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Das Geschenk des Menesh

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16.10.2003
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Das Geschenk des Menesh

Das Geschenk des Menesh

Der Morgen war überaus schön anzusehen. Obwohl noch kalte Nebelschwaden zwischen den Hügeln entlangzogen und auch das Gras noch die Nässe der Nacht trug, schien die Sonne warm und keine Wolke behinderte ihr Licht. Ein leiser Wind erhob sich und raschelte verstohlen in den Blättern am Waldrand. Anaidé kletterte auf einen höher gelegenen Zweig und hielt das Gesicht wieder in die Sonne. Mit geschlossenen Augen badete sie ihr Gesicht im Antlitz der Sonne. Sie lachte. Schon bevor der Tag begonnen hatte, war sie zum Waldrand gekommen, leise und heimlicher als üblich, denn sie wagte nicht die alte Nacht des Waldes zu wecken. Doch nun war der Tag da und Anaidé hatte keine Furcht mehr. Sie lachte nocheinmal, öffnete die Augen wieder und kletterte den Baum hinab. Sie hatte Hunger. Nach einem letzten Blick in die warme Helle drehte sie sich um und rannte in den Wald zurück. Wie schön war doch das Leben! Sie lachte abermals. Im Laufen machte sie Luftsprünge und konnte es auch nicht lassen, einem wilden Bienenstock einen Schubs zu versetzen. Doch lange bevor die Bienen herauskamen, den Ruhestörer zu strafen, war Anaidé schon verschwunden. Nur das Echo eines leises Lachens klang noch in der Luft.

Stunden später erklang ein Lärm in dem Wald. Äste knackten und Stimmen fluchten, ein dumpfes Rumpeln klang durch das Unterholz. Anaidé unterbrach ihren Tanz auf einem bemoosten Stein und hielt lauschend den Kopf zur Seite. War das ein Tier? Ihre Neugier wuchs. Sie horchte und rannte dann in die Richtung des Lärms. Vielleicht ein Nachtmahr? Sie hielt fast an, während sie diese Möglichkeit erwog. Aber nein, jetzt war Tag. Jetzt war Anaidé stark. Die Nacht schlief. Noch nie hatte sie gehört, dass der Nachtmahr im Tageslicht wandelte. Anaidé rannte weiter, über Steine und Büsche, über Tümpel und Stämme. Sie lachte. Als sie nähergekommen war, wurde sie vorsichtiger und sprang verstohlen zwischen Farnbüscheln und Zweigen hin und her. Schließlich hockte sie sich in ein Gebüsch. Behutsam schob sie einen Ast zur Seite und erschrak. "Menesh!" entfuhr es ihr. Lange schon hatte sie keine mehr gesehen, bestimmt seit zwei Sommern nicht mehr. Obwohl sie etwas Angst hatte, blieb sie wo sie war. Sie konnte zur Not immer noch schnell genug entfliehen. Das hier war sehr spannend! Die Menesh hatten seltsame Kleidung und kamen bestimmt von weit her. Es waren viele, mehr als sie zählen konnte, aber Anaidé kannte auch nicht viele Zahlen. Einige Menesh saßen auf Kästen aus Holz, die von Ehilas gezogen wurden. Anaidé taten die Ehilas leid. Sie kannte sonst nur welche, die wild und frei auf den Lichtungen und Hügeln rannten, diese hier schienen anders zu sein. Die Kleidung der Menesh faszinierte sie. Die auf den Kästen hatten bunte Gewänder, die leuchteten wie eine Blume am Nachmittag. Sie hielten die Ehilas an langen Bändern. Einige liefen vor und neben den Wagen. Ihre Kleidung war glänzend wie blaues Eis und klirrte bei Berührung, auch ihre Kopfbedeckungen. Anaidé staunte. Die Menesh mussten mächtig sein, wenn sie Kleidung aus Eis machten, das nicht in der Sonne schmolz! Die Menesh, die sie kannte, hatten so etwas nicht. Es schien ihr, dass die Glänzenden die Bunten beschützten, denn sie hatten Bögen und lange Stangen mit silbernen Spitzen und schauten immerzu in den Wald hinein. Doch das Vorrankommen war nicht leicht, der Pfad verwildert und überwuchert. Einige Glänzende gingen vorweg und hackten Äste ab, um die Spur zu verbreitern. Anaidé lachte, weil die Menesh dabei fluchten. Warum machten die Menesh immer solchen Lärm? Warum liefen sie nicht behend und schnell durch den Wald, wo gerade Platz war? Sie folgte der weiterrückenden Gruppe. Wie aufregend das alles war! Auf einmal schrie einer von den bunten Menesh und hielt sich den Kopf. Die Gänzenden waren sofort alarmiert und schauten in die Zweige über ihnen. Was war das gewesen? Da sah Anaidé einen weiteren Zapfen fliegen, er traf einen Glänzenden. Diese schossen jetzt Pfeile in die Baumkronen. Anaidé duckte sich unwillkürlich. Wer warf da auf die Menesh? Fephoar? Er neckte Menesh gerne und war angeblich auch schon einmal in eines ihrer eckigen Nisl geschlichen. Sie wurde wütend und stieß einen Warnruf aus. "Adahiel, dec´doun Shiz!" Wenn die Glänzenden sie fanden, was würden sie mit ihnen tun ? Anaidé rannte in einem Bogen zum Ende des Zuges. Wo steckte er? Sie musste den Dummkopf finden. Sie kletterte behende auf einen Baum und rief wieder, etwas leiser. Auf der anderen Seite des Pfades raschelte es im Geäst und für einen Augenblick sah sie Fephoas verwuschelte Haare. Die Pfeile hatten ihm anscheinend einen gehörigen Schrecken eingejagt. Es geschah ihm recht! Die Menesh liefen jetzt schneller durch den Wald. Das Krachen der Äste wurde lauten und die Schreie auch. Die geworfenen Zapfen und die Stimme aus dem Baum hatten sie beunruhigt. Anaidé wartete, bis sie sicher sein konnte, das Fephoar den Menesh nicht mehr folgte. Sie kletterte den Baum herunter und folgte dem Lärm in einigem Abstand. Ein Glück, das die Glänzenden nichts gesehen hatten. Hätten die Menesh Fephoa gesehen, was hätten sie mit ihm getan? Ihne getötet oder verwandelt? Anaidé schauderte. Aber ihre Neugier siegte über die Angst und sie rannte den Menesh nach.

