Was ist neu

Das Gift der Demütigung

Mitglied
Beitritt
14.03.2003
Beiträge
9
Zuletzt bearbeitet:

Das Gift der Demütigung

Überall waren weiße Flecken. Doch statt des gelben Dotters hatten sie graue Kerne aus Verdautem und somit nichts mit einem Spiegelei gemein, außer, dass sie von der gleichen Tierart stammten. Die von Vogelkot übersäte Bank war genau der richtige Platz, um sein Vorhaben durchzuführen. Es würde sich sicherlich niemand neben ihn setzen, solange die anderen, sauberen Bänke, zwanzig Meter abseits, noch frei waren. Für das, was er vor hatte, konnte er keine Zeugen brauchen.
Bevor er nach der Zielperson Ausschau hielt, vergewisserte er sich, dass auf der Ulme, die ihre Äste direkt über seinem Kopf ausgestreckt hatte, keine Taube und keiner der anderen Vögel, die den Stauteich als ihr Revier in Anspruch nahmen, breit gemacht hatte. Er würde es nicht ertragen können, wenn auf seinem Kopf ein glitschiger Haufen Vogelscheiße landen würde. Es war schon schlimm genug, dass diese versiffte Bank seine Hose total ruinierte. Sein Vater, der immer auf saubere Kleidung Wert legte, hätte ihm als Kind für so etwas eine runter gehauen.
Als kein Vogelviech zu erkennen war, richtete er seine ganze Aufmerksamkeit auf den Gehweg, der sich, getrennt von einer Grasfläche, parallel zu dem Ufer des Teiches entlang schlängelte. Die warme Luft und die strahlende Sonne lockte alle möglichen Menschen zu diesem Abklatsch eines idyllischen Urlaubsortes. Mütter mit Kinderwagen, Väter in hässlichen Hawaiihemden, Kinder wahlweise auf Bobby-Cars, Dreirädern oder schlicht zu Fuß, Rentnerpaare, Radfahrer und Jogger. Auf die Jogger konzentrierte er sich besonders, da die Zielperson jeden Tag gegen fünf Uhr diesen Weg entlang lief.
Er schaute auf seine billige Armbanduhr aus Plastik. Es war zehn vor fünf. Nur wenn er einen Job erledigen musste, trug er diese Uhr, ertrug er überhaupt eine Uhr. Als Kind war er Sklave der Zeit gewesen. Seine Mutter hatte jede Minute seiner Kindheit verplant. Hausarbeit, zusätzlicher Lernstoff (er sollte stets mehr wissen als seine Klassenkameraden), Klavierunterricht, Gitarrenunterricht, Tennisunterricht. Sogar regelmäßige Schießübungen gehörten zu seinem Tagesablauf. Das einzig Interessante waren für ihn die Fachbücher seines Vaters gewesen, die er ebenfalls lesen mußte. Sein Vater war Apotheker und in den Büchern stand alles über die Zusammensetzung und Wirkung von Giften und Gegengiften. Jeden Tag entdeckte er beim Studieren der Seiten ein neue Mischung, mit der er seine Eltern hätte umbringen können.
Während seine Augen den Weg bewachten, entdeckte er ein kleines Mädchen, das am Teichufer hockte. Es erinnerte ihn an ihn selbst, als seine Unschuld nicht nur auf Unzurechnungsfähigkeit basierte, sondern rein und echt war. Es war, als fühlte er das, was dieses Mädchen fühlte, als es seinen niedlichen Versuch startete, eine Entenmutter zu füttern. Er fühlte die Spannung, dieses gefiederte Wesen auf sich zu schwimmen zu sehen und er fühlte die Ekstase (eine Mischung aus Angst und Begeisterung) diesem kleinen und doch Ehrfurcht einflößenden Tier dabei die Hand entgegen zu strecken. Als das kleine Mädchen vor Begeisterung quiekte, weil es für den Bruchteil einer Sekunde die Ente berühren konnte, fühlte er sich eins mit der Natur, eins mit seinem Körper und eins mit dem kleinen fünfjährigen Jungen, der er einmal gewesen war.
