Das goldene Band
„Guten Tag, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir heißen sie überall auf der Welt herzlich Willkommen vor den Monitoren! Wir, dass sind Tom Nilsson und Herbert Makarowitsch, von ETR 1, Earth, Television and Radio. Wir berichten live von der Pressekonferenz der Kapitäne der beiden Kreuzfahrtraumschiffe, die sich dem Wettkampf um das goldene Band stellen. Über einhundert Gäste haben sich in der Empfangshalle des Miraso-Raumschiff-Hafen-Centrums in Nevokov, Sibirien, eingefunden und warten nun auf die Hauptakteure. Tom, sicher eine gute Gelegenheit unseren Zuschauern einige Informationen zu diesem Rennen zu geben.“
„Danke Herbert. Genauso ist es. Aber zunächst auch von mir ein freundliches Hallo an die Zuschauer. Es freut uns sehr, dass sie Gelegenheit haben, unsere Sendung zu verfolgen. Knapp zwei Jahrzehnte nach dem die erste Mondfähre die Erde verlies, geht es heute um die schnellste Umrundung der Sonne. Allerdings in der heutigen Zeit keine besonders anspruchsvolle technische Leistung mehr.“
„Richtig. Der Sieger des blauen Bandes wird das Raumschiff sein, dass am schnellsten die Sonne umrundet und wieder in diesen Hafen hier, übrigens bei strahlendem Sonnenschein und minus 40 Grad Celsius, festmacht ...“
„Und neben dem goldenen Band, entschuldige die Unterbrechung Herbert, wird gleichzeitig auch die Lizenz für diese Route vergeben. Zwei Reedereien, die wir ihnen gleich vorstellen werden, kämpfen um die Vergabe dieser exklusiven Route und zumindest bei der Luna Lleud bin ich mir sicher, geht es auch um Existenzen.“
„Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass sie an diesem Wettkampf überhaupt teilnehmen kann. Ich habe gehört, ihr jährlicher Umsatz beläuft sich auf die Summe, die das Schiff ihres Gegners gekostet hat.“
„Richtig, Herbert. Wie immer findest du das passende Wort zur passenden Zeit. Trotzdem sollten wir den Vertreter der Luna Lleud nicht von vornherein als Verlierer abstempeln. Ihr Kapitän ist ...“
„Da kommen die beiden Kapitäne. Vorneweg Markus Arro, gebürtig in London, Sprössling eines englischen Hochadligen und einer spanischen Gräfin. Fast zwei Meter groß, überragt er alle Anwesenden. Zudem er den Kopf hoch erhoben trägt. Der weiß um seine imposante Erscheinung.“
„Ganz anders sein Widersacher, Kapitän Samuel Lavandel. Er betritt den Raum hinter Kapitän Arro, als wäre er sein Kofferträger, fühlt sich offensichtlich nicht sehr wohl vor so vielen Menschen. Aber Achtung, die beiden geben nun ihre Statements ab.“
„Mein Name ist Markus Arro. Heute ist ein besonderer Tag für meine Reederei, die Golden Brillant Company. Ich und mein Schiff werden das goldene Band gewinnen und diese Route für meine Reederei in Besitz nehmen.“
„Na, Herbert. Das war gleich eine harsche Kampfansage an seinen Kontrahenten. Oder sollte ich sagen, Kapitän Arro sieht die Angelegenheit bereits als entschieden an.“
„Hören wir, was Kapitän Lavandel dazu zu sagen hat. Er tritt nun vor die Zuhörer, wo Kapitän Arro ihm erst Platz macht, nachdem der letzte Fotograf ein Bild von ihm machen konnte.“
„Äh, Hallo! Luna Lleud und Luna 1 werden alles geben.“
„Nun, dass war nicht viel und klang wenig überzeugend.“
„Scheint so, als gehe die erste Runde an Kapitän Arro, jedenfalls sind die Zuhörer ganz auf seiner Seite, Herbert.“
