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Das gelbe Opfer
10 Minuten bis zur U-Bahn und dort wegen mangelnder Präzision endlose 3 Minuten warten. Ein mittlerer Schicksalsschlag.
Ein Pärchen auf Drogen, kaum 20, taumelt gefährlich nahe am Abgrund des Gleises, eine Flasche wird zerschlagen, gezählte 4 Polizisten tauchen auf und ermahnen milde den Abschaum, Minuten später zieht die Staatsgewalt wieder ab.
3 junge Türken tauchen auf und der eine Teil des Pärchens, das blonde Mädchen, beschimpft sie lallend, man versteht kein Wort.
Die U-Bahn taucht auf, die Türken steigen kopfschüttelnd ein. Die blonde Furie verfolgt sie und versucht sie anzuspucken. Ich drücke die Laptoptasche an mich und halte mit der anderen Hand meine Geldbörse fest – es sind schließlich Türken.
Ein Speicheltropfen mag einen der Türkenjungs getroffen haben, er fährt sich mit der Hand kurz über die Wange und schlägt dann eine ansatzlose Gerade mitten in das Gesicht der Junkiebraut.
Er nimmt die Schulter mit und dreht den rechten Fußballen nach außen – sieht nach etwas Boxertraining aus.
Die Blonde liegt beinahe senkrecht in der Luft, aus ihrem Mund spritzen Blut und Zähne. Sie schlägt auf dem Beton des Bahnsteiges auf, mehr sehe ich nicht, weil die U-Bahn endlich abfährt.
Die Türken unterhalten sich kurz in ihrem Kauderwelsch und richten dann ihre Blicke auf mich. Ich schaue auf den Boden und halte meine Geldbörse fest. Sind ja Türken.
Geschätzte 8 Minuten bis zum Hotelzimmer.
An der nächsten Station steigt eine alte Nutte ein, sie ist sicher über 60 und trägt nur eine fleischfarbene Hotpant und ein rosa Top, auf den ersten Blick wirkt es, als wäre sie nackt. Natürlich ist sie völlig betrunken. Inzwischen sitze ich, den Laptop auf den Knien und mache mich durchsichtig. Totale Unsichtbarkeit wäre besser, aber soweit bin ich noch nicht.
Die alte Nutte wankt an mir vorbei und sie stinkt nach Pisse. Ich sehe, dass sie keine Zähne mehr im Mund hat. Manche mögen das, hab ich gehört.
Beinahe durchsichtig schwebe ich aus der U-Bahn, meine Füße berühren den Boden nicht mehr, ich habe die Lederslipper aneinander gepresst und fahre wie auf Schienen die Treppe hoch.
Am Ausgang der U-Bahn Station stakst ein einbeiniger Bettler auf Krücken daher. Er legt seine Krücken zur Seite, lässt sich umständlich auf sein eines Knie nieder, öffnet seine Hose und pinkelt an die Wand. Die Lache entwickelt sich ungünstig und nässt seine Hose ein. Er hat zwar nur ein Bein, das andere endet knapp oberhalb des Knies, aber er macht sich trotzdem beide Beine ziemlich synchron nass.
Ich schwebe vorbei, nun inzwischen 10 Zentimeter über dem Boden und spüre meinen Körper nicht mehr.
Draußen, kaum 100 Meter nach der U-Bahn, kackt ein Mann in den Park. Das heißt, ich sehe nicht genau, ob er kackt, er müht sich jedoch redlich ab und macht entsprechende Geräusche. Es ist ganz und gar fabelhaft.
So viel Glück habe ich selten. Ein schneller Blick auf meinen Pulsmesser sagt mir, dass sich mein Herzschlag um ganze 5 Schläge erhöht hat. Ich lasse mir den Verlauf anzeigen. Vor 7 Minuten, als der Türkenjunge die Junkietussi umgenietet hat, waren es ganze 8 Schläge schneller, ein Monatshöhepunkt, der sofort im Iphone vermerkt wird.
Durch die Konzentration auf meine Daten senken sich meine Füße wieder auf den Asphalt, tja, es kann nicht immer die Sonne scheinen.
Der Puls ist wieder runter auf 60, es regt sich nichts mehr in mir und jede Hoffnung, die ich gehabt hatte, jeder Funken an den Glauben, dass ich heute vielleicht ohne Greueltat auskommen könnte, ist erloschen.
Es ist keine direkte Verärgerung, im Höchstfall eine sehr milde Form von Enttäuschung, dass ich wieder Zeit investieren muss, Zeit, die ich sonst in gewinnbringendere Tätigkeiten anlegen hätte können.
Der Schlaf muss wieder erdolcht werden. Ich werde heute mein Opfer markieren, nun das dritte diese Woche, ich werde die Farbe Gelb wählen. Grün, Schwarz, nun Gelb. Die Jamaikaflagge des Schreckens.
Der Gedanke daran lässt meine Füße wieder leicht werden, ich schaffe es jedoch nicht mehr in den Schwebezustand.
Mein Smartphone rührt sich.
„Was tun sie da in dieser elenden Gegend? Wollen sie sich umbringen?“, dröhnt mein Vorgesetzter. Mein Smartphone meldet meinen Standpunkt, wohin ich auch gehe.
„Ich bin in wenigen Minuten im Hotel. Machen sie sich keine Sorgen“, antworte ich kühl.
„Das möchte ich ihnen auch geraten haben! Morgen ist ein harter Tag!“
„Jeder Tag ist ein harter Tag, wenn man ihn nicht richtig zu gestalten vermag. Ich für meinen Teil genieße jede Minute, sie nicht?“, antworte ich.
„Äh, ich…“
„Guten Abend“, sage ich und beende das Gespräch mit einem Wischer über das Display.
Er wird sich über mich beschweren, aber das ist beabsichtig. Er ist zu schwach und die Stufen des Erfolges erklimmt man über die Leichen der Gefallenen.
Meine Slipper knacken die Stille mit dem Knallen der Absätze. Durch die Hotellobby in den siebenten Stock.
Die Suite ist nicht groß genug, in der Bar kein Champagner.
Sorgfältig baue ich den Laptop auf, rücke noch einmal die Krawatte zurecht. Langsam setze ich mich, behutsam. Mein Opfer ist 800 Kilometer entfernt, doch gewisse Vibrationen können sich über geheimnisvolle Kanäle fortpflanzen und ich will es treffen wie ein Blitz aus der Hand von Zeus, aus heiterem Himmel. Das heißt, heute will ich es nur markieren, der Blitz wird später einschlagen, wenn… Zu einem späteren Zeitpunkt.
Ich starte die Applikation auf dem Laptop und die Ameisenfarm erscheint nach wenigen Augenblicken in 6 verschieden Bildern, jeweils anderen Blickwinkeln.
Es ist bei weitem nicht perfekt, aber mehr kann ich mir noch nicht leisten, so vieles wäre noch zu investieren.
Ich entdecke Schwarz und Grün, sie krabbeln völlig ahnungslos durch ihre Gänge, während Der Mächtige sie beobachtet, jederzeit bereit, sie in die Falle zu locken.
Ich entdecke meinen Kandidaten, ein abscheulich unbekümmertes Exemplar, das herumwuselt, als gäbe es keine Bosheit auf dieser Welt. Ich stelle die Farbe der Falle auf Gelb.
Ich warte. Es kann dauern, manchmal Stunden, doch so ist die Aufgabe des Mächtigen Jägers.