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Das Gefühl des Verlassenwerdens oder kurz: Seiltanz.

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16.11.2012
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Das Gefühl des Verlassenwerdens oder kurz: Seiltanz.

Seiltanz

Ich falle. So berauschend und kraftvoll der Tanz zuvor war, umso überraschender ist der Riss des Seiles. Ich falle. Tief, lang, unwirklich, unkontrolliert. Ich trete und schlage um mich, doch treffe nur mich selbst. Um mich rum herrscht Leere. Ich falle. Stetig wartend auf das Netz, das den Fall stoppt. Wann kommt es? Kommt es überhaupt? Und wo ist die Leiter zurück auf die Spitze des Berges? Wo ist der Weg hinaus aus der Kälte und Beklommenheit des Tals, hin zu den wärmenden, hoffnungsvollen Strahlen der Sonne? Ich habe ihn aus dem Blick verloren. Ich falle. Ohne Netz. Ohne Seil. Ohne doppelten Boden. Die Menge tobt. Sie schreien, flehen. Ich sehe sie nicht. Ich blicke zurück an die Stelle an der wir tanzten. Das Mädchen mit der Schere blickt Still und regungslos auf mich hinab. Ihr Gesicht wirkt wie versteinert. Die einzige Regung sind dicke Tränen, die wie Regentropfen über den Granit ihrer Wangen fließen. Ich falle. Ich falle in die Arme des Publikums, welches in die Manege gerannt war um mich aufzufangen. Sie lassen mich langsam zu Boden gleiten. Fetzen des Seils landen neben mir, prasseln auf mich herab. Sie ziehen an mir, wollen mich aus der Manege zerren, mich retten. Doch ich verharre, wehre mich, kralle mich in den Sand. Ohne Seil kein Tanz. Ohne Tanz keine Manege. Ohne Manege Monotonie. Ich falle. Ohne Netz. Ohne Seil. Ohne doppelten Boden. Ich falle.

 

Hallo Liebe KG-Community.
Ich bin ganz frisch hier und wollte mir mal etwas
anonyme Resonanz holen, da Fremde doch immer
eine objektivere Sichtweise haben.
Freue mich auf eure Kommentare :)
Liebe Grüße

 

Hallo Westender

Das Gefühl, das die Worte mir vermittelten, war von der Schwingung her angenehm. Dies ist die eine Seite. Das andere ist, dass ich darin nur knapp eine Geschichte zu erkennen vermag und es mir schwerlich gelingt, daraus einen philosophischen Gehalt zu konstruieren.

Was ich aus diesem Text entnahm, war, es ist ein Spiel der Poesie. Suggestiv nimmt es den Fall eines Hochseilakrobaten, lässt seine Gedanken in diesen Sekunden des Sturzes spielen, als wäre er in einem freien Flug in den Lüften. Dabei sind es wenig reale Gedanken, die ihn da bewegen. Ich weiss es nicht genau, aber ich denke, bei einem freien Fall in der Luft, breitet man eher instinktiv die Arme aus, als dass man um sich schlägt. Man möchte es ausbalancieren, wünschte sich Federn wie ein Vogel, um mit den Schwingen den Sturz zu verhindern. Auch müsste es ein sehr kräftiges Mädchen sein, mehr als nur eine Artistin, dass es ihr möglich wäre, das Seil mit einer Schere zu durchtrennen.

Meine Schlussfolgerung daraus, eine Fantasy. In der dortigen Rubrik wirkte es mir besser aufgehoben. Doch dies ist meine subjektive Sicht, vielleicht finden sich ja andere Leser, die dem Text einen tiefen Sinn entnehmen können, der sich mir verschliesst.

Aber zu lesen war es mir angenehm.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hej Westender,

versteh ich so: Du beschreibst das Gefühl des Verlassenwerdens als einen Fall aus großer Höhe. Mir gefällt der Ansatz.
Ich würde Dir empfehlen, mal 'nen Absatz zu machen, z.B. vor dem "Ich falle.", andererseits wirkt das dann vllt deutlich pathetischer.

So berauschend und kraftvoll der Tanz zuvor war, umso überraschender ist der Riss des Seiles.
Dass es sich um einen Tanz von zweien handelt, wird hier noch nicht deutlich. Lustig finde ich den Gedanken, dass er total berauscht auf dem Seil herumtanzt, während sie die Schere rausholt.

