Hauswänden begrenzte, vor Dreck und Abfallhaufen starrende Sackgasse überblicken konnte. Jetzt nahm er auch den ekelerregenden Gestank wahr. Aber sicher. Auch der Dreck war eine unausbleibliche Folge von dem, was er zu tun im Begriff war.
Ein Plakat fiel ihm ein, das vor Jahren auf vielen Werbeflächen geprangt hatte. Ein Schwarzweißfoto zeigte die Erde aus dem Weltraum, und oben drüber stand die Frage: „Kann denn mal jemand den Müll runtertragen?“ Die Antwort wurde rechts unten gegeben: „Nein, der bleibt hier!“ Schon damals hatte Lindenau an dieser Sache gearbeitet, und das Plakat hatte ihn nicht davon abgehalten. Aber möglicherweise hatte es ihn doch irgendwie beeinflußt. Schließlich war es sein eigenes Gewissen, das ihn jetzt mit diesen Träumen – Visionen – quälte, oder etwa nicht? Aber nein, flüsterte eine lautlose Stimme in seinem Innern, diese Träume werden dir aus der Zukunft geschickt. Von den Menschen, die du zu diesem Dasein verbannt hast. Telepathie. Irgend so etwas.
In der Welt des Traumes, mit ihrer eigenen Logik, hatte dieser Gedanke eine gewisse Überzeugungskraft.
Dann kamen sie.
Vom gegenüberliegenden Ende her kroch eine Menschenmenge in die Sackgasse hinein. Doch eigentlich war es eher ein Brei aus ineinander verkeilten, fast verhungerten, skelettartigen Gestalten. Einige waren nackt, andere mit schmutzigen Fetzen bekleidet. Die Männer, Frauen und Kinder in der vordersten Reihe bewegten sich nur zentimeterweise auf ihn zu, mit haßerfüllten, hoffnungslosen Gesichtern. Die hinteren Reihen schienen schneller nachzudrängen, denn bald wuchs die Menschenwand in die Höhe. Über den am Boden stehenden erschienen immer neue Köpfe, Arme, Beine, Leiber. Aus dem nicht abreißenden Schluchzen und Stöhnen lösten sich vereinzelte, anklagende Rufe: „Da ist er!“, oder „Sieh, was du uns angetan hast!“
Wenige Meter vor Lindenau kam die Menschenwand zum Stehen. Lediglich in die Höhe wuchs sie ständig weiter. Paul war sicher, daß sie die Häuserwände bereits überragte, aber er wagte nicht aufzusehen. Zwischen all den anderen Lauten hindurch hörte er schmatzende Geräusche, und für einen Moment empfand er so etwas wie Dankbarkeit. Wenigstens brauchte er nicht zu sehen, von was sich diese ausgezehrten Kreaturen noch ernährten. Dann verstummten alle Geräusche und Stimmen bis auf eine.
Ein Mann aus der ersten Reihe sprach leise zu ihm, aber es schien die Stimme aller zu sein, uralt, geschlechtslos, zornig: „Deinetwegen führen wir dieses Leben. Nun sei einer von uns.“
Er streckte seine Hand nach Paul aus, seine schmutzige, knöcherne Klaue, und sein Arm wurde immer länger; Paul wußte, er würde gepackt werden, hineingezogen in diese Masse, aber er wollte es nicht, er schrie, er weinte, er schlug um sich, und dann berührten ihn diese untoten Finger, und er war verrückt vor Angst.
Er erwachte schweißgebadet.
