Was ist neu

Das Gemälde des Vaters

Mitglied
Beitritt
24.09.2000
Beiträge
521

Das Gemälde des Vaters

Das Gemälde des Vaters wurde inspiriert durch folgendes
Bild

Es wird mein Lebenswerk dich zu zeichnen, Vater, oh ja! Mein Meisterwerk wird es werden. Bis jetzt habe ich ja nur eine Skizze von dir, so wie ich Skizzen von vielen Menschen habe. Skizzen sind leicht anzufertigen: Einmal kurz hingesehen, einmal kurz den Bleistift geschwungen und, voilà! fertig ist die Skizze. Jeder hat diese einfachen Skizzen, macht sie jeden Tag. Aber genau hinzusehen, alles erfassen, was vor einem liegt, all das Schöne, all das Hässliche, den Hass und die Liebe, das alles zu begreifen oder den Versuch machen es begreifen zu wollen, ich denke, davor fürchten sich die meisten. Und auch ich fürchte mich! Oder bin ich nur zu faul mir die Arbeit des Hinsehens zu machen? Ich weiß es nicht und es ist jetzt auch egal. Skizzen habe ich Tausende, aber ein Gemälde, mein Vater, ein Gemälde bekommst nur du. Nur du verdienst eines!
Und darum sitze ich auch jetzt hier vor der Leinwand. Habe Hunderte Pinsel, Federn und Farben, Ölkreiden, Aquarellfarben, Kohle, einfach alles, dazu Wasser und Seife, ein Tuch für überschüssige Farbe, die an meinen Fingern hängen bleiben könnte, Abdeckpapier, Seidenpapier, Tintenlöscher und vieles mehr. Ich habe an alles gedacht. Ich habe die Skizze, die ich von dir gemacht habe, vor mich auf die Leinwand gespannt. Ich werde einfach darüber zeichnen, sodass die Skizze verschwindet. Niemand soll merken, dass ich je eine Skizze von dir hatte. Jeder soll das Bild sehen. Es wird ein Meisterwerk werden.
Ein Mal tief durchgeatmet und es geht los! So, womit fang ich an? Mit deinem Kopf werde ich beginnen. Hier finden sich gar schöne Ansätze an der Skizze: Blondes Haar, blaue Augen, Bart. Ja, gar nicht schlecht, muss ich sagen. Man erkennt dich, ganz klar. Das ist mein Vater. Nur dein Haar ist nicht blond. Es ist grau. Wieso habe ich es blond gemacht? Du hattest doch schon immer graues Haar, nie habe ich dich blond gesehen. Ich male dir graue Haare, ein Zeichen des Alters und der Weisheit. Jedoch auch des Todes und der Vergänglichkeit. Es schaudert mir, aber wer den Pfad der Skizzenzeichnung verlässt, um ein Gemälde zu malen, muss damit rechnen. Die Wahrheit ist nicht immer einfach.
Aber die Wahrheit ist wahr, und darum geht es mir hier, Vater. Darum mache ich jetzt weiter. Ich male deine Augen, lasse Freude am Leben darin erkennen, Freundlichkeit und Güte... Wo ist das Deckweiß? Warum habe ich nicht ans Deckweiß gedacht??? Jetzt ist es schwer, deine Augen zu ändern. Aber es wird schon gehen. Hier geht sich noch etwas Grant aus, etwas Traurigkeit. Und hierhin kommt die Bosheit, mit der du so oft auf mich herabgeblickt hast. Bosheit, die deine Augen in mein Herz brannten. Ich muss es aufmalen, es ist ein Gemälde.
So ist es gut, nun ja, nicht gut, aber wahr. Jetzt male ich dir hohe Wangenknochen und ein eckiges Kinn. Nun kommt dein Mund an die Reihe, dann ist dein Gemälde fertig!!!
Ich male dünne Lippen und ein Lächeln. Nur ein schiefes Lächeln. Du hast nie ganz gelacht, immer nur mit einem Mundwinkel. Der andere ist ernst geblieben. Es hat auch nur ein Auge mitgelacht, eine Augenbraue ist dir in die Höhe geschossen und deine Stirnfalten, die du beim Lachen bekommen hast, haben auch eine Seite bevorzugt. Wie soll ich dich denn so zeichnen? Dich, mit deinen halben Gefühlen? Du hast nie ganz gelacht, etwas in die blieb immer ernst. Du warst aber auch nie ganz böse, stets strahlte diese dunkle Güte in dir. Wie soll ich so etwas malen? Wie soll ich mein Gemälde so fertig stellen?