Tief, lang, unwirklich, unkontrolliert.
Erinnert mich an einen Sesamstraßenspot, wo unter vier Dingen eines nicht zu den anderen passte.
Tief? Ja.
Lang? Offensichtlich (er (?) fällt in gewisser Wiese in Zeitlupe, auch wenn das nicht da steht, aber für einen Echt-Fall sind das zu viele Gedanken, meine ich).
unkontrolliert? Weil dazu nicht viel verraten wird, wär das möglich.
Unwirklich ... meinst Du, es fühlt sich unwirklich an? Hier zweifele ich am Konzept Deiner Geschichte, wenn ich Deinen Worten glaube.
Oder anders: Ich lese über einen Zustand, der alle möglichen physikalischen Gesetze außer Kraft setzt und habe damit kein Problem, weil ich annehme, dass der Autor mir damit etwas veranschaulichen will. Dazu muss ich mich auf die vom Autor erfundenen Gesetzmäßigkeiten einlassen. Aber wenn der Autor mir dann nebenbei unterjubelt, dass besagter Vorgang auch innerhalb der Geschichte nicht wirklich ist, dann stört mich das.
Zweimal "un-" klingt außerdem doof.

Ich trete und schlage um mich, doch treffe nur mich selbst.
Das hier verstehe ich nicht wörtlich. Soll vllt heißen: Es nützt nichts, sich zu wehren.

Und wo ist die Leiter zurück auf die Spitze des Berges?
Diese Ungeduld lässt darauf schließen, dass der Fallende schon weiß,dass der Fall keine oder kaum eine Wirkung hinterlassen wird. Keine Angst vorm Aufprall? Damit wird Dein Bild wackelig.
Seiltanz klingt nach Manege, wo kommt plötzlich die Berg- und Talbahn her?

Ich falle. Ohne Netz. Ohne Seil. Ohne doppelten Boden.
Das weiß man vorher. Oder:
Ich falle. Ohne Netz. Ohne Seil. Ohne doppelten Boden. Das bemerke ich erst jetzt/ habe ich vorher noch nicht begriffen/ wusste ich nicht.

Die Menge tobt. Sie schreien, flehen.
Doch ein Zirkus. Ich finde, Du solltest bei einem Bild bleiben. Dann wäre es keine Bergspitze, die er sucht.
Warum fleht die Menge. Geht es nicht ums Verlassenwerden? Welche "Menge" könnte da eine Rolle spielen. Soll das die Familie darstellen? einen imaginären Freundeskreis?

Ich sehe sie nicht.
Dann vielleicht vorher: Ich höre sie schreien und flehen.

Ich blicke zurück an die Stelle an der wir tanzten.
Klingt nicht schön.

Das Mädchen mit der Schere blickt Still und regungslos auf mich hinab.
Ich blicke zurück. Das Mädchen mit der Schere blickt still und regungslos auf mich hinab.
Da würde auch deutlich werden, dass er zu der Stelle blickt, wo er eben noch getanzt hat.

Ihr Gesicht wirkt wie versteinert.
Und was mögen die Gründe dafür sein, dass es so wirkt ohne es zu sein?

Die einzige Regung sind dicke Tränen, die wie Regentropfen über den Granit ihrer Wangen fließen.
Dicke Tränen klingt für mich merkwürdig. Dicke Tränen gehören zu Krokodilen. Aber auch wenn Wangen versteinern, dass Tränen dick sind, das mag ich nicht glauben.

Ich falle in die Arme des Publikums, welches in die Manege gerannt war um mich aufzufangen. Sie lassen mich langsam zu Boden gleiten.
Wieder kein Hinweis, was oder wen die Menge darstellt.

Fetzen des Seils landen neben mir, prasseln auf mich herab.
Schön, dass Du an das Seil gedacht hast ... aber: Zerfetzt wovon? Mal abgesehen davon, dass ein gespanntes Seil durch einen Scherenschnitt in zwei Teile zerfällt. Und ich wollte es ja nicht sagen, aber worauf steht das Mädchen? Auf einer Plattform am Ende der Leiter. Hat sie dort getanzt und er war alleine auf dem Seil?

Sie ziehen an mir, wollen mich aus der Manege zerren, mich retten.
Was für eine Gefahr bestünde denn, wenn er auf dem Manegenboden liegen bliebe? Den Geruch von Sägespänen und Pferdeäpfeln oder meinetwegen auch Sand einatmen würde und wieder zu sich käme?

Ohne Seil kein Tanz. Ohne Tanz keine Manege. Ohne Manege Monotonie. Ich falle. Ohne Netz. Ohne Seil. Ohne doppelten Boden. Ich falle.
Das bild ich mir jetzt wieder ein zu verstehen. Klingt danach, als wäre er genau genommen noch nicht angekommen, alles vorher Beschriebene legt das ja auch nahe.

