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Das Gemälde
„Schatz. Ein Modigliani! Kaufst du es mir?"
„Nein!", antwortete er genervt.
„Mir gefälltes aber. ...“
Mark ließ ihre Hand los, blieb stehen. Er sah ihr ins Gesicht, meidete jeglichen Augenkontakt. „Ah!", unterbrach er erbost. Seine miese Laune machte ihr zu schaffen und zerrte an ihrer Geduld. Rechtfertigend fuhr sie fort.
„Ich unterstütze dich doch auch. Wir wissen beide, dass Tokio der Horror war. Unsere Beziehung wurde auf die Probe gestellt ... Ich bin froh darüber."
„Wie? … Froh?“, entgegnete er verwundert, riss die Augen dabei kurz auf.
„Ganz genau ... Wir sind uns näher gekommen! … Tust du mir den Gefallen?“
„Also gut. Von mir aus.", resignierend willigte er ihr zu.
... Ein Mann mit ovaler Kopfform und schwarzer Weste, erkannte er. Portraits von Menschen deren Körper von Gefühlen und Empfindungen beeinflusst und verunstaltet wurden. Diese, die der Realität widersprachen und an abstrakte Karikaturen erinnerten. Nicht meine Welt …
Sarah küsste ihren Mann auf den Mund. Ihre Hände umfassten seine Hüften, wanderten abwärts Richtung Hintern, packten kräftig zu. Sie liebte diesen … seinen!
... Ihre blauen Augen, das blonde so feine Haar. Strähnchen in ihrem makellosen Gesicht, die vom Hauch des Windes getragen wurden. Der Zauber ihrer Beine, Blickfang jeder Einkaufspassage, jedes Schwimmbades und jener Orte, die als selbstverständlich angesehen und fast täglich um des neuen, alten Zaubers flehten. Ihre Haut, natürliche Bräune. Nicht aus der Tube oder getankt in einem der arg vielen Solarien in der Stadt. Es war auch keine Urlaubsbräune, die sie durch Sonnenbäder mühevoll erarbeitete und die im Laufe der Zeit zu verblassen schien. Leicht verschwitzt zum feuchten Traum jedes Mannes erkoren. Auch Mark verdrehte sie den Kopf. Sarah. Die große Liebe, die er in ihr fand.
… Er hängte den original aussehenden Kunstdruck über den Wohnzimmertisch an die Wand, über dem sie immer aßen.
…
Mitternacht.
Die örtliche Kirchenglocke ertönte ein letztes Mal. Das Ehepaar schlief schon längst. Plötzlich leuchtete, im Wohnzimmer ein Licht auf. Sogar vom Hof aus war es nicht zu übersehen. Es übertraf das Laternenlicht, das für gewöhnlich die Nacht zum Tage machte. Es erlosch schnell wieder. Alles sah beim Alten aus. Bis auf das Gemälde, es war leer. Der Mann mit der schwarzen Weste, dessen Abbild fehlte! …
Er sah sich erstmal um, schlich zur Tür. Öffnete sie. Er war im Flur, tastete sich die Wände entlang in Richtung Küche, auf Zehenspitzen. Schritt für Schritt. Eine Schublade stand offen, er bemerkte sie, näherte sich und griff nach einem der Messer die sortiert in einem der Fächer lagen. Es klimperte bei den ersten seiner Greifversuche. Sarah schreckte auf. Sie versuchte ihren Gatten, mit leichten Schubsern gegen dessen Rücken, zu wecken. Er murmelte erst noch vor sich hin, bis diese ihn aus seinem Traum rissen.
„Schatz … Schatz … Hör mal! ... Geräusche aus der Küche.“, flüsterte sie ihm zu.
„Bestimmt ist nur etwas umgefallen. Das passiert doch schon mal“, antwortete er mit geschlossenen Augen und müder, sich brechender Stimme.
„Steh bitte auf und schau nach. Ich kann sonst nicht mehr einschlafen!“, erwiderte sie, beugte sich zu ihm rüber, streichelte seinen Hintern und küsste zärtlich seine Halspartie.
„Also gut. Aber nur, weil ich so durstig bin.“
Er begab sich zur Küche. Noch verträumt ging er ohne sich nur einmal umzusehen zum Kühlschrank, öffnete ihn, griff nach dem halbvollen Päckchen Milch, das im unteren Regal stand. Er setzte zum Trinken an, neigte seinen Kopf etwas nach hinten, da bemerkte er etwas hinter sich. Bevor er überhaupt reagieren konnte, spürte er den tiefen Schnitt an seiner Kehle. Er ließ die Milch fallen. Der Mann mit der schwarzen Weste riss ihn zu Boden, stach ein weiteres Mal zu. Mitten durchs Herz.
„Schatz? Was war das?“, drang Sarahs verängstigte Stimme in den Kücheneingang. Keine Antwort. Sie zögerte ein paar Sekunden lang, entschied sich dann doch nachzusehen. Sprang hektisch auf, rannte schnellen Schrittes den Flur entlang, betätigte den Lichtschalter und sah ihren Mann regungslos von einer Blutlache umgeben, dar liegen.