Ich nehme ein Stück Kohle und ziehe einen dicken schwarzen Strich durch die Mitte deines Gesichtes. Eine Seite so, die andere Seite so. Jetzt ist dein Gemälde fertig, Vater! Eine Seite lacht mit mir, die andere Seite weint mit mir. Mit einer Seite deines Gesichtes erzählst du mir, ich solle Gutes tun, das Böse meiden, solle höflich und anständig sein. Mit der anderen Seite deines Gesichtes versuchst du mir zu erklären, warum das nur für mich gilt, nicht für dich. Ein Auge lacht über meine vorlauten Witze, das andere brennt in mein Herz die Worte „Halt deinen Mund!“. Ein Teil deines Gesichtes schimpft mit mir und droht mich zu fressen, der andere Teil schaut gütig über meine Fehler hinweg und lobt mich für meine Einsicht. Ein Teil deines Mundes erzählt stolz darüber, wie du nach dem Krieg alles wieder aufgebaut und dich von den Nazis nie hast unterkriegen lassen, der andere Teil ruft 1939 auf dem Heldenplatz „Heil Hitler“.
Altes Fleisch spannt sich unter der grauen Haut wenn du brüllst, die Familie sei das Wichtigste, aber sie spannt sich auch, wenn du dein Bier trinkst und Mutter verprügelst. Ein Teil liebt mich, ein Teil hasst mich...
Oh, wie sehr sehne ich mich nach der Skizze.
Wo ist das Benzin? Und wo sind die Streichhölzer? Dieses Durcheinander!
Dein Gemälde ist fertig, aber was hat es gebracht? Wo ist denn nun das verdammte Benzin???

Skizzen sind leicht anzufertigen: Einmal kurz hingesehen, einmal kurz den Bleistift geschwungen und, voilà! fertig ist die Skizze. Einfach und effektiv. Man verdirbt sich nicht die Augen vom Hinsehen und man ermüdet auch nicht die Hand vom Malen. Der Geist bleibt frei für wichtigere Dinge. Und vor allem: Skizzen fertigt man sehr schnell an. Ich kann das sogar schneller, als eine Leinwand benötigt, vollständig abzubrennen.

[Beitrag editiert von: Peter Hrubi am 03.04.2002 um 11:19]

 

here comes the master!
Hi! Schön, endlich neue Konkurrenz!
ich habe Deine KG erst 1 Mal durchgelesen und werde mir eine Detail-Korrektur vornehmen, wenn ich noch 2, 3 mal damit durch bin, ja? ( evtl. per mail? ) ( mir sind nur ein paar Kleinigkeiten aufgefallen... )
Der erste Eindruck jedenfalls: sehr schön. Man kann sich den Vater vorstellen. Solche Menschen kennt wohl fast jeder. Aber Du hast diesen hier sehr schön skizziert ( ;) ). Daneben hast Du auch den Maler sehr schön dargestellt! Man kann sich gut in die Situation des Selbsterkennens und des Erkennens der Wahrheit hineinversetzen!

so long,
Lieben Gruß,
Frauke

 

Vielen Dank für deine Kritik, Arc! Freue mich schon auf deine ausführliche Korrenktur. Bis dann, Peter Hrubi

 

hi Peter!
ich bin den Text grad nochmal durchgegangen. Ich schreib Dir eben eine Mail mit meinen Anmerkungen, ja? alles "redaktionelle" Vorschläge...

Viel Glück für den Challenge,
Frauke

 

Nun, ich muss zugeben, lieber Peter, dass mir der Text am Anfang nicht so gut gefallen hat. Ich kam nicht auf den Dreh, wie du von Skizze zu Gemälde kommst bzw. was du damit Aussagen willst.
Eine Skizze, ein Eindruck, eine kurze Darstellung, die nur einige Züge hervorhebt, während ein Gemälde alles beinhaltet (beinhalten sollte). Aber man solte doch meinen, das das zweischneidige Schwert auch in der Skizze zu erkennen sein sollte und nicht nur im Gemälde.
Das waren meine ersten gedanken. s ließe sich einiges daran heruminterpretieren von daher steht diese Aussage nur subjektiv dar.

Zum letzteren Teil möchte ich dir gratulieren. Die psychologische Nachwirkung des Krieges, hier die zwiegespaltene Persönlichkeit hast du gut und schön dargestellt. Gefallen hat mir besonders

Ein Teil deines Mundes erzählt stolz darüber, wie du nach dem Krieg alles wieder aufgebaut und dich von den Nazis nie unterkriegen hast lassen, der andere Teil ruft 1939 auf dem Heldenplatz „Heil Hitler“.

Konkrete Vorschläge oder Anregungen zur Veränderung habe ich nicht, aber du kannst dir ja mal über meine Worte Gedanken machen.

LG
Frederik

-auf das der Challenge nicht einschläft-

[Beitrag editiert von: Frederik am 30.03.2002 um 16:43]

 

Lieber Frederik!