„Aber natürlich zählt diese Runde nicht. Sehen wir uns einmal den weiteren Ablauf an. Sofort nach der Pressekonferenz werden die beiden Kapitäne ihre Schiffe besteigen. Die Passagiere und Mannschaften sind bereits an Bord. Fehlen nur noch die beiden wichtigsten Personen, nicht wahr, Tom?“
„Richtig, Herbert! Wir sind stolz, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir dieses Rennen hautnah begleiten werden. Und zwar direkt auf den Raumschiffen. Herbert auf der Luna 1 und ich auf der Gold von Kapitän Arro.“
„Was für eine Überraschung. Erst heute früh erhielten wir von den Reedereien die Erlaubnis.“
„Nun aber wird es höchste Zeit an Bord zu gehen. Nicht, dass sie uns zurücklassen und sie, liebe Zuschauer, nicht live dabei sein können, beim Rennen um das Goldene Band.“
„Ich bin jetzt an Bord der Luna. Sie ist etwa halb so groß wie die Gold. Und langsamer. Während die Gold stolze 100 K schafft, fliegt die Luna gerade 70 K, ein gewaltiger Unterschied.“
„Vielleicht, Herbert. Die gute Luna fliegt nun schon mehr als fünf Jahre durch die Galaxie, vornehmlich zwischen Mond und Erde. Die Gold dagegen befindet sich heute auf ihrem Jungfernflug. Frisch aus der Werft und nur für die Sonnenumrundung gebaut.“
„Die Reederei muss sich sicher sein, dass sie die Route zugeschlagen bekommt, wenn sie bereits ein Schiff extra hat bauen lassen.“
„Das kann sie wohl auch. Bei aller Neutralität. Wohl nur ein Defekt kann der Golden Brillant Company den Gewinn der Flugroute rund um die Sonne noch verwehren. Bald werden wir Gewissheit haben. Huch, es geht auch schon los. Das Lösen der Verankerung habe ich bisher nicht bemerkt. Das Schiff gleitet wie ein heißer Kirschkern durch Butter, die brillante Gold. Wie sieht es bei dir aus, Herbert?“
„Hier rüttelt es einen durch. Schaukelt, wie auf einem der Segelschiffe aus dem sechzehnten Jahrhundert. Ich glaube, du übernimmst besser, Tom.“
„Wie du meinst, Herbert. Wir befinden uns bereits an der Startlinie. Schon jetzt müssen wir auf die Luna warten, wie soll es erst nach dem Start aussehen?“
„Hier sind wir. Der erfahrene Kapitän Lavandel hat die Luna nun neben die Gold manövriert und Gäste und Crew sind zuversichtlich, der Konkurrenz einen spannenden Kampf zu liefern. Aber es geht los. Per Funk kommt das Startsignal.“
„Kapitäne, ich zähle den Countdown. Nach der eins werde ich Start rufen und dann viel Glück. Zehn – neun – acht – sieben – sechs – fünf – vier – drei – zwei – eins - Start!“
„Hier ist Tom ... von der Gold. Ein mäßiger Ruck folgte auf das Startsignal. Wir glaubten hier alle schon an einen Defekt; doch die Gold fliegt. Und wie es aussieht, mit Vorsprung. Ah, der Kapitän kommt. Das stellt sich die Frage: Wer fliegt eigentlich das Schiff?“
„Keine Angst, dieses Schiff, das nach meinen Vorschlägen gebaut wurde, verfügt über einen Autopiloten, der beinahe so gut fliegen kann, wie ich. Ihm können wir uns anvertrauen, sodass ich wichtigere Dinge erledigen kann. Wie zum Beispiel dieses Interview.“
„Herbert, wie du hören kannst, geht es hier sehr exklusiv zu. Der Kapitän trinkt Champagner und lässt fliegen. Wie sieht es bei euch aus?“
„Die Luna, habe ich das Gefühl, fliegt auf Höchstleistung und noch ein Stück darüber. Es rattert hier, als wäre das Weltall mit Kopfsteinpflaster ausgelegt. Hinter den Wänden zischt und knallt es, dass man jeden Augenblick befürchten muss, dass Schiff explodiert. Wenn ich mich umschaue, sehe ich viele besorgte, ja fast schon ängstliche Gesichter. Ob wir uns wirklich fürchten müssen, werde ich gleich den Kapitän fragen. Dazu muss ich mich erst ein Mal auf die Brücke begeben. Bis dahin zurück zu Tom, oder besser voraus zu Tom.“
