Liebe Aurelia,
Tausend Dank für deine detaillierte Rückmeldung, und ich freue mich, dass du meinen Komm als Hilfe siehst, und nicht als Verriss (aber du kennst mich ja gut genug).
Es ist mir echt ein bisschen peinlich, dass ich mit der Story bzw. Szene so wenig angeboten habe.
Ich finde Bescheidenheit wirklich charmanter als Arroganz (ehrlich!
), aber v.a. weil ich dich schon live & in Farbe erlebt habe: Stell dein Licht nicht so unter den Scheffel. Ich weiß, wie viele spannende und wirklich innovative/individuelle Gedanken du dir zum Schreiben machst, und hab oft nur den Eindruck, du trautest dich nicht so recht, und dann kommen bissl halbherzige Geschichten oder Szenen wie diese bei raus. Ich bin aber der festen Überzeugung, wenn du deine Bescheidenheit mal kurz vergißt und dir was vornimmst, was dir thematisch und vom Klang der Erzählstimme her wirklich wichtig ist, käme ein sehr, sehr viel stärkerer Text bei raus. Bescheidenheit in Antworten zu Komms ist nett & höflich, aber Bescheidenheit in Prosa ist fehl am Platz. Das nur echt mal als Aufmunterung und Ansporn.
Neulich hab ich für einen Conan Doyle-Kenner eine KG des Autoren total auseinandergenommen - das geht mit allen möglichen Texten, nicht nur mit so einer Übung wie deiner; und das heißt absolut nicht, dass ich denke, ich könne das alles bzw. könne alles besser, was ich kritisiere. Aber Analyse ist leichter als Produktion. Wenn du mehr Sicherheit in der Analyse erlangst (und das ist nur Gewohnheit), bin ich sicher, du bekommst mehr 'Dominanz' in deine Texte. Weißt du, was ich meine?
Weiß nicht, uU muss ich einen anderen Thread aufmachen, wie andere WK das machen, wenn sie nur punktuell eine Sache trainieren wollen. Geht in anderen Dispziplinen wie Sport, Musik etc. auch. Und auch in der Literatur kann man Kurse zu bestimmten Thematiken besuchen. Mit anderen Worten: Ich bin gerade unsicher, ob es am Forum liegt, dass es nicht möglich ist oder in der Natur der Sache (so wie du argumentierst, wenn ich dich richtig verstehe) begründet ist.
Jein - Musik ist da wohl eine Schnittstelle, aber beim Sport trainiert man ja auch das Muskelgedächtnis, und da hilft eben, immer die gleichen Bewegungen zu machen (das kenne ich vom Segeln). Aber beim Schreiben (wie vermutlich Komponieren) hilft dir Wiederholung allein gar nicht. Daher sehe ich keinen Sinn darin, isolierte Aufgaben zu erledigen, die dann in längeren Gesamttexten später 'gekonnt' werden sollen.
Ich habe noch viele Baustellen beim Schreiben und häufig überfordert es mich, wenn ich versuche, alle von dir für eine KG aufgeführten Punkte zu berücksichtigen, sodass ich mich ab und an gerne mal step by step nähern würde. Mich "inselmäßig" nur auf eine Sache konzentrieren und die trainieren. Verstehst du was ich meine?
Ja, aber zumindest mir würde das nur bedingt helfen. Du willst ja einen Text mit einer Gesamtwirkung schaffen, die so (ungefähr) überspringt wie geplant. Alles im Text sollte eine passende Funktion und den erforderlichen Raum einnehmen, und da hängen doch irgendwie Thema, Prämisse, Motivik und Charakterentwürfe zusammen - und wenn du da weißt, was du willst, fällt dir vllt. eher ein, in welcher Form das am besten zu erzählen wäre ... Inwieweit hilft es dir da, isolierte Dialogsequenzen zu üben, die man dann schlecht stellvertretend für eine runde Geschichte einschätzen kann? So bekommst du eben nur Rückmeldungen zu isolierten Dialogen, und wenn das nicht so 100%ig klappt, weißt du immer noch nicht genau, woran das liegt.
Aber das kommt natürlich auch extrem drauf an, wie du generell lernst. Ich suche mir bei Geschichten immer was, das ich halbwegs kann + ein Hauptproblem aus einem vorherigen Text + eine neue Sache, die ich lernen will. Nicht von allem zu Lernenden alles in einem Text geübt, weil ich da total den Überblick verlieren würde und am Ende nicht aus den Komms sehen könnte, woraus das Scheitern bzw. das Gelingen resultiert. Klappte sowas für dich? Eigentlich will ich dich nur ermuntern, mehr in die Waagschale zu werfen. Wenn man an sowas scheitert, scheitert man zumindest mutig.
Kannst du mir einen ganz großen Gefallen tun und den Satz für mich in eine auktoriale Perspektive umformulieren? Damit ich das vllt. mal besser verstehe. Liegt es am Wort anfühlen, dass du sagt es sei eine personale Perspektive?
Puh, ich kapiere Perspektiven auch mehr so osmotisch.
Ein sehr, sehr gutes Buch, in dem das toll aufgedröselt wird (und zwar als Analyse, nicht präskriptive Anleitung): James Wood:
How Fiction Works (
Die Kunst des Erzählens), exzellent ins Dt. übersetzt, aber wegen der Beispiele aus der Literatur vllt. besser im Original.