Danke, dass du dich mit meinem Text auseinandergesetzt hast.
Eigentlich verstehe ich nicht viel von der bildnerischen Kunst, kann vielleicht grad einmal ein paar Comic-Figuren zeichnen, das war´s.
Soviel ich aber weiß, ist dass eine Skizze schnell gemacht wird, sozusagen eine Momentanaufnahme, nach dem Motto: der erste Eindruck ist der wichtigste, ein gemälde aberZeit braucht. Historisch gesehen entsprechen Gemällde aber auch nicht immer der Wirklichkeit. Die Porträts der Kaiser und Könige sind oft "verschönert" worden, um den Herrscher im vollen Glanze darstellen zu können.
Ob man bei einer Skizze so viele Details darstellen kann ist die Frage und ich glaube nein. Wenn du aber was anderes sagst, dann wird das schon stimmen, wie gesagt, ich kenne mich da nicht so aus.

Der "Maler" in meiner Geschichte hat aber zwischen dem Sinn, nicht dem Gegenstand, von Skizze und Gemälde unterschieden, und darauf läuft die Geschichte hinaus!.

@ Arc en Ciel

Habe meine Geschichte deinen Vorschlägen nach korrigiert. Habe fast alles von dir angenommen. Danke dafür!!! :)

Nun gut, schöne Grüße an alle, alles Liebe aus Wien, euer Peter Hrubi

[Beitrag editiert von: Peter Hrubi am 03.04.2002 um 11:22]

 

Mir gefiel die Leidenschaft hinter den Zeilen, der Haß, die Liebe, die Verachtung, die Zuneigung, das Vorhalten, das Verzeihen. Sehr gefühlsbetont, leicht wahnsinnig, ich fands gut, über echt klingende Gefühle zu lesen, gelingt nicht jedem, das zu beschreiben.

 

Danke, liebe Roswitha! Gott sei Dank habe ich eine gewisse Gabe mich in Situationen hinei zu steigern. Doch nicht das hier irgentjemand glaub, es wäre eine Beschreibeung meines Vaters, keines wegs (schöne Grüße, Papa!).
Vielleicht ist es die Beschreibung Kafkas "Brief an den Vater". das könnte eher sein.

Nun., schönes Wochenende, alles Liebe, Peter Hrubi

 

Hallo Hrubi!
Dir ist eine schöne Geschichte gelungen, und wenn du nicht unter die ersten fünf kommst, würd ich mich wundern!
Der Stil und die Atmosphäre sind wirklich gelungen, leider fand ich die Pointe etwas zu schwach, d.h. sie konnte meines Erachtens nicht ganz das hohe Niveau der Geschichte halten.
Einzelne Verbesserungsvorschläge / Gedanken hätte ich noch:

... den Versuch zu machen, es begreifen zu wollen-ich denke ...
Die Verwendung des Bindestrichs kam mir angemessen vor, da so der Satz etwas übersichtlicher wird.

Ein Mal tief durchgeatmet...
Schreibt man nicht "einmal" ?

Du schreibst, er habe das Haar blond gemacht. Ich kam da ein wenig durcheinander, da ich mir die Skizze, wie du sagst, als Bleistiftzeichnung vorstellte, ohne Farben. Bin aber kein Künstler, deshalb lasse ich mich gerne eines Besseren belehren...

Die Wahrheit ist wahr
empfand ich doch, im Vergleich zu allem andern, als überaus platt.

Hier geht sich noch etwas Grant aus
Ich muss ehrlich gestehen, diese Stelle nicht verstanden zu haben - was wohl auch daran liegt, dass ich das Wort "Grant" gar nicht kenne.

...brennt in mein Herz die Worte "Halt deinen Mund!".
Das "Halt deinen Mund!" wirkt zu schwach im Zusammenhang mit "ins Herz brennen"

... altes Fleisch spannt unter der grauen Haut wenn du brüllst, ...
vielleicht ein Komma vor "wenn du brüllst"

Wo ist denn nun das verdammte Benzin?"
Durch das "nun" wirkt für mich das Ganze wie eine recht ungeduldige Aufforderung an eine (nichtvorhandene ) Person, "nun" endlich das verdammte Benzin zu bringen...
wie wärs mit "nur" ?

Viele Grüße,
paranova
:)

 

Liebe Paranova!

Danke für deine Kritik. Leider tu
ich mir mit dem Lesen momentan schwer, da ich unter Regenbogenhautentzündung leide, welche mir Augentropfen verschafft, mit denen ich nicht lesen kann und mich somit ins literarische Abseits drängen.

Tja, da kann man nix machen. habe deine Kritik aber überflogen und muss sagen, dass einige Punkte stimmen, bei einigen ich aber etwas dazu sagen muss, was mir momentan zu schwer fällt. Mach ich dann wenn ich wieder richtig lesen kann.
Trotzdem danke, bis bald, dein Hrubi! ;)

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom