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Das Gold des Regenbogens
Schwarze Rauchschwaden ziehen in den blauen Himmel und verdunkeln die Sonne. Es riecht nach verbranntem Holz und schwelendem Fleisch. Der bittersüße Geschmack meines eigenen Blutes lässt mich würgen. Ich spüre den kalten Hauch des Todes im Nacken. Der dunkle Geselle schleicht umher und bemächtigt sich meiner gefallenen Kameraden. An mir möchte er sich leider jedoch nicht vergreifen.
Einen Steinwurf von unserer ehemaligen Festung, unserer Heimat, meinem Leben, entfernt stehe ich auf einem Hügel und blicke auf ihre rauchenden Trümmer.
Nur mit einer handvoll Krieger hatte ich fliehen können. Doch möglicherweise wäre es für sie besser gewesen, mit ihren Brüdern in den Tod zu gehen. Diese zumindest müssen die finstere Zeit, die nun angebrochen ist, nicht mehr auf ihren Schultern tragen.
Ich fühle mich wie ein Fremder in meiner eigenen Welt - unendlich müde und verzweifelt. Habe meinen Zweck verfehlt, so dass mir sogar die Tore im Jenseits verschlossen bleiben.
Ich kann immer noch nicht verstehen, was passiert ist. Seit Anbeginn der Zeit hatten wir unsere Feinde erfolgreich überwältigen können. Sie sind an unseren Mauern zerschellt, wurden gebrochen wie Wellen an einem Fels in der Brandung. Doch noch nie wurden wir von jemanden aus den eigenen Reihen verraten. Ich kann dieses Ereignis immer noch nicht wirklich begreifen. Es ist, als wäre es Bestandteil einer anderen Welt. Einer Welt, dessen Ende möglicherweise schon lange angebrochen war, nur dessen offensichtliche Zeichen von uns, wie von Blinden, nicht erkannt worden waren. Aber wie hat dies nur passieren können?!
Vor langer, langer Zeit einmal erzählte man sich, dass der Regenbogen aus einem Beutel, der mit Gold gefüllt sei, entspringe. Jahrtausende sind seit dem über diese Mythe hinweggeflossen, haben sie ausgewaschen, verformt und aufgeblasen.
Was sich jedoch nie verändert hat, in den vergangenen Millennien, ist die Sehnsucht der Abenteurer aller Herren Länder nach diesem Schatz.
Manch ein Glücksritter suchte verzweifelt sein gesamtes Leben nach der Stelle des Ursprungs, doch fand er den Ort seiner Begierde nie. Geblendet von materiellen Wünschen irrte er nur hilflos umher. Sein Grab war die Suche, das Ziel auf ewig unerreichbar. Andere wiederum fanden uns. Aber längst strebten sie nicht mehr nach weltlichen Reichtümern, die sie einmal bei uns zu finden erhofften. Sie hatten andere, möglicherweise höhere Werte in ihrem Leben gefunden und legten ihr Schicksal vertauensvoll in die Hand des Regenbogens. Fortan kämpften und, wenn es die Situation erfordert, starben sie auch für ihn. Sie reihten sich ein in die verteidigende Armee des Regenbogens. Hoch hinter den Zinnen unserer prächtigen Festung wachten sie aufmerksam über den Regenbogen. Wir waren damals das Vorbild für zivilisierten Werte in unserer Welt.
Was würde ich alles dafür geben, meine Aufzählung hier beenden zu können? Viel, vielleicht sogar mein Leben. Letztendlich würde ich aber dann nur unseren alten Fehler begehen – die Augen vor den Gesetzten der Realität verschließen. So muss ich noch eine dritte Gruppe nennen, die immer öfters uns schlaflose Nächte bereitet hat. Sie sind keine armen Abenteuer, sie befehligen Heere. Sie verbringen nicht ihr gesamtes, armseliges Leben mit der Suche nach uns. Sie lassen suchen. Zerfressen von Habgier lassen sie Armeen aufmarschieren, um die Wunder des Regenbogens zu erobern. Sie haben uns zu Fall gebracht.
Wären es doch noch nur Gold und Edelsteine gewesen, über die wir hätten wachen müssen. Ich hätte sie ihnen eigenhändig mit größter Freude überbracht. Doch beschützten wir weit mehr – die Träume und Sehnsüchte der Menschen. Das sind die wahren Quellen des Regenbogens. Nicht Gold, Silber oder Bronze, sondern das Innerste der Menschen. Wer nämlich den Regenbogen kontrolliert, hat theoretisch Macht über jeden von uns. Er besitzt Kenntnis über unsere geheimsten Orte unserer Seele und kann sie nach seinen Belieben verändern oder vernichten.
Hinter dem Mantel des Offensichtlichen versteckt sich auch der wahre Grund der Suche manch eines Abenteurers. Er kann den eigentlichen Zweck des Regenbogens spüren. Man könnte sagen, er folgt dem Ruf des Regenbogens. Doch, wie schon erwähnt, nehmen diesen nicht nur diejenigen mit reinem Herzen wahr.
Darum ist es für die Menschheit entscheidend, dass der Regenbogen von uns bewacht wird. Weltliche Angelegenheiten bedeuten den Rittern des Regenbogens nichts. Wir beschützen ihn des Schutzes willens. Es ist unsere Aufgabe, unser Schicksal - so dachte ich zumindest. Doch heute wurde uns auf groteske und grausame Weise bewiesen, dass dies nicht immer gelten muss.