Als die Sonne sich dem Horizont näherte und rötliches Zwielicht durch die Baumkronen träufelte, hielten die Menesh an. Sie hatten eine Lichtung erreicht und begannen, die Kästen aus Holz un einem Kreis aufzustellen, die Ehilas wurden angebunden. Anaidé beobachtete den Vorgang interessiert aus einem hohen Wipfel am Rande der Lichtung. Sie hatte sich nur zweimal von den Menesh entfernt, um hastig zu trinken oder Nahrung zu suchen. Jetzt sammelten einige der Glänzenden alte Äste und machten Haufen daraus. Dann schlugen sie Steine an die glänzenden Blätter, die sich mit sich führten und die offenbar sehr scharf waren. Funken! Anaidé quietschte vor Aufregung. Schon brannten die ersten Feuer. Die Menesh konnten Feuer machen! Sie mussten große Zauberer sein und das glänzende Eis ein sehr magisches Material. Ob sie so ein Blatt aus Eis bekommen könnte? Der Gedanke daran machte Anaidé zappelig und sie musste sich bemühen, nicht herumzuspringen. Einige der Bunten hatten angefangen, dunkle Kelche über die Feuer zu hängen. Ein köstlicher Geruch stieg aus ihnen auf, obwohl er Anaidé unbekannt war. Was aßen die Menesh wohl? Die, die sie bisher gesehen hatte, hatten seltsame Gräser gesammelt und manchmal einen Inonoih gefangen. Aber hatten sie sie auch gegessen? Anaidé war sich nicht sicher. Neugierig kletterte sie näher an die Menesh heran, als einer der Bunten anfing, eine Flöte zu spielen. Da bemerkte sie plötzlich, wie dunkel es geworden war. Die Feuer warfen lange Schatten, der Wald versank langsam in Finsternis. Anaidé erschrak. Sie musste schnell nach Hause! Die Nachtmahre würden kommen, die Dunkelheit durfte nicht gestört werden! Sie überlegte, ob sie vielleicht nahe den Menesh übernachten könnte. Aber sie kannte den Wald hier nicht gut genug, um ein sicheres Nisl zu finden. Mit Bedauern warf sie einen letzten Blick auf die Menesh und die Kelche über dem Feuer, die so überaus lecker rochen. Im Umdrehen meinte Anaidé zwischen den Baumstämmen neben sich eine Bewegung zu sehen, fast wie eine Schlange. Sie schaute genauer hin. Nichts! Was hätte das auch für eine Schlange sein sollen, mitten in der Luft? Sie lachte und rannte dann geschwind in den dunklen Wald hinein, der Nacht in ihrem Nisl zu entgehen.

"Hast du das gesehen?" fragte Mern seine Kumpanen, die neben ihn am Feuer saß. "Was denn ?" Raldo drehte sich um. "Da vorne in dem Baum war gerade was. Ich bin mir sicher, da waren Augen und etwas wie ein Lachen." Raldo lachte. "Augen, ja? Ich glaube, du hast Angst vor dem Wald, Mern! Die Kraft deiner Augen ist zum Lachen!" Andere stimmten in das Gegröhle ein, ein Humpen Bier wurde herumgereicht. Mern wischte sich den Mund und blickte wieder zu dem Baum, der im flackernden Licht schwach zu erkennen war. "Ich bin mir sicher, das da etwas war. Wir sind nicht alleine. Und tu bloß nicht so, als würde dir die Gegend nicht unheimlich sein. Ich hab gesehen, wie du deinen Anhänger geküsst hast, Raldo!" Dieser warf ihm einen finsteren Blick zu, sagte aber nichts. "Hey ihr Halunken, wenn ihr noch was essen wollt, dann hebt eure fetten Ärsche und bewegt euch!" rief da einer der Händler lachend von einem Nachbarfeuer und schwenkte eine Suppenkelle. Die Söldner standen auf und kramten ihr Näpfe und Schüsseln hervor. Es gab dicke Bohnensuppe für alle und ein Stück Gerstenbrot dazu. Die Männer freuten sich, diesmal die richtige Händlerkaravane erwischt zu haben. Die letzten Krämer, die sie begleitet hatten, hatten ihnen kein Essen und nur wenig Geld gegeben. Doch Thomar, der Anführer dieser Handelsgruppe, war ein bärbeißiger Kerl und hatte etwas für die Söldner übrig. So saßen sie alle zusammen um die Feuer und aßen und lachten zusammen. Thomar stand irgendwann neben Mern und hielt eine Amphore in der Hand. "Darf ich mich setzen?" "Gerne!" Thomar brachte auch noch zwei tönerne Becher zum Vorschein und schenkte ihm von dem harzigen Wein ein. "Ich habe gehört, was du zu deinem Kameraden gesagt hast", eröffnete Thomar. "Was hast du genau gesehen?" Mern war überrascht über das Interesse des Kaufmanns, wollte ihn aber nicht vor den Kopf stoßen. "Ich bin mir sicher, ein Geschöpf in dem großen Baum hinter dem Wagen da vorn gesehen zu haben. Augen, die uns beobachteten. Dann waren sie auf einmal weg." Thomar starrte ins Feuer. "Nun ja, es werden viele Geschichten über diesen Wald erzählt. Wir sind die ersten seit zwei Jahren, die versuchen über den Landweg nach Leruvent zu gelangen. Kaum einer traut sich mehr hier durch." Mern starrte ebenfalls ins Feuer. "Ich habe davon gehört. Dunkle Wesen, die in der Dunkleheit kommen und Menschen rauben. Sprechende und lachende Bäume. Seltsame Vogelwesen." Sie schwiegen, weil beiden die Tannenzapfen und die Stimme im Gedächnis waren. Die anderen Händler und Söldner um sie herum tranken und lachten und scherten sich nicht mehr um den Wald um sie herum. Thomar blickte Mern wieder an. "Ihr seid der Anführer eurer Truppe?" fragte er freundlich, die Geschichten beiseite lassend. Mern wiegte den Kopf. "Nicht wirklich. Wir ziehen von Stadt zu Stadt, begleiten Priester, Adelige, Händler wie Sie auf Fahrten. So kommen wir durch die Länder. Wir entscheiden immer gemeinsam, was wir als nächstes tun." "Aber die anderen gehorchen ihren Worten und richten sich nach ihren Weisungen." Thomar lächelte und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Becher. "Nun ja, während einer Reise muss einer den Anführer machen, sonst geht die Gruppe zugrunde. Und ich bin am längsten dabei, deshalb war ich diesmal dran. Auf der nächsten Reise ist vielleicht ein anderer dabei, der erfahrender ist." Mern machte deutlich, dass er nicht mehr darüber sprechen wollte. Er dachte immer noch an die Augen, die er gesehen hatte. Thomar rülpste und erhob sich. "Nun denn, Herr Mern", schnaufte er und erhob sich. "Ihr habt uns gut geführt und ich werde ruhig schlafen, wenn ihr die Wache übernehmt. Bis morgen!" Mern nickte stellte seinen leeren Becher zur Seite. Die übrigen Händler nahmen Thomar zum Anlaß, sich ebenfalls zu Bett zu begeben. Die Söldner wurden ruhiger und rückten zusammen. "Wer übernimmt die erste Wache?" fragte einer. "Ich." Mern schniefte. " Und Kirvael. Wir nehmen jeder eine Lagerhälfte. Um drei wecken wir die nächsten, mir egal wen". Dann stand er auf und gürtete sich sein Schwert um, Kirvael schulterte seinen Bogen. Raldo warf ihm einen seltsamen Blick zu, aber er bemerkte ihn nicht. Die anderen rollten sich um die Feuer in ihre Decken.