Einige Augenblicke lang lag er auf dem Rücken und starrte in die Dunkelheit, als beginne sein Traum von neuem. Dann schaltete er die Nachttischlampe an, setzte sich auf die Bettkante und sah sich in dem kleinen Raum um. Es war alles wie immer. (Hatte er denn etwas anderes erwartet? Diese Träume zerrten tatsächlich an seinem Verstand!) Außer dem Bett und dem Nachttisch gab es lediglich den Schreibtisch an der gegenüberliegenden Wand, den er manchmal benutzte, um sich mitten in der Nacht einige Notizen zu machen oder seine Aufzeichnungen auf mögliche Fehler hin durchzugehen, wenn er überhaupt nicht schlafen konnte.
Und es gab selbstverständlich jenes mannshohe Etwas, das, von einem schwarzen Tuch verhängt, auf halbem Weg zwischen Bett und Schreibtisch nahe der Wand aufgestellt war. Dieses Ding brauchte er, wenn er (wie heute?) im Begriff war, aufzugeben. Wenn er die Träume nicht mehr aushielt.
Aber es waren ja nicht nur die Träume.
Paul Lindenau wußte, daß all die Schrecken seiner Träume – der Dreck, der Hunger, die Menschenmassen, die Kriege – Wirklichkeit werden konnten. Durch ihn. Wenn diese Vorstellungen ihn quälten, versuchte er, sich selbst zu beschwichtigen. Solche Probleme konnten schließlich gelöst werden. Nur daß sie eben nicht gelöst wurden. Der Grund dafür war einfach die menschliche Natur. Jene Mischung aus jahrmillionenalten Instinkten und jahrtausendealter Kulturgeschichte, die alle Jahre wieder sich erhob und den größten Philosophen, Religionsstiftern, Politikern und Wissenschaftlern ins Gesicht lachte. Er wußte das; warum also gab er seine Ideen nicht auf? Aber da war sie wieder: die menschliche Natur.
Der ewige Sieger.
Er schaute hinunter auf seine Hände; sie waren alt und faltig. Alt. Wie sehr haßte Lindenau dieses Wort.
Er hatte es schon immer gehaßt. Zu den unangenehmen Erinnerungen aus seiner Kindheit gehörten die Augenblicke, in denen er sich seiner Sterblichkeit bewußt geworden war, der Unausweichlichkeit des alles verschlingenden Nichts, das ihn erwartete. Doch sein Verhältnis zum Tod hatte sich ganz allmählich gewandelt. Auf der Beerdigung seines Großvaters, im Alter von vierzehn, hatte er bereits mehr Wut als Trauer empfunden. Ungefähr seit dieser Zeit hatte er gierig alles aufgesogen, was ihm an Veröffentlichungen über die Gerontologie, die Altersforschung, zugänglich gewesen war. Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre waren ihm zwei Dinge klar geworden: Es würde möglich sein, das Altern aufzuhalten. Doch es würde nicht geschehen. Zu jener Zeit gaben die führenden Forscher auf diesem Gebiet ihre Arbeit auf, aus Angst vor den sozialen Folgen. Und es wurden Gesetze erlassen. Die Genforschung, inzwischen sein eigenes Arbeitsgebiet, wurde immer stärker eingeschränkt. Trotzdem war es ihm gelungen, ein international anerkannter Biochemiker zu werden. Aber schließlich hatte er sich aus der Forschung zurückgezogen.
Natürlich nur nach außen hin.
Die Tatsache, daß er aus einer recht vermögenden Familie stammte, hatte es ihm ermöglicht, seine eigenen Forschungen in seinem eigenen Labor im Keller seines eigenen Hauses zu betreiben. Zweifelsohne war dadurch die Gefährlichkeit seiner Arbeit enorm gestiegen, denn so umfangreiche Sicherheitsvorkehrungen wie die großen Institute konnte er sich beim besten Willen nicht leisten. Doch die Verantwortung dafür sah er bei denen, die ihn durch immer neue, ängstlichere Gesetze zu dieser Heimlichkeit gezwungen hatten.