„Ahhhhhh! …“, Geschrei. So laut und voller Kraft. Ihr Mund, sperrangelweit offen, alle Gesichtsmuskeln angespannt. Ihr Kopf lief rot an. Als ob jemand einen hungrigen Löwen, der tagelang ohne zu fressen im Dschungel ausharrte und auf diesen einen einzigen Moment wartete, auf sich zu rennen sieht und keinen sich bietenden Fluchtweg parat hat. Fassungslos sank sie zu Boden, brauchte eine Pause. Voller Verzweiflung schüttelte sie an seinen Armen. „Mark … Mark … Sag doch was ... Komm schon … Bitte.“ Sie brach in Tränen aus, lehnte ihren Kopf auf seine Schulter. Fasste keinen klaren Gedanken mehr. Eine tiefe sehr langsam sprechende Stimme, ertönte.
„Amadeo möchte dich sehen. Folge mir …. Folge mir in die Unendlichkeit!“
Die verängstigte Schönheit war wie versteinert.
„Folge mir!“
Sie zitterte am ganzen Körper. Verstand die Welt nicht mehr. Was war das? Wo zum Teufel kam es her?
„Folge meiner Stimme und du wirst ihn wieder sehen. Folge mir!“
„Hallo?“ Sie versuchte sich aufzurichten. Fassungslos blickte sie ihrem ermordeten Mann tief in die Augen, wusch sich Tränen, mit den von Blut verschmierten Fingern, von ihren Wangen und schnaufte einmal kräftig durch.
„Folge mir!“
Jetzt wurde ihr klar, dass die tiefe unmenschliche Stimme aus dem Wohnzimmer kam.
Sie folgte ihr.
…
Nachbarn alarmierten die Polizei. Sie hatten Schreie gehört.
„Eine Leiche in der Küche! Vom Täter fehlt jeder Spur!“, erklärte der zuerst eingetroffene Kommissar seinen Kollegen.
Dunkelheit. Wo bin ich? Gefangen im Nirgendwo, es war kalt. Unruhig verschränkte Sarah ihre Arme, presste sie an ihre Brust. Orientierungslos schaute sie sich um, drehte sich langsam im Kreis. Ist das ein Raum? Sie grübelte, tappte im Dunkeln, setzte einen Fuß vor den anderen, in Hoffnung die Situation endlich aufzuklären zu können. Eine Wand! Feucht und kahl. Sarah schlich diese entlang und tastete fleißig weiter. „Aua!", schrie sie kurz auf, hielt sich ihre Hände an die von Schmerz überzogene Stelle, die sie sich gestoßen hatte und harrte einen Moment lang aus. Eine Türklinke? In der Schwärze nur schwer zu erkennen, zumal kein Licht durch die Türspalten drang. Sie klemmte im ersten Moment, hielt dem Druck ihrer aber nicht stand. Licht strahlte entgegen. Geblendet verzog sich ihr Gesicht, wandte ihren Blick ab. Das kleine fensterlose Zimmer kam nun langsam zum Vorschein. Der Raum leer. Dreckig und kahl, schien unbewohnbar. Nichts befand sich in ihm, nur Sarahs mitgenommene Gestalt. Ihr Blick wandte wieder nach vorn. Ein Zimmer, dessen Wärme, Wohlbefinden und Geborgenheit ausstrahlte. Tüchtiges Feuerholz das in einem alt und brüchig aussehenden Kamin brannte, setzte im ganzen Raum eine wohltuenden Atmosphäre frei. Eine rote Tischdecke lag ausgebreitet auf einem großen Esstisch, der vor ihr stand. Orangefarbige Tapete stach ihr ins Auge. Sarah trat ein. Ihr fiel auf, das links neben dem Kamin ein kleiner Flur um die Ecke führte. Der Neugierde gepackt, setzte sie sich in Bewegung. Am Ende des Ganges eine einzige verlassene Tür. Plötzlich ein Pochen. Als wenn jemand einen stumpfen Gegenstand drauf kloppen würde. Sarah fasste sich an die Brust, versuchte ihren Herzschlag zu spüren. Tatsächlich. Das Pochen der Tür, legte dasselbe Tempo vor, denselben Rhythmus, wie ihrer. Es machte Angst, ihr Herzschlag wurde schneller, das Pochen der Tür passte sich diesem, einen an. Sarah ging auf das Pochen zu. Mit ihrer rechten Hand auf der Klinke blieb sie kurz stehen. Spürte diese Kraft, die auf sie wirkte. Gepackt von Angst öffnete sie, „Das Gemälde“. Oh mein Gott! Mein Wohnzimmer! … Da … Da sind zwei … Da sind zwei Polizisten. „HILFE! … HILFE! … Ich bin hier drin! ... HALLO! ... HILFE!“, ... Niemand hörte sie. Voller Verzweiflung rannte Sarah auf ihr Wohnzimmer zu, klatschte gegen eine unsichtbare Kraft. Zurückgeschleudert schlug sie sich den Kopf auf dem harten Steinboden auf, blutete leicht. Tränen flossen ... … Sie lag Minuten lang da, auf dem Rücken. Rollte sich dann auf die Seite, schaute sich um. Dabei fiel ihr ein alter verblasster Schriftzug an der Wand auf. Sarah wusste, dass sie gefangen war. Gefangen im Nirgendwo.
… DAS GEMÄLDE
AB JETZT
bist du der Mann mit der schwarzen Weste!
TÖTEST DU, kommst du dahin zurück, wo alles begann.
KEIN anderer Ausweg!
Das Gemälde darf NICHT zerstört werden, sonst bist du gefangen. FÜR ALLE EWIGKEIT! …