Die Nacht war leise. Hin und wieder schnaubte eines der Pferde, einige Male raschelte es im umliegenden Wald. Es war Neumond und sehr dunkel, so dass Mern sich anstrengen musste, seinen Weg zu finden. Gut eine Stunde schon lief er um das Lager und hatte auch Kirvael noch nicht getroffen, wohl aber gehört. Der Kerl pinkelte so laut gegen einen der Wagen, dass Mern sich wunderte, keinen der Händler fluchen zu hören. Er fasste seinen Schild fester und schritt weiter. Die Luft roch nach Blättern und wilden Kräutern und Mern fand die Nacht trotz des fehlenden Mondlichtes sehr angenehm. Es raschelte wieder im Wald, ziemlich nahe. "Wahrscheinlich ein Dachs oder ein Eichhörnchen", dachte er. Dann hörte er ein Zischeln, ganz leise. Sofort senkte Mern die Spitze seines Speeres. Eines der Pferde, das ausgerissen war? Oder vielleicht eine Schlange? Die warme Glut könnte solche Biester anlocken. Mern lauschte angestrengt, doch er hörte nichts mehr. Er wollte gerade weitergehen, als er etwas sah. Vielleicht ahnte er die Bewegung mehr, als das er sie wirklich sah, doch er warf seinen Speer beiseite und zog blitzschnell sein Schwert. Da versteckte sich etwas im Gebüsch, klein aber vielleicht gefährlich! Wieder vernahm er das leise Zischeln. Merns Sinne waren aufs äußerste geschärft. Welche Schlange bewegte sich so schnell? Er machte einen Schritt auf das Zischeln zu, als er ihn etwas am Bein berührte. Erschrocken fuhr er herum und hieb neben sich durch die Luft. Was war das? Erlaubte sich Kirvael einen Scherz? Wieder das Zischeln. Mern beugte sich vorsichtig vor und versuchte etwas zu erkennen. Plötzlich leuchteten Augen vor ihm auf! Gelbe Augen mit geschlitzter Pupille. Mern stach zu, doch die Augen verschwanden einfach. Langsam wurde ihm die Sache unheimlich. Sollte er sich eine Fackel besorgen? Und wo steckte Kirvael? Er machte einen Schritt zurück, als er die Augen wieder sah. Neben sich. Er wusste, er war zu langsam, trotzdem hob er seinen Schild. Es zischte laut und dann biss ihn etwas schmerzhaft in die linke Seite, genau zwischen seine Panzerung hindurch. Mern fluchte und schwenkte den Schild. Er hieb mit dem Schwert um sich. Der Biss brannte, aber schein kein Fleisch herausgerissen zu haben. Mern stolperte rückwärts. Sollte er die anderen rufen ? Wieder erschienen die Augen vor ihm und Mern schlug nach ihnen. Ein wütendes Fauchen verriet ihm, dass er getroffen hatte. Eines der Pferde wieherte leise, wie vor Angst. Er ging weiter rückwärts. Die Augen blitzten wieder auf. Das Wesen kam auf ihn zu, geradewegs von vorne. Mern sammelte seine Kräfte und hielt sich den Schild schützend vor den Leib. Doch das andere Wesen war schneller. Es biss ihn wieder, diesmal ins rechte Bein. Mern stöhnte und ließ das Schwert mehr fallen, als dass er zuschlug. Ihm wurde schlecht und seine Kräfte schwanden. Er drehte sich um, das Lager zu erreichen und die anderen zu holen, doch seine Beine versagten ihm den Dienst. Er fiel. Das Zischeln kehrte zurück und Mern bekam Todesangst. Er schrie. Das letzte was er sah, waren die gelben Augen, die sich von oben auf ihn stürzten.