Und nun war er, Paul Lindenau, dem großen Ziel näher gekommen als je ein Mensch zuvor. (Jedenfalls soweit bekannt; wer wußte schon, wieviele begabte Forscher es ihm gleichtaten mit der heimlichen Arbeit?) Nachdem er es geschafft hatte, durch Manipulation des Erbgutes vor der Befruchtung die Lebenserwartung von Tieren ins Unermeßliche zu steigern, war er an das viel wichtigere Problem gegangen. Was nützte es ihm, wenn seine Nachkommen – sollte er jemals welche haben – nicht mehr alterten?
Endlich war er soweit. Er hatte eine Methode entwickelt, durch harmlose Viren das neue Erbgut in jede Zelle zu schleusen, selbst bei ausgewachsenen Tieren. Alles sprach dafür, daß es auch beim Menschen klappen würde.
Ausgerechnet in diesem entscheidenden Moment spielte sein soziales Gewissen verrückt. So lange hatte er diese Bürde, die ihm in seiner Kindheit anerzogen worden war oder vielleicht auch angeboren, was spielte das jetzt noch für eine Rolle, unterdrücken können. Doch mit einem Mal bedrohte sie sein Leben. Denn das war es, was er sich immer auf’s Neue klar machen mußte: Aufgeben hieß altern – und sterben. Zum ersten Mal hatte er Angst, daß auch das letzte Mittel, ihn zum Weitermachen anzutreiben, versagen könnte. Das Mittel, das bis heute immer stärker gewesen war als alle Zweifel oder Gewissensbisse.
Er erhob sich schwerfällig, zog sich ganz aus und ging hinüber zu dem großen, verhängten Spiegel. Es war der einzige Spiegel, den er noch in seinem Haus duldete. Zum einen konnte er seinen Anblick nicht mehr ertragen, zum anderen wollte er sich nicht daran gewöhnen. Jedes Grauen wurde erträglich, wenn man sich erst daran gewöhnte. Und dann erlahmte der Widerstand.
Er riß das Tuch herunter und zwang sich hinzusehen.
Ja, er war alt geworden. Ohne daß es ihm bewußt gewesen wäre, stand er leicht gebeugt. Sein fetter Bauch hing in Falten wie die Haut über seinen ausgezehrten Armen und Beinen. Die schlimmsten Falten aber zerfurchten sein Gesicht. Sein Haar war schütter. Kriege, Hunger, Übervölkerung mochten schlimm sein. Aber dieser Anblick war schlimmer. Das war er selbst. Er fragte sich zum wiederholten Mal, ob es überhaupt noch einen Sinn hätte. Aber natürlich hatte es Sinn. All das, was er dort sah, war nicht für ewig. All das konnte man ungeschehen machen. Man konnte alles tun, wenn man hundert, zweihundert, dreihundert Jahre Zeit hatte. Zuerst mußte man den weiteren Verfall aufhalten.
Du kannst es nicht für dich behalten, flüsterte die Stimme, die ihn schon im Traum belästigt hatte. Andere werden deine Erkenntnisse stehlen. Oder sie werden selbst darauf kommen, wenn du ihnen erst gezeigt hast, daß es geht. Und es ist erblich, vergiß das nicht! Millionen, Milliarden, Billionen Unsterbliche; willst du das wirklich?
Er warf noch einen Blick auf das grauenhafte Monster, das er selbst war, und warf das Tuch wieder über den Spiegel.
Er begann, sich anzuziehen. Dann würde er hinuntergehen ins Labor, zu den alten, jugendlichen Tieren. Das Frühstück würde er ausfallen lassen, dafür war er jetzt zu ungeduldig. Tiere, schön und gut, aber es war Zeit für den Menschen.
Es war Zeit für einen Selbstversuch.