Doch als der lächerliche Vater sich dem Mädchen schimpfend annahm, kehrte nach und nach all das zurück, was ihn einst von Natur, Körper und Kind getrennt hatte. Die Wut kehrte zurück, als der Vater das Kind rücksichtslos vom Ufer weg zerrte. Der Hass kehrte zurück, als er dem Kind auf die Wange schlug. Und die Schuldgefühle kehrten zurück, als dem Mädchen kurz darauf die Tränen über das Gesicht liefen. Für eine Sekunde dachte er daran, das flüssige Magazin der Waffe, die in seiner Jackentasche versteckt war, für diesen Vater zu verwenden. Einfach das Röhrchen mit dem von ihm selbstgebauten Schussmechanismus auf diesen schwächlichen Machthaber richten und abfeuern. Der kleinen Untertannin würde er damit sicher einen Dienst erweisen. Doch das Geld, das er für seinen Auftrag bekommen würde, brauchte er dringender, als das Gefühl der Rechtschaffenheit und so wartete er weiter auf die eigentliche Zielperson.
Endlich (die Uhr zeigte inzwischen sieben Minuten nach fünf an) sah er sie, noch ein Stück entfernt, in seine Richtung joggen. Wie bei jedem Auftrag überkam ihn auch diesmal wieder die Angst nicht fähig zu sein den Giftpfeil abzuschießen und zu töten. Besonders bei dieser Zielperson, die sich öffentlich gegen das Kriegstreiben seiner Auftraggeber ausgesprochen hatte und vernichtende Beweise besass, hatte er wieder seine auf Feingefühl basierenden Zweifel. Das war eine ziemlich störende Schwäche für einen Profikiller wie ihn. Moral konnte man sich immer irgendwie zurecht biegen, aber Einfühlungsvermögen ließ sich nicht einfach so weg reden. Denn Gefühle hörten nur selten auf den Verstand.
Nun war es soweit. Die Zielperson war in seinen Schussbereich eingedrungen. Doch die Zweifel waren noch da. Unschlüssig zielte er mit dem geladenen Röhrchen auf den keuchenden Jogger. Mit der freien Hand stützte er sich auf der Bank ab, zieht sie aber sofort wieder angeekelt zurück. Er betrachtet die Innenfläche. Die Scheiße klebt an seinen Fingern. Er schaut abwechselnd auf die Hand und auf seine versiffte Hose. Er hört das kleine Mädchen weinen, betrachtet ihr rot angelaufenes Gesicht, ihre Tränen. Sieht ihren lächerlichen Vater. Sieht vor seinem geistigen Auge seinen eigenen vor Wut kochenden Vater. Eine große Hand fliegt auf das kleine Gesicht zu ... klick! In dem Moment, als die klobigen Finger brutal auf die weiche Kinderhaut auftreffen, schießt der Giftpfeil zielstrebig auf sein Opfer zu. Der Jogger bricht zusammen.
Nachdem er das Röhrchen wieder in der Jackentasche verstaut hatte, richtete er sich von der Bank auf und drängte sich durch die Menschenmasse, die sich um den toten Läufer versammelt hatte.
„Schnell, jemand muß einen Krankenwagen rufen!", ermahnte er die Schaulustigen, während er den Giftpfeil unauffällig aus der Hüfte des toten Mannes zog. Er war froh darüber, dass seine Methode zu Töten ihn davor bewahrte, wie ein Feigling wegrennen zu müssen. Er fand schon immer, eine Neun-Millimeter oder eine ähnliche Waffe zu benutzen wäre viel zu auffällig. Das Gift, das er benutzte, löste einen schlichten Herzinfarkt aus und war bei einer Autopsie im Blut nicht nachzuweisen. Die Polizei würde also einen Mord erst gar nicht in Betracht ziehen und demnach auch keine Zeugen befragen, die ihn als Verdächtigen identifizieren könnten.
Dennoch, kurz bevor die Polizei eintraf, machte er sich unauffällig davon, immer noch darüber verblüfft, dass er es wieder fertig gebracht hatte, seine tödlich Waffe abzufeuern.