„Richtig, mein Lieber. Wir sind mittlerweile der Sonne recht nahe. Durch die temperaturabweisenden Scheiben betrachten wir zusammen mit Kapitän Arro die Eruptionen auf dem Stern, die im derzeitigen Zyklus bescheiden ausfallen. Ein Blick nach achtern zeigt die Luna schon außerordentlich klein und weit zurück. Das Rennen scheint gelaufen. Kapitän Arro, wie ist Ihre Meinung?“
„Keine Frage. Das Rennen war von Anfang an entschieden. Die Luna hatte nie eine Chance gegen mich.“
„Hier meldet sich Herbert ... von der Luna. Ich stehe nun auf der Brücke neben Kapitän Lavandel, der seinen Blick nicht eine Sekunde von der Gold lässt. Kapitän, wie sehen Sie die Chancen für Ihr Schiff das Rennen ehrenvoll zu beenden?“
„Stören Sie nicht. Ich konzentriere mich, das Schiff zu fliegen.“
„Von der Brücke der Luna aus kann man die Gold sehr gut beobachten. Sie dreht gerade in den Rücken der Sonne, während die Luna noch ein gutes Stück vom goldigen Himmelskörper entfernt ist. Trotz Höchstgeschwindigkeit.“
„Guter Gedanke. Wie steht es mit der Gold? Fliegen wie mit äußerster Kraft, Kapitän Arro?“
„Hmh, ich nehme es an. Ich habe den Autopiloten so programmiert, dass er alle notwendigen Schritte unternimmt, um das Rennen zu gewinnen. Wie, ist Sache des Computers.“
„Es heißt, Sie selbst haben diesen Computer entworfen.“
„Das ist vollkommen richtig. Wer sonst? – wäre in diesem Zusammenhang eine durchaus berechtigte Frage. Er ist mir sehr ähnlich – allerdings nicht so gut wie ich.“
„Das ist sehr interessant, Kapitän Arro. Wir haben etwa die Hälfte der Strecke hinter uns und Spannung will so recht nicht aufkommen.“
„Vielleicht doch noch, mein guter Tom. Die Luna hat wider Erwarten ihre Geschwindigkeit erhöhen können, ohne auseinanderzubrechen. Vor kurzem konnte ich einen Blick in den Maschinenraum werfen. Der Motorenmeister des Schiffes hat mittlerweile alle Männer fortgeschickt und verrichtet allein den Dienst an der Maschine. Ich kann nur hoffen, dass es gut geht.“
„Dennoch, Herbert. Auch diese Geschwindigkeitserhöhung bringt die Gold nicht in Gefahr, das Rennen noch zu verlieren. Im Gegenteil, sie hat die Sonne vollständig umrundet und das Ziel quasi bereits vor Augen. Immer deutlicher zeichnen sich die Umrisse des Miraso-Weltraumhafens ab. Nur noch wenige Minuten und die Gold ist im Ziel. Damit wird die Golden Brillant Company Inhaberin der Sonnenroute.“
„Da kann ich nur zustimmen, Tom. Ich jedenfalls sehe keine Chancen mehr für die Luna. Zu groß ist der Abstand zwischen den Schiffen und zu gering der verbleibende Weg zum Ziel. Doch, was ist das, Tom? An eurer Steuerbordseite. Ich glaube, dort bewegt sich etwas.“
„In der Tat Herbert. Werfen wir doch einen Blick nach rechts, meine Herren. Ich würde sagen, es sind Gesteinsbrocken, ein Meteoritenschauer, der sich mit großer Geschwindigkeit durch das All bewegt.“
„Von hier aus sieht es beinahe so aus, als bewegte sich dieser Steinhaufen direkt auf die Gold zu.“
„Danke, Herbert, für den Hinweis. Wirklich scheint es auch von hier aus eine Gefährdung für das Schiff zu geben. Die Gesteinsbrocken kommen rasend schnell näher. Kapitän Arro, was ist Ihre Meinung? Ist die Gold auf Kollisionskurs? Und wenn ja, wie wird der Autopilot reagieren?“