 

Servus Roy,

ich fand die Geschichte recht spannend. Eigentlich gibt der Stoff sehr viel her, daß man daraus eine Erzählung machen könnte. Das Ende fand ich überraschend und somit ist die Geschichte gelungen.

Er hat also ein Verfahren entwickelt, welches das Altern aufhält, irgendwie sieht er dann im Traum in die Zukunft, was dies bedeuten könnte. Vielleicht hätte man das Verfahren, die Gefühle des Protagonisten noch näher beschreiben können. Auch den Grund, warum er das Altern schlimmer und furchterregender als den Krieg empfindet.

die alle Jahre wieder sich erhob und den

da wäre die sich alle Jahre wieder erhob, meiner Meinung nach besser.

Statt "Nach einer Ewigkeit", würde ich eher "nach einer ihm unendlich lang scheinenden Zeit, oder "es schien ihm unendlich lange, bis" o.ä., weil die "Ewigkeit" umgangssprachlich so oft verwendet wird.

Bei der Korrektur zu meinem Römischen Neujahrswunsch an Rainer, hast Du mich zu einer ziemlich langen und aufwendigen Quellensuche veranlaßt und Du hast Dich geirrt, zumindest teilweise.

liebe Grüße

Echnaton

 

Hallo Echnaton,

danke für das Lob und die guten Anregungen. Ich möchte die Geschichte im Moment nicht editieren, da es sich eigentlich um eine "fertige" Story handelt (ist schon eine Weile her, daß ich sie geschrieben habe) und ich verhindern möchte, daß verschiedene Versionen gleichzeitig im Umlauf sind. Ich sehe mir aber alle Anregungen sehr genau an und versuche, für meine zukünftige Arbeit daraus zu lernen. Der Hinweis, das Verfahren näher zu beschreiben, ist auf jeden Fall wichtig für einen Roman, an dem ich gerade schreibe. Mit dem Zitat ("alle Jahre wieder") hast du den Finger zielsicher auf eine Schwachstelle gelegt, die mir schon bewußt war. Es ist gut, auf diese Weise daran erinnert zu werden, daß ich mir selbst solche Schwächen nicht durchgehen lassen darf :-)

Zum Beginn des römischen Jahres: Da bin ich ja voll ins Fettnäpfchen getreten. Danke für die interessanten Infos. Ich hoffe, mein alter Lateinlehrer tummelt sich nicht auf diesen Seiten ;-)

Schöne Grüße
Roy

 

Hi Roy,

Das ist ja fast ne Vorgeschichte zu meiner Unsterblichkeits-Reportage :)
Ich find sie ziemlich gut. Mit Spannung habe ich darauf gewartet zu erfahren, was Pauls Albträume verursacht.
Klar, die Auseinandersetzung mit den Gründen für die Suche nach Unsterblichkeit könnte länger sein. Aber die Seite heißt ja Kurzgeschichten.de und nicht Romane.de :D
Mir reicht, dass der Jugendlichkeitswahn konsequent zur Spitze getrieben wurde.

Das einzige, was mich stört ist, dass du die Wörter Seitenstraße und Sackgasse am Anfang in Großbuchstaben schreibst. Ich denke, die kommen auch ohne den Holzhammer gut als Metapher rüber...

Gruß von lucutus

PS: Bin ich froh, dass ich nie Latein hatte :) Ich empfinde die Diskussion über den römischen Jahresanfang eher wie schulmeisterliche Rechthaberei, die sich nicht über mehrere Threads ausbreiten muß..

 

Hallo lucutus,

schön, daß Dir die Geschichte gefallen hat. Was die beiden Wörter in Großbuchstaben angeht: Damit wollte ich eigentlich nicht (nur) die Spannung für den Leser erhöhen (sonst hätte die normale Schreibweise es natürlich auch getan), sondern ich wollte verdeutlichen, wie aus Lindenaus bloßer Wahrnehmung schreckliches Begreifen wird. War halt mal 'n Versuch...

Schöne Grüße
Roy

 

Hm. Die Großbuchstaben finde ich trotzdem zu aufdringlich. Kursiv wäre vielleicht besser.

Ich hab mir die Story nochmal durchgelesen und mir ein paar Gedanken gemacht:

Er prallte mit dem Rücken gegen etwas Hartes. Eine Mauer. Langsam glitt er seitwärts daran entlang. Nach einer Ewigkeit gelangte er an eine Ecke. Die Mauer war vermutlich eine Hauswand. Er tastete sich um die Ecke herum.
Den Satz mit der Hauswand würde ich rauslassen. Ist für die Story unwesentlich. Um nicht zwei mal "Ecke" dicht hintereinander zu haben, müßtest du den letzten Satz natürlich umformulieren.

Etwas war falsch, das spürte er deutlich. Dennoch begab er sich immer tiefer in diese SEITENSTRASSE hinein, immer tiefer und tiefer in den Schutz dieser SACKGASSE. Nun wußte er wieder, was falsch war. Aber es war zu spät. Wie jedesmal, wenn ihm klar wurde, daß er in eine Sackgasse geraten war, hörte er sie kommen.
Würde ich anders formulieren:
"(..)immer tiefer und tiefer in den Schutz dieser ... Sackgasse... Die Erkenntnis kam zu spät. Er hörte sie kommen. Sie kamen immer, wenn er in der Falle saß."
Klingt meines Erachtens runder.

Während Paul Lindenau mit pochendem Herzen darauf wartete, daß die grauenvollen Gestalten aus der Finsternis auf ihn zukriechen würden, begann irgend etwas, diese Finsternis zurückzudrängen.
Zweimal Finsternis direkt hinter einander kommt nicht gut. Ersetze doch z. B. das Zweite durch "...begann etwas, das Dunkel zurückzudrängen."