Die Vögel begrüßten den wiedergekehrten Tag lautstark. Der Morgentau funkelte im Sonnenschein, als wolle er mit der Sonne selbst wetteifern. Anaidé saß bereits auf dem höchsten Ast, den sie finden konnte und wärmte sich. Lachend schüttelte sie Tropfen aus den Zweigen und sah zu, wie sie nach unten fielen. Ob die Menesh noch da waren? Hoffentlich hatten sie die Nacht nicht gestört, aber vielleicht waren diese Kästen aus Holz ja ihr Nisl. Und sie waren bestimmt auch mächtige Krieger, immerhin hatten sie Kleidung aus blauem Eis! Anaidé verließ des Ast und rannte zurück zu der Lichtung der Menesh. Wenn sie noch schliefen... ob sie eines der Blätter aus Eis bekommen könnte? Sie wurde wieder aufgeregt und kletterte so schnell sie konnte, auf den Baum vom Abend zuvor. Kein Geräusch war zu hören, die Menesh schliefen wohl noch alle. Leise schob Anaidé Zweige zur Seite. Sie waren fort! Ungläubig beugte sie sich weiter vor. Schwarze Aschehaufen und niedergewalztes Gras zeugten noch von dem Nachtlager. Doch weder die Kästen, die Ehilas oder die Menesh waren noch da. Enttäuscht überlegte Anaidé, ob sie der Spur folgen sollte, die sie unweigerlich hinterlassen hatten. Sie kletterte den Baum hinab und untersuchte die Furchen im Gras. Nein, die Menesh waren noch während der Nacht aufgebrochen, sie würden schon sehr weit weg sein. Und noch weiter wollte sie den Wald, den sie kannte, nicht verlassen. Noch nicht. Anaidé schlich zu den Aschehaufen. Ob die Menesh etwas liegengelassen hatten? Vielleicht ein Blatt aus Eis? Sie suchte angestrengt. Eine alte Decke lag im Gras, zerrissen und nass. Nein, so etwas brauchte sie nicht. Da lag ein Löffel aus Holz, in den Boden getreten. Neugierig betrachtete Anaidé ihren Fund. Das war doch schon viel besser! Sie wischte den Löffel im Gras sauber und steckte ihn in ihren Beutel. Er war etwas groß, aber passte noch hinein. Mit gesenktem Kopf weitersuchend, achtete Anaidé kaum auf das, was vor ihr war. So erschrak sie furchtbar, als auf einmal zwei Menesh vor ihr lagen! Sogar welche von den Glänzenden! Sie fiepte vor Überraschung und rannte so schnell sie konnte fort. Am Waldrand angekommen, hielt sie inne und lauschte. Die Menesh hatten sie anscheinend nicht gehört, dabei hatte sie doch ein so lautes Geräusch gemacht! Warum waren diese zwei noch hier? Eine Falle? Anaidé wurde unruhig und blickte sich um. Nein, bestimmt keine Falle. So etwas hätte sie gewittert. Die Möglichkeit, schlafende Menesh von ganz nahe zu betrachten, ließ Anaidé ihre Furcht wieder überwinden und sie betrat die Lichtung abermals. So leise sie konnte, schlich sie auf die Menesh zu, jederzeit bereit zu fliehen. Doch die lagen nebeneinander auf einer Decke und rührten sich nicht. Sie bemerkte auf einmal, dass der eine verwundet war. Ein Fleck von schwarzem Blut war an seinem Bein. An einer Seite auch. Sogar auf der Kleidung aus Eis waren Spuren von Blut. Anaidé war bestürzt. Was war dem Menesh passiert? Hatte er sich mit dem Eis verletzt? Oder war die Nacht gekommen? Sie schauderte und schlich dann um den Menesh herum. Wie der andere wohl aussah? Sie lief um die beiden herum. Neben dem zweiten lagen eine von den langen Stangen mit der Spitze aus Eis und ein Deckel mit Griffen, an dem auch etwas Eis befestigt war. Anaidé schenkte den Waffen aber nur einen kurzen Blick, die Furcht um die Menesh war größer. Sie blieb stehen. Der zweite Menesh schaute mit offenen Augen in den Himmel. Er atmete nicht mehr. Anaidé bekam große Augen und war verwirrt. Wie konnte ein Menesh sterben? Wer hatte ein so mächtiges Wesen getötet? Ein Nachtmahr? Sie wollte nicht glauben, dass diese mächtigen Menesh gegen die Nachtmahre unterliegen konnten. Vorsichtig beendete sie ihre Runde um die beiden. Der andere Menesh atmete noch! Sie sah genau, wie seine Brust sich hob und wieder senkte. Wieder beschlich sie die Angst, der Menesh könnte plötzlich aufwachen, aber Anaidé fasste sich ein Herz und näherte sich ihm. Er schien sehr stark verwundet zu sein, sie hörte ihn ganz leise stöhnen. Besorgt betrachtete sie den Menesh genauer. Er hatte kurze braune Haare, die schon etwas grau wurden. Sein Gesicht war ernst und streng, es sah aber nicht böse aus. Sein Gewand aus Eis bestand aus vielen kleinen Blättern, die übereinanderreichten und an der Seite unter seinen Armen einen Spalt freiließen. Genau dort blutete er. Ob die Nachtmahre gewusst haben, dass die das blaue Eis nicht durchdringen können? Gedankenverloren streckte Anaidé eine Hand aus und berührte das Eis. Es war genauso kalt, wie sie es sich vorgestellt hatte, genauso glatt und hart. Oh, die Menesh waren mächtige Zauberer, auch wenn sie verletzt werden konnten! Anaidé überlegte, was sie jetzt unternehmen sollte. Eines der kleinen Blätter aus Eis abreißen und fortlaufen? So ein scharfes, wie sie es haben wollte, wäre das nicht, aber immerhin! Aber sie konnte sich nicht überwinden. Was wurde dann aus dem Menesh, der ja noch lebte? Er brauchte Hilfe. Verzweifelt knirschte Anaidé mit den Zähnen. Zu den eckigen Nisl der nächsten Menesh war es noch weit und nur Fephoar kannte den Weg dorthin. Und bis eine weitere Herde Menesh hier entlangkam, konnte es wieder zwei Sommer dauern. Sie musste ihm helfen! Diese Entscheidung erschreckte Anaidé, aber sie war sich auf eine unbestimmte Art sicher, dass es das richtige war. Vielleicht würde ihr der Menesh dann ein Blatt aus blauem Eis schenken? Bestimmt, immerhin würde sie ihn retten!

