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Das gelbe Opfer

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22.09.2008
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Das gelbe Opfer

10 Minuten bis zur U-Bahn und dort wegen mangelnder Präzision endlose 3 Minuten warten. Ein mittlerer Schicksalsschlag.
Ein Pärchen auf Drogen, kaum 20, taumelt gefährlich nahe am Abgrund des Gleises, eine Flasche wird zerschlagen, gezählte 4 Polizisten tauchen auf und ermahnen milde den Abschaum, Minuten später zieht die Staatsgewalt wieder ab.
3 junge Türken tauchen auf und der eine Teil des Pärchens, das blonde Mädchen, beschimpft sie lallend, man versteht kein Wort.
Die U-Bahn taucht auf, die Türken steigen kopfschüttelnd ein. Die blonde Furie verfolgt sie und versucht sie anzuspucken. Ich drücke die Laptoptasche an mich und halte mit der anderen Hand meine Geldbörse fest – es sind schließlich Türken.
Ein Speicheltropfen mag einen der Türkenjungs getroffen haben, er fährt sich mit der Hand kurz über die Wange und schlägt dann eine ansatzlose Gerade mitten in das Gesicht der Junkiebraut.
Er nimmt die Schulter mit und dreht den rechten Fußballen nach außen – sieht nach etwas Boxertraining aus.
Die Blonde liegt beinahe senkrecht in der Luft, aus ihrem Mund spritzen Blut und Zähne. Sie schlägt auf dem Beton des Bahnsteiges auf, mehr sehe ich nicht, weil die U-Bahn endlich abfährt.
Die Türken unterhalten sich kurz in ihrem Kauderwelsch und richten dann ihre Blicke auf mich. Ich schaue auf den Boden und halte meine Geldbörse fest. Sind ja Türken.
Geschätzte 8 Minuten bis zum Hotelzimmer.
An der nächsten Station steigt eine alte Nutte ein, sie ist sicher über 60 und trägt nur eine fleischfarbene Hotpant und ein rosa Top, auf den ersten Blick wirkt es, als wäre sie nackt. Natürlich ist sie völlig betrunken. Inzwischen sitze ich, den Laptop auf den Knien und mache mich durchsichtig. Totale Unsichtbarkeit wäre besser, aber soweit bin ich noch nicht.
Die alte Nutte wankt an mir vorbei und sie stinkt nach Pisse. Ich sehe, dass sie keine Zähne mehr im Mund hat. Manche mögen das, hab ich gehört.
Beinahe durchsichtig schwebe ich aus der U-Bahn, meine Füße berühren den Boden nicht mehr, ich habe die Lederslipper aneinander gepresst und fahre wie auf Schienen die Treppe hoch.
Am Ausgang der U-Bahn Station stakst ein einbeiniger Bettler auf Krücken daher. Er legt seine Krücken zur Seite, lässt sich umständlich auf sein eines Knie nieder, öffnet seine Hose und pinkelt an die Wand. Die Lache entwickelt sich ungünstig und nässt seine Hose ein. Er hat zwar nur ein Bein, das andere endet knapp oberhalb des Knies, aber er macht sich trotzdem beide Beine ziemlich synchron nass.
Ich schwebe vorbei, nun inzwischen 10 Zentimeter über dem Boden und spüre meinen Körper nicht mehr.
Draußen, kaum 100 Meter nach der U-Bahn, kackt ein Mann in den Park. Das heißt, ich sehe nicht genau, ob er kackt, er müht sich jedoch redlich ab und macht entsprechende Geräusche. Es ist ganz und gar fabelhaft.
So viel Glück habe ich selten. Ein schneller Blick auf meinen Pulsmesser sagt mir, dass sich mein Herzschlag um ganze 5 Schläge erhöht hat. Ich lasse mir den Verlauf anzeigen. Vor 7 Minuten, als der Türkenjunge die Junkietussi umgenietet hat, waren es ganze 8 Schläge schneller, ein Monatshöhepunkt, der sofort im Iphone vermerkt wird.
Durch die Konzentration auf meine Daten senken sich meine Füße wieder auf den Asphalt, tja, es kann nicht immer die Sonne scheinen.
Der Puls ist wieder runter auf 60, es regt sich nichts mehr in mir und jede Hoffnung, die ich gehabt hatte, jeder Funken an den Glauben, dass ich heute vielleicht ohne Greueltat auskommen könnte, ist erloschen.
Es ist keine direkte Verärgerung, im Höchstfall eine sehr milde Form von Enttäuschung, dass ich wieder Zeit investieren muss, Zeit, die ich sonst in gewinnbringendere Tätigkeiten anlegen hätte können.
Der Schlaf muss wieder erdolcht werden. Ich werde heute mein Opfer markieren, nun das dritte diese Woche, ich werde die Farbe Gelb wählen. Grün, Schwarz, nun Gelb. Die Jamaikaflagge des Schreckens.
Der Gedanke daran lässt meine Füße wieder leicht werden, ich schaffe es jedoch nicht mehr in den Schwebezustand.
Mein Smartphone rührt sich.
„Was tun sie da in dieser elenden Gegend? Wollen sie sich umbringen?“, dröhnt mein Vorgesetzter. Mein Smartphone meldet meinen Standpunkt, wohin ich auch gehe.
„Ich bin in wenigen Minuten im Hotel. Machen sie sich keine Sorgen“, antworte ich kühl.
„Das möchte ich ihnen auch geraten haben! Morgen ist ein harter Tag!“
„Jeder Tag ist ein harter Tag, wenn man ihn nicht richtig zu gestalten vermag. Ich für meinen Teil genieße jede Minute, sie nicht?“, antworte ich.
„Äh, ich…“
„Guten Abend“, sage ich und beende das Gespräch mit einem Wischer über das Display.
Er wird sich über mich beschweren, aber das ist beabsichtig. Er ist zu schwach und die Stufen des Erfolges erklimmt man über die Leichen der Gefallenen.
Meine Slipper knacken die Stille mit dem Knallen der Absätze. Durch die Hotellobby in den siebenten Stock.
Die Suite ist nicht groß genug, in der Bar kein Champagner.
Sorgfältig baue ich den Laptop auf, rücke noch einmal die Krawatte zurecht. Langsam setze ich mich, behutsam. Mein Opfer ist 800 Kilometer entfernt, doch gewisse Vibrationen können sich über geheimnisvolle Kanäle fortpflanzen und ich will es treffen wie ein Blitz aus der Hand von Zeus, aus heiterem Himmel. Das heißt, heute will ich es nur markieren, der Blitz wird später einschlagen, wenn… Zu einem späteren Zeitpunkt.
Ich starte die Applikation auf dem Laptop und die Ameisenfarm erscheint nach wenigen Augenblicken in 6 verschieden Bildern, jeweils anderen Blickwinkeln.
Es ist bei weitem nicht perfekt, aber mehr kann ich mir noch nicht leisten, so vieles wäre noch zu investieren.
Ich entdecke Schwarz und Grün, sie krabbeln völlig ahnungslos durch ihre Gänge, während Der Mächtige sie beobachtet, jederzeit bereit, sie in die Falle zu locken.
Ich entdecke meinen Kandidaten, ein abscheulich unbekümmertes Exemplar, das herumwuselt, als gäbe es keine Bosheit auf dieser Welt. Ich stelle die Farbe der Falle auf Gelb.
Ich warte. Es kann dauern, manchmal Stunden, doch so ist die Aufgabe des Mächtigen Jägers.