In dieser unwirklichen Welt, die doch wirklich werden würde – wirklich werden, weil er selbst sie schaffen würde -, war ständig Krieg.
Find ich irgendwie holprig, obwohl ich nicht Literat genug bin, um das rational begründen zu können. - Trifft natürlich auf einige meiner Vorschläge zu. :rolleyes:
"In dieser unwirklichen Welt die - dank ihm - bald Wirklichkeit werden sollte, war ständig Krieg." Wäre meine Version. hm.. wie gesagt ohne hilfreiche Begründung.

Schließlich war es sein eigenes Gewissen, das ihn jetzt mit diesen Träumen – Visionen – quälte, oder etwa nicht?
Das "oder etwa nicht?" würde ich streichen.

...immer auf’s Neue klar machen mußte: Aufgeben hieß altern – und sterben.
Das Altern würde ich hier noch nicht erwähnen. Es verrät die Pointe zu früh. Deine Story lebt davon, dem Leser so lang wie möglich vor zu enthalten, was die Albträume verursacht. "Aufgeben hieß sterben." reicht. Die Schlüsselszene ist meines Erachtens die Enthüllung des Spiegels:
Er erhob sich schwerfällig, zog sich ganz aus und ging hinüber zu dem großen, verhängten Spiegel. Es war der einzige Spiegel, den er noch in seinem Haus duldete. Zum einen konnte er seinen Anblick nicht mehr ertragen, zum anderen wollte er sich nicht daran gewöhnen. Jedes Grauen wurde erträglich, wenn man sich erst daran gewöhnte. Und dann erlahmte der Widerstand.
Er riß das Tuch herunter und zwang sich hinzusehen.
Allerdings würde ich den Spiegel zunächst nicht benennen. Ich würde das riesige, unter einem schwarzen Tuch verborgene Monster noch etwas aufbauen, bis schließlich das Tuch gelüftet und der Spiegel enttarnt wird.
In der Folge solltest du seinen Ekel vor dem eigenen Anblick noch klarer rüberbringen.

Das war's dann erst mal von

lucutus

 

Hallo lucutus,

vielen Dank für die detaillierte Kritik. Einiges finde ich ganz gut, bei anderem bin ich mir noch nicht sicher. Ich lasse die Geschichte erst mal so stehen (aus den oben und an anderer Stelle genannten Gründen) und werde noch ein wenig über Deine Anregungen nachdenken.

Vielleicht greife ich irgendwann auch Echnatons Idee auf und wandle das ganze in eine längere Erzählung um, mal sehen.

Schöne Grüße
Roy

 

Hallo Roy,

nun hast Du mit Deinen Kindergeschichten erreicht, dass ich schon wieder eine SF-story lese...... :)

Ich fand die Geschichte richtig spannend und als ich den Schlußsatz las, da mußte ich mich schütteln und ein kalter Schauer lief mir über den Rücken... Puh!

Besonders gut fand ich die Beschreibung der widerlichen Menschenwand, die sich in Pauls Traum auf ihn zuwälzt. Eklig!

Ich finde, es ist Dir sehr gut gelungen, ein uraltes Thema (Ewiges Leben, ewige Jugend), neu zu bearbeiten.

Viele Grüße
Barbara

 

Hallo Barbara,

das ist bisher eine meiner schönsten Kritiken, also vielen Dank! In Dir scheint die Geschichte genau die Emotionen erzeugt zu haben, die ich beabsichtigt hatte.

Schöne Grüße
Roy

 

Hallo Roy,

ich, die sich nie nich nimmer im Forum SF tummelt, hab's bei deiner Geschichte echt nicht bereut. Die war sehr normal für mich, eher eine Geschichte, die ins Forum Gesellschaft passen würde, aber laß sie ruhig hier stehen, hier paßt sie auch.
Sie hat mir gut gefallen. Du schreibst angenehm flüssig, dein Schreibstil ist selten mal rauh und deine Geschichte wirkt auch an keiner Stelle langatmig.