Das erste, was Mern spürte, war seine linke Seite. Sie brannte bei jedem Atemzug und er musste sich zusammenreißen, nicht laut zu stöhnen. Benommen versuchte er, seine Augen zu öffnen. Wo war er? Wo waren die gelben Augen? Er sah die Lichtung, es war Tag. Die anderen, er musste sie warnen! "Hallo? Kirvael! Wo bist du? Gefahr!" Seine verletzte Seite brüllte vor Schmerz, doch er hielt es aus. Er sah keinen der Wagen. Wo waren die Händler? "Wo seid ihr? Wo ist die zweite Wache? Hallo?" Mern setzte sich auf und wartete, bis sein Blick wieder klar wurde. Er hatte furchtbaren Durst. Seine Wunden waren seltsamerweise verbunden, jedoch mit Blättern und Weidenrinde. Sein Panzer und sein Helm lagen neben ihm. Hatten die anderen ihn zurückgelassen? "Hallo? Wo zum Teufel habt ihr euch versteckt? Das ist nicht witzig!" Den Versuch aufzustehen bereute Mern sofort, denn sein rechtes Bein hielt ihn nicht und er fiel auf seine Decke zurück. "Wer hat mich versorgt?" fragte er sich laut, während er den Verband an der Beinwunde untersuchte. Trotz des Misstrauens gegen das Laub und die Rinde rührte er die Verbände nicht an, doch sie verwirrten Mern. Er blickte sich nochmal um. Die anderen waren definitiv weg und niemals hätte die gesamte Gruppe sich für so einen Scherz zusammengetan. Er war alleine. Mern akzeptierte das, doch es verletzte ihn. Er hatte geglaubt, seine Truppe und vor allem Thomar besser eingeschätzt zu haben. Raldo! Bestimmt steckte er dahinter. Jetzt musste Mern versuchen, sich ohne Hilfe nach Leruvent durchzuschlagen. Er seufzte verzweifelt. Dann hörte er ein leises Rascheln und kleine Schritte, die sich ihm näherten. "Hallo? Wer ist da? Kirvael?" Er reckte sich so gut er konnte, aber das Gras war in dieser Richtung nicht niedergetreten und verbarg den Ankömmling. "Wer ist denn da? Was soll das?" Stille. Dann schob sich wie von Geisterhand ein Grasbüschel zur Seite und Mern stockte der Atem. Ein Gesicht, so wunderschön wie noch nie etwas, das er gesehen hatte. Lindgrüne Augen blickten ihn misstrauisch an. Es schien ein kleines Mädchen zu sein, dem wirre aber nicht schmutzige Haare ins Gesicht fielen. "Wer bist du?" fragte Mern, immer noch benommen von dem Antlitz. Sie zuckte eine Winzigkeit zusammen und legte den Kopf leicht zur Seite. Sie schien zu überlegen. "Ich tue dir nichts, aber sag mir bitte wer du bist. Wo sind die anderen?" Mern hatte die Stimme gesenkt und so freundlich wie möglich gesprochen. Das hatte Wirkung. Das Mädchen lächelte und kam hinter dem Gras hervor. Sie trug ein Gewand und einen kleinen Beutel an der Seite, die vielleicht aus Blättern gemacht waren. Und es war klein. Zu klein für einen Menschen, wie Mern erschrocken bemerkte. Sie würde ihm höchstens bis zum Gürtel reichen und sah nicht aus wie ein menschliches Kind. Zu fein die Glieder, zu erwachsen das Gesicht, zu behende der Gang. Das Mädchen hielt an. Sie zeigte mit einen kleinen Finger auf sich und sagte: "Anaidé!" Mern war von der zarten Stimme hingerissen, die wie ein plätschernder Bach klang. Er zeigte auf sich und sagte behutsam: "Mern!". Das Mädchen machte ein angestrengtes Gesicht. "Meryn?" fragte sie. Mern schüttelte den Kopf. "Mern!" wiederholte er. Das Mädchen zog den Kopf ungläubig zurück. "Meryn!" wiederholte sie und lachte plötzlich. Für sie schien die Angelegenheit soweit erledigt zu sein. Mern wolle gerade etwas sagen, als sie wieder hinter dem Grasbüschel verschwand. Sie war unglaublich schnell. Mern war erstaunt, wartete jedoch. Er hatte das Gefühl, sie würde wiederkommen, und er behielt Recht. Sie trug einen Krug im Arm, den sie wohl weiter hinten im Gras abgestellt hatte. Wasser! Mern bemerkte seinen Durst wieder und unterdrückte seine Fragen an das kleine Wesen. Sie kam langsam näher und schien sich nicht wirklich in seine Nähe zu trauen. "Ich tue dir nichts! Bitte, komm näher!" Mern streckte eine Hand aus. Das Mädchen sah diese länger an und kam dann näher. Sie reichte seiner Hand den Krug und trat danach schnell einen Schritt zurück. Mern, für den das Gefäß mehr ein großer Becher war, lächelte. "Danke!" Er roch kurz an der Flüssigkeit, betrachtete das Gefäß aus Erde und trank dann. Sie würde ihn schon nicht vergiften wollen. Das Getränk war köstlich, es war klar wie Wasser, hatte aber einen Beigeschmack wie von Birke und Honig. Er setzte ab. Das Mädchen schein erstaunt zu sein, wie schnell er alles ausgetrunken hatte. "Brauchst du mehr?" fragte sie angestrengt. Mern starrte sie an. "Du sprichst meine Sprache?" Sie nickte. "Aber nicht gut. Hören ist ihmayél, besser!" Sie lachte wieder. Mern lächelte, er hatte verstanden. "Nein danke, ich brauche nichts mehr", sagte er und wunderte sich selber, weil es stimmte. Sein Durst war gelöscht. "Sind die anderen weg?" Sie nickte. Mern biss sich auf die Unterlippe, aber er hatte es sich ja schon gedacht. "Sind weg, alle Menesh und alle Ehilas!" Sie schien traurig zu sein. "Anderer Menesh ist... azhathil", fügte sie leise hinzu. Mern stutzte. "Meinst du Menschen? Sind Menschen "Menesh"?" Das Mädchen sah ihn an. "Menesh!" sagte sie und zeigte auf ihn. Gut, das war also klar. "Und der andere ist...?" fragte Mern und überlegte. Wen meinte sie? Kirvael? Und was sollte er sein? Asai? "Azhatil ist... still, wie Stein." Er starrte sie an. Sie meinte tod, verdammt. "Wo?" fragte er. Aber sie schüttelte den Kopf und murmelte etwas. Dann blickte sie zum Himmel empor. Mern tat es ihr gleich. Es würde bald Abend werden, der Himmel leuchtete schon rötlich. "Mädchen... ich meine Anaidé?" fragte Mern. Sie sah ihn an. "Was hast du? Wo ist der andere Menesh?" Sie schüttelte den Kopf und deutete auf die untergehende Sonne, die noch zwischen den Bäumen zu erkennen war. "Nahesht kommt. Gefahr. Du musst fort." Mern erschrak. Die Augen! Das Wesen, das ihn gebissen hatte! Die Kleine hatte recht. Er versuchte aufzustehen. Diesmal klappte es, auch wenn er sich sehr wackelig anfühlte. "Folge nach." sagte das Mädchen und ergriff den leeren Krug. Dann rannte sie durch das Gras davon. "Halt! Warte, bitte Anaidé!" rief Bern und versuchte ihr zu folgen. Aber er kam nur einige Schritte weit, dann fiel er wieder. "Anaidé!" rief er wieder, während seine Wunden ihm klarmachten, dass er nicht würde rennen können. Sie kam zurück und sah seine Not. "Wo sind meine Waffen?" fragte Mern und richtete sich wieder auf. Sie schaute ihn fragend an. "Waffen... silbern und scharf, ein runder Schild war dabei und eine lange Stange..." versuchte er sein Anliegen zu umschreiben. Sie betrachtete ihn genau. "Du willst jagen, beyjuhsh? Wieder?" fragte sie. Mern sah auf sie herab. Sie hatte recht ! Er hatte das Wesen gestern nicht abwehren können und jetzt war er geschwächt und allein. "Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig. Ich kann nicht rennen und weit laufen kann ich auch nicht, also muss ich hierbleiben. Immerhin gibt es mitten auf der Lichtung keine Deckung für dieses Vieh." Er seufzte wieder.

Anaidé schaute ihn immer noch an. Der Menesh war mutig, ein echter Kämpfer! Und er hatte recht, sie würden es niemals zu einem Nisl schaffen, in das er passen würde. "Warte", sagte sie und lief davon, auf die andere Seite der Lichtung. Hier lag der andere tote Menesh in seiner Decke und daneben die Dinge, die Meryn "Waffen" nannte. Sie hob den Schild auf und legte Kirvaels Bogen, Pfeile und den Speer darauf und zog den Schild dann hinter sich her. Das blaue Eis war sehr schwer! Aber sie schaffte das Gewicht bis zu Meryn, der sich wieder gesetzt hatte. Er freute sich offensichtlich über den Bogen. "Danke", sagte er und lächelte etwas. Er schien nicht oft zu lächeln, aber Anaidé fand, es war ein schönes Lächeln. "Ich habe glaube ich eine Idee", fuhr Meryn fort. "Ich muss etwas sehen können, um mich zu wehren. Ich brauche Holz, um Feuer zu machen." Anaidé verstand. Feuer! Ob es die Nachtmahre verscheuchen würde? Sie prüfte den Himmel. Es war spät. Wenn sie dem Menesh helfen wollte, musste sie sich beeilen. "Ich helfe!" sagte sie. "Komme wieder!" Und dann rannte sie los, um tote Äste zu sammeln. Nicht lange und sie kehrte mit einem vollen Arm zurück. Sie lud ihn vor Meryn ab und rannte gleich weiter. Als sie wiederkam, sah sie, das der Menesh seine Decke geholt hatte und einige Äste dazu. Wenn er nur nicht wieder umfiel! Er häufte das Holz zu mehreren Haufen um seine Decke herum. "Ich brauche mehr!" sagte er zu ihr gewandt und sah traurig aus. Sie nickte. Wenn sie ihm weiterhalf, würde sie hierbleiben müssen. Zu ihrem Nisl schaffte sie es jetzt kaum noch. "Du hilfst in Nahesht?" fragte sie. Er schaute sie überrascht an. "Ob ich dich beschütze? Natürlich! So gut ich kann!" Da lachte sie und lief los, neues Holz zu suchen.

