Das Gespräch
Halbdunkel beherrschte die Höhle. Der alte Mann saß auf dem Felsen, der sich inmitten eines einzelnen Lichtstrahles erhob. Das rötliche Licht - es war Abend - spiegelte sich im Brustpanzer des Mannes und warf seltsame Muster zu Boden, aber den Mann interessierte dies nicht. Er hatte den Kopf auf die Hände gestützt und sein Blick schweifte in die Dunkelheit ab. Schließlich stand er auf, ging einige Schritte umher und sprach dann mit tonloser Stimme:
"Sie sind alle tot."
"Ja" Nach einiger Zeit: "Sie haben tapfer gekämpft."
"Hat es ihnen genützt? Trotz allem sind sie gefallen. Und wofür?! Kannst du mir sagen wofür?!"
Keine Antwort war zu vernehmen und Stille beherrschte die Höhle, nur ab und zu unterbrochen vom leisen Geräusch tropfenden Wassers. Dann kam die nachdenkliche Antwort: "Für die Ehre?"
"Ehre?" Der Alte dachte kurz nach. "Nein, nicht für die Ehre. Ihr Kampf - und ihr Tod - war so sinnlos!"
"Warum sollte es sinnlos gewesen sein?"
"Was würdest du sagen, wenn du ein Barde wärst und ein alter Mann auftaucht und dir erzählt, dass seine Gefährten im Kampf gegen einen übermächtigen Gegner gefallen sind?"
Nach einer Pause kam die Antwort. "Ich würde fragen, wie alt seine Gefährten waren."
"Was?!"
"Naja, wenn ein alter Mann bei mir auftaucht und er erzählt, dass er der einzige Überlebende ist... dann stellt sich doch die Frage: Warum sollte ein alter Mann überleben? Warum nicht ein Jüngerer, der wahrscheinlich stärker und robuster ist? Es sei denn..."
"Es sei denn was?!"
"Es sei denn, die ganze Gruppe bestand nur aus alten Menschen."
Der Alte dachte einige Zeit darüber nach. Schließlich ging er einige Schritte in die Dunkelheit und blieb vor einem Körper stehen.
"Warum habe ich ihn überlebt?" Er hockte sich hin und musterte die Leiche. Er streckte seine Hand aus, aber berührte den Körper nicht. Gnädigerweise war der fast der ganze Körper vom Schatten verborgen - ansonsten könnte man den Anblick wohl kaum ertragen! Eine große Blutlache wies daraufhin, dass die Person tot war. Aber das deutlichste Anzeichen war, dass alles fehlte, das sich normalerweise über der Schulter befand.
"Du warst besser als er."
"War ich das? Und wenn ja... warum?"
"Du hattest mehr Erfahrung. Du weißt, wie man einem solchen Angriff ausweicht. Er hingegen..."
Der Alte wanderte weiter. Ein Aufblitzen erweckte seine sein Interesse. Ein Schwert war von einem Sonnenstarhl getroffen worden und der alte Mann sprach wieder in die Dunkelheit: "Nicht mal so mächtige, magische Waffen haben geholfen."
"Magie ist nicht alles - Können ist auch wichtig! Sie und ihre Waffen bildeten keine... wie könnte man es nennen? Einheit! Die Waffen waren willig, doch die Arme, die sie führten, waren zu schwach."
"Ich sollte sie begraben..."
"Der Boden ist hart - es wird sehr anstrengend werden."
"Wirst du mir helfen?"
"Eigentlich sehe ich keinen Grund, warum ich dir helfen sollte..."
Der Alte starrte zornig in die Dunkelheit.
"Warum? Du willst einen Grund haben?" Er schlug seinen Mantel zurück und ein blau, glühendes Schwert kam zum Vorschein. "Ist dein Leben ein ausreichender Grund? Ich werde dich töten, das verspreche ich dir!" Tränen standen in den Augen des Alten - er war bereit sein Versprechen einzulösen und das nur, weil er seine Gefährten nicht unehrenhaft dem Verrotten preisgeben will. Niemals sollten wilde Tiere an den Knochen seiner Gefährten nagen.
"Es wäre ein ungleicher Kampf. Ich habe noch ausreichende Reserven - du nicht! Also entschließe ich mich dazu dir zu helfen."