 

Es ist ganz und gar fabelhaft,
was ich weniger finde. Die Greuel (neudeutsch: Gräuel ...)tat folgt:

Grüß Dich, phiberoptic!,

nach'm Gelben Sack zum gelben Opfer auf kürzestem Weg. So spielt der Zufall (wenn's ihn denn gibt).

Hat vielleicht noch keiner zum Besten gegeben, dass es an der Zeit wäre:

10 Minuten bis zur U-Bahn und dort wegen mangelnder Präzision endlose 3 Minuten warten.
was dann später auch für Polizisten, Türken, ja selbst Mengenangaben zu physikalische Erscheinungen gilt usw.
Zahlen bis zwölf sollten üblicherweise ausgeschrieben werden, was in diesem Fall eine überschaubare und abzählbare Zahl an Anschlägen mehr erfordert.

Ein Pärchen auf Drogen, kaum 20KOMMA taumelt gefährlich nahe am Abgrund ...

..., er fährt sich mit kurz über die Wange und
Mich deucht, dass dort etwas fehle!

An der nächsten Station steigt eine alte Nutte ein, ...
Wo kommt dieses sichere Auge her? Ich vermute nämlich Lady Gaga dahinter ... Ist das nicht ihr Auftritt?

Ich sehe, dass sie keine Zähne mehr im Mund hat.
Vielleicht suchstu an der falschen Stelle?

Am Ausgang der U-Bahn Station stakst ein einbeiniger Bettler auf Krücken daher.
Den kenn ich! Der ist hier am Theater Primabellerino!

...

kniet sich umständlich auf sein eines Knie,
... & ich raib mich das annere Auge, so umständlich ... Übrigens: Auf wessen Knie könnt er sonst noch knien?

tja, es kann nicht immer die Sonne scheinen.
Ach?!