Mern musste trotz der beginnenden Nacht und seiner brennenden Wunden schmunzeln. Anaidé hatte ihm ein Ärmchen voll Holz nach dem anderen gebracht und er hatte es zu acht größeren Haufen um seine Decke herum aufgeschichtet. Lange würden sie nicht brennen, aber er hatte keine Wahl. Die Kleine traute sich nicht mehr an den Waldrand und drückte sich in seiner Nähe herum, während er noch einmal alles inspizierte. Dann hockte er sich vorsichtig neben einen Haufen, zog das Schwert und kramte seinen Feuerstein heraus. Anaidé kam näher. "Efhaia?" fragte sie fasziniert. Mern lächelte. "Feuer!" meinte er und rieb den Stein an der Klinge. Es dauerte nicht lange und die Funken entzündeten das trockene Geäst. Die Kleine war begeistert. "Efhaia! Menesh ghil´enem Efhaia Shishdunea!" rief sie und lachte. Mern hielt ihr einen brennenden Zweig hin. "Zünde die anderen Haufen an!" meinte er. Sie ergriff ihn sehr vorsichtig und lief los. Mern schulterte sich den Köcher, steckte das Schwert zurück und setzte sich auf die Decke. Bald beleuchteten acht Feuer die Lichtung um ihn herum. Anaidé kam zurück und hielt den Zweig immer noch in der Hand. "Den kannst du in das Feuer werfen", brummte Mern, während er seine Beinwunde untersuchte. Sie sah bedauernd auf den Zweig und brachte ihn dann schnell zum nächsten Feuer. "Efhaia ist heiß!" meinte sie dann ,sich die Hand reibend. Mern lachte jetzt seinerseits. "Ja, Feuer ist heiß." Plötzlich setzte sich Anaidé neben ihn und schmiegte sich an seine Seite, zum Glück die gesunde. Behutsam legte Mern seine rechte Hand auf ihren Rücken. "Keine Angst, ich beschütze dich." Wie klein sie doch war! "Anaidé, welcher Art gehörst du eigentlich an? Du bist doch kein Mensch, oder?" Sie sah zu ihm auf und lachte. Wieder hatte Mern das Gefühl, einen kleinen Bach plätschern zu hören. "Kein Menesh!" sagte sie belustigt. "Sondern?" Sie antwortete nicht. "Bist du eine Elfe? Ich meine, ich glaube nicht an Elfen, auch nicht an Irrlichter und nicht an Drachen, aber du siehst so aus, wie ich mir eine Elfe früher vorgestellt habe. Aber warum hilfst du mir?" Mern wurde leiser und lauschte dem knisternden Feuer. "Das glaubt mir eh keiner, wenn ich hier lebend rauskomme..." murmelte er. Anaidé beobachtete ihn. "Daccheanas?" fragte sie vorsichtig. "Es gibt sie. Sind Hüter, beschützen uns. Früher einmal." Sie schwieg und starrte seinen Panzer an. "Meryn, schenkst du blaues Fohorae, wie Eis?" fragte sie vorsichtig, als wäre sie verlegen. Mern wusste nichts mit ihren Worten anzufangen. "Was meinst du, ich habe doch kein Eis dabei...", aber sie tippte auf seinen Panzer. "Blaues Eis." Mern verstand. "Du willst ein Stück Metall haben? Ich brauche den Panzer noch, weißt du. Warum willst du so etwas haben?" Sie sah traurig aus. "Eis ist hart, es ist schön. Ich habe keins." Sie sah seinen Panzer wieder an. "Hast du ...lleshmid, wie Blatt? So wie das!" Sie deutete auf sein Schwert. "Aber kleiner, mihaléd?" "Ach so, du willst ein Messer haben? Ist das nicht etwas gefährlich ?" wandte Mern ein, dem die artige Bitte Vergnügen bereitete. Er wollte gerade antworten, als er ein Zischen hörte. Seine Nackenhaare sträubten sich. Anaidé verstummte und grub sich tiefer in seine Seite. Sie hielt die Hände vor die Augen. Mern sah sich aufmerksam um. Er hatte das Geräusch nicht orten können. Und zu sehen war auch nichts. Er hob den Bogen und legte locker einen Pfeil auf. Es zischelte wieder, direkt vor ihm. Mern zog die Sehne bis zum Ohr zurück. "Anaidé, ich muss jetzt aufstehen. Versteck dich in der Decke!" Er erhob sich, ohne den Bogen zu senken. Das Pochen in seinem Bein wurde stärker. Anaidé krümmte sich zusammen und verbarg den Kopf unter den Armen. "Yd´e Nashest coua lainàm igh´dhune Caelotyal!" wimmerte sie. Mern fluchte, da er immer noch kein Ziel sah. Er würde nur einen Versuch haben. Die Feuer, welche das Wesen offenbar auf Distanz hielten, brannten langsam nieder. "Komm doch, du verdammtes Mistviech", murmelte er erregt. Langsam drehte sich Mern um. Wenn sich wenigstens die Augen zeigen würden! Da, neben ihm! Kurz hatte etwas im flackernden Licht aufgeblitzt. Mern schwenkte herum, aber da war nichts mehr zu sehen. "Yd´e Nashest coua lainàm igh´dhune Caelotyal!" Anaidé sagte es wie in Trance immer wieder, was Mern ablenkte. Gerade als er sich weiterdrehen wollte, sah er sie. Gelbe Augen, die geschlitzten Pupillen direkt auf ihn gerichtet. Was jetzt folgte, war in langen Jahren erlernt, im Angesicht der tödlichen Gefahr zum Reflex verinnerlicht. Mern schwenkte den Bogen, langsam genug, um das Ziel nicht zu verlieren. Die Augen kamen schnell auf ihn zu, ein giftiges Fauchen begleitete sie. Mern zog den Pfeil noch weiter zurück, bis die Spitze den Griff berührte. Er sah, wie im flackernden Licht ein Maul unter den Augen auftauchte, lange Zähne schimmerten ihm entgegen, immer schneller und schneller. Eine Schlange. Mern stieß einen Schrei aus und gab den Pfeil frei.