 

Hallo Dafeat!

Ein kleiner Krimi mit Hintergrund - ich finde ihn echt gut. :)

Mir gefällt, wie Du anhand einer "simplen" Handlung zeigst, wozu falsche Erziehung führen kann. Wessen Selbst getötet wurde, der ist auch eher bereit zu töten, als jemand mit starkem Selbstbewußtsein.

Aber abgesehen von der Idee gefällt mir auch der Stil und einzelne Details, etwa die Idee mit der Bank, auf die sich sonst niemand setzen will... :D

Nur wenn er einen Job erledigen musste, trug er diese Uhr, ertrug er überhaupt eine Uhr. Für den Alltag brauchte er keine mehr. Als Kind war er Sklave der Zeit gewesen. Seine Mutter hatte jede Minute seiner Kindheit verplant.
- Ein perfekter Übergang vom auf der Bank sitzenden Protagonisten zu seiner Vergangenheit! :thumbsup:

Ein paar Stellen könntest Du noch ausbessern: ;)

"in Anspruch nahmen, breit gemachte hatte."
- gemacht (ohne e)

"hätte ihn als Kind für so etwas eine runter gehauen."
- hätte ihm als Kind

"Mütter mit Kinderwagen"
- Mütter mit Kinderwägen (mehrere Mütter, also auch mehrere Kinderwägen)

"diesem kleinem und doch ehrfurchteinflößenden Tier"
- diesem kleinen

"vernichtende Beweise besass, hatte er wieder seine auf Feingefühl basierende Zweifel."
- besaß
- seine auf Feingefühl basierenden Zweifel

"Sieht vor seinem geistigen Augen"
- Auge (ohne n)

"auf das kleine Gesicht zu...Klick!"
- zu ... Klick! (Leertasten vor und nach den Punkten)

""... einen Krankenwagen rufen!" rief er ..."
- rufen!", rief er
- würde nach "rufen" nicht "rief" schreiben, evtl. "schrie er", "forderte er auf" oder sowas?

"eine 9mm oder eine ähnliche Waffe"
- eine Neun-Millimeter- oder eine ähnliche Waffe

"erst gar nicht in betracht ziehen"
- in Betracht ziehen

Liebe Grüße,
Susi

 

Hi Susi!

Danke für die Kritik!

Ich habe die von dir vorgeschlagenen Verbesserungen übernommen, bis auf zwei:

Soweit ich weiß, kann man den Plural von Wagen auf beide Weisen schreiben ("die Wägen" oder "die Wagen") oder verwechel ich da jetzt etwas??

Und: Mein Textprogramm mäkelt, wenn ich besass mit ß schreibe. Mit Doppel-S nimmt es das Wort an.


Mir sagte jemand, der letzte Teil der Geschichte wäre überflüssig, sie könne schon bei dem Satz "der Jogger bricht zusammen" enden.
Was meinst Du?

 

Hallo Dafeat!

Mir sagte jemand, der letzte Teil der Geschichte wäre überflüssig, sie könne schon bei dem Satz "der Jogger bricht zusammen" enden.
Was meinst Du?
Also ich finde, die Geschichte braucht den Schluß schon. Gerade zum Beispiel das, daß er verblüfft über sich selbst war, gehört meiner Meinung auf jeden Fall dazu.

Es kommt halt wahrscheinlich drauf an, wie man die Geschichte liest. Will man nur wissen, was er denn machen wird, ist man damit vermutlich befriedigt, es zu wissen. Interessiert einen jedoch auch oder besonders der Charakter, würde sie ohne den Schluß wohl unfertig wirken. ;)

Alles liebe,
Susi

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom