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Das Glas

Kai

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05.04.2003
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Das Glas

Das Glas

Das schwere Glas in seiner Hand war das einzige, was in diesem Moment noch klar und wirklich war. In seinem Kopf war es leise, leer und gleißend hell. Kein Gedanke weit und breit. Er hatte erwartet, sofort anzufangen Optionen und Szenarios durchzudenken. Doch jetzt war sein Kopf so leer. Nichts, an dem er herumdenken konnte. Alles war am Ende und doch am Anfang.
Er starrte fest das Glas an, sah es aber nur verschwommen. Die Tränen in seinen Augen ließen die scharfen Konturen weicher werden. Als er die Augen feste zusammenpresste und damit irgend etwas tief hinten in seinem Kopf loszutreten versuchte lösten sich ein paar Tränen. Er leckte sie sich von der Lippe. Sie schmeckten warm und salzig.

Vor nicht einmal drei Minuten lebte er noch in einer anderen Welt. Dann klingelte sein Telefon. „Blau, der Teststreifen ist blau!“ waren ihre Worte und sie klang verheult. Er begriff sofort. Sie hatten gescherzt, er sollte Mäxchen heißen, wenn es ein Junge werden würde. Nichts war geplant. Sie waren noch nicht lange zusammen. Sie hatte die Pille vergessen. Sie glaubten sich zu lieben, doch das würde sich jetzt herausstellen. Nachdem er es begriff, hatte er das Gefühl, als wäre er in Wasser abgetaucht. Alles war dumpf und unwirklich. Die Hand, in der er das Telefon hielt fühlte sich fremd und taub an. Seine Augen weit aufgerissen hörte er sich aus der Ferne sagen, das er gleich zurückrufen würde.
Dann ging alles wie automatisch. Er hatte sich vor einer Woche eine Flasche Tequilla gekauft, weil er wusste, das er etwas starkes trinken müsste, wenn ihre Befürchtungen war würden. Er goss sich mit zittrigen Händen einen ordentlichen Schluck in ein Wasserglas und sackte auf den Boden. Da saß er nun mit dem Rücken gegen den Schrank gelehnt. Die Flasche neben sich, das Glas mit beiden Händen fest umschlossen zwischen den Beinen, die er an die Brust angezogen hatte. Den Schluck hatte er gar nicht bemerkt. Zu taub fühlte sich sein Körper an. Alles was er im Moment spürte, war das feste, kalte Glas in seiner Hand und es war wichtig für ihn. Was jetzt auch passierte, dieses alte Senfglas würde immer sein Senfglas bleiben. Es hatte so etwas faszinierendes beständiges, das er es am liebsten geküsst hätte. Doch das war ein Gedanke. Er konnte wieder denken. Das gleißend helle Licht in seinem Kopf wurde wärmer und er merkte, wie sich sein Körper entkrampfte. Weit weg hörte er irgendwo ein Geräusch, das ihn an das Klingeln seines Handys erinnerte. Sie musste es sein. Er war aber noch nicht bereit. Zuerst mussten noch ein paar Gedanken gedacht werden. Er klammerte sich wieder an sein beständiges Glas. Er dachte, das sein ganzes Leben nun das extreme Gegenteil dieses Glases sein würde. Er konnte sich an nichts klammern. Alles würde sich ändern. Er hatte Angst. Angst vor der Veränderung, Angst vor der neuen Rolle, die er zu erfüllen hatte. Er hatte Angst und fühlte sich nackt und verletzlich. Doch dann geschah etwas, das er nicht erwartet hatte. Er wusste nicht, was den Anstoß gegeben hatte, doch er musste an ihr Gesicht denken, und wie sie gerade genau so heulen musste, wie er. Er dachte an ihre großen dunklen Augen, und wie sie ihn verzweifelt und verheult von unten anschauen würden. Es wurde warm. Es floss wieder Blut durch seien Körper und er konnte jeden warmen Tropfen spüren. Die Tränen schmeckten jetzt anders. Sie schmeckten jetzt nach Sehnsucht und Liebe. Der bittere Geschmack der Angst und der Verzweiflung war einem wunderbar erfüllten Geschmack gewichen.
Er bemerkte plötzlich, dass das Telefon immer noch klingelte. Er schoss herum, stellte hastig sein Glas ab, drückte den grünen Knopf und das Handy feste ans Ohr. Sofort hörte er ihr Schluchzen. Er hatte Angst, sie könnte etwas falsches sagen und brachte selbst kein Wort heraus. Als sie bemerkte, das er abgehoben hatte, holte sie zittrig und tief Luft um ihren Satz zu sagen. Es waren nur drei Worte.
„Ich liebe Dich.“ Er riss die Augen weit auf und schloss sie dann ganz langsam und zufrieden. Er genoss den Klang dieser süßen Worte noch für ein paar Sekunden, zog die verheulte Nase hoch, wischte sich mit dem Ärmel die Tränen von der Backe und sagte leise und sicher in den Hörer „Ich liebe euch beide, alles wird gut“.


- Vielen Dank für Anmerkungen, Lob und Kritik...!

;)

Kai

 

Hui! Der Schluss ist richtig süß. Die Wahrnehmungen des Protagonisten bezüglich seines Körpers und seiner Gefühle sind sehr detailgenau, du sorgst dafür, dass man sich in ihn hineinversetzt. Liest man die Story zweimal versteht man sie besser. Mein Fazit: Klasse!Wirklich super!

 
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Hallo,

sehr schön und gefühlvoll erzählt, wie ich finde - und für mich mal ganz interessant, welche Gedanken bei diesem Thema da Männern so durch den Kopf gehen können. ;)

Der Schluss setzt dieser seelenvollen Geschichte noch die Krone auf, er ist einfach zum Weinen schön...-:)

Nur zwei kleine Fehler sind mir aufgefallen:


Geschrieben von Kai Als er bemerkte, das das Telefon immer noch klingelte. Er schoss herum, stellte hastig sein Glas ab, drückte den grünen Knopf und das Handy feste ans Ohr.

Nach einem Komma schreibt man das mit zwei s und der Satzbau stimmt da auch nicht ganz, lässt sich aber sicher noch beheben.:-)

Gruß

Rosanna

 

Danke euch beiden für eure netten Beiträge.
Dies ist die erste Kurzgeschichte, die ich veröffentlicht habe. Deshalb hatte ich riesige Angst, ihr könntet sie einfach nur schlecht finden, oder gar total ignorieren.
Vielleicht könnt ihr euch vorstellen, wie sehr ich nicht deshalb über euer Feedback gefreut habe.

Das zeigt mir, dass ich zumindest nicht total daneben liege ... das motiviert zum Weiterschreiben!

DANKE! ;)

Kai

 

ich finde, du hast die situation gut beschrieben, mir gefällt vor allem die stelle:

"Weit weg hörte er irgendwo ein Geräusch, das ihn an das Klingeln seines Handys erinnerte. Sie musste es sein. Er war aber noch nicht bereit. Zuerst mussten noch ein paar Gedanken gedacht werden. "

was ich beim lesen besonders angenehm fand, ist, dass du das emotionale unmittelbar rüberbringst, also seine gefühle und nicht seine gedanken über seine gefühle, das find ich in vergleichbaren geschichten oft lähmend.

und- natürlich- hat das ende auch meine weibliche seele verzückt ... trotz des hollywoodesken ausblendens mit happysound *g*- liest man halt gern.

 

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