Die Dunkelheit war gekommen, sie zu holen. Körperhafte Schwaden griffen nach ihr, Kälte durchströmt ihren Körper. Anaidé wand sich. Sie versuchte zu fliehen, doch sie konnte es nicht. Ein Fauchen wehte sie an wie eine Windstoß und sie krümmte sich zusammen. Wo war sie ? Wo war ihr Nisl? Die Dunkelheit würde sie verschlingen, würde sie forttragen. Der verbotene Name Caelotyal. Sollte sie es wagen, das Übel beim Namen zu nennen? Noch nie hatte jemand es gewagt, die Nacht herauszufordern, nicht einmal Fephoar. Wieder das Fauchen. Anaidé hätte sich am liebsten im Erdboden versteckt, doch da war keine Erde unter ihr. Nur bodenlose Dunkelheit. Fiel sie? Abermals griffen geisterhafte Schwaden nach ihr, entzogen ihr Wärme. Ein Schrei, voll Schmerz und Schrecken. Anaidé zuckte zusammen. Das war der Menesh! Kämpfte er gegen den Nachtmahr? Wo waren die Feuer? Sie ballte ihr Hände. Der Menesh brauchte Hilfe, der Zauber der Nacht war zu stark für ihn. Tapfer schluckte Anaidé ihre Angst hinunter und öffnete die Augen. Breitbeinig stand Meryn neben der Decke und schwang sein Schwert. Den Bogen hatte er weggeworfen. Die blitzende Klinge beschrieb große Kreise und heulte in der Nachtluft. Erstarrt sah sie, dass Meryn wieder am Bein blutete. Ein Fauchen hinter ihr. Anaidé widerstand dem Impuls, sich zu ducken und die Hände vor das Gesicht zu schlagen. Der Nachtmahr war da, direkt hinter ihr. Meryn drehte sich zu dem Geräusch um, sprang über sie hinweg und hieb kraftvoll in seine Richtung. Hatte er getroffen? Gefasst, als würde jemand sie leiten, drehte sich Anaidé um. Sie wollte die Nacht sehen, den Mahr sehen, bevor er sie holte. Gelbe Augen. Ein flacher Kopf, das Maul aufgerissen zum tödlichen Biss gegen den Menesh, der sein Schwert hob. Der Nachtmahr! In diesem Moment war alles klar, die Nacht schien stillzustehen. Das schwache Feuer ringsherum, der mutige Meryn neben ihr, der Nachtmahr, der ihm schlangengleich entgegenstürmte. Anaidé wusste es. "Caelotyal! Yb erésh cadidhes Nahesht nor´leyym Caelotyal`Ath!" sagte sie. Dann holte die Dunkelheit sie ein.

Im ersten Sonnenlicht wurde die Kleine wach. Mern, der seit Stunden neben einem der Aschehaufen hockte und ins Leere starrte, erhob sich. Er hatte Kirvael gefunden und ihn mühsam begraben, dann hatte er über vieles nachdenken müssen. "Meryn?" fragte Anaidé unsicher und kroch aus der Decke. "Ich bin hier. Keine Angst, es ist alles vorbei." Er kniete sich neben sie und hielt ihr eine Hand hin. "Die Nacht ist vorbei." Da warf sie sich ihm entgegen und presste sich an ihn. Mern umarmte sie vorsichtig. Dann löste sie sich und suchte seinen Blick. "Wo ist...?" Mern nickte. "Dreh dich um!" sagte er und stand wieder auf. Anaidé wandte sich um. Der Nachtmahr. Sie schreckte zurück. "Das Vieh ist tot. Du kannst ruhig näher rangehen." Mit seinem Schwert in das Gras genagelt, lag dort eine Schlange. Eine gefiederte Schlange mit Flügeln, deren schwarzes Gefieder im Sonnenlicht glänzte. Anaidé starrte das Wesen an. "Caelotyal..." murmelte sie, fast sehnsüchtig. Mern hockte sich wieder neben sie. "Anaidé, bitte erklär mir, was in der Nacht passiert ist. Ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben soll." Langsam drehte die Kleine sich um und sah ihn an. "Meryn?" Mern hob die Augenbrauen. "Ich habe gegen die Schlange da gekämpft und meinen ersten Pfeil danebengeschossen. Dann biss sie mich und ich konnte sie nur knapp mit dem Schwert abwehren. Du hast die ganze Zeit vor dich hingemurmelt. Dann hätte es mich fast erwischt, sie flog direkt auf mich zu. Ich wäre zu langsam gewesen. Aber du bist plötzlich aufgestanden und hast etwas seltsames gesagt." Mern sah auf die Schlange. "Danach bist du umgefallen und die Schlange hat geschrien. Sie schrie wie ein Mensch... und ich durchbohrte sie mit dem Schwert. Doch ich glaube, sie war schon vorher tot." Er drehte sich wieder zu Anaidé um. "Was hast du gesagt? Was ist das für ein Wesen?" Anaidé sah ebenfalls auf das Tier. "Es ist Caelotyal, Dunkelheit. Kommt in Nacht, geht bei Tag. Es ist die Nacht. Ich rief Caelotyal, denn wir sagen... dihf´annam Athe cer`shillir... Name von Dunkelheit ist Macht über Nahesht." Mern versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. "Du meinst, der Name dieser Schlange gibt dir Macht über sie? Warum fürchtest du sie dann? Warum lebst du dann Nachts in Angst?" Sie sah in abschätzend an. "Auch Caelotyal ist Teil von Neshayjar, von Welt. Warum töten? Tag braucht Nacht, Nacht braucht Tag. Und ich nur Aulephem.. kein Menesh-Krieger." Sie sah wieder auf die Schlange und schwieg. Mern konnte ihren Fatalismus nicht einordnen. "Aber jetzt ist es doch besser? Die Schlange ist tot, du brauchst keine Angst mehr zu haben. Die Nacht wird keine Gefahr mehr sein." Er stand auf und zog seinen Gürtel strammer. Ihren Seitenblick bemerkte er nicht. "Als die Schlange tot war, sind auch meine Wunden fast vollständig verschwunden, sieh!" Anaidé wandte sich ihm zu und betrachtete die weißen Narben auf seiner Haut, die unter dem Verband sichtbar wurden. "Zauber von Nacht geht, Zauber von Menesh bleibt!" sagte sie. Mern überdachte die Worte. "Ich bin kein Zauberer, wenn du daß meinst. Ich bin nur ein einfacher Söldner, der andere Leute für Geld beschützt und jetzt nicht mehr weiß, in welcher Welt er lebt." Er wurde ernst und kniete sich direkt vor sie hin. "Aber ich weiß mich zu bedanken, Anaidé." Er nestelte an seinem rechten Stiefel herum und holte etwas aus dem Schaft heraus. "Du hast mich gefragt, ob ich ein Messer für dich habe. Du hast mir zweimal geholfen, und ich stehe tief in deiner Schuld!" Dann legte Mern den Gegenstand in seine offene Rechte. Es war ein Stiefelmesser mit schmaler Klinge und kurzem Griff. Er zog es aus der Scheide. Eine fein ziselierte Linie wand sich auf dem Blatt und bildete wundersame Formen. Der Griff war aus rotgefärbtem Holz stellte einen Jaguar dar. Anaidé starrte sprachlos auf das Messer. "Bitte, nimm es an." Mern lächelte. "Es gehörte meinem Vater, er brachte es aus dem Süden mit, wo die Menschen den Jaguar verehren. Es ist ein gutes Messer und wird niemals schlecht werden." Und er legte es der fassungslosen Anaidé in die Hände.