So wäre jetzt denn mein sonstiges Gemeckere :D ähnlich gelagert wie das von lucutus, denn an manchen Stellen wünschte ich mir auch noch mehr Spannung. Diese Wünsche sind allerdings bereits welche, die das wirklich hohe Niveau deiner Geschichte berücksichtigen.

Die Stelle mit dem schwarz verhangenen Spiegel könnte noch etwas unheimlicher wirken, denn Schwarz deutet hier ja schon Unheimliches an. Laß mich als Leser doch ruhig etwas zappeln und führ mich zur Not auf die falsche Fantasiefährte, bevor du unter dem schwarzen Tuch den Spiegel freigibst.
Sein bevorstehender Selbstversuch sollte noch bedrohlicher wirken, finde ich. Das gäbe deiner Geschichte noch eine zusätzliche Spannung.

Sehr gut hat mir dein Thema gefallen, dass sein quasi Unterbewußtsein, hochschwappt via Träume und ihn zu lenken versucht. Seine Gewissensbisse wegen der Anwendung seiner Erfindung und die katastrophalen Auswirkungen, die du geschickt nur andeutest, geben der Geschichte einen angenehmen Tiefgang.
Gelungene Geschichte daher. :thumbsup:

Lieben Gruß
elvira

 

Hallo Elvira,

dankeschön - und es freut mich natürlich, daß ich für diese Rubrik schon ein oder zwei Fans gewinnen konnte ;-)

Da Ihr ja mit der Geschichte recht zufrieden zu sein scheint, werde ich sie wohl einfach lassen, wie sie ist, und versuchen, auch Deine Anregungen in zukünftige Werke einfließen zu lassen.

Schöne Grüße
Roy

 

Hallo Roy!

Alles Gute zum Geburtstag! :)

Also irgendwie wärs schon ein Hit, wenn man das Altern aufhalten könnte :D – wer stirbt denn schon gern…:(
Aber der Traum Deines Protagonisten zeigt natürlich ganz klar die Kehrseite der Medaille: Überbevölkerung, Hunger, Unzufriedenheit, Haß, Krieg.
Lindenau kann seinem Traum vom ewigen Leben aber trotz der Warnung seines Unterbewußtseins nicht wiederstehen, wagt den Selbstversuch – und wer weiß, wie viele Lindenaus es gibt…

Den Anmerkungen von Echnaton und Lucutus möchte ich mich anschließen, und in der Hoffnung, daß Du die Geschichte vielleicht doch noch irgendwann überarbeitest ;), möchte ich noch hinzufügen:

»Es war jedesmal etwas anders, doch immer ähnlich. Bis jetzt war er in diesem Traum niemals gestorben.
Bis jetzt.
Aber es war jedesmal etwas anders.«
– zweimal „es war jedesmal etwas anderes“ finde ich etwas unglücklich

»Er prallte mit dem Rücken gegen etwas Hartes. Eine Mauer. Langsam glitt er seitwärts daran entlang. Nach einer Ewigkeit gelangte er an eine Ecke. Die Mauer war vermutlich eine Hauswand. Er tastete sich um die Ecke herum. Etwas war falsch, das spürte er deutlich.«
– abgesehen von lucutus´ Anmerkungen an dieser Stelle (Vorschlag: gelangte er an eine Ecke, um die er sich herumtastete), wiederholt sich auch „etwas“, das Du eventuell vermeiden könntest, indem Du die Mauer gleich in den ersten Satz nimmst: prallte er mit dem Rücken gegen eine Mauer. Sind aber nur Vorschläge. ;)

»die an drei Seiten von hohen Hauswänden begrenzte, vor Dreck und Abfallhaufen starrende Sackgasse«
– wie kann eine Gasse „starrend“ sein? :shy:


Hm, dann ist mir noch etwas aufgefallen, und zwar schreibst Du »es ist erblich«. – Wenn aber nun bereits ein Embryo dieses Mittel in sich hat, würde er sich doch gar nicht mehr weiterentwickeln, folgedessen auch kein fertiger Mensch werden. Es sei denn, es würde erst durch andere Einwirkungen wirksam, also zum Beispiel erst, wenn sich gewisse Hormone entwickeln.