„Der Autopilot wird nicht reagieren. Er ist auf Sieg programmiert. Kürzester Weg zum Ziel – das ist seine Prämisse.“
„Nun muss ich wirklich einmal fragen: Sind Sie eigentlich verrückt? Dieser Computer wird uns umbringen! Wie konnten Sie nur die Sicherheit außer Acht lassen?“
„Niemand konnte ahnen, dass ausgerechnet heute ... ich werde ihn sofort ausschalten und ein Ausweichmanöver einleiten.“
„Da entschwindet er, der saubere Herr Kapitän. Ich muss gestehen, ein wenig flattern mir die Knie, lieber Herbert.“
„Du bist nicht zu beneiden. Aber bald hat Kapitän Arro euer Schiff außer Gefahr und wird, bei dem Vorsprung, immer noch sicher als erster im Ziel einfliegen.“
„Ja Herbert, wahrscheinlich nur eine kleine Episode auf dem Weg zu einem außergewöhnlichen Triumph. Ein Sieg, der in die Raumfahrtgeschichte eingehen wird. Da bin ich ganz sicher.“
„Ihr solltet bald beidrehen, von hier hinten scheint es, als wäre bisher nicht viel passiert.“
„In der Tat ist die Gold weder langsamer geworden, noch hat sie den Kurs geändert. Wir werden einmal hoch zur Brücke gehen, um zu sehen, was Kapitän Arro bisher veranlasst hat. Bitte übernehme du kurz, Herbert, bis ich auf der Brücke angekommen bin.“
„Aber gerne doch, Tom. Obgleich ich mir ernsthaft Sorgen um die Gold mache. Selbst Kapitän Lavandel lässt sich angesichts dieser Situation dazu herab, ein Wort zu verlieren. Abdrehen!, rief er gerade vor wenigen Sekunden und dass soll schon etwas heißen.“
„So Herbert, ich bin jetzt auf der Brücke und sehe einen Kapitän Arro, der seine ganze Würde und seinen Stolz verloren zu haben scheint, denn er springt wie ein Äffchen von Schalttafel zu Schalttafel, drückt und dreht an den Knöpfchen, die unabhängig von seinen Bemühungen blinken oder nicht. Was ist los, Kapitän Arro?“
„Das Mistding, dieser kleine arrogante Autopilot lässt mich nicht an die Steuerung.“
„Was genau bedeutet das?“
„Er lässt sich nicht abschalten. Er ist eben auf Sieg programmiert. Er glaubt, jede Einmischung meinerseits gefährdet sein Ziel.“
„Wollen Sie damit sagen, wir können nichts dagegen tun, dass wir mit dem Meteoritenschwarm zusammenstoßen? Nichts? Keinen Stecker ziehen, den roten Knopf drücken?“
„Nichts. Wir können nur hoffen, ohne Schaden ...“
„Sind Sie verrückt geworden? Wir werden alle sterben ...“
„Vielen Dank an die Regie. Hier ist Herbert Makarowitsch. Leider müssen wir unseren Kollegen Tom ausschalten. Er reagiert ein wenig über. Ich werde Ihnen von Bord der Luna aus schildern, wie die Gold auf diesen Meteoritenschwarm trifft. Nur noch wenige Sekunden bis die Gesteinsbrocken und das Flagschiff der Reederei Golden Brillant zusammenstoßen. Mit einer Chance von eins zu eintausend wird das Raumschiff ohne einen Treffer zu erhalten, durch den Steinregen kommen. Doch die Chance ist schon hinüber, kaum dass ich sie erwähnt hatte. Gleich mehrere Einschläge an Steuerbordseite – sie gerät ins Trudeln – dreht ihren Bug nach Steuerbord – gewaltiger Treffer frontal – Feuerfunken, Explosionen – grandiose Lichtblitze. Meine Damen und Herren, die Gold ist soeben explodiert, lassen Sie uns für eine Minute – nein, dafür bleibt keine Zeit, die Luna fliegt eben gerade durch das Ziel und gewinnt das goldene Band. Herzlichen Glückwunsch!“