Während sie das wunderbare Geschenk betrachtete, ging Meryn über die Lichtung. Anaidé wusste nicht, was sie sagen sollte. Das Blatt war schöner, als sie es sich jemals erträumt hatte! Es war für sie fast ein kleines Schwert, doch leicht wie eine Feder. Der Griff war ein Ceshebun, was sie überaus entzückte, da sie ihn nur aus alten Geschichten kannte. Meryn nannte das blaue Eis "Metall", aber sie fand den Begriff nicht gut. Sie hob die Klinge in die Höhe. "Lisheliam!" rief sie und lachte. So sollte das Blatt fortan heißen. Sie sah sich um. Wo war Meryn? Am anderen Ende der Lichtung sah sie ihn und rannte los. Sie wollte ihm gerade um den Hals fallen, ihm danken, als sie die frische Erde sah. Ein länglicher Haufen war vor Meryn auf der Erde, die lange Stange steckte zusammen mit dem Schild an einem Ende. "Kirvael war noch einer von den Jungen. Ich mochte ihn, aus ihm wäre ein guter Mann geworden." Mern machte eine Geste des Abschieds. "Jetzt wird er diese Lichtung bewachen. Leb wohl, Kamerad!" Er wandte sich ab und sammelte seine letzten Gerätschaften zusammen. Anaidé folgte ihm. Meryn war traurig, das konnte sie sehen. Er würde weiterziehen. Jetzt hockte er sich hin und schnürte seine Schuhe neu. "Meryn?" Sie kam zaghaft näher. "Du gehst?" Meryn sah sie an. "Ja, ich muss. Ich muss der Karavane folgen, vielleicht finde ich sie in Leruvent. Ich werde Raldo finden." Er zog die Schnüre stramm. Anaidé wurde traurig. Sie hatte sich schnell an die Gesellschaft des Menesh gewöhnt, auch wenn sie so unterschiedlich waren. "Bleib hier, bleib im Nisl." Mern sah wieder auf. "Anaidé, glaube nicht, das ich dich nicht mag. Doch ich muss einige Dinge klären, ich muss nach Leruvent. Sei nicht traurig!" Er hielt ihr eine Hand hin, die sie ergriff. "Ich habe hier wundersame Dinge erlebt, schreckliche und schöne. Jetzt will ich wissen, ob vielleicht auch andere der alten Geschichten wahr sind. Ich will die Welt entdecken, die ich bisher gemieden habe." Er drückte ihre Hand und stand dann auf. Anaidé weinte. Meryn war so stark, aber auch grausam! Sie sah zu, wie er sein Schwert aus der Schlange zog und säuberte. Dann wickelte der das tote Tier in seine Decke und schulterte sie zu seinem Gepäck. "Hoffentlich bekomme ich etwas Geld für so ein Fabeltier!" scherzte er. Ein letztes Mal kniete Meryn vor ihr nieder. "Weine nicht, Anaidé! Wir sehen uns bestimmt einmal wieder!" Er strich ihr eine Träne aus dem Gesicht. Sie hielt seine große Hand fest und beugte sich vor. "Esh l´iodon Menesh. Hidà narmel dec´ceyn." flüsterte sie, dann rannte sie davon, über Gras und Ast, über Stein und Strauch. Sie sah nicht mehr, wie Mern sich auf den verwilderten Pfad begab und den Spuren der Gruppe folgte. Sie sah nicht mehr, das er lächelte.

Der Himmel war wolkenlos. Im Licht der noch schmalen Mondsichel lag der schlafende Wald. Kein Wind raschelte im Laub, keine Vogel sang sein Lied. Doch etwas war anders. Vielleicht waren es die Grillen und Zikaden, die heute nacht besonders laut zirpten. Vielleicht waren es die Inonoih, die in kleinen Gruppen auf den Lichtungen ästen. Anaidé wusste, was es war. Sie saß auf einem hohen Ast und bewunderte den nächtlichen Ausblick. Noch nie hatte sie den Nahesht-Wald gesehen! "Lisheliam!" rief sie und hielt das Geschenk des Menesh in die Höhe.

- Ende

Anhang:

"Adahiel, dec´doun Shiz!" - Dummkopf, das ist Gefahr!

"Efhaia ! Menesh ghil´enem Efhaia Shishdunea!" - Feuer ! Der Mensch macht eine große Feuer-Magie!

"Yd´e Nashest coua lainàm igh´dhune Caelotyal!" - In der Nacht kommt Caelotyal, unseren Atem zu holen!

"Caelotyal ! Yb erésh cadidhes Nahesht nor´leyym Caelotyal`Ath!" - Caelotyal ! Die Nacht soll nicht mehr deinen Namen tragen!

"Esh l´iodon Menesh. Hidà narmel dec´ceyn." - Ich liebe dich Mensch. Mein Herz ist dein Freund.

 

Hallo allerseits. Das hier ist mein Start bei kurzgeschichten.de und ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen!

Das stand über der Geschichte.
Derartige Kommentare bitte immer als erstes Posting nach der Erzählung, da dies im Textfeld nicht verloren hat.
Vielen Dank und herzlich Willkommen auf kg.de.

 
Zuletzt bearbeitet:

Upsi, hab ich nicht dran gedacht. Soll nicht wieder vorkommen :huldig:

...noch keiner gelesen? ich will doch nur wissen, ob ich auf dem richtigen Weg bin.:heul:

 

Die Geschichte finde ich sehr gut, der Sprachstil ist flüssig und auch diese gegeneinandergestellte Art der Erzählung ist sehr gelungen.
Alledrings: und jetzt lernst du meinen Lieblngskritikpunkt kennen: Da sind zu wenig Absätze drin, genauer gesagt überhaupt keine.
Das macht es sehr schwer, die Geschichte zu lesen. Wenn du mehr Absätze hineinbringst, erleichtert das das Lesen. Ein riesiger Textblock schreckt ziemlich ab.

 

@vita: thx für die kritik, ich werds mal versuchen.

 

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