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Das Gänseblümchen
Auf einer großen, grünen Wiese standen viele Gänseblümchen. Einige hatten gerade erst ihre winzigen Knospen aufspringen lassen und hielten ihre zarten Blütenblätter in den Wind. Eins der Blümlein streckte sich besonders lang und sein Köpfchen wurde vom Wind heftig hin und her geschüttelt.
Es ließ sich davon allerdings nicht stören und rief: "Schaut her, ich bin das größte und schönste Gänseblümchen auf der ganzen Wiese! Mein Mittelpunkt ist so wunderbar gelb, viel gelber als der Löwenzahn, der hinter dem großen Grasbüschel wächst!"
Das Blümchen wiegte sich hin und her, damit auch alle seine Schönheit bewundern konnten. Die Anderen schüttelten ihre Köpfchen und duckten sich in die Wiese, denn sie waren klein und zart und die Wiese bot ihnen Schutz. Als es Abend wurde, kuschelten sich die Gänseblümchen in ihre Blütenblätter und schliefen.
Am nächsten Morgen war das übermütige Blümchen als erstes wach und es reckte und streckte sich hoch hinaus. Während die Anderen noch ganz verschlafen ihre Blütenblätter entfalteten, rief es schon laut in die Welt hinaus: "Seht her, ich bin das Gänseblümchen mit den weißesten Blütenblättern weit und breit. Sie sind weißer als der Schnee! Schaut euch nur an, ihr Blümlein mit den rosafarbenen Blütenblattspitzen, das ist ja eine Babyfarbe! Ihr seid nicht so schön wie ich!"
Es drehte sich in alle Himmelsrichtungen, damit man es auch ja von allen Seiten bestaunen konnte. Aber die anderen Gänseblümchen staunten nur über seine Überheblichkeit und versteckten sich lieber im Gras. Es wurde Abend und die Blümchen deckten sich mit Grashalmen zu und schliefen.
Das größenwahnsinnige Blümlein warf früh am nächsten Morgen seine Grashalmdecke beiseite und rief der aufgehenden Sonne zu: "Sieh her, Sonne! Ich bin viel leuchtender und strahlender als du! Neben meiner Pracht verblasst deine ganze Strahlkraft!"
Die anderen Blümchen, die von dem Geschrei geweckt worden waren, tuschelten entsetzt.
"Warum war dieses Gänseblümchen nur so überheblich? Die Rosen in den Beeten waren doch sowieso die Schönsten!"
Es wurde Mittag und die Sonne brannte heiß auf die Wiese herunter. Alle Blümlein machten sich klein und suchten Schutz hinter den Grashalmen, nur das eitle Gänseblümchen streckte sich hoch hinauf zur Sonne und betonte immer wieder, wie fantastisch es doch sei. Dass ihm die Sonne dabei fast die Blütenblattspitzen versengte, war ihm egal.
Später erklang ein lautes Dröhnen und die ganze Wiese bebte. Die Gänseblümchen und Grashalme flüsterten sich zu, dass der Rasenmäher unterwegs sei. Ein Grashalm wisperte dem überheblichen Gänseblümchen zu, dass es sich ducken solle. Doch stattdessen reckte es sich hoch auf, damit es über die anderen Blümlein und Grashalme schauen konnte und versuchte, einen Blick auf den Mäher zu erhaschen. Dieser kam immer näher, die Blümchen und Grashalme machten sich ganz klein, nur das eingebildete Gänseblümchen ragte hoch in den Himmel. Doch plötzlich war ihm das Donnern des Rasenmähers nicht mehr geheuer. Im letzten Moment duckte es sich und entging so dem scharfen Messer. Dann richtete es sich vorsichtig auf und sah dem Mäher nach, als es einen heftigen Stoß spürte und wieder zu Boden gedrückt wurde.
Ein Grashalm lästerte: " Du hättest dich länger ducken sollen! Das war der Mensch, der den Rasenmäher bedient!“
Mühsam rappelte sich das Gänseblümchen auf, während die anderen Blümchen leise kicherten, denn das vorwitzige Blümlein war nun gar nicht mehr schön. Ein Knick im Stängel und die Blattspitzen schmutzig und zerknittert. Aber es hatte auch etwas gelernt, denn es würde nie wieder so vorlaut und neugierig sein.