Das Gericht
„Führen sie bitte den Angeklagten herein!“ Die Köpfe aller Personen, die diesem Fall mit höchstem Interesse verfolgen, wenden sich bei diesen Worten der Türe zu.
Herein kommt ein junger Mann, der total schwarz angezogen und geschminkt ist. Mit einem offenen und freundlichen Blick schaut er die hier Anwesenden an, doch von ihnen aus spürte er nur Hass, Verärgerung, Ablehnung, Verachtung, aber auch Unsicherheit! Der einzige gütige und warme Blick, den er realisiert, ist von seinem Anwalt.
„Wir verhandeln hier wegen einer Grabschändung, die in der Nacht vom 2. auf den 3. August stattfand. Der Angeklagte, Simon Keller, hat das Recht seine Aussage zu verweigern oder seine Sicht der Geschehnisse zu schildern. Wie wollen sie es also handhaben?“, fragt der Staatsanwalt. Und jeder im Gerichtssaal wartet gespannt auf die Antwort von Simon.
Mit fester Stimme entgegnet dieser jetzt, dass er aussagen werde.
„Dann erzählen sie uns doch bitte ihre Sicht der Geschehnisse dieser Nacht.“, fordert ihn die Richterin auf.
Etwas zögernd beginnt er zu berichten: „An diesem Abend traf ich mich mit meiner Freundin in unserer Stammkneipe, wir tranken dort ein paar Biere und unterhielten uns mit einigen Bekannten. Aber aus irgendeinem Grund wollte an diesem Abend einfach keine Stimmung aufkommen. Als dann auch noch einige Schlägertypen kamen und eine Schlägerei anfingen, verliessen wir die Kneipe schon sehr früh und fuhren noch zu mir nach Hause.“
„Kennen sie dieses Amulett?“, donnert nun die Stimme des Staatsanwaltes durch den Gerichtssaal und er hält einen silbrigen Adlerkopf an einer dicken Kette in die Höhe. Dabei verzieht sich sein Gesicht zu einem hämischen Grinsen.
Jetzt wird Simon bleich und erzählt stockend, dass ihm eben diese Amulett am nächsten Morgen gefehlt hatte.
Doch jeder merkt wie nervös er ist, denn seine Finger kann er nicht mehr unter Kontrolle halten, er spielt die ganze Zeit mit seinen Fingerringen.
„Aha, und diese Lüge wollen sie dem Gericht erzählen?! Schämen sie sich nicht uns so zu belügen? Meinen sie auch nur einer der hier Anwesenden glaubt ihnen auch nur ein Wort! Man muss sie doch nur ansehen und man kann sich denken, zu was sie fähig sind. Nämlich zu Grabschändung Finden sie, dass normale anständige Bürger sich so kleiden und schminken wie sie?“, entgegnete nun der Staatsanwalt und sein Gesicht vor Zorn gerötet.
Simon, der mit ängstlichen Augen zur Richterin hochsieht, kann nur noch flehen:“ So glauben sie mir doch! Ich war es nicht!“
Die Richterin gibt im nur noch zu verstehen, dass er sich neben seinen Verteidiger setzten kann.
Jetzt verkündet sie:“ Man kann den ersten Zeugen, Stefan Eicher, hereinführen.“
Der junge Mann, welcher in diesem Moment den Gerichtssaal betritt, ist das total Gegenteil des Angeklagten. Die Blicke der Zuschauer wechseln von einer Sekunde zur anderen von Hass zu Zuneigung. Einige haben sogar ein kleines Lächeln für ihn übrig.
„Also erläutern sie uns einmal ihre Sicht der Geschehnisse. Sie sind ja eine Bekannter des Angeklagten und der Ex-Freund von seiner jetzigen Freundin, wenn ich mich recht erinnere! Oder?“, meint der Staatsanwalt. Und der Zeuge beginnt zu erklären: “Ja, das stimmt. Kurz nachdem Bianca, eben seine Freundin, die Beziehung mit mir beendet hatte, fing sie auch schon eine Affäre mit diesem Typen da drüben an. Aber ich denke das tut hier nichts zur Sache, deshalb werde ich jetzt einmal meine Sicht der Ereignisse schildern. Also ich sah an jenem Abend, wie Simon und Bianca, beide recht angeheitert, die Disco verliessen und sich in Richtung Friedhof davon machten.“
„Aber das ist doch kein Beweis, dass mein Mandant wirklich auf dem Friedhof war. Er könnte auch einfach mit seiner Freundin spazieren gegangen sein!“, meldet sich nun erstmals der Verteidiger von Simon zu Wort. Darauf entgegnet der Staatsanwalt nur, dass er ihm bessere Menschenkenntnisse zugetraut hätte, denn er müsse sich den Angeklagten doch nur einmal ansehen, damit er wisse, wer hier die Wahrheit sagt und wer hier lügt.
„Der Zeuge kann sich nun auf einen der Stühle hinsetzen und bitte führen sie die Bianca herein.“, fordert die Richterin den Gerichtsdiener in diesem Augenblick auf.
Kaum hat Bianca auf dem Stuhl vor der Richterin Platz genommen, verändern sich die Blicke der Zuschauer auch schon wieder. Niemand lächelt ihr zu. Alle schauen sie abweisend an.
„Also was ist ihrer Meinung nach an jenem Abend geschehen?“, fragt die Richterin Bianca. Und mit fester Stimme erzählt diese eine Geschichte, die sich fast perfekt mit der von Simon ergänzt. Doch jeder hier im Saal merkt , dass keiner den beiden Glauben schenkt. Niemand hatte ihnen je eine Chance gegeben, allen war es schon von Anfang an klar gewesen, dass es Simon getan hatte.
„Bitte erheben sie sich! Ich werde nun das Urteil verkünden. Der Angeklagte...“,will die Richterin bekannt geben. Aber in diesem Moment geschieht etwas völlig unerwartetes, ein kleiner dünner Mann stürzt in den Gerichtssaal und ruft:“ Nein, warten sie, ich bin der Friedhofswärter und fand heute Morgen einen Beweis unter dem Grabstein, der den Angeklagten entlastet. Und diesen jungen Mann hier belastet.“ Mit diesen Worten zeigt er auf Stefan.
Die Richterin will wissen, was es den für einen Beweis sei und als ob der Friedhofswärter nur auf dieses Stichwort gewartet hätte, zieht er nun eine kleine Tabakdose hervor und liest die kleine Inschrift laut vor:“ Lieber Stefan, ich wünsche dir alles Gute in deinem weiteren Leben! Bianca