„Was tun sie da in dieser elenden Gegend? Wollen sie sich umbringen?“, dröhnt mein Vorgesetzter.
Vorgesetzte haben noch an Höfen gedient, sind also höflich: ihren Anredepronomen hört man den Großbuchstaben an!, dass es auch dem Sklaven zu raten wäre (Kömmt nochemal!) Usw.

Gruß

Friedel

Aber eine Frage hätt ich dann doch: - was Schaum ist, weiß ich so gut wie, was Abwasser sei. Aber Abschaum ...

 
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Danke für die Kritik, werde ich beherzigen, jedenfalls, das, was ich davon verstehe.

 

Hallo phiberoptic,

ich bin ein großer Fan deiner trockenen Ausdrucksweise und mag deinen reduzierten Stil. Formal gefällt mir dieser Text! Inhaltlich verstehe ich ihn nicht. Geht es um das Ersetzen von Gefühlen durch rationale Analysen, die iPhone Apps besser durchführen können als wir Menschen? Die totale Hässlichkeit der Welt in deiner Geschichte lässt deinen Protagonisten völlig kalt. An die Stelle von Gefühlen und Ästhetik sind Pünktlichkeit und Präzision getreten:

Ein schneller Blick auf meinen Pulsmesser sagt mir, dass sich mein Herzschlag um ganze 5 Schläge erhöht hat. Ich lasse mir den Verlauf anzeigen. Vor 7 Minuten, als der Türkenjunge die Junkietussi umgenietet hat, waren es ganze 8 Schläge schneller, ein Monatshöhepunkt, der sofort im Iphone vermerkt wird.

Natürlich ist das eine armselige Lebensweise. Dafür entspannt er sich, indem er Ameisen in einer 800 km entfernten Ameisenfarm tötet. Das ist alles so skurril und seltsam, dass es einen besonderen Reiz ausübt. Etwa wie eine besonders erlesene Sorte Stinkkäse.

Ein paar formale Anmerkungen:

sieht nach etwas Boxertraining aus
Sparring

Die Türken unterhalten sich kurz in ihrem Kauderwelsch
Sehr gut! Es bringt die feindselige Einstellung des Protagonisten auf den Punkt.

Der Bettler

lässt sich umständlich auf sein eines Knie nieder
Ich hätte geschrieben: verbliebenes

Noch ein Zitat aus Wikipedia für den wissbegierigen Friedrichard:

Die Redewendung „Abschaum der Welt“ ist die Übersetzung aus dem 1. Brief an die Korinther des Apostels Paulus. Sie bezieht sich auf die Apostel, die von der Welt verachtet werden. Im altgriechischen Originaltext heißt es: περικαθάρματα τοῦ κόσμου – perikatharmata tou kosmou.

Und freundliche Grüße,

Berg

 

Hallo Berg, beste Grüße!

ich bin in Klausur seit einigen Monaten, ich arbeite am neuen Buch. Das ist sozusagen eine verkürzte Fassung der Darstellung wie der Protagonist tickt. Ich habe auch die Person gewechselt für diesen Auszug. Da ich ein schwacher Mensch bin, verlangt es mich nach Feedback, deshalb hab ich das hier schnell reingeklopft um zu sehen, ob es funktioniert, wollte das Forum befragen.
Aber wie jeder Schnellschuss hauts nicht ganz hin. Ich hoffe das die Langfassung schlüssiger wird.

 

Der Protagonist ist ein Psychopath ohne wirkliche Gefühle, nur an Macht interessiert, aber er ist kein Killer sondern tut das eben den Ameisen an um sein Bedürfnis zu befriedigen und so spinnt sich die Sache halt weiter.

 

Wir sind Narren um Christi willen, ihr aber seid klug in Christus; wir schwach, ihr aber stark; ihr herrlich, wir aber verachtet. Bis auf diese Stunde leiden wir Hunger und Durst und Blöße und werden geschlagen und haben keine feste Bleibe und mühen uns ab mit unsrer Hände Arbeit. Man schmäht uns, so segnen wir; man verfolgt uns, so dulden wir 's, man verlästert uns, so reden wir freundlich. Wir sind geworden wie der Abschaum der Menschheit, jedermanns Kehricht, bis heute ...
hat Luther übersetzt,

lieber Berg,

und zwar in gänzlich anderer Bedeutung, als die heutige Diskriminierung. E§inem alten Presbyter spuckt man nicht so leicht in den Bart! ,- unbd wenn doch, würd der abgenommen!

Nix für ungut

Friedel

 

Eine interessante Schattierung von Täter*innen. LG MiK

 

"Du bist nicht dein Job! Du bist nicht das Geld auf deinem Konto! Nicht das Auto, das du fährst! Nicht der Inhalt deiner Brieftasche! Und nicht deine blöde Cargo-Hose! Du bist der singende, tanzende Abschaum der Welt…"

Fight Club

 

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