„Ares, was sollen wir jetzt machen?“, fragt eine dunkle Stimme hinter mir.
Langsam drehe ich mich um und blicke einem Hünen ins Gesicht. Er ist mindestens eineinhalb Köpfe größer als ich und das, obwohl ich auch nicht unbedingt klein bin. Er stützt sich auf einen zerbrochenen Speer, der in seinen Händen eher wie ein Spielzeug aussieht und sieht mich ratlos an. Erschöpfung ist ihm in sein Gesicht geschrieben. An seiner rechte Schulterpartie klafft eine kleine Wunde, doch ansonsten scheint er unverletzt davongekommen zu sein.
„Ich weiß es nicht“, schüttele ich den Kopf, „Sucht euch einen neuen Kommandanten. Oder macht irgendetwas anderes. Ihr seid nun wieder frei. Es gibt nichts mehr, das es zu kommandieren oder bewachen gäbe. Ich habe meine Aufgabe verfehlt und uns ins Verderben geführt.“
„Wenn du nicht sofort aufhörst dich zu bemitleiden, dann gebe ich dir gleich einen Grund dich wirklich zu bemitleiden. Du hast deine Aufgabe tadellos erfüllt. Aber auch der Beste Stratege kann sich nicht gegen Arglist und Verrat schützen! Also komm mal wieder raus aus deinem Loch. Dein Verstand ist jetzt gefragt.“, fährt mich eine helle Stimme ärgerlich an. Es ist Luzia. Erleichtert atme ich auf. Ihr Überleben ist zumindest ein kleiner Lichtblick.
„Aber...“, setze ich dickköpfig an.
„Kein aber. Wenn wir die Festung zurückerobern wollen, dann brauchen wir dein brilliantes Gespür für unschlagbare Strategien!“, unterbricht mich Justin. Äußerlich kann man ihm keinerlei Erschöpfung oder Verletzungen ansehen. Andererseits kann man von seiner gebrechlichen und dünnen Figur auch nicht ableiten, dass er einer der gefährlichsten Krieger, beziehungsweise Magier ist.
Leise lache ich auf, als hätte er einen Witz erzählt: „Und wie wollt ihr die Festung zurückerobern? Wir sind gerade noch ein Duzend. Wir können von Glück reden, dass uns bisher die Häscher des hohen Priesters noch nicht entdeckt haben.“
„Sie werden uns nicht entdecken!“, erklärt Justin mit fester Stimme, „Der Wald wird uns beschützen!“
„Wo war der Wald dann bitteschön, als sie unsere Festung angegriffen haben?“, erwidere ich wütend.
„Der Wald hat nie versprochen, dass er uns beschützen wird. Aber du weißt, dass er über uns wachen wird, wenn wir in ihm Zuflucht suchen! Nebenbei, warum hast du nicht einfach mal die Macht, die dir als Beschützer des Regenbogens zusteht genutzt und dem Schrecken ein Ende bereitet?“, schaltet sich Luzia wieder ein.
„Du weißt genau, dass ich die Macht des Regenbogens nicht einsetzten darf. Mein Schicksal ist, darüber zu wachen, dass sie nie eingesetzt wird!“
„Toll. Dafür wird sie jetzt erst recht missbraucht. Manchmal muss man eben zwischen zwei Übeln entscheiden.“
„Bevor ihr euch noch selbst an die Kehle geht. Kannst du, Ares, mir bitte erst einmal erklären, was wir jetzt machen wollen?“, geht der Hüne dazwischen.
Nachdenklich fahre ich durch meinen Bart, sehe dann abwechselnd die drei und die anderen übriggebliebenen Krieger an: „Ihr wollt also die Festung wieder zurückerobern?“
Alle nicken entschlossen.
„Seid ihr euch wirklich sicher? Ihr habt euren Teil erledigt, keiner ist euch böse, wenn ihr den Rest eures Lebens in Frieden verbringt.“
Alle nicken wieder entschlossen.
„Wir haben unser Leben in die Hände des Regenbogens gelegt und werden, wenn es sein muss auch dafür sterben, ihn wieder unter unsere Kontrolle zu bringen.“, erwiderte der Hüne entschlossen.
Ein neuer Lebensquell scheint sich plötzlich wieder in mir zu aktivieren. Ich lächle leicht und sage: „So sei es. Erinnert ihr euch nach an die Trainingslager im Wald? Dort wird man uns nie finden. Auf geht’s dorthin!“
So setzt sich der kleine Trupp wieder in Bewegung und zieht tief in den alten Wald hinein. Den Trümmern unserer Festung wenden wir den Rücken zu. Doch ich hoffe, das wir unsere alte Schwester bald wieder sehen werden. Das letzte Wort über die Macht des Regenbogens ist noch nicht gesprochen. Erst wenn jeder einzelne von uns gefallen sein wird, unsere Erinnerungen zu Staub zerfallen sind und die eigentlichen Herren des Regenbogens vergessen sein werden, haben wir verloren. Solange wir jedoch noch leben, lodert die Flamme der Hoffnung noch hell in der Dunkelheit.