Der Alte sagte nichts. Schweigend schlug er den Mantel zu, verliess die Höhle und begab sich zu seinem Lager. Er durchwühlte seine Ausrüstung und mit einer Schaufel und einer Spitzhacke bewaffnet begab er sich wieder zur Höhle. Doch bevor er sie betrat drehte er sich noch einmal um und betrachtete noch einmal den Himmel. Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden hinter finsteren Wolken und so wurde es dunkel. Er betrat die Höhle, obwohl ihn der bloße Gedanke an seine gefallenen Kameraden erschauern ließ. Die halbe Nacht hindurch konnte man ein Knacken, Hacken, Brechen und Schaufeln aus dem Erdloch dringen hören. Die Geräusche vermischten sich mit dem weithin hallenden Donner des Gewitters und so vernahm niemand etwas von dem Lärm. Weit nach Mitternacht fiel das silberne Mondlich in die Höhle und man konnte sehen, wie der alte Mann vor einem frischen Grab kniete und leise flüsterte.
"Was murmelst du da vor dich hin?", kam die Frage aus der Dunkelheit.
Der Alte murmelte noch etwas, dann stand er auf. Er blickte traurig über die fünf Gräber und sagte dann:
"Ich habe um ihren Frieden gebetet."
"Na den werden sie jetzt haben."
"Ich verzeihe dir, dass du unwissen bist. Ich habe um ihren Seelenfrieden gebeten und um ihren Platz im ewigen Paradies."
"Hilft dein Gebet?"
"Das muss ihr... unser Gott entscheiden."
"Beeinflussen deine Gebete seine Entscheidung?"
"Das weiss ich nicht. Vielleicht interessiert es ihn nicht oder seine Entscheidung steht schon lange fest."
"Aber welchen Zweck erfüllt es dann? Die Wahrscheinlichkeit, dass dein Gott sich von dir beeinflussen lässt, ist gering. Es ist... sinnlos!"
"SAG DAS NIE WIEDER!", brüllte der Alte zornig. "Ein Gebet ist NIEMALS sinnlos." Er strich sich über die Augen. "Manchmal hilft es auch den Lebenden. Und ich kann Hilfe gebrauchen."
"Du bedauerst ihren Tod wirklich, oder mein Freund?"
Der alte Mann blickte erstaunt auf.
"Ja." murmelte er leise. "Sie waren für mich wie... Kinder. Und Väter sollten ihre Kinder nicht überleben! Ach übrigens..."
"Ja?"
"Ich möchte dir... danken. Deine Hilfe war... gut."
"Ich freue mich immer dir helfen zu können. Was wirst du jetzt machen?"
"Ich werde wieder in die Heimat reisen." Der alte Paladin setzte sich wieder auf den großen Stein. "Aber wie soll ich es ihren Eltern erklären? Sie waren unsere Besten. Fünf junge Ritter, die sich profilieren sollten - und nun sind sie tot."
"Sie es mal so... wären sie nur ein bischen leiser gewesen, dann hätten sie ihr Ziel erreicht. Ihr hättet fast gewonnen!"
"Aber eben nur fast! Und nun muss ich sie verlassen! Ich alter Narr habe ihre Leben gefordert - für nichts!" Der Alte legte das Gesicht in die Hände und begann zu weinen. Er liess seinem ganzen Kummer freien Lauf. "Verdammt, ich wünschte ich wäre ebenfalls tot!" rief er voller Selbsthass aus.
Stille folgte diesem Ausruf. Dann:
"Das sagst du nur so."
"Nein! Ich habe es nicht verdient sie zu überleben!"
"Du sehnst dich wirklich nach dem Tod?"
"JA!", brüllte der Mann.
"Sicher?"
"JAAA!"
"Diesen Wunsch...", begann es. ".. kann ich dir erfüllen!"
Der Blick des Ritters glitt entsetzt in die Dunkelheit. Aus dem Schatten schob sich der massige Kopf eines Drachens mit dunkelroten Schuppen. Dunkle Augen, die an die von Katzen erinnerten, musterten ihn und doch lag in diesen Augen kein Hass. Eher stand Mitgefühl und Freundschaft in ihnen. Das Maul öffnete sich leicht und der Drache atmete zischend ein. Ein leichtes Glühen, begleitet von dünnem Dampf, drang durch die Nüstern und dann neigte sich der Kopf leicht nach hinten. Es war das Letzte, was Paratos, Großmeister des Schwert-Ordens, zu sehen bekam. Denn danach wurde er in unendlich heißes Drachenfeuer gehüllt und zerfiel innerhalb von Sekunden zu Asche. Der Drache beobachtete, wie die Asche sich mit dem flüssigen Brocken vermischte, dann schob er seinen massigen Körper in den Höhlenraum.
"Es freut mich immer dir helfen zu können, mein Freund.", grollte Kaloi´tzak, die Geißel des Ostens. Sein Blick glitt zum Höhlenausgang. Er würde die Totenruhe nicht stören - also musste er sich eine neue Behausung suchen. Denn selbst Drachen besitzen Feingefühl.