Wenn du hier einen distanzierten, unparteiischen auktorialen Erzähler hast, ist der - so wie ich das sehe - ähnlich wie ein realer Beobachter im Alltag, und nicht allwissend *). Aber in der einen Zeile springst du plötzlich aus der auktorialen Perspektive in den Kopf des Mannes (-> personal) und beschreibst alles aus seiner Warte, mit einem Wissen, das vorher und nachher nicht mehr vorhanden ist, und das ist ein Fehler. Wenn ich dir das jetzt ändere in: Er spürt ihre warme Hand in seiner (generell auktorial) oder eher wie ein Beobachter in der Realität analog zum Textumfeld er wird ihre Hand warm in seiner spüren können macht das die Sache nicht viel besser, und letzteres klingt zudem bescheuert. Aber du bleibst eben ansonsten ganz außen vor, wie ein menschlicher Zuschauer, der die beiden auf der Terrasse beobachtet. Übrigens sehe ich grad beim Rauskopieren, dass dein Perspektivfehler schon am Satzanfang beginnt: Das konnte er nicht abstreiten, ohne zu lügen. Und lügen konnte er nicht, ohne rot zu werden. Also sagte er: „Herzblatt, ich bin treu wie Gold.“ Das stimmte.
*) Hier - wie auch im restlichen Text - verzichtest du völlig darauf, aus der Innenperspektive zu sagen, welches Gefühl bzw. welche Backstory hinter diesen Mimiken/Gesten liegt:
Julian schürzt die Lippen.
Seine Miene verfinstert sich.
Seine Stimme klingt eisig.
Sie dreht die Zigarettenschachtel auf dem Tisch hin und her.
Wenn dir wichtig ist, die 'intimen' Empfindungen deiner (oder besser: eines der beiden) Protas zu erzählen, ist es vllt. besser, dich auf eine Seite zu schlagen und da einen Mix aus personal und auktorial zu schreiben, was eh in den meisten Romanen so gemacht wird. Oder - das ist aber etwas, was ich bei Prosa absolut hasse - du schreibst Deep-POV (Point of View), das ist eine Extremform des personalen Erzählers und ist ähnlich eingeschränkt wie ein Ich-Erzähler. Wie war dein Englisch? Ich kann dir da mal was raussuchen und PNnen.
Sein Satz „Herzblatt, ich bin treu wie Gold.“ kommt mir so derart ätzend-sarkastisch vor, dass ich übrigens überzeugt war, dass der personale Erzähler hier ein unzuverlässiger ist; und damit habe ich die Beteuerung des Erzählers, Julian sei treu, nicht geglaubt.
Bin nicht sicher, ob ich dich richtig verstehe. Inhaltlich brauch ich das m.E., damit klar ist, dass er treu ist und er sie lediglich in ihrer Vorstellung betrügt. Oder mach ich einen Denkfehler?
Jein. Dein Erzähler ist ja nicht du / der Autor, und muss alles, was du in dem Text sagen/zeigen möchtest, aus seiner Perspektive (die, die du für ihn gewählt hast) beschreiben können. Wenn du jetzt den Eindruck hast, der Stimme des Erzählers gelänge es nicht, dem Leser klarzumachen, dass der Mann immer treu war, kannst du nicht einfach hingehen und den Erzähler wörtlich - quasi auf einer Meta-Ebene, die bereits die des Autors ist - sagen lassen:
Jaja, so isses! Eigentlich nimmst du als Autor hier deinem Erzähler das Heft aus der Hand, und legst deine Stimme über seine. Das geht so nicht. Entweder, du machst den Text szenischer und zeigst irgendwo eine Situation, in der er angemacht wird, aber treu bleibt; oder du baust den Dialog aus, sodass klar wird, dass seine Treue (im Gegensatz zur Ansicht seiner Partnerin) Fakt ist.
Es gibt natürlich Erzählungen, in der der Erzähler sich selbst kommentiert, oder in die sich die Autoren kommentierend einmischen, aber das muss gekonnt sein, damit es absichtlich wirkt. Kommt in z.B. absurden Texten vor, oder Satire.
Deine Ausführungen und deine Anmerkungen sind eine große Hilfe, insbesondere weil es auch als Checkliste dienen kann und dies nicht nur für diese Geschichte, sondern grundsätzlich. Hat man beim Schreiben all die Kriterien beachtet und umgesetzt, die notwendig sind, um eine gute Geschichte zu schreiben.
Das freut mich, und Hilfe können wir ja alle gebrauchen. Vllt. würde dir eine bessere Struktur vor dem eigentlichen Schreiben helfen, so eine Art Skelett, das du mit Fleisch versiehst, dann verlierst du vllt. nicht so schnell den Überblick, wenn du gerade an Details arbeitest (und nur nochmal: ich schaffe bei weitem auch nicht alles, was ich anderen rate!). Keine Ahnung, ob das alles was ist, was für deine Art des Scheibens passt.
Es ist mir echt unangenehm und peinlich, dass ich dir ad hoc keine Rückmeldung auf die Punkte geben kann, weil sie mir selber noch nicht klar sind und ich sie noch nicht ausgearbeitet habe. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.
Das wird ganz sicher was werden. ;-)
Jetzt habe ich gerade eine Idee. Könnte ich mir das Leben erleichtern, indem ich schreiben: Irgendein TV-Sternchen hat mal gesagt ...? Oder ich hab mal gehört ...?
Willst du denn, dass deine Prota auf sowas referiert? Macht sie das nicht stumpfer, als sie ist? Wenn dein Sternchen unsympatisch ist (und diese Katzenbacher hab ich jetzt gegoogelt, das ist ja der blanke Horror), färbt das auf deine Prota ab.
Rutsch gut rein, falls wir uns vorher nicht schreiben und alles Gute für dich!
Du auch, liebsten Dank, und dir auch ein tolles Neues Jahr!
Herzlichst, Katla