Habe die Geschichte sehr gern gelesen,

liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Susi,

zuerst einmal vielen Dank für die Glückwünsche! :)

Und natürlich danke für's Lesen und Kritisieren und Wiederausgraben dieses Textes. Allerdings glaube ich nicht, daß ich die Geschichte noch einmal überarbeiten werde. Sie wurde inzwischen in einem Fanzine abgedruckt (SOLAR-X, Nr. 159) und wird voraussichtlich in geringfügig überarbeiteter Fassung (die allerdings schon eingereicht ist) im nächsten Zeitspur-Magazin erscheinen; ich möchte jetzt hier nicht noch eine dritte Version schaffen.

Trotzdem werde ich über Deine Anregungen natürlich nachdenken, um meine Sache in Zukunft noch besser zu machen. Allerdings bin ich mir bei der vor Dreck starrenden Sackgasse noch nicht ganz sicher, das scheint mir eine geläufige Redewendung zu sein, die nicht unbedingt mit "starren" im Sinne von "blicken" zu tun hat. Könnte es mit "erstarren" im Sinne von "steif werden" zusammenhängen? Dann würde zumindest "vor Dreck starrende Kleidung" einen Sinn ergeben...

Was die Erblichkeit angeht: Es ist so, daß sich Zellen im Körper eine Zeit lang teilen und dadurch erneuern, nur hören sie damit irgendwann auf (Ausnahme: Krebszellen), was wesentlich zum Altern beiträgt. Insofern halte ich es für plausibel, daß man für die Unsterblichkeit nicht etwas zu einem bestimmten Zeitpunkt einschalten muß, sondern vielmehr den genetischen Schalter entfernen muß, der für das Abschalten der Zellteilung sorgt. Ich glaube, es gab bereits Forschungen in dieser Richtung. Natürlich habe ich das jetzt sehr vereinfacht dargestellt. :D

Schöne Grüße
Roy

 

Hallo Roy,

Dir ist es gelungen, die doch recht häufig dargestellten apokalyptischen Zukunftsszenen und den Griff in die `Traumkiste´ mit neuem Leben zu erfüllen, indem Du ein ganz großes Problem der Ethik aufgreifst:

Zitat:

Jene Mischung aus jahrmillionenalten Instinkten und jahrtausendealter Kulturgeschichte, die alle Jahre wieder sich erhob und den größten Philosophen, Religionsstiftern, Politikern und Wissenschaftlern ins Gesicht lachte. Er wußte das; warum also gab er seine Ideen nicht auf? Aber da war sie wieder: die menschliche Natur.

Außerdem:

Aufgeben hieß altern – und sterben

Genau dies ist das Problem der Ethik- die Theorie ist wunderbar, doch wenn es an die eigene Haut geht, dann rührt sie sich wieder, die (egoistische) „menschliche Natur“.

Muß wohl nicht erwähnen, dass mir Philo-SF gefällt…

„Träume zerrten an seinem Verstand“ - zehrten.

Alles Gute,

tschüß… Woltochinon

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Woltochinon,

Dein Lob für diese Geschichte ehrt mich besonders - warst Du doch morgen vor elf Monaten mein erster Kritiker auf kg.de! :) Und es bestärkt mich in meiner Entscheidung, die Story in Gelsenkirchen zu lesen.

Was das Zerren/Zehren angeht, bin ich noch nicht ganz überzeugt, aber ich denke darüber nach. Allerdings gilt auch in dieser Hinsicht, was ich Susi zur Überarbeitung geschrieben habe. Nur wenn der Zeitspur-Verlag eine weitere Überarbeitung wünscht, fließt es vielleicht noch ein.

Schöne Grüße
Roy

 

Hallo Roy,

ich war Dein erster Kritiker?
Puh- da bin ich aber froh, dass ich Dich nicht gleich verschreckt habe...
Herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung, weiterhin viel Erfolg-

tschüß... Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,

ja, warst Du... aber in der Kinder-Rubrik, wo ich ja die meisten Geschichten poste. Damals war es übrigens die Erzählung Sonja im Schneemannland, aus der al-dente inzwischen netterweise ein kurzes Theaterstück gemacht hat.

Aber genug der Eigenwerbung und Off-Topic-Beiträge. :D

Herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung
Vielen Dank!
weiterhin viel Erfolg
Den wünsche ich Dir auch!

Schöne Grüße
Roy

 

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