Zusammengefasst: Ich find die Idee des Fallens gut, hat was von Alice im Wunderland, von einem Zustand zum anderen gelangen von der berauschenden Welt in die verlassene vllt.
Nur der Aufprall fehlt. Mit der Menge ist der aber eher ein Ankommen. Dabei ist der Aufprall ja, wenn man so will, der Witz eines jeden Falls.

Soweit meine ganz subjektive Sichtweise.

LG
Ane

 

Hallo & herzlich willkommen hierorts,

lieber Westender,

ich kann mich im wesentlichen dem Urteil und der Beobachtung meiner Vorredner - quatsch, Vorschreiber anschließen, bis zu

Ich trete und schlage um mich, doch treffe nur mich selbst,
und ohne belehrend wirken zu wollen: selbst ein Vogel „schlägt“ mit den Flügel (daher „Flügelschlag“), selbst wenn er sich dabei nicht selbst schlägt (um auch das zu klären: ein Vogel ist so gebaut, dass er sich nicht selbst mit dem Flügel schlage). Aber selbst wenn wir schon mal „schräge Vögel“ sind (was ich nicht sein kann, hätt' ich doch sonst Federn und keine Schuppen, bin ich doch ein Fisch) vermögen wir den Flügelschlag nur schwerlich und unvollkommen zu imitieren, dass es zu Betriebsunfällen und Eigentreffern kommen muss – was Peterchens Mondfahrt grob fahrlässig verschweigt, selbst wenn mit einem Käfer trainiert wird) und mit dem Unvolkommen(en) bin ich bei der sehr entbehrlichen Passage dieses kleinen poetischen Textes - Sesamstraße hin oder her - angelangt
Tief, lang, unwirklich, unkontrolliert.
Hier halt ich allein „tief“ für eine eindeutige Aussage, schon das Adjektiv „lang“ ist wenigstens zweideutig: der Weg kommt einem (endlos-)lang vor beim Absturz und wenn wir schon die Psyche ansprechen: es dauert ja relativ lang!, was mich zu der Frage verleitet, ob's die vierte Dimension überhaupt gebe.
Ist die Zeit nicht Vergleichbares für den Raum, was die Seele für das Lebewesen?
Wo kein Raum, da keine Zeit,
wo kein lebendiger Leib, da keine Seele!,
(was natürlich den gläubigen Menschen nicht in ein noch tieferes Loch stürzen soll), oder anders gesagt:
wer keine Zeit hat, ist tot!
Da sind Negierungen von „wirklich“ und „kontrolliert“ entbehrlich, sie werden schon durch die folgende „Leere“ gekennzeichnet. Denn was ist schon wirklich „wirklich“, was nicht zugleich entbehrlich wäre?

Womit ich beim nächsten Hinweis wäre:

Wann kommt es? Kommt es überhaupt? Und wo ist die Leiter zurück auf die Spitze des Berges?
usw.
Wäre hier nicht der Konjunktiv irrealis angebracht, um die Fragen zu verstärken und zugleich den ganzen Zweifel offenzulegen?

Wann kommt es? [Käme] es überhaupt? Und wo [wäre] die Leiter zurück auf die Spitze des Berges?

Und dann doch ein wenig Futter für die Kleinkrämerseele, aber auch das einzige in geringer Dosis:
Ich blicke zurück an die Stelle[,] an der wir tanzten. Das Mädchen mit der Schere blickt Still und regungslos auf mich hinab.
Das Komma wäre - wie vorgeschlagen- zu setzen, so wie das Adjektiv „still“ üblicherweise kleingeschrieben wird, denn die Stille mag hier vorherrschen, nicht aber in der Satzkonstruktion.

Alles kein Beinbruch – sagt der

Friedel,
der gleichzeitig ein schönes Wochenende wünscht!

 

Hallo Westender,

Ich bin ganz frisch hier und wollte mir mal etwas
anonyme Resonanz holen, da Fremde doch immer
eine objektivere Sichtweise haben.
Haben sie nicht. ;) Du kannst aber aus drei oder vier Kommentaren schon sehr gut erkennen, wie eine Geschichte ankommt.

Dieser Text ist sehr kurz. Eigentlich grenzwertig, bei der Frage, ob es sich um eine vollständige Geschichte handelt. Wenn du mehr an deinem Stil arbeiten willst, wirst du sicher noch Geschichten mit mehreren Protagonisten schreiben, die miteinander interagieren. Auch Dinge wie Plotentwicklung und Beschreibungen kannst du nur üben, wenn du etwas Längeres schreibst. Momentan bietet dieser Text den Kommentatoren nicht viel Angriffsfläche. ;)

Freundliche Grüße,

Berg

 

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